Donnerstag, 25. September 2008

Lembergs Tautologien

Aivars Lembergs, der langjährige Bürgermeister von Ventspils, wurde vergangenes Frühjahr verhaftet. Seit Jahren werden publizistisch Korruptionsvorwürfe gegen ihn erhoben, und schließlich eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen ihn und ließ ihn wegen anderer Anschuldigungen schließlich in Untersuchungshaft nehmen.
Lembergs wird von vielen Einwohnern Lettlands verehrt, weil seine Stadt die ordentlichste im ganzen Lande ist. Ein einfaches Werk für den Bürgermeister einer Stadt mit hohen Steuereinnahmen.
Aber die Vorwürfe gegen das politische Schlitzohr gehen weiter. Kurz vor Ende ihrer Amtszeit behauptete die frühere Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga, sie habe Kenntnis von sogenannten “Lembergs-Stipendiaten”, also einer Liste mit Empfängern von Schmiergeldern.
In jüngster Zeit ist es um Lembergs wieder ruhiger geworden. Die Untersuchungen gehen aber weiter. Ex-Präsidentin Vīķe-Freiberga äußerte nun aber mehrfach die Sorge, ob die Lemberg-Angelegenheit auch gerecht und objektiv zu Ende geführt werde. Aivars Lembergs antwortete darauf am 13. September in der Zeitung Latvijas Avīze (Lettlands Zeitung) unter der Überschrift: Ciktāl esmu vienisprātis ar Vīķi-Freibergu (Wie weit bin ich mit Vaira Vīķe-Freiberga einer Meinung).
Lembergs erklärt, daß er in diesem Punkt mit Vaira Vīķe-Freiberga völlig einer Meinung sei und hoffe, daß tatsächlich sein Fall gerecht und objektiv behandelt werde, festgestellt werde, was ein Verbrechen sei, wo wann welches Gesetz übertreten worden sei und er sich nicht vor verurteilt finde, wie durch einen Artikel im Apollo-Internet-Portal, wo es geheißen habe, daß Lembergs ja wohl schon in einem der ihm vorgeworfenen Punkte schuldig sei, denn in einer Marktwirtschaft könne niemand in so kurzer Zeit an so viel Kapital kommen, ohne dabei Gesetze zu verletzen. Eine übrigens in Lettland sehr verbreitete Meinung im einfachen Volk, daß man auf ehrliche Weise nicht so wohlhabend werden könne. Was viele einzelnen Bonzen übel nehmen, aber nicht allen. Auch Lembergs Popularität leidet nicht. Kritischere Geister kommentieren die Arbeit des Kommunalpolitiker manchmal auch so, daß er wenigstens nicht so wie andere alles in die eigene Tasche gewirtschaftet habe, sondern auch etwas für das Volk tue. Lembergs widerspricht im Artikel grundlegend, er könne ganz im Gegenteil weitere Beispiele benennen, daß man gerade in der Marktwirtschaft in kurzer Zeit reich werden kann.
Lembergs stimmt Vaira Vīķe-Freiberga auch darin zu, daß die Gefahr bestünde, daß mafiöse Strukturen die Prozesse beeinflussen. Tatsächlich habe er zahlreiche Gegner, die Klagen fabrizierten und anstrengten, Fakten erfinden, veränderten und verfälschten und außerdem für entsprechende Zeugen sorgen respektive diese beeinflussen könnten. Nur Vertreter solcher Strukturen seien in der Lage, die Staatsanwälte in teure Restaurants und Hotels einzuladen.
So weit also, stimme er Vaira Vīķe-Freiberga zu. Doch sehr er nicht überzeigt, ob sich dahinter auch das gleiche Verständnis vom Rechtsstaat verberge, denn er könne der ehemaligen Präsidentin auf keinen Fall darin zustimmen, daß wie in Kanada ein Gericht sein Urteil innerhalb von 15 Minuten fälle. Das habe es mit Todesurteilen auch unter Stalin gegeben, beruhend auf Beweisen aus Denunziation und Folter
Bis hierhin mag man Lembergs nur geschickte Rhetorik vorwerfen oder auch salopp formuliert, daß er der Ex-Präsidentin das Wort im Munde herumdreht. Dabei macht es ihm die verbreitete Einstellung der Bevölkerung ebenso einfach wie naive Kommentare in Internetpublikationen.
Aber bei genauerer Betrachtung ist es dramatisch, wie Lembergs quasi selbstverständlich impliziert, daß er von der Staatsanwaltschaft als Unschuldiger verhaftet wird, während die schwarzen Kräfte frei gegen ihn agieren können. Staatliche Organe arbeiten also seiner Ansicht nach für die Mafia oder werden wenigstens von ihr beeinflußt? Das klingt nach einer verschleierten Verschwörungstheorie, die ab dem nächsten Absatz expressive verbis benannt wird.
Lembergs spricht jetzt von der Politischen Soros Vereinigung, die auch solche Veranstaltungen anrege, wie die “Regenschirmrevolution” vom Herbst 2007, mit der nur die eigenen politischen Interesse verschleiert würden. Damals waren erstmalig seit der Wendezeit die Menschen die Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die geplante Entlassung des Chefs der Anti-Korruptionsbehörde zu protestieren. Nach anfänglichem Zögern war bei der zweiten Kundgebung auch Präsident Zatlers erschienen. Welche Verbindung so Lembergs, bestünde zwischen Rechtsstaatlichkeit unter der politisch motivierten Entlassung oder Nichtentlassung eines ineffizient arbeiteten Behördenchefs.
Um welche politischen Interessen es sich handelt, benennt Lembergs nicht. Muß er auch nicht, denn mit der Erwähnung der Soros-Stiftung hat er wieder die schweigende Mehrheit Lettlands wieder auf seiner Seite, die hinter der Werbung für eine Zivilgesellschaft die weltweite Machtergreifung von irgendwelchen nicht näher genannten Illuminierten oder auch der “Schwulen- und Lesbenbewegung” vermutet. Letzteres wird von Lembergs selbstverständlich im erwähnten Artikel nicht behauptet, steht aber in Lettland immer im Raum.
Das Überraschende an diesem Unsinn ist, daß viele Menschen ganz zutiefst und ehrlich daran glauben. Ob Lembergs dies ebenso tut, bleibt dahingestellt, aber vermutlich ist er intelligent genug, auf dieser Klaviatur nur zu spielen. 2006 ließ er sich sogar als Ministerpräsidentschaftskandidat der Parteienunion aus Grünen und Bauern plakatieren, kandidierte aber selbst nicht einmal um ein Parlamentsmandat – in Lettland kann der Präsident auch eine Person als Regierungschef nominieren, die nicht ins Parlament gewählt wurde. In den Augen der einfachen Bevölkerung war dies nicht etwa ein Zeichen der Klugheit Lembergs, zwar Einfluß geltend zu machen, ohne aber Verantwortung und Risiko übernehmen zu müssen, sondern seine Anhänger waren überzeugt, daß die Politikerclique in Riga ihn nicht an die Macht lassen wolle.
Lembergs fährt mit seinem Mißfallen der ehemaligen Präsidenten fort, die in den mächtigen Staaten der Welt herumreise und einen gefälligen Diener mache. Im Rahmen der innenpolitischen Erschütterungen Lettlands im Jahre 2007 hatte die Botschafterin der USA zu ihrem Abschied eine flammende Rede gehalten und die fehlende Rechtsstaatlichkeit Lettlands kritisiert. Daß Vaira Vīķe-Freiberga dieser Meinungsäußerung sofort zugestimmt hat, empfindet Lembergs als Verrat. Auch in diesem Punkt trifft Lembergs den Nerv des einfachen Volkes.
Abschließend äußert Lembergs sein absolutes Unverständnis über die Meinung der früheren Präsidentin, die auf das gescheiterte Referendum zur Verfassungsänderung im August reagiert hatte mit der Bemerkung, es könne sich in Lettland nur durch ein Referendum etwas ändern un nun möchte sich niemand beschweren, Veränderungen seinen nicht möglich, wenn das Volk nicht zahlreich genug an die Urnen geht, um das Ergebnis der Abstimmung rechtskräftig werden zu lassen. Lembergs wirft Vaira Vīķe-Freiberga vor, daß sie nun also nach acht Jahren in der Rigaer Burg anerkenne, sie habe in ihrer Amtszeit nichts bewegt.
Zweifelsohne ist es fragwürdig zu behaupten, nur eine Volksabstimmung könne etwas bewegen in Lettland. Aber auch Lembergs kennt die Verfassung sicher gut genug, um zu wissen, daß der Präsident in Lettland nicht das ausführende Organ ist. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat Vaira Vīķe-Freiberga in ihrer Amtszeit zahlreiche Gesetze beeinflußt.

Mittwoch, 24. September 2008

Zynismus des Zynismus-Vorwurfes

Duch zwei Beiträge über Estland bin ich 2007 auf das Eurasische Magazin aufmerksam geworden. Beide Artikel hielt ich für oberflächlich und einseitig, was ich damals auch an dieser Stelle bereits kommentiert habe. Das waren der Text von Ulrich Heyden über den Bronzesoldaten in Tallinn und die Reiseeindrücke aus Estland von Tobias Mindner, die m.E. herzlich wenig mit Estland zu tun hatten. Im Zusammenhang mit dem Kaukasuskonflikt gab es wieder Beiträge im Eurasischen Magazin, darunter erneut von Ulrich Heyden, die, von Ausnahmen abgesehen, eine starke Rußlandfreundlichkeit zum Ausdruck bringen. Dies betrifft ganz besonders den Artikel von Kai Ehlers.
Ich habe daraufhin an die Redaktion geschrieben:

Von: Dr. Axel Reetz [mailto:reetz@lanet.lv]
Gesendet: Freitag, 5. September 2008 10:36
An: info@eurasischesmagazin.de
Betreff: Ihre Berichterstattung rund um Russland
Sehr geehrte Kollegen,
durch einen Beitrag von Herrn Heyden zum Bronzesoldaten vergangenes Jahr wurde ich auf Ihre Publikation aufmerksam, habe Ihren Newsletter abonniert und verfolge nun die Texte.
Als Im Baltikum lebender Politologe habe ich selbstverständlich großes Interesse an der Berichterstattung in Deutschland und bin einstweilen verblüfft, daß außer General a.D. Klaus Naumann eigentlich ausschließlich Georgien verantwortlich gemacht wird. Auch Ihre Berichte sind sehr russophil.
Schon vergangenes Jahr hatte Herr Heyden den Bronzesoldaten nicht in Verbindung gebracht mit Putins Junktim, über die Grenzverträge anläßlich der Feierlichkeiten zum 60. Jahretag des Kriegsendes zu verhandeln, was estnische Nationalisten zu Aktionen veranlaßte, welche die Regierung dort für die Zukunft vereiteln wollte. Will sagen, die Berichterstattung war sehr verkürzt – mein Kommentar.
Jetzt werden den USA geostrategische Interessen vorgeworfen, die sie selbstverständlich haben. Aber Rußland doch auch! Und wollen wir lieber eine Demokratie den Kaukasus kontrollieren lassen oder einen oligarchisch-kapitalistischen Autoritarismus? Sind schon die Diskussionen über Parlaments- und Präsidentschaftswahl in Rußland vor weniger als Jahresfrist vergessen?
Russland war in der Zarenzeit rückstandig (Aufhebung der Leibeigenschaft 1861), die Sowjetunuion brach zusammen, weil die Regierung keine nachhaltige Entwicklung durchführte. Und jetzt passiert genau das gleiche. Die öffentliche Meinung in diesem Land geht auf unfreie Medien zuruck. Aber alles das ist bekannt. Ich frage mich also, warum sich die Berichterstattung auf einen zugegebenermaßen dummen Streich Saakaschwilis beschränkt. Der Konflikt liegt doch viel tiefer.
MfG
Axel Reetz

Die Antwort:
Datums: Fri, 5 Sep 2008 10:58:34 +0200
Sūtītājs: Eurasisches Magazin
To: "Dr. Axel Reetz'"
Temats: AW: Ihre Berichterstattung rund um Russland
PS: Hätte ich sofort realisiert, dass Sie Saakaschwilis blutigen Überfall mit Tausenden von Toten als "dummen Streich" bezeichnen, hätte ich Ihnen wohl nicht geantwortet. Soviel Zynismus. Nein Danke.
HW
Eurasisches Magazin
Die Netzzeitschrift, die Europa und Asien zusammenbringt.
Hans Wagner
Ringstraße 10
85250 Altomünster
Tel.: 08254-8570
Fax: 08254-1646

Zynismus ist mir weder publizistisch noch privat vorgeworfen worden. Darum habe ich mir die Mühe einer umfangreicheren Antwort gemacht, die Teile des Posts zum Kaukasus wiederholen:

Sehr geehrter Kollege!
Sie warfen mir Zynismus vor. Um sich ein Bild von meiner Sicht der Dinge zu machen, lade ich Sie ein, folgenden Link anzuschauen.
Was Zynismus betrifft, bin ich seit längerem beispielsweise von den Beiträgen des Kollegen Heyden überrascht, der sich sehr kritisch über das Baltikum äußert. So bin ich auch ursprünglich auf das Eurasische Magazin gestoßen. Zunächst, wie bereits erwähnt, war Zynismus Ihre Interpretation meiner Formulierung “dummer Streich” über den Angriff Saakaschwilis auf Südossetien. In einer Mail schreibt man schon einmal salopp. Außerdem besteht wohl kein Zweifel, daß der Schritt sowohl dumm war als auch ein Streich, den er der Diplomatie des Westens gespielt hat.
Aber ich verstehe unter Zynismus doch etwas anderes, nämlich den im Eurasischen Magazin häufig anzutreffenden Umstand, daß einige Autoren sehr einseitig argumentieren.
Da schreibt etwa Kai Ehlers in “Ende der Ohnmacht?”, es ginge in der Berichterstattung nicht um die Nacht vom 7. auf den 8. August, sondern nur um die Frage, wie Rußland reagierte. Das sehe ich anders. Von Journalisten und Politikern wurde der Jahrhunderte alte Hintergrund des Konfliktes überhaupt nicht diskutiert. Das taucht nur in einem Interview mit einem georgischen Oppositionellen bei Ihnen auf. Dazu mein Glückwunsch. Statt dessen geht es immer nur aufgeregt darum, alle Kampfhandlungen müssen eingestellt werden. Das geht sogar so weit, daß selbst der ehemalieg WDR-Intendant Fritz Pleitgen bei Anne Will von den Ängsten der einfachen Bevölkerung in Rußland spricht, ohne gleichzeitig daran zu erinnern, wie sehr erst noch unlängst die Unfreiheit der Medien in Rußland kritisiert wurde.
Ehlers erklärt dann weiter, Gorbatschow und Schewardnadse hätten “gutgläubig” auf die Versprechungen des Westens vertraut, die NATO werde nicht bis an die russicchen Grenzen erweitert. Gutgläubig soll ein Argument sein für was? “The end of history”? Es ist doch naiv anzunehmen, daß sich die Welt nicht mehr verändert. Wie die NZZ schreibt, ist es eben das Komische an Rußland, daß es sich in der Rolle des gefürchteten so richtig wohl fühlt. Ebenfalls bei Anne Will gab deshalb auch der ehemalige US-Botschafter in Deutschland zu bedenken, daß Rußland sich schon selbst die Frage stellen müsse, warum seine Nachbarn alle in die NATO drängten. Zynismus ist es m.E., wenn man den beängstigten Balten die Tür zur Sicherheit zuhält mit dem Argument, man dürfe Rußland nicht ärgern. Und die Steigerung dieses Zynismus ist Ehlers Zitat unter der Zwischenüberschrift “Putins Ziel: Russland als Integrationsknoten Eurasiens”: “Leider gehörte auch die Niederschlagung des tschetschenischen Aufstandes dazu, bei dem Russland sich ausländisches Eingreifen als ‘Einmischung in seine inneren Angelegenheiten” verbat.” Sie sind also der Ansicht, die Formulierung “dummer Streich” ist Zynismus, aber die Bezeichnung zweier jahrelanger Kriege als “Niederschlagung” eines “Aufstandes” ist eine korrekte Beschreibung? Ich erinnere ncoh einmal daran, mein Text war eine kurze Mail, Ehlers Beitrag hingegen ein nach wie vor online stehender Artikel, für den er vermutlich auch ein Honorar von Ihnen erhalten hat!
Die von Ehlers erwähnte Stabilisierung Rußlands durch Putin habe in meinem Blog ebenfalls kommentiert – übrigens durchaus positiv. Bei Kollege Ehlers hingegen fehlt im Hinblick auf die neue Weltordnung und seiner offensichtlichen Gegnerschaft zu George Bush - mit welcher er in jeglicher Hinsicht nicht alleine ist – eine ganz simple Feststellung. Im Falle der USA besteht gewiß eine hochgradige Fragwürdigkeit der Mittel der Politik während der Bush-Administration. Doch während George Bush entsprechend demokratischer Gepflogenheiten abtreten muß und dies auch tut, dient die ebenso geopolitische Interessen vertretende Politik Rußlands einer Oligarchie, die sich keiner inländischen Kontrolle zu unterziehen bereit ist.
Ich finde zynisch, daß die Presse wie auch die öffentliche Meinung in Deutschland sich in Antiamerikanismus suhlen, gleichzeitig aber russisches Handeln ohne Unterbruch verstehen, ja oft sogar entschuldigen.
MfGAxel Reetz

Herrn Wagners Antwort fällt ebenso kurz, wie lakonisch wie auch m.E. eben zynisch aus:
Datums: Sat, 20 Sep 2008 18:26:45 +0200
Sūtītājs: Eurasisches Magazin
To: "'Dr. Axel Reetz'"
Temats: AW: AW: Ihre Berichterstattung rund um Russland
Sehr geehrter Herr Dr. Reetz,
meinen Glückwunsch zu Ihrer offenbar unbegrenzten Zeitfülle. Ich verfüge darüber nicht. Deshalb ziehe ich es vor, mich wieder einem neuen Magazin zuzuwenden. Ich habe in Ihrer Polemik und in den diversen Behauptungen etc. nicht erkennen können, woran sich eine Antwort, die der Klärung von Meinungsverschiedenheiten verpflichtet wäre, substanziell festmachen ließe.
Gruß
Hans Wagner

Freitag, 19. September 2008

Eesti muutub Saksamaaks[1]

Das war Ende der 90er ein im privaten Kreis regelmäßiger geäußerter, scherzhafter Kommentar über Estland. Damals stand dahinter eine Mischung aus Genugtuung über die rasante Entwicklung Estland und der Trauer über das Verschwinden verschiedener sowjetischer oder postsojwetischer Exotica im Alltag.
Nunmehr haben alle osteuropäischen Staaten das stürmische erste Jahrzehnt der Transformation durchgestanden, wirtschaftlich und politisch wurde von der Transformationstheorie schon früher eine Stabilisierung erfahren. Diese ist aber in den moisten Staaten wenigstens politisch nur teilweise eingetreten. Nach wie vor ist es eine Seltenheit, wenn wie Dzurinda in der Slowakei 2002oder Gyurcsány in Ungarn 2006 als amtierende Regierungen wiedergewählt werden. Estland gelang dies ebenfalls 2007, jedoch wählte Ministerpräsident Ansip andere Koalitionspartner.
Zwar hat in Estland, so wie in den baltischen Nachbarstaaten noch nie eine Regierung wenigstens eine ganze Legislaturperiode durchgehalten, auch gibt es nach wie vor so viel Instabilität im Parteiensystem, daß infolge des Popularitätsverlustes der liberal-konservativen Regierungen bei gleichzeitigem Wunsch der Wähler nach Parteien ähnlicher Coleur neue Parteien wie Res Publica 2003 und die wiedergegründeten Grünen 2007 den Sprung in Parlament geschafft. Doch die Umfragen zeigen einstweilen erstens eine große Stabilität an, wie die Zeitung Postimees am 15. September berichtete, und damit efreut sich Ministerpräsident Andrus Ansip nach wie vor großer Beliebtheit.
Die liberale Reformpartei des Regierungschef hat sich von 21% auf 19 verschlechtert, damit sind sich aber immer noch ein Fünftel der Wählerschaft sicher, diese Partei zu bevorzugen. Die Koalitionspartner der Vereinigten Vaterlandsunion und Res Publica kommen mit 10% auf zwei Punkte mehr. Die Sozialdemokraten (Sotsiaaldemokratlik Erakond), aus deren Reihen auch Präsident Toomas-Hendrik Ilves stammt, bleiben bei 8%.
Das würde den reinen Zahlen nach derzeit für eine Mehrheit nicht reichen, doch 16% der befragten gaben an, unentschlossen zu sein. Diese Zahl belegt ebenfalls die Stabilität, ist sie doch überraschend niedrig für ein baltisches Land. Von ihnen würden sich im Falle eines anstehenden Urnenganges sicher viele für die regierungskoalition entscheiden.
Stabilitätsfaktor wären jedoch ebenfalls die Grünen, die bereits 2007 mit Ansip Koalitionsverhandlungen geführt hatten. Daß die Beteiligung schließlich nicht stattfand ist auf die Verweigerung des gewünschten Umweltresorts zurückzuführen. Doch damals waren die Grünen für eine Mahrheit eben auch nicht erforderlich.
Ein dritter Stabilitätshinweis ist die starke Opposition der Zentrumspartei unter Edgar Savisaar, welche sich, immer wenn in der Opposition, seozialdemokratisch geriert. Sie war allerdings bis 2007 der Partner Ansips in einer nur aus den beiden stärksten Fraktionen bestehenden Koalition. Und dies war auch nicht das erste Mal, daß im Laufe einer Legislaturperiode ein Partnertausch stattfand.
In den Jahren seit 1992 hat auf diese Weise zwar keine Regierung sich vier jahre an der Macht halten können, die Politik hat sich jedoch jeweils nur in Nuancen verändert, das Ergebnis stabiler Verhältnisse.
Wenig verwundert, daß die Volksunion (Rahvaliit) den Sprung ins Parlament nicht schaffen würde. Seit der frühere kommunistische Funktionär und spätere Präsident Arnold Rüütel nicht mehr in der Politik ist, fehlt dieser Kraft die populäre und bekannte Figur. Hinzu kommt, daß der wichtigste Politiker dieser Partei, Villu reiljan, kämpft seit langem mit Korruptionsvorwürfen. Vor wenigen Monaten entzog das Parlament ihm die Immunität.
Gewiß ist Estland nicht Deutschland. Aber in den 90ern sollte der entsprechende Satz einen Prozeß andeuten. Doch in einem Punkt gibt es eine vielleicht sogar deutlichere Ähnlichkeit: Das Vertrauen in staatliche Institutionen und die Politik sinkt, wie Postimees am gleichn Tag in einem anderen Artikel berichtet. Hintergrund sind nach Meinung der Demoskopen die Krise im Kaukasus wie auch innenpolitische Debatten um den Haushalt. Interessant ist besonders die anhaltende Beliebheit des Ministerpräsidenten Andrus Ansip. Sein Vertrauenswert übersteigt mit 59% alle anderen politischen Institutionen.
[1] Estland wird zu Deutschland

Dienstag, 16. September 2008

Emanzipation eines Präsidenten?

Die Wahl von Valdis Zatlers zum Präsidenten Lettlands war vergangenes Jahr begleitet von viel Mißmut in der Bevölkerung, die sich einen anderen Mann an der Spitze des Staates gewünscht hatte. Die Wahl war aber auch einer der Höhepunkte, mit welcher sich die damalige Regierung Kalvītis gänzlich unbeliebt machte. Die nihilistische Einstellung dazu demonstrierte der Abgeordnete Jānis Lagzdiņš nach der erfolgreichen Inthronisation am Fenster des Fraktionsgebäudes mit ausgestrecktem Arm und geballter Faust gegen die unten wartende Menge gerichtet.
Zatlers galt als Kandidat dieser Regierung. Ein Arzt, der von Politik nichts versteht und sich im Alltagsgeschäft zurückhalten würde – ganz im Gegenteil zu seiner Vorgängerin Vaira Vīķe-Freiberga. Gewitzelt wurde, weil Spitzenpolitiker sich angeblich bei einem Treffen im Zoo auf Zatlers geeinigt hatte. Aber der Amtsinhaber sorgte auch selber für Realsatire, als er anläßlich einer Veranstaltung rhetorisch ungeschickt formulierte: Wer bin ich?
Nun aber funktioniert Zatlers plötzlich nicht? Freilich, die Regierung hat inzwischen gewechselt, nicht aber die Koalitionäre. Außenminister Māris Riekstiņš von der gleichen Partei, welcher auch Expremier Aigars Kalvītis angehört, wollte die gemeinsame Parteifreundin Vaira Paegle, einstweilen Vorsitzende des Ausschusses für Europaangelegenheiten, zur neuen Botschafterin Lettlands bei der UNO machen. Die Exillettin war auch früher schon einmal als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt worden.
Zatlers ernannte sie nicht. Dieser Entschluß kam allerdings wenig überraschend. Die Pressesprecherin des Präsidenten, Inta Lase, verwies auf zwei Aspekte, die Zatlers bereits mehrfach geäußert habe. Zum einen kritisiere der Präsident die öffentliche Diskussion der Kandidatur, bevor er, der Staatschef, die Politikerin bestätigt habe. Wichtiger aber sei, daß Lettland Karrierediplomaten ausbilden solle und die Auswahl nicht politisch motiviert vorzunehmen sei.
Riestiņš gab sich pikiert und verwies auf die Praxis in den USA, die bewußt politische Diplomaten auswählten. Paegle selbst fühlt sich nicht nur übergangen, sondern auch ohne sachliche Argumentation zurückgewiesen. Sie werde sich an den Ombudsmann wegen Diskriminierung aufgrund ihrer politischen Zugehörigkeit wenden. Zwar sei es post facto nun ziemlich lächerlich, eine Erklärung aus dem Präsidialamt zu erhalten, doch habe sie bislang schriftlich keine Einwände erhalten, wieso sie professionell für das Amt nicht geeignet sei.
Die lettische Verfassung sieht die Berufung von Diplomaten durch den Präsidenten nur zeremoniell vor. Doch inoffiziell kommentieren auch außenpolitische Beobachter, daß Paegle Opfer des Kampfes um Einfluß zwischen Präsidenten und Außenministerium geworden sei, nachdem Minister Riekstiņš erst unlängst über Zatlers gesagt hatte, dieser lebe in einem Informationsvakuum.

Gespaltene Gesellschaft in Lettland

Der Anteil der nicht lettischen Bevölkerung in Lettland ist hoch. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg, also auch vor der erstmaligen Ausrufung der Unabhängigkeit waren die von Letten bewohnten Gebiete gemischt bevölkert. Neben der alten deutschbaltischen Oberschicht gab es Russen, Weißrussen und gerade im Osten des Landes, der einmal zur Rzeczpospolita[1] gehört hatte, auch Polen und Juden. Nachdem noch während der Zwischenkriegszeit die Mehrheit der Einwohner des neuen lettischen Staates Letten waren, so wurde in der Zeiten der Inkorporation in die Sowjetunion so viele Menschen aus anderen Republiken angesiedelt, daß die Letten beinahe zur Minderheit im eigenen Lande wurden. Nach dem Abzug der russischen Armee 1994 änderte sich das Bevölkerungsverhältnis so weit, daß ungefähr heute knapp zwei Drittel der Bevölkerung Letten sind.
Der große Anteil nicht lettischer Einwohner war der Grund dafür, daß die Letten sich wie die Esten nach der wiedererlangten Unabhängigkeit 1991 entschieden, nur jenen Menschen die Staatsbürgerschaft zu geben, die zum Zeitpunkt der Besetzung durch die Rote Armee 1940 Staatsbürger waren und deren Nachfahren. Zwar hatten bei dem noch vorher stattgefundenen Referendum über die Unabhängigkeit auch zahlreiche Russen für die Selbstständigkeit gestimmt, die Letten sahen es jedoch als problematisch an, Menschen über die Zukunft des Staates mitbestimmen zu lassen, die diesen Staat eigentlich nie wirklich wollten. Das sind zum einen jene, die den Zusammenbruch der Sowjetunion ablehnten, aber eben auch jene, die sich zwar wirtschaftliche Vorteile von einem unabhängigen Lettland versprachen, jedoch nicht darüber nachgedacht hatten, daß sie sich in einem Staat fremder Nation wiederfinden würden, der nach Jahrezehnten einer bloßen Duldung des Lettischen dieses nun zur Leitkultur erheben zu wollen.
Hierin ruht der Konflikt. Zur Sowjetzeit waren zwar beide Sprachen, Lettisch und Russisch, Amtssprachen. Im Alltagsleben war es jedoch zwar möglich, ohne Lettisch auszukommen hingegen keineswegs ohne Russisch, eine sehr zweischneidige Zweisprachigkeit also, die eben nun plötzlich ins Gegenteil verkehrt wurde.
Daß viele Russen diese Entwicklung als ungerecht empfanden rührte zum einen daher, die große russische Kultur als wichtiger zu empfinden inklusive des Statuses der Sprache als Lingua Franca. Aber es rührte eben auch daher, daß bis zu diesem Zeitpunkt nur weniger Russen darüber nachgedacht hatten, daß die Situation weniger Folge der lettischen als der sowjetischen Politik war. Natürlich waren sie aufgewachsen mit einer ganz anders lautenden Propaganda.
Über Jahre wurde eine vorwurfsvolle Haltung gegenüber Lettland aber auch Estland auch von westlichen, insbesondere deutschen Medien unterstützt, die nicht müde wurden, von der Diskriminierung der Russen zu sprechen.[2] Ohne dies an dieser Stelle bewerten zu wollen steht sicher fest, daß über Jahre hinweg beide Beobachtungen zutreffend waren: daß es zwei parallele Gesellschaften gab, eine lettische und eine russische, aber daß es auch keine manifesten Probleme oder Konfrontationen gab. Gerade das offizielle Lettland hat sicher auch darauf gehofft, daß sich diese Frage demographisch löst, dies sowohl die Haltung zu Lettland als auch die Staatsbürgerschaft betreffend.
Dabei wurde ein wichtiger Aspekt vernachlässigt, daß die Russen in einem anderen Informationsraum leben und vorwiegend nicht nur Medien auf Russisch konsumieren, sondern eben auch aus Rußland. Dies hat seine Wirkung bereits seit dem Machtantritt Putins. Doch seit dem jüngsten militärischen Konflikt im Kaukasus wirkt der Umstand verstärkt.
Das lettische Radio hat jüngst mit dem lettischen Politologen Viktors Makarovs und der lettisch-russischen Intellektuellen Marina Kosteņecka gesprochen. Makarovs weist darauf hin, daß noch Anfang August anläßlich des Referendums über die Parlamentsauflösung etwa in der liberalen Tageszeitung Diena positiv diskutiert wurde, daß sich auch die Russen nun beteiligten und den von Politikern geäußerten Behauptungen, daß nach einem positiven Resultat die Russen einmarschieren würden und die ansässigen Russen als Feinde und fünfte Kolonne gesehen wurden.
Die Journalisten des Radios erklärten, es sei schwierig gewesen, russische Mitbürger vor das Mikrophon zu bekommen. Eine junge Frau schließlich verglich die Rolle der Osseten mit denen der Russen in Lettland, die eben auch eine Minderheit seien. In einem Staat mit zwei Volksgruppen sei es ein Problem, wenn die Letten schon die Russen im eigenen Land nicht überzeugen könnten, wie könne sich dann erst das Gespräch mit Rußland gestalten. Man müsse zu einem Kompromiß über die historischen Ansichten kommen. Nie in der Geschichte seien die einen nur die guten und die anderen die schlechten gewesen.
Schon allein in dieser Meinungsäußerung wird deutlich, daß die junge Frau inzwischen über historische Fakten informiert ist, die zu sowjetischen Zeiten geleugnet wurden und auch von Rußland heute noch werden. Was vielen Russen fehlt, ist ein Zugang zur eigenen Historie, wie er etwa in Deutschland gepflegt wird. Ohne daß sich ein junger Deutscher selbst schuldig an den Verbrechen der Nationalsozialisten fühlen müßte, sind sich die Menschen der historischen Schuld bewußt. Und so feiern gerade die jungen Russen zunehmend den 9. Mai, also das Kriegsende. Makarov fügt hinzu, es sei eben schwierig, sich psychologisch mit Lettland zu identifizieren angesichts der Erfordernis einer Geschichts- und Sprachprüfung für die Einbürgerung und eines Bildungsgesetzes, welches seit wenigen Jahren den Unterricht auf Lettisch auch in einigen anderen Fächern vorsieht.
Marina Kosteņecka pflichtet dem bei und weist darauf hin, daß nunmehr seit 17 Jahren die Russen in Lettland hörten, sie seien Okkupanten, auch wenn sie im Lande geboren wurden. Aus diesem Grunde suchten sie nach ihren Wurzeln. In dem Moment, wo Rußland die Zeit der Erniedrigung hinter sich gelassen habe und bei den Osseten als Schutzmacht auftrete, fühle man sich dieser Kultur eher zugehörig.
Dabei sei es heute gar nicht erforderlich geopolitisch oder militärisch zu denken. Der ökonomisch Einfluß genüge. Jūrmala gehöre bereits den Russen, die Verkäufer seien Letten. Frau Kosteņecka, die in Riga geboren wurde, sagt, wäre sie an der Macht, würde sie sofort die antirussische Propaganda unterbinden und viel mehr auf jene Russen in Lettland hinweisen, die im Lande etwas produzierten, ihre Steuern bezahlten. Andernfalls werde die Spaltung der Gesellschaft tiefer. Die Regierung müsse nun Brücken bauen, aber sie befürchte, das es bereits zu spät sei.
Makarovs unterstützt diese Meinung und erklärt, die Regierung sollte nicht die Sympathien für Rußland bekämpfen, sondern statt dessen die negativen Einstellungen gegenüber Lettland. Immerhin habe es auch während der jüngsten Krise genügend Russen in Lettland gegeben, die nicht mit der russischen Flagge durch die Straßen gelaufen sind.
Fakt ist gleichzeitig, daß der Wunsch nach Einbürgerung sinkt, so berichtet auch das lettische Radio. Hinzugefügt werden müßte wohl, daß es sich auch ohne Staatsbürgerschaft in Lettland leben läßt – wie der Autor dieser Zeilen – mit der einzigen Konsequenz, daß die Teilnahme an Wahlen nicht möglich ist. Mit dem lettischen Paß wiederum sind Reisen nach Rußland schwieriger als mit einem russischen.
[1] Das war die Union aus Polen und Litauen.
[2] Darüber gibt es einen ausführlichen weiteren Beitrag.

Montag, 15. September 2008

Referdumania

Lettland steht unter dem Eindruck einer Referendumanie. Nicht daß die Bürger dieses Landes so häufig an die Urnen gerufen würden wie etwa in der Schweiz. Aber im Gegenteil zu Deutschland ist es in Lettland möglich, die Bürger über eine konkrete Frage abstimmen zu lassen.
Dabei ist Referendum nicht gleich Referendum. Die Abstimmungen unterscheiden sich darin, wer sie in welcher Form initiieren kann, über welche Fragen abgestimmt wird als auch bei der Mindestbeteiligung, die für eine Gültigkeit des Ergebnisses erforderlich ist.
Referendumanie deshalb, weil allein innerhalb der letzten gut zwölf Monate drei der insgesamt sieben Referenden seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1991 stattgefunden haben. Und die drei Urnengänge haben eine Gemeinsamkeit: ihr Ergebnis bleibt unberücksichtigt, weil die vorgesehene Beteiligungsquote nicht erreicht wurde. Da bei den sieben Referenden auch die zwei wichtigen über die Unabhängigkeit selbst sowie den Beitritt zur Europäischen Union mitgezählt werden, sind innenpolitisch interessant vor allem jene, die aus der Mitte des Volkes angeregt wurden.
Dabei handelt es sich juristisch nicht um die Initiative eines Referendum. Vielmehr ist diese Form der direkten Demokratie zunächst eine Gesetzesinitiative. In Lettland kann die Bürgerschaft mit den Unterschriften von 10.000 Wahlberechtigten das Parlament zwingen, einen konkreten Gesetzentwurf zu debattieren. Die Eingabe darf auch den Verfassungstext betreffen.
Die drei Referenden der letzten zwölf Monate unterscheiden sich jedoch in den eingangs Kriterien.
Der Urnengang von 2007 wurde angeregt, indem die damalige Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga von ihrem verfassungsmäßigen Recht gebraucht machte, die Ausfertigung eines verabschiedeten Gesetzes auszusetzen, um der Bevölkerung die Gelegenheit zu geben, die erwähnten 10.000 Unterschriften zu sammeln. 2007 hatte die Präsidentin Vorbehalte gegen die Novelle des Gesetzes über die Nationale Sicherheit.
Der Zentralen Wahlkommission werden im Zusammenhang mit der geringen Wahlbeteiligung die Termine der Ausrichtung vorgeworfen. 2007 war es der 7. Juli, also 07.07.07, ein Datum, an welchem viele junge Paare heirateten, da es sich zudem, wie gesetzlich für Abstimmungen vorgeschrieben, um einen Samstag handelte, und daher mitsamt der Verwandtschaft auf einen Besuch des Wahllokals verzichteten. Damals jedoch hatte sich der Gegenstand des Urnenganges bereits erledigt, weil die Regierung im vorauseilendem Gehorsam das Gesetz schon wieder zurückgenommen hatte.
Andererseits sind der Zentralen Wahlkommission aber auch die Hände gebunden. Ein Referendum muß in einer gesetzlich festgelegten Frist nach Einreichen der Unterschriften stattfinden. 2008 müssen sich daher die Initiatoren der Referenden selbst Populismus vorwerfen lassen, schließlich hatten sie die Entscheidung darüber, wann sie die Unterschriftenlisten einreichen. Angesichts der lettischen Besonderheit, daß die Bürger– auch bei Parlamentswahlen – in jedem beliebigen Wahllokal abstimmen dürfen, was durch einen Stempel im Paß gekennzeichnet wird, kontert die Zentrale Wahlkommission nicht zu Unrecht, daß sie keinen Einfluß darauf hat, für wie wichtig die Bevölkerung das konkrete Referendum hält.
Die Initiatoren müssen sich außerdem die Frage gefallen lassen, wie populistisch die Urnengänge ob ihres Gegenstandes waren. Mit dem einen wollte man den Gesetzgeber auf eine Mindestrentenhöhe festlegen. Das andere, wichtigere Referendum sollte inskünftig den Bürgern die Möglichkeit geben, ebenfalls per Referendum, das Parlament aufzulösen.
Diese Idee wurde freilich im Zusammenhang mit dem Referendum von 2007 geboren, das kurz nach der Wahl des neuen Präsidenten folgte. Die Regierung unter Ministerpräsident Kalvītis hatte sich nicht nur in den Augen der Präsidentin, sondern auch nach Meinung der Bevölkerung als selbstherrlich herrschende Oligarchen-Clique diskreditiert.
Gegen das Referendum über die Rentenfrage regte sich Widerstand auch unter Rentnern, die es für ungerecht hielten, daß die Höhe der Bezüge nun plötzlich nicht mehr abhängig davon sein sollten, ob jemand im Leben faul oder fleißig war. Dies, obwohl es außer Frage steht, daß die Renten in Lettland gering sind und für viele Rentner das alltägliche Leben deshalb äußerste Sparsamkeit verlangt.
Für die Möglichkeit, das Parlament durch ein Referendum auflösen zu können, votierten eine überwältigende Mehrheit von mehr als 90% der Wähler, die den Weg an die Urnen gefunden hatten. Dieses Ergebnis ist auf die erwähnte Unzufriedenheit zurückzuführen, aber auch auf die bisherige Regelung, nach welcher der Präsident die Auflösung des Parlaments gar nur anregen kann, darüber aber dann – und jetzt werden die lettischen Verfassungsfragen kompliziert – eben ein Referendum stattfinden muß. Dieses kostet entweder die Parlamentarier ihren Stuhl oder aber den Präsidenten selbst. Amtsinhaber Valdis Zatlers, welcher nun 2007 gegen den Willen der Bevölkerung von der unbeliebten Regierung Kalvītis installiert worden war, hatte sich aber nach den Demonstrationen im vergangenen Herbst nicht angeschickt, von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch zu machen.
Den Vorwurf des Populismus müssen sich die Initiatoren dennoch gefallen lassen, denn trotz der hohen Zustimmung unter den abgegebenen Stimmen beteiligten sich auch an diesem Referendum nicht genügend Bürger. Angesichts der größeren Wichtigkeit einer Verfassungsänderung sieht das Gesetz aber auch höhere Hürden vor. Müssen für die Gültigkeit einer Volksabstimmung üblicherweise wenigstens halb so viele Wahlberechtigte teilnehmen wie bei den vorhergegangenen Parlamentswahlen, so hätte in diesem Fall wenigstens die Hälfte der Wahlberechtigten insgesamt abstimmen müssen.
In einer Demokratie, zumal in einem kleinen Staat wie Lettland, gibt es keine demokratietheoretischen Einwände gegen Referenden. Die verfassungsmäßig vorgesehenen Rechte aktiv zu nutzen, ist ebenfalls positiv zu bewerten. Dabei sollte die Gefahr abgewandt werden, via Volksabstimmungen den Versuch einer Umsetzung von idealistischen Zielen zu verwirklichen. Aus dem Umstand, daß die erwähnten Referenden nicht genügend Zuspruch unter den lettischen Bürgern gefunden haben, ließen sich zwei Schlüsse ziehen. Entweder ist dies ein Zeichen für eine ins Bodenlose gehende Politikverdrossenheit, oder aber die Menschen haben verstanden, daß mit Populismus nichts zu bewerkstelligen ist.

Aktuelle Probleme postsozialistischer Länder. Das Beispiel Lettland

Dieses Buch über Lettland erschien bereits vergangenes Jahr. Abrufbar als pdf hier. Der Inhalt:

Vorwort

Einleitung

Lettland im Überblick
Axel Reetz

Eigenheiten der Entstehung der politischen Parteien in Lettland.
Schwankungen der Wählerunterstützung
Māris Ginters

Soziales Kapital und Wohlfahrtsorganisationen
Signe Grūbe

Probleme der Entwicklung einer Zivilgesellschaft
Simona Gurbo

Allgemeiner Aspekt des Menschenhandels
Sintija Langenfelde

Parlamentarische Kontrolle über die Regierung
Ilze Siliņa-Osmane

Der Wähler im Wunderland
Axel Reetz / Veiko Spolītis

Lettland, eine weibliche Gesellschaft? Mythos und Tatsachen
Axel Reetz / Veiko Spolītis

Gesellschaftliche Partizipation bei politischen Entscheidungen in Lettland
Velta Mazūre

Kulturschock – Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Einstellungen
zur „Wende“ in den neuen Bundesländern und Lettland
Evija Rimšāne

Tendenzen der Wirtschaftsentwicklung
Irīna Čurkina

Wechselwirkung von Staat und Diaspora
Andrejs Berdņikovs

Wohlstand bedeutet auch saubere Umwelt
Alda Ozola-Matule / Jānis Brizga / Ojārs Balcers / Andris Junkurs

Öffentliche Homosexuelle und die Reaktion der Gesellschaft
Baiba Blūzma

Ethnische Zusammensetzung und historische Voraussetzungen
Ilmārs Mežs

Transparenz der Eigner im Mediensektor.
Erfahrung in Lettland und Europa
Ainārs Dimants

Die Sehnsucht des „Volkes” nach einer unschuldigen Politik
Axel Reetz / Veiko Spolītis

Gegner der Unabhängigkeit wieder frei – lettischer KP-Funktionär
Alfrēds Rubiks verbüßte sechs Jahre wegen Putschversuchs
Axel Reetz

Tanz mit drei Damen – den lettischen Komponisten Imants Kalniņš
kennt daheim jedes Kind
Axel Reetz

Samstag, 13. September 2008

Baltische Staaten: Politiker als Fixpunkte und verschiedene Varianten von parteipolitischer Fluidität

Das Manuskript zum Beitrag in: Ellen Bos, Dieter Segert: Osteuropäische Demokratien als Trendsetter? Parteien und Parteiensysteme nach dem Ende des Übergangsjahrzehnts erschienen Mai 2008 hier.

Donnerstag, 11. September 2008

Lettland zum 90sten

Am 21. August habe ich in Radio Corax Halle ein Interview zum Jahrestag der lettischen Unabhängigkeit 1990 gegeben, welches allerdings zum Ende hin ein wenig am Thema vorbei ging. In der lettischen wissenschaftlichen Zeitschrift Akadēmiskā Dzīve erscheint Demnächst ein gemeinsamer Beitrag mit Veiko Spolītis zum gleichen Thema: Latvijas deviņdesmitā un trīsdesmit trešā gadskārta (Lettlands 90. und 33. Geburtstag). Der Inhalt kommentiert den Umstand, daß ein unabhängiger Staat zwar vor 90 Jahren ausgerufen wurde, jedoch nicht nur ein halbes Jahrhundert dieses Zeitraum eine völkerrechtlich nie anerkannte Inkorporation in die Sowjetunion herrschte, sondern bereits 1934 durch den Putsch von Kārlis Ulmanis das demokratische Staatswesen unterbrochen worden war. Somit existieret ein demokratischer Staat 14 Jahre und seit der neuerlichen Unabhängigkeit 17 Jahre = 33.

Donnerstag, 4. September 2008

„Wahrheit und Recht“[1] (ergänzt)

Verschiedene Ansichten gibt es fast immer und über fast alles. Objektivität ist schwierig und damit auch manchmal nicht ganz einfach, von konkreten Wahrheiten zu sprechen. Dabei spielen Bildung, Wissen und Medien eine Rolle – und damit auch Propaganda.
Anläßlich der Konferenz „20 Jahre Parlamentarismus in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa: Versuch einer Bilanz“ an der Andrássy Universität Budapest im Frühjahr 2008, die von der Konrad Adenauer Stiftung mitorganisiert wurde, gab es ein Panel „postsowjetische Ausnahmefälle“. Zu diesen werden jene Staaten gerechnet, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion anders entwickelt haben: das ist das Baltikum und der Kaukasus. In der anschließenden Diskussion fragte ich als referent über die baltischen Staaten den Leiter der Außenstelle Budapest der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans Kaiser, welcher seinerseits über den Kaukasus berichtete, wie sich das Verständnis der Demokratie, deren wichtiger Bestandteil die Parlamente sind, sich in den vergangenen Jahren entwickelt oder auch geändert hat.
In den baltischen Staaten, insbesondere in Lettland fällt nämlich auf, daß seit dem Amtsantritt von george Bush junior als Präsident der USA vor allem durch den Krieg im Irak eine Trendwende eingestellt hat.Man könnte plakativ behaupten, die Menschen hätten ihre Illusionen verloren. Dabei ist es besonders tragisch, daß die Medien in den baltischen Republiken zwar die Geschehnisse auf der Welt im Großen und Ganzen wiederspiegeln, ohne tendenziös zu sein. Hingegen wird wenig darüber berichtet, wie etwa die Bevölkerung in Westeuropa die Politik der USA bewertet.
Folge dieses Umstandes ist, daß die USA ihre Reputation als „gute“ Großmacht in den Augen vieler Menschen verspielt hat. Dies gilt aber, wie Jan Techau im Deutschlandradio Kultur am 2. Januar 2008 kommentierte auch für andere Länder inclusive der USA selbst. Das wäre nicht weiter problematisch, wenn nicht der „Westen“ eben gerne auch monolitisch gesehen würde. Warum ist das so?
Selbstverständlich gilt dies inbesondere für jenen Teil der Bevölkerung, welcher nicht über Hochschulbildung verfügt. Andere Personengruppen, die westlicher Fremdsprachen, allem voran des Englischen mächtig sind, und entsprechend in einem beschränkten Informationsraum leben. Die meisten dieser Personen sind Dank der ein halbes Jahrhundert währenden Sowjetherrschaft beherrschen jedoch sehr wohl die russische Sprache und konsumieren Medien aus der Russischen Föderation.
Ganz abgesehen davon, daß sich hier selbstverständlich Amerikakritik findet, gibt es aber eben auch Berichterstattung über die Vorgänge im Irak, in Kosovo, in Tschetschenien und Gerogien. Und da ist die russische Sicht eine grundlegend andere.
Freilich, in der Kritik am Krieg im Irak ist Rußland nicht alleine. Es ist noch nicht in Vergessenheit geraten, wie groß der Widerstand Rußlands gegen die Unabhängigkeit des Kosovo war. Und hier gibt es ebenfalls auch im Westen verschiedene Ansichten, was dazu führt, daß der Kosovo nicht einmal von allen Staaten der EU anerkannt wurde. Hier sind seperatistische Bestrebungen in den betreffenden Staaten ebenso die Ursache wie die Sorge Rußlands um Tschetschenien und ggf. Weitere Sezessionen im eigenen Land. Seit bald zwei Jahrzehnten spricht die russische Öffentlichkeit gerne von terroristen, welche in Tschetschenien bekämpft werden. Diese Aspekte sind auch der Hintergrund für die zurückhaltende Unsterstützung einer Idee der Unabhängigkeit in Ossetien und Abchasien, obwohl Rußland den Konflikt als Partei auch damit beenflußt hat, daß den Menschen dort russische Pässe ausgestellt hat. Nunmehr ein Vorwand für die Intervention auf ausländischem Territorium.
Die Gefahr dieser Gemengelage liegt nunmehr darin, daß die Regierungen der baltischen Staaten mit Polen zwar schärfer auf den Kampf in Georgien reagiert haben als der Rest der EU. Aber ein guter Teil der Bevölkerung sieht die Dinge anders, hält ihre eigene Regierung für amerikanischer Propaganda erlegen und schenkt umgekehrt der russischen Propaganda Glauben. Und das gilt eben nicht nur für die besonders in Lettland starke russische Minderheit, sondern auch sehr wohl für Letten, die selbst unter der Sowjetherrschaft nicht gelitten haben und sich dieser eigenen Lebensphase als einer in sozialer Sicherheit erinnern.
Daß russische Fernsehsender ganz im Unterschied zu „westlichen“ Kanälen Spitzenpolitiker oftmals einfach unkommentiert reden lassen, also geradezu wie ein Verlautbarungsorgan der Regierung arbeiten, wird dabei nicht als negativ zur Kenntnis genommen. Was Путин oder Медведев zu sagen haben, wird nicht in Zweifel gezogen.
Allerdings entschuldigt und / oder unterstützt auch ein Teil der Öffentlichkeit in Deutschland Rußlands Vorgehen, wie im WDR5 Tagesgespräch am 28. August 2008 deutlich wurde. Vor dem Hintergrund eines Anti-Amerikanismus, der sich vom Vietnamkrieg bis zum Irak und Guantanamo erstreckt, wirft man den Amerikaner Einmischung in allen Weltgegenden vor. Dabei ist es eine Allgemeinplatz, daß jedes Land und gerade die Großmächte natürlich geostrategische Interessen haben und diese auch verfolgen. Gerade während in den USA Wahlkampf ist und erstmalig ein Mann nicht weißer Hautfarbe ernsthafte Chancen auf einen Wahlsieg hat, haben die Kritiker der Amerikaner bereits vergessen, daß es noch nicht ein Jahr her ist, daß die Art und Weise der Parlamentswahl und der Installation des neuen russischen Präsidenten in Rußland in die Kritik geraten waen? Kein Wort wird auch darüber verloren, daß Rußland seit Jahren mit seiner „Friedensmission“ in Abchasien und Südossetien Konlfiktpartei ist und mit der Anerkennung dieser Staaten gegen frühere eigene Prinzipien und mitgetragene UNO-resulotionen verstößt, also eben seine geostrategischen Interessen vertritt.
Aber auch altgediente Politiker und Architekten der Entspannungspolitik wie Hans-Dietrich Genscher und Egon Bahr beschören den Dialog. Bahr wirft den Amerikanern Machtinteressen vor, welche die Russen nicht vertreten dürften und dem Westen den Schwenk von Kooperation mit Rußland hin zu Konfrontation. Aber in Rußland hat die Macht von Ельцин zu Путин gewechselt und damit die Politik Moskaus grundlegend gewandelt.
Und damit stellte sich dann die Frage, ob den Korridor im Kaukasus für Energielieferungen nun aus Sicht des „Westens“ besser die Amerikaner kontrollieren oder die Russen.
[1] Dies ist der Titel eines Romanfünfteilers eines der wichtigsten estnischen Schriftstellers: „Tõde ja õigus“ von Anton Hansen Tammsaare.

Dienstag, 2. September 2008

Referendummānija

www.politika.lv publicēts raksts par referndumiem. Te ir melnraksts.
Latvija ir demokrātiskā valsts. Jēdziens demokrātija nāk no Grieķu valodas un nozīmē tautas valdīšana. Sekojoši nekas nevar būt augstākā demokrātijas izpausme nekā tautas nobalsošana. Nav argumenti pret referendumiem.
Vienīgais aspekts diskusijai ir gan, par ko un kurā brīdī rīkot referendumus. Tam ir sākumā jādefinē tautas tiešās piedalīšanas lemšanas procesā, jo dažādās valstīs ir dažādās iespējas. Reizēm legislatīva vara, proti, parlaments, vai arī izpildvara, proti, valdība, prasa tautai šajā ceļā piekrišanu jau pieņemtam lēmumam. Citreiz, tā kā Latvijā šajā mēnesī divas reizes pati tauta ierosināta balsošana ar no NVO organizētām parakstu vākšanām.
Pasaules demokrātiju konstitūcijas kā arī Latvijā Satversme paredz ļoti dažādās iespējas tautas nobalsošanām. Apstiprināt vai noliegt kādu lēmumu. Tas var būt obligāts referendums vai no politiskās elites par nepieciešamu uzskatīts. Arī tauta var kādu lēmumu ierosināt un ar savu balsojumu piespiest likumdevējam vismaz noteiktu likumprojektu diskutēt. Atkarībā no šiem aspektiem atšķiras arī prasības pēc kvorumiem un vairākumiem. Latvijā no politikas elites norīkotā referendumā nepieciešams tikai vairākuma piedalījušo izteikums nobalsošanas ceļā. Lai ierosināt likumprojektu ir jāpiedalās vismaz puse tik daudz vēlētāju, cik piedalījās iepriekšējas Saeimas vēlēšanās.
Starptautiskā salīdzinājumā nekur biežāk pie urnām netiek aicināti nekā Šveicē. Savukārt, Vācijā, tieši pretēji, sakarā ar valsts vēsturi, pamatlikuma tēvi neuzticēja tautas nobalsošanām. Referendumi tāpēc vispār nav paredzēti ar tikai vienu izņēmumu, ja tiek diskutēts plāns par federālu zemju robežu maiņu. Tas ir noticis jau 50os gados apvienojot Baden-Württemberg, kur mākslīgas robežas pastāvēja nevis kultūrvēsturiski, bet dēļ okupācijas zonām pēc Otra pasaules kara. Mēģinājumu pēc atkalapnievošanos likt kopā galvaspilsētu Berlin ar apkārtējo Brandenburg 90os gados izgāzās. Politiķi vēlējās šo risinājumu, lai atvieglot ekonomiskās problēmas Berlin. Bet tā kā pilsētai ir vairāk iedzīvotāji nekā Brandenburg, šīs zemes iedzīvotāji noraidīja ideju.
Diskusijas par tiešo demokrātiju, vērtību, demokrātijas nepieciešamību kā arī riskiem ir daudz, gan presē gan zinātnē. Interesants fakts ir, ka Rietumeiropā parasti kreisu politisku spārnu reprezentējušie spēki atbalsta referendumiem. Kamēr Universität Konstanz emeritēts profesors no Šveices Leonhard Neidhart vienmēr uzsvēra, ka tautas nobalsošanu rezultāti mēdz būt konservatīvie, jo tauta parasti nebalso par pārmaiņām, bet drīzāk par saglabāšanu. Šveicē 1982.g. nodibinātā iniciatīva par armijas likvidēšanu Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), kas vēlas likvidēt armiju un referendumos savāca, piemēram, pret lidmašīnu pirkšanu 1993.g. vairāk par 40%.
Pamatojums diskusijām, protams, ir fakts, ka nereti tautas uzskati ar politiskās elites plāniem nesakrīt, nerunājot par dažiem nepopulāriem lēmumiem kā, piemēram, palielināt nodokļus vai nodevas. Pretestība vēsturiski kā arī pašlaik reizēm pa klusu reizēm plaši organizēti ar demonstrācijām nenoliedzami pastāvēja pret lēmumiem un politiku, kuru var šodien uzskatīt par ļoti svarīgiem un ietekmīgiem, lai gan, protams, rezultātus jebkurā gadījumā var vēl mūsdienas diskutēt. Pieņemti bez tautas piekrišanas, piemēram, Vācijā 1955.g. atkalapbruņošana, proti, armijas dibināšanu, kas bija pamatakmens uzņemšanai NATO. NATO dubultlēmuma 1979.g. pamatā uzstādināja arī Rietumvācijā atomieročus sākot no 1982.g. Tas bija galvenais iemesls, kāpēc pacifisti nodibināja zaļo partiju. Šos lēmumus ar referendumiem noteikti nebūtu varējis neviens ieviest. Nesena pagātnē līdzīgi notika Euro ieviešana. Kur notika referendumi kā Zviedrijā, tur tieši to noraidīja. Jaunākais piemērs ir Lisabona līgums, kuru noraidīja vienīgā valstī, kur valdība bija spiesta pēc konstitūcijas rīkot referendumu – Īrijā.
Skatoties uz šiem gadījumiem nevar viennozīmīgi teikt, referendums ir vienmēr labs vai slikts. Runājot par militāriem jautājumiem, kas acīmredzot diezgan pieši ir strīda temats var bilst, ka NATO tikai mazai Islandei nav armijas. Centrālamerikas valsts Costa Rica arī iztiek bez zaldātiem.
Latvijā kopš neatkarības atjaunošanas notika referendumi par pašu neatkarību 1991.g. 3. martā, 1998.g. 3. oktobrī par grozījumiem pilsonības likumā, 1999.g. 5 augustā par pensijas likumu, 2003.g. 20. septembrī par iestāšanos Eiropas Savienībā un, izņemot šīgada tautas nobalsošanas vēl 2007.g. 7. jūlijā par grozījumiem Nacionālās drošības likumā. Ieskaitot šī gada augustā jau notikušo referendumu, interesanti, izkrita no sešiem puse. Noskaitot nost neatkarīgas lēmumu, kurš, protams, īsti pirms neatkarības notika, lielākā daļa, lai gan Latvijā, atšķirība no citām valstīm, pilsoņi var nobalsot jebkurā iecirknī. Centrālā vēlēšanu komisija 2007.g. uz pārmetumu, ka referendumu nevajadzēja tādā datumā likt kā 07.07.07 atbildēja, ka, ja pilsoņiem šis jautājums ir svarīgs, tad arī nekavē tāds datums gatavību piedalīties. Līdzīgi varētu šogad pārmest, ka balsošana atkal notiek vasarā, kad visvairāk cilvēki ceļo. Bet šis pārmetums ir nevietā, jo tomēr, referendumu ierosinātāji varētu, savukārt, lasīt Satversmi un likumdošanu, pētīt parakstu iesniegšanas brīdi un noteikumus par to, kurā laika periodā referendumam ir jānotiek pēc likumdošanas.
Bet zema aktivitāte arī. Piemēram, visvairāk uz tiešo demokrātiju orientētajā valstī Šveicē nav nekas svešs. Tam ir, galvenokārt, divi iemesli. Pirmkārt nav katru reizi visi vēlētāji uzskata attiecīgo jautājumu par tik svarīgu. Arī iestājas, otrkārt, zināms nogurums no regulārām balsošanām. Turklāt piedalīšanas pieprasa arī iedziļināties referendumu jautājumos. Daži to nedara pārāk bieži labprāt. Citiem atkal trūkst, iespējams, zināšanas, lai gan konkrētu problēmu gan arī piedāvātus risinājumus vispār saprast. Un vēl arī, protams, nepieciešama izpratne par nobalsošanas norisē, kura savā dažādībā ir sarežģīta. Rezultāta par šoreizējo ierosinājumu, mainīt Satversmi un pievienot tai tautas iespēju atlaist parlamentu referenduma ceļā, daudzi balsoja pret, lai gan viņi nebija nemaz pret to ideju, bet pret valdību. Uztverot katru balsošanu par kaut ko valdības rīkoto, domāja, ka šādi balsojot var kritizēt valdību. Jau 1998.g. par pilsonības likumu vajadzēja pret maiņu balsot, lai atvieglot naturalizāciju.
Zināšanas un saprašanas trūkumi, kā vienmēr, atvieglo izmantošanu. Šoreiz daži politiķi baidīja Latvijas iedzīvotājus ar tādiem brīdinājumiem, ka, ja balsos par ierosinājumu, ienāks krievi vai devalvēs Latu, sekām, kurām nekāds tiešais sakars ar Satversmes papildināšanu nav. Tanī pašā laikā šaubas par lēmuma kvalitāti, kā publicēja, piemēram, deputāts Kārlis Leiškalns, secinot, ka viņš nebalsos par juridisku brāķi. ir, protams, atļautas. Šāda diskusija nepieciešama, jo ar Saeimas atlaišanas kārtību vien nepietiek. Jānosaka ir arī sekas, ko atlaista Saeima vēl drīkst un kas ir pienākums. Citādāk varētu mājas sūtītie deputāti savās pēdējās darba dienās vēl pēkšņi iestājošajā vienprātībā kaut vai mainīt Satversmi?
Bet tautu arī var maldināt citādi, ierosinot kaut ko patīkamo. Visiem neveiksmīgiem referendumiem Latvijā ir kopīgs, ka kāds mēģināja mērķus panākt, kurus pārmet politikai, ka nav gatava realizēt, pensijas palielināšana, Saeimas atlaišana. Proti, referendumi notiek ar populārām idejām. Šajā ceļā izmanto tādas organizācijas, ka arodbiedrības, kuras nemaz nav tik ietekmīgas Latvijas politikā, tautas “ilgas pēc nevainīgas politikas”. Līdzīgi notika 2000.g., kad sociāldemokrāti, draudēt ar parakstu vākšanu pret Latvenergo privatizāciju. Gan toreiz gan 2007.g. neveiksmīga referenduma sekā valdība rīkojās tā, ka tauta vēlējās. Tomēr jāpadomā, vai kvoruma nepanākšana nav arī rādītājs tam, ka daļa no vēlētājiem jautājumu par mazsvarīgu uzskata vai pat ir pretējā viedoklī? Jau tagad izskan par nākošo referendumu diezgan dažādas domas. Lielas pensijas izklausās, protams, taisnīgas. Bet arī ir dzirdami uzskati, ka nav taisnīgi piešķirt visiem labas pensijas neatkarīgi no tā, cik ilgi viņi dzīvē strādājuši.
Jebkurā gadījumā, kas neseko politikai un neizglītojas vienmēr grūtāk var spriest par jautājumiem un savā vai arī valsts labā referendumā balsot. Citādi varētu rīkot referendumu par to, lai visiem tiktu augstākā izglītība. Beidzot nabagiem studentiem varbūt vairs nebūtu jāmācās.