Donnerstag, 22. Januar 2009

Parlamentsauflösung und Gewaltenteilung

Charles de Montesquieu hat in seinem Werk “Vom Geist der Gesetze” im 18. Jahrhundert den Grundstein für eine Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative gelegt. In parlamentarischen Systemen dürfen die Bürger nur die erste Gewalt wählen, in später entstandenen präsidentiellen Systemen auch ihre Regierungsführung. Mischformen gab und gibt es vom Semipräsidentialismus bis hin zu der in Israel realisierten Idee, den Regierungschef direkt zu bestimmen.

Angesichts dieser konstitutionellen Machtgefüge fällt die tatsächliche Möglichkeit einer Einflußnahme einzelner staatlicher Organe auf andere sehr unterschiedlich aus.

Das Parlament, die Legislative, als Herz einer jeden Demokratie, ist überall weitgehend geschützt vor Übergriffen einer anderen Staatsgewalt. Das geht vom checks and balances der USA, wo der Präsident selbst nicht einmal einen Gesetzentwurf einbringen, geschweige denn den Kongress auflösen kann, bis hin zu den umfangreichen Freiheiten im “verfassungslosen” Großbritannien, wo der Regierungschef Neuwahlen dann ansetzen darf, wenn er einen für seine Partei günstigen Moment zu sehen glaubt.

Diese traditionelle Demokratie hat einstweilen hier seit der Magna Carta und der Bill of Rights so gut funktioniert wie die zu den ältesten Systemen zählende komplette Abgrenzung von Exekutive und Legislative der Vereinigten Staaten.

Anders in jüngeren Demokrtien und solchen, deren Gesellschaften die Erfahrung einer oder mehrerer Dikaturen hinter sich haben.

In Deutschland haben die Verfasser des Grundgesetzes das Parlament schützen wollen. Es gibt deshalb außer einer gescheiterten Vertrauensfrage für den Präsidenten keine Gelegenheit, außerplanmäßige Neuwahlen anzuberaumen.

In Lettland wurde der Präsident, partiell in Anlehnung an das Weimarer Vorbild, als Korrektiv zur Gesetzgebung installiert. Er kann eine Parlamentsauflösung anregen, ist jedoch angewiesen auf die Zustimmung der Bürger, die dies in einem Referendum bekunden müssen, bei dem das Staatsoberhaupt sein eigenes Amt im Falle des Mißerfolges riskiert. Lettland hat diese Verfassung aus dem Jahre 1922 nach der wiedererlangten Unabhängigkeit 1993 wieder in Kraft gesetzt.

In Deutschland wurde die geltende Nichtexistenz des Rechtes zur Selbstauflösung des Bundestages drei Mal mit einer inszenierten Niederlage der Regierung umgangen. War dieser Schritt bei Willy Brandt 1972 beinahe der einzige Ausweg aus einer Situation, wo Parteiübertritte einzelner Parlamentarier die Regierung ihre sowieso knappe Mehrheit gekostet hatte, so zog – der für andere politische Entscheidungen oftmals gescholtene – Gerhard Schröder 2005 zumindest in diesem Fall staatmännische die Konsequenz aus der Erkenntnis, daß eine fortgesetze rot-grüne Regierung eine lahme Ente gewesen wäre. Einzig für Helmut Kohl gab es 1983 keine Notwendigkeit, sich ein Mandat vom Wähler geben zu lassen. Der Koalitionswechsel während einer Legislaturperiode ist erlaubt.

In Lettland wird die Frage der Parlamentsauflösung seit der sogenannten Regenschirmrevolution im Herbst 2007 umfangreich diskutiert. Zunächst wurde ein entsprechendes Handeln von Präsident Zatlers aus der Mitte der Bevölkerung gefordert – ohne Erfolg. Der Präsident nutzte nur sein Initiativrecht bei der Gesetzgebung, um eine Verfassungsänderung anzuregen, die künftig dem Volk das Recht zur Parlamentauflösung zubilligen würde. Diesen Entwurf aber ließ die regierende Mehrheit durch den Boykott der Beratung im Ausschuß ins Leere laufen.

Dann setzte derselbe Mann 2009 plötzlich dem Parlament ein Ultimatum –verfassungrechtlich ein zweifelhafter Schritt. Und plötzlich gerieten die regierenden Parteien in große Nervosität. Die Volkspartei, deren früherer Ministerpräsident Aigars Kalvītis wohl als wesentlicher Aussitzer der aufziehenden Finanzkrise gelten darf, initiierte plötzlich einen Entwurf zur Verfassungsänderung, mit dem sich das Parlament selbst auflösen könnte. Dieser Vorstoß hat allerdings wenig Chancen auf eine Mehrheit.

Statt dessen wird nämlich zwischen den politischen Parteien intensive über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit diskutiert. Und angesichts der Finanzkrise und der politischen Krise sind Zweifel berechtigt, ob sich Lettland einen Wahlkampf ausgerechnet zu diesem kritischen Zeitpunkt leisten kann, zumal es keine alternativen politischen Kräfte gibt, die nicht aus der schon regierenden politischen Elite heraus gegründet worden ware.

Der Vorschlag der Volkspartei gekoppelt mit der Forderung nach möglichst zügigen Neuwahlen hat seine Ursache sicher in der Gewißheit, daß ihre Wahlchancen sinken, je länger mit dem Urnengang abgewartet wird und die Bevölkerung Zeit zur Gründung weiterer Parteien hat.

Im Rahmen der Gewaltenteilung ist es wünschenswert, der Exekutive inklusive ihres reprāsentativen Armes, des Präsidenten, nicht zu viel Macht über die Legislative einzuräumen. Bei deutschen Landesparlamenten wurden Neuwahlen nach einer Niederlage der jeweiligen Regierungspartei nicht nur einmal – und sogar für diese erfoglreich – angesetzt, frei nach dem Motto, wir lassen die Wähler so lange wählen, bis uns das Ergebnis paßt. Die Bevölkerung selbst könnte ebenfalls im Falle unpopulärer Entscheidung eine pausenlose Wahlmaschine in Gang setzten.

Daß ein Parlament dagegen selbst zu dem Schluß kommt, sich auf keine regierungsfähige Mehrheit mehr einigen zu können, sollte ihm zugestanden sein. Im parlamentarischen System der Bundesrepublik mit seiner Kongruenz aus Regierungskoalition mit entsprechender Parlamentsmehrheit hätten es Willy Brandt und Gerhard Schröder ähnlich einfach gehabt. Die CDU/CSU-Abgeordneten hätten allerdings 1983 vielleicht doch noch einmal das Grundgesetz lesen sollen.

In Lettland stünden die Abgeordneten heute vor der Aufgabe, selbst entscheiden zu müssen, ob sie sich der anstehenden großen Verantwortung zu stellen bereit sind oder ihr Mandat lieber aufgeben, anstatt ein Schauspiel aufgeregter Hühner zu liefern, welches sie derzeit, wegen der fragwürdigen Aktionen des Präsidenten, nicht ausschließlich selbst verschuldet haben.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Die Bundesregierung geht selbstgefällig mit den Bürgerrechten um (vgl. http://www.youtube.com/watch?v=dgsNB8JKDd8 und http://www.gruene-bundestag.de/cms/archiv/dok/294/294128.achtung_der_grundrechte.html). Auch die Petitionsausschüsse, Beamte und Richter gehen selbstgefällig, bürgerfeindlich, sogar mobbend mit den Bürgerrechten um und sie verschleiern ihre Terror-Gelüste. Gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen fehlt wegen gewollter Verdrehungsabsicht der Tatsachen und der Rechtslage zumeist eine plausible Begründung, oft sogar die Sachbezogenheit (vgl. http://unschuldige.homepage.t-online.de/default.html). Rechtsbrüche und Rechtsbeugungen sind systemkonform, vgl. http://www.odenwald-geschichten.de/?p=1740. Beim Rechtsbruch bilden sich Seilschaften, vgl. z.B. http://www.odenwald-geschichten.de/?p=682 und http://de.wikimannia.org/Rechtsbeugung.