Dienstag, 30. August 2011

Ilves wiedergewählt – Estlands Stabilität

Erst im März hat Estland ein neues Parlament gewählt, in dem erst mal nur vier Parteien sitzen und derer nur zwei die Regierungskoalition bilden. Nun hat das Parlament erstmals seit der Unabhängigkeit gleich im ersten Wahlgang einen Präsidenten gewählt.

In den vergangenen 20 Jahren war ungeachtet selbst der Popularität von Lennart Meri, der in der außerverfassungsmäßigen Volkswahl von 1992 sogar beinahe dem kommunistischen Kader Arnold Rüütel unterlegen wäre, niemals gelungen, die erforderliche zwei Drittel-Mehrheit im Parlament zu erringen, immer mußte der Wahlausschuß unter Beteiligung der Kommunalabgeordneten zusammengerufen werden, der noch 2001 selbigen Arnold Rüütel entgegen einer konservativen Mehrheit im Parlament ins Amt gebracht hatte.

Toomas Hendrik Ilves ist trotzdem ein problematischer Politiker. Er ist ein aus Amerika heimgekehrter Exilant, der in den 90er Jahren zwei Mal Außenminister war und und sich in dieser Zeit wiederholt gegen die Bezeichnung Estlands als post-kommunistischer Staat gewandt, dessen nordeuropäische Rolle betont hatte. Ilves ist mit einer deutlich jüngeren Frau verheiratet, die in Estland für kopfschütteln sorgt.
Seine Wiederwahl sicherte nun der Umstand, daß die beiden Regierungsparteien Reformpartei und Vaterlandsunion hinter ihm standen und natürlich auch seine politische Heimat, die oppositionellen nur bedingt sozialdemokratischen Sozialdemokraten. Von diesen Fraktionen fehlten ihm trotzdem zwei Stimmen. Gegenkandidat war der Entertainer Indrek Tarand, der als parteiloser Kandidat 2009 bei den Europawahlen mit einem Rekordresultat gewählt worden war. Tarand war außerdem Berater des früheren Außenministers Ilves. Die oppositionelle und politisch regelmäßig isolierte Zentrumspartei des Tallinner Bürgermeisters Edgar Savisaar hatte lediglich keine andere Persönlichkeit zu nominieren.

Kalvītis: Soros klassischer Oligarch

Der ehemalige Ministerpräsident der Volkspartei, Aigars Kalvītis hat jetzt der Zeitung Latvijas Avīze gegenüber erklärt, in Lettland gäbe es keine Oligarchen.

Die Definition solcher Personen sei aus dem russischen übernommen und es handele es sich um Menschen mit ökonomischer Macht und solcher über die Medien. Ein typisches Beispiel dafür sei Georg Soros, der sowohl Währungen als auch Finanzmärkte kontrolliere. Auf die Frage, ob Ainārs Šlesers, Aivars Lembergs und Andris Šķēle, die in Lettland gemeinhin als Oligarchen tituliert werden, silche seien, billigt Kalvītis den genannten eine entsprechende Macht nicht zu, diese kontrollierten nicht „alle Prozesse“. Selbst bei der Union aus Grünen und Bauern gäbe es viele Meinungen und Lembergs kontrolliere diese Partei nicht. Šlesers wiederum könne man mit Lembergs und Šķēle nicht vergleichen, ihm gefalle es vielleicht, als dritter Oligarch bezeichnet zu werden, doch sein Einlfuß auf Wirtschaft und Medien sei nicht so groß. Kalvītis meint, Oligarchen gäbe es in Lettland nicht, diese Bezeichnung werde nur herangezogen für Personen, die alle kennten und eine wichtige Rolle in der „öffentlichen Politik“ (sic!) spielten, doch als „klassische Oligarchen (sic!) könnte man diese nicht bezeichnen. (Latvijas Avīze)

Montag, 29. August 2011

Lettland vor der Wahl: Zweifel der Oligarchen an sich selbst?

Lettland wählt im September außerplanmäßig ein neues Parlament, nachdem der letzte Urnengang nicht einmal ein Jahr zurück liegt. Ex-Präsident Valdis Zatlers hatte im Zweifel über seine Wiederwahl und vorgeblichem Zorn über den Schulterschluß der Angeordneten mit einem Oligarchen dem Volk die Möglichkeit zur Entlassung des Parlamentes vorgelegt, was die Wähler nur neun Monate nach ihrer vorherigen Entscheidung akzeptierten.

Zatlers begründete seinen Schritt mit dem großen Einfluß außerhalb des Parlament befindlicher Personen – der Oligarchen. Ein nur bedingt zutreffender Vorwurf, war doch der Anlaß für sein Handeln die Verweigerung des Parlamentes, die Immunität eines Abgeordneten aufzuheben, der als einer von drei wichtigen Oligarchen gilt, also nicht außerhalb der Politik steht – und stand. So argumentiert Ainārs Šlesers auch, er habe über all die Jahre immer ein Mandat des Volkes gehabt. Zatlers ist seiner Meinung nach ein Beispiel für den Zynismus im Lande. Vier Jahre lang habe dieser auf Staatskosten gemeinsam mit Lembergs, einem weiteren der namentlich Angegriffenen, gegessen, um nach seiner verfehlten Wiederwahl plötzlich irgendwelche Sündenböcke zu suchen. Gemeinsam mit Lembergs wirft er Zatlers vor, was dieser nun vier Jahre lang in der Rigaer Burg gemacht habe.

Eine kurze Straßenumfrage des lettischen Radios ergab ebenfalls, daß der Kampf gegen die Oligarchen bei den Wählern nicht oben auf der Liste steht. Alle erklärten, die Wirtschaft und die soziale Situation seien entschieden wichtiger. Viele Menschen sind auch der Ansicht, daß die Frage der Oligarchen vor den Wahlen künstlich aufgebläht würde.

Generell interessiert sich ethnisch lettische Wähler für das Thema mehr als die Russen. Interessant auch, daß Ainārs Šlesers selbst im Wahlkampf 1998 gegen die Oligarchen agitierte und 2002 mit der Neuen Zeit eine Saubermann-Partei erschien, die das Thema für sich beanspruchte. Während der sogenannten „fetten Jahre“ 2006 interessierte sich wiederum niemand für die Frage der Korruption. Dies waren auch die einzigen Wahlen in Lettland seit der Unabhängigkeit, zu der keine neue politische Kraft antrat. Bei der damaligen Wahl hatten zwei Listen die gesetzlich vorgeschriebene Höchstgrenze für Wahlausgaben überschritten, zwei politische Kräfte, die anschließend gemeinsam die Regierung bildeten. Juristisch wurde dieser Verstoß zwar 2008 vom Verfassungsgericht konstatiert, hatte aber keine politischen Folgen mit Ausnahme der sogenannten Regenschirmrevolution im Herbst 2007, ein halbes Jahr nach Amtsantritt von Valdis Zalters als Präsident, der damals „im Zoo“ von den Oligarchen selbst aus dem Hut gezaubert worden war.

Wie die Wahlen im nächsten Monat ausgehen werden, traut sich kaum jemand zu prognostizieren. Schon nach der Regenschirmrevolution waren außerordentliche Wahlen von einigen Experten verlangt worden nicht zuletzt wegen der fraglichen Verfassungsmäßigkeit des Urnenganges. Präsident Zatlers machte aber von seinem Recht eben erst jetzt zum Ende seiner Amtszeit Gebrauch und bietet den Wählern nach gescheiterter Wiederwahl eine eigene politische Alternative an. Einstweilen billigen Umfragen dem Harmoniezentrum 18% und der Zalters Reformpartei 17% zu. Die Wahlsiegerin vom letzten Jahr, die Einigkeit des Regierungschefs Valdis Dombrovskis muß federn lassen und liegt bei nur 10% gefolgt von den Nationalisten mit gut 7% sowie der Union aus Grünen und Bauern mit rund 8%. Die Partei Lebmbergs steht damit erstmalig überraschend schlecht da und leidet wohl wie die Einigkeit unter dem Malus der Regierungsverantwortung. Da Zalters kategorisch abgelehnt hat, mit Oligarchen zu koalieren, dürfte ein Pakt mit den Grünen und Bauern ausgeschlossen sein. Die lettischen Wähler sind wohl für ein Bündnis der „sauberen“ Parteien mit den Russen noch nicht bereit. Damit läuft unabhängig von den genauen Kräfteverhältnissen alles auf eine Koalition der Einigkeit mit Zatlers und den Nationalisten hinaus, ggf. auch ohne sie, wenn es für eine Mehrheit reichte. Damit zöge eine neue politische Kraft an die Macht, die sich im politischen Alltag unerfahren vermutlich aufreiben wird.

Lettisches Absurdum: Einbürgerung zwecks Auswanderung

Lettland hatte sich wie Estland nach der Unabhängigkeit 1991 entschieden, den während der Sowjetzeit zugewanderten Menschen die Staatsbürgerschaft der Wiederhergestellten Staaten nicht automatisch zuzugestehen, eine Einbürgerung ist erforderlich nach Sprach- und Geschichtstest.

Das Interesse an der Einbürgerung war in Lettland nach dem Beitritt zur EU vorübergehend zehn Mal größer als gegenwärtig, erklären die Behörden in Daugavpils, der zweitgrößten Stadt des Landes im Südosten mit besonders hohem Anteil ethnischer Russen. Derzeit kämen nur etwa zehn Personen am Tag, um sich nach den Möglichkeiten zu erkundigen. Die Gründe für das Interesse an einer Einbürgerung seien verschieden: Teilnahme an Wahlen aber eben auch der Wunsch, einen Arbeitsplatz in einem anderen EU-Land zu finden. Unter den Interessenten sind Vertreter aller Altergruppen, manche sind Anfang 20, andere bereits Rentner.

Der junge Igor etwa sagt, er habe die neunte Klasse beendet, also nach lettischen Verständnis eine Grundausbildung erhalten, so etwas wie ein Hauptschulabschluß, in Riga und anderswo gearbeitet, jetzt aber gäbe es nirgends Angebote mit einer vernünftigen Bezahlung. Also wolle er sich einbürgern lassen, um anschließend so schnell wie möglich Lettland den Rücke zu kehren. Das größte Hindernis für den jungen Mann sind seine schlechten Lettisch-Kenntnisse, aus diesem Grunde lerne er derzeit fleißig.

Die befragten Rentnerinnen sagten, sie lebten seit 1969 in Lettland und hätten sich ja schon lange einbürgern lassen, aber wie bei Igor liegen die Schwierigkeiten bei der Sprache. Schade sei es, daß es keine gratis Kurse mehr gebe. Im Grunde würden die Russen ja gerne Lettisch lernen, aber es fehlten die Möglichkeiten. Im Ausland, so die Dame, würde sogar dafür gezahlt, daß eine Sprache erlernt werde. 20 Lat sei für viele viel Geld. Wesentlicher Grund für den Wunsch auf Einbürgerung sei, daß sie einerseits zwar Steuern zahlten, aber den politischen Prozeß nicht beeinflussen könnten.

In Lettland gibt es nach offiziellen Angaben derzeit noch etwa 350.000 Menschen, die den sogenannten Nicht-Bürger-Paß haben. Sie sind ständige Einwohner des Landes mit Staatsbürgern weitgehend gleichgestellten Möglichkeiten, die jedoch kein Wahlrecht haben, dafür aber nach Rußland visumsfrei reisen. Auch dies ein Grund dafür, daß viele dieser Menschen die Einbürgerung nicht anstreben.

Donnerstag, 18. August 2011

Dudajew und Bin Laden

An den Tschetschenenführer Dudajew erinnert sich in Deutschland wohl eher selten jemand. Das ist im Baltikum ganz anders. Der später von den Regierungen der Russischen Föderation als Terrorist dargestellte Mann war in der Sowjetzeit Kommandant des Militärflughafens im estnischen Tartu. An diese Kommandantur erinnert am heutigen Barclay-Hotel eine Gedenktafel. Warum? Dudajew hatte während der singenden Revolution in Estland, an die das letzte Auslandsjournal des ZDFs erinnerte dazu beigetragen, daß die sowjetische Armee nicht eingriff.

Damit nicht genug! Die erste Regierung Mart Laar stürzte 1994, also nach der Unabhängigkeit, über eine Verschwörung mit den Tschetschenen. Die Esten hatten nämlich ihre bei der Nationalbank gelagerten Rubel nicht wie gefordert an Moskau zurückgegeben, sondern über Mittelsmänner nach Grosny transferiert, wo dieses Geld vermutlich für Waffen investiert wurde.

Die Logik hinter diesem Vorgehen? Dudajew hatte sich nicht gegen die Unabhängigkeit des Baltikums von der Sowjetunion gestellt und da wollten sich die Betroffenen in der Gegnerschaft der Tschetschenen gegen die Russische Föderation nicht lumpen lassen. Und die für Westeuropäer zunächst überraschende Unterstützung für das kaukasische Volk drückt sich auch in einer nach Dudajew benannten Straße im lettischen Riga aus. Die Straße heißt zwar Allee, ist aber eine eher kleine Straße weit abseits des Zentrums am Ende von Purvciems.

Nunmehr gibt es neuerlich eine Diskussion über diesen Namen, den es erst seit einem guten Jahrzehnt gibt. Im Radio äußert sich eine russisch sprechende Anwohnerin gleichgültig, während ein Lette von seinem letzten Besuch in Moskau berichtet, wo man nicht fassen konnte, daß der Mann ernsthaft vorgab, in der Dudajew Allee zu wohnen. Da könne man ja gleich eine Straße nach Bin Laden benennen. Die Russin gibt jedoch zu, daß viele Nachbarn einen anderen Namen lieber sähen, während ein zweiter Lette den Namen unterstützt.

Der seit zwei Jahren amtierende russischstämmige Bürgermeister von Riga, Nil Uschkow, würde den Namen gerne ändern, doch das läßt sich gegen den Rat für Denkmäler nur schwer durchsetzen.

Mittwoch, 17. August 2011

Amokläufer nun auch für die Esten

Am 11. August überfiel ein Mann das estnische Verteidigungsministerium. Wie sich bald herausstellte, handelte es sich um den aus Armenien stammenden Karen Drambjan, der sich im Anschluß selbst richtete.

Der Mann war bereits in diesem Frühjahr den Behörden aufgefallen, als er im Streit mit einem Nachbarn ein auf sich registriertes Barett gegen die Wand gehalten hatte. Der russische Ombudsmann Sergej Sederenko erinnert sich, daß er das Einschußloch gesehen habe. Damals hatte aber niemand mehr auf diesen Vorfall gegeben. Der Ombudsmann, der den Schützen persönlich gekannt hat, erinnert sich an das Jahr 2007. Im Zusammenhang mit dem Konflikt um die Versetzung des Bronzesoldaten, was damals zu mehrtägigen Ausschreitungen geführt hatte, habe der Armenier gedroht, er werde notfalls auch bewaffnet auf den Tõnismägi ziehen, um den Aljoscha zu schützen, was viele gehört hätten. Sederenko fügt hinzu, daß Drambjan weder verrückt noch dumm gewesen sei, sondern einfach eine schwere Zeit gehabt habe. Jetzt hülfen den Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums Psychologen, aber wo sei die Hilfe für Drambjan gewesen, als dieser sie genötigt habe, fragt er. Die Sicherheitsbehörden lögen, wenn sie nun behaupteten, der Schütze sei schon vorher in ihrem Fadenkreuz des Interesses gewesen. Ein Freund des Täter bestätigt gegenüber der Presse diese Informationen. Niemand habe geglaubt, daß Drambjan einen Angriff startet, dies sei aber die Reaktion eines emotionalen Menschen auf die ihm zugefügten Ungerechtigkeiten gewesen.

Keine der beiden zitierten Personen erwähnt jedoch, was der Täter erlitten haben soll und durch wen, wieso das Ziel des Angriffs ausgerechnet das Verteidigungsministerium wurde. Es heißt nur, daß Drambjan zu viel freie Zeit gehabt habe, weil sein Anwaltsbüro wegen seiner fehlenden Estnisch-Kenntnisse weitgehend unbeschäftigt war und er dadurch auch noch seine Wohnung in Maardu bei Tallinn verlor, für welche er einen Kredit ausgenommen hatte. Sein Vater sei wohl Professor in Moskau gewesen und er selbst ein heißblütiger Armene mit osteuropäischen Lebensgewohnheiten, der nicht einmal um Hilfe gebeten habe, als er wegen mangelnder Einnahmen hungerte.