Freitag, 6. Mai 2011

Präsidenten-Quartett

Über die bevorstehende Präsidentschaftswahl in Lettland wurde an dieser Stelle bereits berichtet. Es gibt zahlreichen Unwägbarkeiten, und seit der letzten Erörterung dieses Themas hat sich der Nebel nur bedingt gelichtet.

Zunächst ist ja pikant, daß es eigentlich keine einfachere Lösung gäbe, als den Amtsinhaber nach Ablauf seiner ersten Amtszeit zu bestätigen. Valdis Zatlers hat im Volk in den vergangenen Jahren genug Popularität gewonnen und die regierende Koalition aus Einigkeit und der Union von Bauern und Grünen verfügen über die erforderliche Mehrheit. Folglich bestätigt schon die Diskussion dieser Frage, daß der Amtsinhaber nicht allen politischen Kräften genehm ist.

Einstweilen dringt nur wenig von den Diskussionen zwischen den politischen Kräften nach draußen; wer welche Argument und Interessen vertritt ist Gegenstand von Spekulationen. Sicher ist, daß Zatlers 2007 nicht der Kandidat der heute größten Regierungspartei war, sondern von anderen Kräften gerade wegen seiner politischen Unbedarftheit damals als Überraschung-Coup auf den Schild gehoben worden war. Im Rahmen der Finanzkrise änderte sich dann sehr schnell sehr viel, und man könnte behaupten, daß Zatlers an der Entfernung jener Elite von der Macht, die ihn ausgesucht hatte, nicht ganz unbeteiligt war.

Für die politischen Akteure gibt es nun zwei Probleme. Erstens destabilisieren Meinungsverschiedenheiten bei der Besetzung politischer Ämter politische Allianzen und zweitens ist das Amt des Präsidenten nicht ganz ohne Einfluß, wie Zatlers über vier Jahre bewiesen hat, indem er nicht tat, was vermutlich seine Proteges von ihm erwartet hatten.

Somit ist einstweilen schwer zu beurteilen, welcher politischen Kraft was nutzen könnte, und die Politik ließ sich nicht aus der Reserve locken. Deshalb hatte Zatlers selbst eine ganze Weile abgewartet, ehe er seinen Hut in den Ring warf. Zatlers hätte freilich lieber den Vorschlag der regierenden Parteien erwartet. Doch die Politik hat es geschafft, ihre Zustimmung zu ihm so lange im Unklaren zu lassen, daß der amtierende Präsident auch nicht weiter zögern konnte, um den Abgeordneten nicht das Argument zu liefern, daß man sich über keine Kandidaten äußern könne, so lange die sich selbst dazu nicht geäußert hätten.

Darin besteht das Problem, einen anderen Kandidaten zu finden, der sowohl in den Augen der Bevölkerung Zatlers Ansehen stechen könnte, den portierenden politischen Parteien auch genehm ist und, was eben nicht zuletzt zur Kandidatur bereit. Viele Schwergewichte wie der frühere Präsident des Verfassungsgerichtes, Aivars Endziņš, der auch 2007 kandidiert hatte, haben längst abgewunken.

Hinter den Kulissen scheint es also spannend zuzugehen. Die ebenfalls äußerst populäre Chefin des Rechnungshofes, Inguna Sudraba, die schon häufig für alle möglichen höchsten Ämter gehandelt worden war, meldete sich nun auch zurück. Sie sei zur Kandidatur bereit, aber unter der Bedingung einer eindeutigen Mehrheit für sie. Diese Bemerkung ist vor dem Hintergrund interessant, daß jüngst sogar aus der größten Regierungspartei Forderungen laut geworden waren, die Abgeordneten sollten Ämter zukünftig in offener Abstimmung besetzen. Da dieser Vorschlag nur auf wenig Zuspruch stieß und die Abstimmung geheim ist, dürfte Sudrabas Wunsch so irreal sein wie in der Vergangenheit ihre Bereitschaft, als Regierungschefin für den Fall zur Verfügung zu stehen, daß sie von einer völlig neuen politischen Kraft nominiert würde.

Somit ist der lettischen Politologin Ilga Kreituse zuzustimmen, daß vermutlich bis zum Wahltag neue Kandidaten auftauchen könnten. Kreituse, die selbst früher für eine gewendete Kommunistenfraktion im Parlament gesessen hatte, sogar dessen Präsidentin war und 1999 auch für das Amt in der Rigaer Burg angetreten war, hat freilich Insider-Kenntnisse, auch wenn ihre politische Heimat in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist. Kreituse sagte im lettischen Radio, die Präsidentschaftswahl sei ein sehr kompliziertes Spiel, weil manche Abgeordnete Kandidaten ihre Zustimmung versichern, dann aber doch ihr Versprechen nicht hielten. Dieses Spiel wird noch dadurch komplizierter, daß ab dem dritten Wahlgang der Kandidat mit dem jeweils schlechtesten Ergebnis aufgeben muß, während nach dem fünften Wahlgang wieder völlig neue Kandidaten ins Rennen geschickt werden dürfen. Dieses System wurde während einer Minderheitsregierung 1999 voll ausgeschöpft. Am Ende führte die Zusammenarbeit eines kleineren Koalitionspartners mit der größten, aber in Opposition befindlichen Partei zum Sturz des Kabinetts. In diesem Sinne ist in der Tat nicht ausgeschlossen, daß entgegen eindeutiger Mehrheitsverhältnisse – also ganz anders als 1999 – auch 2011 mehrere Wahlgänge erforderlich sein werden.

Kreituse ist auch darin zuzustimmen, daß durch die zeitlich versetzen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen der Einfluß von Volkes Meinung minimiert wird. Um zum traditionellen Herbstwahltermin zu gelangen, war die erste Legislaturperiode nach der Unabhängigkeit auf nur gut zwei Jahre verkürzt worden. Der Präsident aber hat eine Amtszeit von vier Jahren. Darum findet nunmehr die Wahl des Präsidenten immer erst ein gutes halbes Jahr nach dem Urnengang statt, so daß diese politische Entscheidung im Gedächtnis der Wähler bei der folgenden Wahl nicht mehr so präsent ist, ja der Amtsinhaber auch Zeit hatte, die Herzen des Volkes zu gewinnen. Fände die Wahl des Staatsoberhaupt beispielsweise ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl statt, müßten sich die Fraktionen für diese Entscheidung vor dem Wähler rechtfertigen.

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