Donnerstag, 21. Juli 2011

Vergangenheitsbewältigung auf Lettisch

Lettland geriet in Westeuropa und vor allem in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder in die Schlagzeilen wegen der alljährlichen Parade der Veteranen der Waffen-SS. Das Thema ist ein mit Fettnäpfchen übersätes heißes Eisen, auf das rein deutsch nur von der Schreckensherrschaft Hitlers ausgehend zu schauen, gewiß zu kurz greift.

Doch während des Krieges handelte es sich um Ereignisse unter Einfluß fremder Mächte. Daneben gibt es in Lettland auch ureigenst lettische historische Themen, die einer gesellschaftlichen Diskussion harren.

Nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion wurde im Zentrum von Riga an der Kreuzung von Raiņa bulvāris und Valdemāra iela Präsident Kārlis Ulmanis ein Denkmal gesetzt. Diese historische Figur genießt im lande viel Ansehen, obwohl sie aus einem demokratischen Blickwinkel kritisch zu betrachten wäre.

Da sind zunächst einmal seine Taten, die jenen von Politikern in anderen europäischen Ländern gleichen. Der vormalige Ministerpräsident Ulmanis putschte sich 1934 an die Macht, löste das Parlament ersatzlos auf und verbot schließlich die Parteien. Das Land wurde durch ein obligatorisches System der Beteiligung mehr oder weniger gleichgeschaltet und mit Abrissen und Neubauten in der mittelalterlichen Altstadt von Riga viel historisch-hanseatisches zerstört.

Neben dieser Politik steht aber noch eine Formalie. Staatspräsident Alberts Kviesis war zum Zeitpunkt des Putsches gewählt bis 1936. Er blieb zurückhaltend und auch so lange im Amt. Danach proklamierte sich Ulmanis als Führer und Präsident, das heißt, formal auf dem Boden der Verfassung von 1922, die 1993 reaktiviert worden ist, war Kārlis Ulmanis nie Präsident der Republik Lettland.

Die Politologen der Stradiņš Universität in Riga, Veiko Spolītis und Andris Sprūds hatten schon vor Jahren einen Leserbrief an die wichtigste Tageszeitung des Landes, diena, geschrieben, und kritisiert, daß selbst in einem liberalen Blatt die Journalisten Ulmanis in ihren Artikeln als Präsident bezeichnen. Nun haben die beiden einen neuen Vorstoß unternommen und angeregt, das Porträt des „Diktators“ der 30er Jahre von der Ahnentafel in der Rigaer Burg, dem Amtssitz des Präsidenten, zu entfernen.

Der Schritt ist mutig, denn Ulmanis ist im kollektiven Gedächtnis der Letten positiv verankert. Er beendete die zeit einer turbulenten Demokratie und unter seiner Regierung nahm die Wirtschaft einen Aufschwung, der für viele Letten mit Wohlstand verbunden war. Sogleich wandten sich die Leser der konservativen Lettlands Zeitung besorgt an die Redaktion und verlangten eine Erklärung. Journalisten dieses Blattes fragten daraufhin in der Universität der beiden Politologen nach, erhielten jedoch eher ausweichende Antworten. Wenn die beiden Wissenschaftler auch formal im Recht sind, so bleibt doch Kritik an Ulmanis unerwünscht. Rektor Jānis Vētra erklärte beispielsweise, wenn man die Porträts von Politikern aus der Galerie nehmen müsse wegen ihrer Neigung zur Selbstauszeichnung, dann gehöre auch jenes von Ministerpräsident Aigars Kalvītis wegen seines Verhaltens nicht mehr in die Staatskanzlei. Kalvītis war von 2004 bis 2007 Regierungschef während der in Lettland als fette Jahre bezeichneten Zeit nach dem Beitritt zur EU. Dekan Andrejs Vilks argumentiert, daß man nicht umsonst die Ära des genannten Politiker als die Ulmanis-Zeit bezeichne, die als licht und erfolgreich und das Selbstbewußtsein der Nation hebend im Gedächtnis geblieben sei.

Ex-Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga hatte in ihrer Amtszeit Ulmanis als Politiker gewürdigt, der nicht im eigenen, sondern im Interesse des Staates unter widrigen außenpolitischen Umstände gewirkt habe. Zur Eröffnung der 9. Saeima 2006 jedoch sprach sie von Ulmanis als einem Mann, der den politischen Disput an sich negiert und die Legitimität und Würde des Parlamentes in den Dreck gezogen habe, und diese negative Einstellung gegenüber demokratischen Prozessen habe sich bis in die Sowjetzeit hineingezogen.

Es ist nicht zu vermuten, Daß Spolītis und Sprūds Erfolg haben werden. Vielleicht aber kommt der Tag einer kritischen Diskussion über die historische Figur Ulmanis, die hinerfragt, ob Ulmanis für die ihm zugeschriebenen positiven Aspekte überhaupt wirklich verantwortlich ist. Mehr hinter vorgehaltener Hand wird schon einmal zugegeben, daß Ulmanis sich 1940 kampflos der sowjetischen Okkupation unterworfen hat. Sein berühmter Satz lautete damals: „Sie bleiben an ihrem Platz, ich an meinem“. Im Gegenteil zu den Finnen, die im Winterkrieg 1940 nur Karelien, nicht aber ihre Unabhängigkeit verloren, konnten sich die baltischen Republiken nicht einigen, Ein wichtiger Konflikt war die Vilnius-Frage. Polen hatte die litauische Hauptstadt nach dem Ersten Weltkrieg besetzt, weshalb diese beiden Staaten zu keiner Einigung kamen, während Estland und Lettland Polen mit ins Boot hatten holen wollen.

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