Samstag, 3. Mai 2008

Olympia, Irak oder braucht die Demokratie eine Weltpolizei

Dieser Beitrag ist entstanden, weil ich Studenten regelmäßig erklären muß, warum die USA zwar unter Vorwänden in den Irak einmarschieren, aber gegen die Unterdrückung Tibets eher nur die Presse protestiert. Der Text ist nicht der Weisheit letzter Schluß und soll zu Kommentaren, zur Diskussion anregen.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion prognostizierte der amerikanische Politologe Francis Fukuyama zunächst das Ende der Geschichte, mit dem Sieg der Demokratie oder man könnte auch sagen des Westens im Kalten Krieg. Zwar werde es noch Ereignisse geben, aber die gesellschaftliche Entwicklung habe die Zielgerade erreicht. Diese Behauptung erinnert an Hegel, aber auch die Frankfurter Schule, Philosophen, die davon ausgingen, Gesellschaft entwickele sich hin zu einem Zustand, der sie zufrieden stelle. Marx ging davon aus, daß dies eine unausweichliche Entwicklung hin zum Kommunismus bedeute. Selbstverständlich sollte diese These Fukuyamas auch Provokation sein. Darum verwundert es wenig, daß Samuel Huntingtons wenig später den Konflikt zwischen den Zivilisationen prognostizierte, was sich in den Anschlägen gegen das World Trade Center 2001 bewahrheitete.
Also „Pustekuchen“ mit dem Ende der Geschichte. Die doch eher theoretische Gefahr eines Atomkrieges zwischen den Supermächten ist einer ziemlich reellen und vor allem auch alltäglichen Bedrohung gewichen, die 2004 Spanien erreichte und der inzwischen auch Deutschland mit den Kofferbombern nur knapp entkommen ist.
Dies ist ein Problem insbesondere für das Selbstverständnis des Westens und seiner Führungsmacht der USA. Gewiß, es steht außer Frage, daß die USA bereits während des Vietnamkrieges ausgehend von ihren eigenen Ansprüchen und Werten über die Stränge geschlagen hatten. Doch mag man hier als Entschuldigung noch anführen, daß es in diesem Krieg weniger darum ging, ein totalitäres Regime in die Knie zu zwingen oder die Demokratie auf dem Planeten zu verbreiten, als darum, die Einflußsphäre der Sowjets nicht größer werden zu lassen.
Seit dem Ende des Kalten Krieges ist diese Notwendigkeit im Prinzip verschwunden, die weitaus meisten Staaten von Bedeutung orientieren sich am Westen. Während der 90er Jahre, als Rußland sich im Chaos des Umbruches befand, gab es vielfach neben den USA niemanden, der halb oder ganz im Sinne auch der UNO die Rolle einer Weltpolizei übernommen hätte wie etwa im Falle des zweiten Golfkrieges zur Befreiung Kuwaits. Die Integration der EU ist außenpolitisch noch nicht so weit fortgeschritten, daß sie immer mit einer Stimme spräche; so bleiben Frankreich, Großbritannien und seit der Wiedervereinigung auch Deutschland in der Rolle der Tonangeber.
Im Rahmen der Vorgānge in Tibet sind nun im Vorfeld der olympischen Spiele diese moralischen Ideen wieder hochgekommen und im Blātterwald rauschte es: wie sollte der Westen reagieren. Dabei sind viele der angeregten Antworten trivial. Die Spiele sind nach Peking vergeben worden, als man bereits jahrzehntelang über die Schwierigkeiten in China wußte. Dahinter stehen sowohl wirtschaftliche Interessen als auch die Hoffnung, im Lande werde sich so wie nach 1988 in Südkorea politisch etwas ändern. Es verwundert darum auch nicht, daß die Unruhen in Tibet gerade jetzt ausbrechen. In diesem Sinne hat ein Boykott der Spiele wie auch die Austragung gleichermaßen den Erfolg einer höheren Aufmerksamkeit, wohingegen beides an der Situation in Tibet kurzfristig sicher nichts ändern wird. Die Boykottbefürworter müssen sich folglich weitere Fragen stellen: Wenn China nicht austragen darf, in welchen Staaten dürfen dann solche, den Globus umfassenden Spiele überhaupt stattfinden? Wie verhält es sich mit wirtschaftlichem Engagement? Müssen sich Investoren ebenfalls zurückziehen? Müssen auf der politischen Ebene die Gespräche, gar die diplomatischen Beziehungen abgebrochen werden? Überdies, führe man nicht nach Peking, wie verhält es sich dann im umgekehrten Fall? Müßte die Teilnahme an den Spielen in einem demokratischen Land nicht Sportlern aus Diktaturen verwehrt werden? Erfahrungsgemäß läßt sich Dialog durch nichts ersetzen. Die Hallstein-Doktrin läßt grüßen.
Der Botschafter Rußlands Vladimir Kotenev kommentierte im Deutschlandradio, die NATO sei unberechenbar geworden mit ihren Ansprüchen auf globale Sicherheit, Einsätzen außerhalb des eigenen Gebietes und einem für die Allianz unüblichen Engagements für Energie. Die NATO müsse entscheiden, was sie sein will, ein militärisches oder politisches Bündnis, Weltpolizei, also Richter und Vollstrecker eigener Urteile, oder aber eine Organisation, die Gewalt nur als letztes Mittel betrachtet und dies auch nur im Rahmen von Beschlüssen der UNO. Moskau optiere für die zweite Variante. Der Botschafter hält eine Erweiterung auf Ukraine und Georgien für einen Schritt, der Katastrophale Folgen haben, zu Befremden und Spannungen im Weltgeschehen führen könne. Die NATO argumentiere, es sei für Rußland angenehm, wenn Demokratien bis vor seine Tür existierten, doch, so fragt der Botschafter rhetorisch, kann man Demokratie mit undemokratischen Mitteln erzwingen?
Putins Besuch beim NATO-Summit in Bukarest gibt immerhin Anlaß zu Optimismus bezüglich des Verhältnisses zwischen Rußland und dem Westen. Es mag zutreffen, dass Angela Merkel und Nicolas Sarkozy im Gegenteil zu George Bush die Russen tatsächlich weniger provozieren möchten. Nichtsdestotrotz trifft die Argumentation zu, daß Ukraine und Georgien inländische Probleme haben, mit denen sich die NATO nicht belasten sollte. Gewiß mag eingewendet werden, daß auch die baltischen Staaten zum Zeitpunkt der Aufnahme, ja sogar noch heute ähnliche Konflikte vorweisen. Doch diese Schwierigkeiten stehen in keinem Vergleich mit der fehlenden territorialen Integrität Georgiens. Ähnlich verhält es sich mit der Zustimmung der einheimischen Bevölkerung. In der Ukraine ist diese weniger westlich orientiert als dies ein guter Teil der im Baltikum lebenden Russen ist.
Auf eine harte Probe werden Anspruch und Wirklichkeit des Westens im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg und der Mission in Afghanistan gestellt. Gegen die Sowjetunion hat der Westen dort über Jahre die Mudschahedin unterstützt, die anschließend das Taliban-Regime errichteten und dem internationalen Terror den Weg bereiteten. Beiden Staaten gelten heute als gescheiterte und der Westen hat die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub. Ein Abzug führte zu einer Rückkehr zu den vorherigen Verhältnissen, während die Fortsetzung der Abenteuer den Haß gegen den Westen vor Ort weiter schürt. Der Westen steht also vor dem Scherbenhaufen der eigenen Politik, und der äußert sich in Symbolen wie Guantanamo.
Aber das gilt keineswegs nur für die Terrorismusgefahr, sondern auch für die Ruhe im eigenen Haus. Die Auswirkungen auf das Demokratieverständnis in den postsozialistischen Staaten ist verheerend. Man mag zugestehen, daß viele Menschen hier ursprünglich ein zu idealistisches Verständnis vom reellen Leben im Westen hatten, aber nun schauen sie mindestens genau so kritisch wie die Jugend im Westen 1968 auf Vietnam auf den Anspruch der USA, Frieden, Demokratie und Wohlstand auf der Welt zu verbreiten und die dazu manchmal im krassen Gegensatz stehende Realität. Die USA, der Westen, Demokratie und Marktwirtschaft verlieren ihre Glaubwürdigkeit, und das weder ganz zu Unrecht noch ohne eigenes Verschulden.Spengler meinte Anfang des 20. Jahrhunderts, daß noch jede Hochkultur untergegangen sei. Es kann wohl kein Zweifel daran bestehen, daß die westliche Lebensart nicht der Geschichte letzter Weißheit sine qua non ist.

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