Als wenn Energie nicht sowieso schon ein heißes Eisen wäre, ist dieses Thema vor allem im Baltikum wichtig. Neben der Wasserkraft in Lettland und Litauen verbrennen die Esten ihren Ölschiefer, außerdem wird die Windkraft in den letzten Jahren ausgebaut. Das alles reicht aber nicht, und man ist deshalb nach wie vor zu einem guten Teil von russischen Gaslieferungen abhängig.
Aus diesem Grund fand man es am Ostufer der Ostsee überhaupt nicht witzig, als Gerhard Schröder mit seinem lupenreinen Demokraten die Nordstream Pipeline durch die Ostsee und den finnischen Meerbusen plante. Diese Pipeline ging nämlich zunächst durch internationale Gewässer und damit buchstäblich an den baltischen Staaten vorbei. Inzwischen ist nicht nur das erste Rohr schon eine ganze Weile in Betrieb und im Oktober durch ein zweites ergänzt worden, sondern es soll noch einmal erweitert werden. Da bleibt eine Reaktion aus Estland nicht aus.
Der estnische Verteidigungsminister Urmas Reinsalu bat seinen Kollegen im Außenamt, Urmas Paet, gegen die dritte und vierte Linie Einspruch einzulegen, nachdem vor einem Monat das russisch-deutsche Projekt Untersuchungen über den estnischen Meeresboden in Auftrag gegeben hatte. Bereits 2007 hatte die estnische Regierung ihre Bedenken gegen die erste Pipeline aus Umweltgründen vorgetragen.
Seit der Fertigstellung der zweiten Linie im Oktober, können nunmehr 55 Millionen Kubikmeter jährlich geliefert werden. Eine Verdoppelung der Kapazität brächten zwei weitere Rohre, die allerdings angesichts der vorher erforderlichen Prüfungen nicht vor 2017 realistisch sind.
Während Moskaus Interesse an Nordstream sich vor allem mit der Umgehung von Ukraine und Weißrußland begründet, wo es regelmäßig in den letzten Jahren zu Konflikten kam, gibt es in Estland gerade in konservativen Kreisen nach wie vor sicherheitspolitische Bedenken, die aus der estnischen Zustimmung zu sowjetischen Militärbasen im Land in der Zwischenkriegszeit mit den bekannten Folgen herrühren. Gleichzeitig gibt es aber auch Stimmen aus der Wirtschaft, die bei einer Zustimmung zur Trasse durch estnische Gewässer Geschäfte mit beiden Partnern von Nordstream, Deutschland und Rußland, wittern. Die früheren Umweltschutzzweifel werden derweil zerstreut, weil die erste Pipeline seit inzwischen mehr als einem Jahr ohne Zwischenfälle betrieben wird.
Daß die neuen Pipelines durch estnisches Gewässer verlaufen sollen, hängt mit zwei Faktoren zusammen: Erstens ist der Weg nach Westeuropa geographisch kürzer als durch finnisches Unterwassergebiet, das zweitens durch entschieden felsigeren Untergrund gekennzeichnet ist, was das Projekt also doppelt verteuern würde. Rußland, das seinerseits im großen Maße für die geordnete Staatsfinanzen vom Verkauf seiner Energieressourcen abhängig ist, fürchtet sich vor steigenden Preisen und damit verbundener größerer Sparsamkeit im Westen, meinen Beobachter.
Deutschland hat gegenüber den Esten zwei Trümpfe in der Hand. Erstens könnte es Estland bei dem geplanten Bau eines schon lange im Baltikum geplanten Flüssiggasspeichers unterstützen, der dann eben nicht nach Lettland gehen würde, wo ebenfalls Interesse als potentieller Standort bekundet wird. Zweitens hat Deutschland in der Eurozone, in der Estland eines der kleinsten und ärmsten Länder ist, einstweilen eine Führungsrolle, weshalb sich die Esten geneigt sehen könnten, sich mit Deutschland gut zu stellen. Und auch Rußland ist trotz aller historischen Belastungen in den vergangenen Jahren angesichts der Krisensituation in der EU ein zunehmend wichtiger Handelspartner geworden.
Es geht also offensichtlich vorwiegend darum, daß es Rußland und Deutschland gelingt, die Angst der Esten vor dem großen östlichen Nachbarn zu zerstreuen und ihn als verläßlichen Partner nicht nur erscheinen zu lassen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen