Lettland schneidet in Untersuchungen über Korruption regelmäßig schlecht ab. Dabei geht es meist nicht um die kleinen Dinge, daß etwa Verkehrspolizisten Strafen auf dem kurzen Dienstweg erledigen, sondern es häufig um die Erlangung von Vorteilen unter Ausnutzung der Dienststellung Viel ist ein offenes Geheimnis, ohne daß es je gelungen wäre, die „großen Fische“ zur Strecke zu bringen. Die Hafenstadt Ventpils mit ihren Unternehmen Ventsbunkers und Ventspils Nafta und der Bürgermeister der Gemeinde, Aivars Lembergs, der nicht erst einmal vor Gericht stand und 2007 sogar einige Monate inhaftiert war, gehört zu den bekanntesten Fällen.
Ein wenig in Vergessenheit geraten ist der Skandal um die drei Millionen verschwundenen Lat. 1995 war die Banka Baltija dank ihrer Pyramidengeschäfte zusammengebrochen. Der Liquidator David Berry wollte acht Millionen vom Energieversorger Latvenergo zurückbekommen, um die Ansprüche der Gläubiger zu bedienen, doch das Unternehmen erklärte sich für außerstande zur Rückzahlung. Daraufhin wurde ein Geschäft über Liechtenstein eingefädelt, von wo aus Berry sofort fünf Millionen erhalten sollte, und die Liechtensteiner sollten sich die acht von Latvenergo dann später holen. Nachdem Berry sein Geld erhalten hatte, wurde bekannt, daß Latverngo acht Millionen bereits vorher nach Liechtenstein überweisen hatte.
Ein großer moralischer Skandal damals auch, weil viele Kleinanleger ihr Geld verloren hatten. Der Chef der Bank, Aleksander Lavent, erklärt sich seit nunmehr fünfzehn Jahren für verhandlungsunfähig aus gesundheitlichen Grünen. Ob ein Prozeß jedoch etwas würde klären können, ist nicht gewiß. Der damals eingesetzte Untersuchungsausschuß des Parlamentes scheiterte ebenso. Der Journalist Jānis Domburs und die damalige Mitarbeiterin von Transparency International, Inese Voika, veröffentlichten das Buch „Kurš nozaga 3 miljonus?“ – wer stahl die drei Millionen. Eine anstrengende Lektüre, bei der es nach drei Seiten schwierig wird, den Ausführung ob der Vielzahl der erwähnten Personen zu folgen.
Ebenso undurchsichtig ist die Figur Vladimir Vaškevičs, dessen Geschichte im Gegenteil zu den vorherigen eine unendliche zu werden droht. Im Mai 2007 wurde das Fahrzeug des damaligen Chefs der Kriminalabteilung des Zoll durch einen Sprengsatz zerstört. Verhaftet wurde Edgars Gulbis, der vorher unter anderem im Sicherheitsdienst der Staatskanzlei und der Präsidentenkanzlei tätig gewesen war. Im Herbst flüchtete Gulbis unter mysteriösen Umständen während einer Überführung aus einem Wagen der Polizei, als dieser gerade den Fluß Daugava überquerte. Gulbis sprang in die Daugava und wurde von seiner Lebensgefährtin aufgelesen, die sich in unmittelbarer Nähe befand. Gulbis wurde dennoch erneut festgenommen. Weder der Anschlag noch der Fluchtversuch sind aufgeklärt worden. Vaškevičs wurde ins Finanzministerium versetzt, wo er für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität verantwortlich war.
Jetzt ist Vaškevičs von der Anti-Korruptionsbehörde verhaftet worden. Man wirft im vor, 50.000 Euro Bestechungsgelder an Mitarbeiter des Finanzamtes gezahlt zu haben, um eine Kontrolle der Steuern konkreter Personen zu verhindern. Finanzminister Andris Vilks erklärte, unter diesen Umständen könne Vaškevičs freilich nicht mehr im Finanzministerium arbeiten. Nach Aussagen seines Anwalts hatte Vaškevičs kurz zuvor Briefe ans Finanzministerium und die Anti-Korruptionsbehörde gesandt und mitgeteilt, daß er Provokationen gegen seine Person erwarte.
Journalisten haben inzwischen weitere Details ermittelt, demnach hat Vaškevičs im Interesse einem konkreten Unternehmer im Rigaer Freihafens gehandelt. Es soll sich um Vasilij Roskov handeln, der im Transitgeschäft tätig ist. Probleme gab es demnach mit einer Ladung gefrorenem Hühnerfleisch. Üblicherweise hat man solche Waren als Transitgeschäft nach Rußland deklariert, letztlich aber in Lettland verkauft, wobei der lettische Staat um die entsprechenden Steuereinnahmen betrogen wird.
Das Geld wurde bei einem Treffen auf einer Bowlingbahn an den Chef der Zollverwaltung in der Finanzverwaltung, während die Nation gebannt auf die Ereignisse in Jēkabpils schaute, Tālis Kravalis, übergeben. Die beiden Amtspersonen kennen sich seit den 80er Jahren, als sie etwa gleichzeitig beim Rigaer Zoll zu arbeiten begonnen hatten. Dabei meinen die Journalisten einem Kampf innerhalb der Finanzverwaltung auf die Spur gekommen zu sein, in dem Kravalis versucht, den Einfluß von Vaškevičs einzuschränken. Zu diesem Zweck wird um die Frage gerungen, wem die Kriminalabteilung des Zolls unterstellt ist.
Die Summe von 50.000 Euro gilt als ein großer Fall von Korruption, für den eine Haftstrafe von drei bis acht Jahren droht.
Das wirklich Überraschende an diesem neuen Vorwurf ist die Summe. Wieviel Geld muß mit "Hühnerbeinen" in Lettland verdient werden können, daß allein zur Verhinderung einer Steuerprüfung 50.000 Euro aufgewendet werden? Auch bleibt die Frage ungeklärt, wenn es sich um "durchfahrende Hühnerbeine" handelt, woher sie eigentlich stammen. Dieser neue Fall ist nicht weniger undurchsichtig als der oder die alten.
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