Das Ergebnis der Kommunalwahl in Estland vom 20. Oktober überrascht wenig. Die linksgerichtete Zentrumspartei erreichte landesweit 31,5%, die liberale Reformpartei 16,7%, die konservative Vaterlandsunion 13,9% und die Sozialdemokraten 7,5%. Alle weiteren Parteien blieben weit unter der 5%-Hürde. Das Parteiensystem Estlands hat sich damit weiter konsolidiert, es gibt keine neuen Parteien, keine Partei ist von der politischen Bildfläche verschwunden und es handelt sich bei allen politischen Kräften um solche, die auch auf der nationaler Ebene aktiv sind. Verschwunden ist damit nach den Umbrüchen der letzten Jahre etwa die Volksunion, die früher noch vor allem auf dem Land gewählt wurde. Diese Klientel legt offenbar keinen Wert auf eine eigene politische Stimme. Die Zentrumspartei konnte ihr Ergebnis von 2009 noch einmal verbessern, in der Hauptstadt Tallinn erhielt sie sogar nunmehr das zweite Mal eine absolute Mehrheit. Die Zentrumspartei kam hier auf 52,6%, die Vaterlandsunion auf 19,1%, die Reformpartei auf 10,6% und die Sozialdemokraten 9,9%. Hauptstadtbürgermeister Edgar Savisaar erhielt ebenfalls ein persönlich noch besseres Ergebnis als vor vier Jahren. Das inzwischen gesundheitlich angeschlagene Stadtoberhaupt ist seit zwei Jahrzehnten das enfant terrible der estnischen Politik. Savisaar war Regierungschef der Volksfront in der Umbruchzeit 1990 bis 1992. Seither entzweit er die Esten in jene, die ihn hassen und jene, die ihn trotz zahlreicher Skandale immer wieder wählen. Auch wenn der Bürgermeister im hervorragenden Abschneiden ein historisches Ergebnis sieht, darf nicht vergessen werden, daß der starken Zentrumspartei auf nationaler Ebene ein Koalitionspartner fehlt und sie auf kommunaler Ebene vor allem auch von ethnischen Russen bevorzugt wird. In Estland gibt es nach wie vor Nachfahren von aus der Sowjetzeit zugewanderten Russen, die keine Staatsbürgerschaft haben und teilweise auch nicht haben wollen, die aber bei Kommunalwahlen wahlberechtigt sind. Savisaar ist seit vielen Jahren bei dieser Bevölkerungsgruppe beliebt, während die Esten ihm seine Kontakte nach Rußland verübeln und sich beispielsweise über die fragwürdige Finanzierung einer russisch-orthodoxen Kirche im vorwiegend von Russen bewohnten Vorort Lasnamäe aufregen. Die Vaterlandsunion mauserte sich von beinahe verlorenem Posten in Tallinn auf ein ansehnlichen zweiten Platz unter ihrem Spitzenkandidaten Eerik-Niiles Kross, dem Sohn des vor einigen Jahren verstorbenen Schriftstellers Jaan Kross. In der zweitgrößten Stadt des Landes Tartu ist das Bild ebenfalls eindeutig aber ein ganz anderes als in der Hauptstadt. Die Reformpartei erhielt hier 28,1%, die Vaterlandsunion 21,0%, die Zentrumspartei 18,4% und die Sozialdemokraten 15,8%. Bislang regierte die Stadt eine Koalition aus der Reformpartei und der Vaterlandsunion, in der es zwischenzeitlich zu Konflikten kam, weshalb sich die Reformpartei zu einer breiten Koalition mit der bisherigen Opposition unter Ausschluß der Vaterlandsunion kam. Im Stadtrat hat die Reformpartei jetzt 18 Sitze, die Vaterlandsunion 13, die Zentrumspartei 9 und die Sozialdemokraten 8. Wie sehr die in Estland bei Kommunalwahlen wahlberechtigte russische Minderheit die Zentrumspartei bevorzugt, zeigt sich auch im nordostestnischen Landkreis Ida Virumaa. Hier erreicht die Zentrumspartei ebenfalls mit 53,0% die absolute Mehrheit, gefolgt von den Sozialdemokraten mit 21,3%. Die eher nationalistische Vaterlandsunion erreicht gerade einmal 3,9% und die auf der Landesebene führende Reformpartei von Ministerpräsident Andrus Ansip, der einst Bürgermeister von Tartu war, bekam gerade einmal 1,6%. Interessant ist in diesem Landkreis auch die Stadt Narva, die nach Einwohnerzahl immerhin drittgrößte Stadt des Landes, deren Einwohner aber zu deutlich über 90% Russen sind. Hier erreicht die Zentrumspartei sogar mehr als 60% der Stimmen und 20 Sitze im Stadtparlament. Zweitplaziert sind die Sozialdemokraten mit gut 35% und elf Sitzen. Alle anderen Parteien bleiben ausnahmslos unvertreten im Gemeindeparlament. Die Reformpartei des Regierungschefs hatte sich von vornherein so wenig Hoffnung auf Zustimmung im russisch bevölkerten Ida-Virumaa gemacht, daß sie hier gar nicht erst angetreten war. Nichtsdestotrotz ist der seit 2002 amtierende Bürgermeister Narvas von der Zentrumspartei Tarmo Tammiste nicht besonders beliebt in der Stadt. Er erhielt an direkten Stimmen gerade einmal 315. Dieser Umstand erklärt sich durch das Wahlsystem in Estland mit seiner Vorzugsstimme. Wähler entscheiden sich nicht für Parteien, sondern für Kandidaten. Durch ihre Stimmabgabe votieren sie indirekt auch für die Liste des ausgewählten Kandidaten. Der Amtsinhaber konnte hier in diesem Jahr noch weniger überzeugen als vor vier Jahren. Damit steht bereits fest, daß er als Bürgermeister nicht im Amt bleiben wird. Es ist nur offen, wer ihm nachfolgen soll.
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