Noch vor kurzem waren Interviews des Präsidenten lakonisch: alles geschehe dem Buchstaben des Gesetzes folgend. Die Regierung erweckte den Eindruck, alle Kritik einfach aussitzen zu wollen (und zu können). Bis die Fianznkrise Lettland mit voller Wucht heimsuchte. Seither macht die Regierung eher den Eindruck der Hilflosigkeit.
Jetzt plötzlich genügen eine Hand voll angetrunkener Randalierer, daß die Politik in nervöse Gesachäftigkeit verfällt. Wenn jetzt Innenminister Segliņš plötzlich sogar das Parlament aufgelöst sehen möchte, so ist diese Meinungäußerung verdächtig. Oder sollte der oberste Chef der Polizei plötzlich eine Harakiri-Politik für sich und die Volkspartei, deren Vorsitzender er seit wenigen Monaten ist, befürworten?
Was ist passiert?
Die Altstadt von Riga wurde am Abend des 13. Januars von Ausschreitungen im Anschluß an eine friedliche Demonstration gegen die Regierung erschüttert. Zu der Kundgebung hatten verschiedene Organisationen, darunter Gewerkschaften und die Partei „Gesellschaft für eine andere Politik“ aufgerufen. Diese Partei hatten die früheren Minister der Volkspartei, Štokenbergs und Pabriks, nach ihrem Ausscheiden gegründet.
Das Datum ist historisch, weil im jahre 1905 ebenfalls Demonstrationen gegen die sozialen Lebensbedingungen stattgefunden hatten. Damals waren Demonstranten auf dem Eis der Daugava von den Sicherheitskräften erschossen worden. Auch 1991 waren die Januartage spektakulär durch Übergriffe sowjetischer Sondereinheiten in Vilnius und Riga.
Erinnerungen wurden dieses Jahr wach an die Ausschreitungen in Ungarn 2006 und die sogenannte Bronzenacht in der estnischen Hauptstadt Tallinn 2007. Mit ersterem sind die Rigaer Ereignisse partiell vergleichbar, ging es doch um die soziale Situation und das Handeln der Regierung. Während in Ungarn der Ministerpräsident zugegeben hatte, die Bevölkerung im Wahlkampfes belogen zu haben, so ging es in Lettland eher um eine Lebenslüge der vorherigen Regierungen, welcher die Bevölkerung nur zu gerne Glauben geschenkt hatte, als von den fetten Jahren die Rede war. Immerhin hatten die Wähler 2006 ihre Regierung im Amt bestätigt.
Angesichts der aufkommenden Krise wurde in den letzten Monaten diskutiert, ob es ein Zufall sei, daß erneut der Physiker Godamnis die Regierungsgeschäfte führt, während die Bevölkerung mit harten Zeiten konfrontiert wird. In der mittwöchlichen Diskussionssendung "Kas notiek Latvijā“ (Was geschieht in Lettland), die vergleichbar ist mit der Sendung von Anne Will im deutschen Fernsehen, waren sich die Zuschauer einig, daß die Regierung Schuld sei an den Geschehnissen. Dies war das Ergebnisse einer Telefonumfrage während der Sendung. Die Antwortoptionen sind jedoch regelmäßig hinreichend suggestiv, so daß diese Antwort nicht überraschend kam.
An der Fernsehdiskussion nahm auch ein Teilnehmer der Demonstration teil, der bereitswillig Auskunft gab, Steine gegen das Parlament geworfen zu haben, und begründete dies damit, daß dies die einzige noch mögliche Form des Protests sei. Leider fragte ihn nicht einmal der Moderator, wogegen sich diese Form des Protests im Detail richte, warum er diese als erfolgversprechend betrachte und ob es nicht eher darum gehe, aufgestaute Wut abzureagieren. Als Lösung schlug der Demonstrant vor, daß eventuell ein anderes Wahlsystem helfen könnte. Doch auch hier wurde er von keinem Gesprächsteilnehmer gefragt, wie dieses aussehen solle.
An der Demonstration hatten nach Berichten von Beobachtern durchschnittliche Menschen teilgenommen und viele Arbeitslose, die im Rahmen der Krise jüngst ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Das Publikum sei gemischt gewesen, es erschienen Russen und Letten.
An den anschließenden Ausschreitungen seien 80% der Beteiligten Personen gewesen, die schon früher einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren, wie die Überprüfung nach 106 Festnahmen ergab. Während die Polizei beklagte, daß herumstehende Schaulustige keinerlei Anstalten gemacht hätten, die Gewalttäter von ihren Aktionen abzuhalten, wurde von Journalisten berichtet, daß sich schon während der friedlichen Demonstration zahlreiche angetrunkene Jugendliche auf dem Domplatz eingefunden hätten, die durch Gespräche untereinander deutlich ihr Desinteresse gegenüber der eigentlichen Kundgebung zum Ausdruck gebracht hatten.
Den erwähnten Organisatoren kann die Absicht eines Endes der Demonstration mit Randale nicht unterstellt werden. Im Internet kursierten vor der Veranstaltung Aufrufe zur Gewaltanwendung, welche die offiziellen Organisatoren bereits Tage zuvor dazu veranlassten, sich von solchen Tendenzen öffentlich zu distanzieren.
Reaktionen der Politik
In den Medien wurde berichtet, daß die Polizei am Domplatz vorwiegend das Geschehen vom Balkon des Radiogebäudes beobachtet habe, ohne wirklich einzugreifen. Der frühere Chef der Polizei, Juris Rekšņa erklärte, man sei früher auf ein solches Ereignis besser vorbereitet gewesen. Daß zu anderen Gelegenheiten Polizisten bereits während der Veranstaltung in der Menge verteilt diese in mehrere Gruppen unterteilt hätten, bestätigte auch die inzwischen beim Providus-Institut arbeitende frühere Polizistin Ilona Kronberga. Die gleiche Autorin spricht auch von einer zahlenmäßigen Unteerlegenheit, pro Demonstrant sei nur 0,01 Polizist auf dem Domplatz gewesen. Dem Autor dieser Zeilen ist bei den Fernsehbildern aufgefallen, daß unter den acht demolierten Fahrzeugen ein umgekippter VW-Bus alten Baujahrs der Munizipalpolizei zu sehen war, wie er im alltäglichen Straßenbild nicht zu finden ist..
Aus der Polizei selbst gab es Stimmen, das Vorgehen sei zu lasch gewesen. Dies wies Innenminister Segliņš zurück. Selbstverständlich hätte man härter vorgehen können, dies sei aber nicht erforderlich gewesen. Statt dessen warf dem früheren Außenminister Pabriks vor, erst zur Demonstration aufgerufen zu haben, um dann während der Ausschreitungen im Fernsehen live die Polizei zu kritisieren. Es sei ihm heute peinlich, so Segliņš weiter, früher mit Štokenbergs und Pabriks in einer Partei gewesen zu sein.
Unter den Demonstraten waren privat und in zivil auch zahlreiche Polizisten, die ihren Kollegen nicht zur Hilfe eilen konnten. Der oberste Ordnungshüter Segliņš hatte rhetorische gefragt, ob man es durchgehen lassen könne, daß Polizisten in Uniform den Sturz der Staatsmacht verlangen könnten.
Jetzt plötzlich genügen eine Hand voll angetrunkener Randalierer, daß die Politik in nervöse Gesachäftigkeit verfällt. Wenn jetzt Innenminister Segliņš plötzlich sogar das Parlament aufgelöst sehen möchte, so ist diese Meinungäußerung verdächtig. Oder sollte der oberste Chef der Polizei plötzlich eine Harakiri-Politik für sich und die Volkspartei, deren Vorsitzender er seit wenigen Monaten ist, befürworten?
Was ist passiert?
Die Altstadt von Riga wurde am Abend des 13. Januars von Ausschreitungen im Anschluß an eine friedliche Demonstration gegen die Regierung erschüttert. Zu der Kundgebung hatten verschiedene Organisationen, darunter Gewerkschaften und die Partei „Gesellschaft für eine andere Politik“ aufgerufen. Diese Partei hatten die früheren Minister der Volkspartei, Štokenbergs und Pabriks, nach ihrem Ausscheiden gegründet.
Das Datum ist historisch, weil im jahre 1905 ebenfalls Demonstrationen gegen die sozialen Lebensbedingungen stattgefunden hatten. Damals waren Demonstranten auf dem Eis der Daugava von den Sicherheitskräften erschossen worden. Auch 1991 waren die Januartage spektakulär durch Übergriffe sowjetischer Sondereinheiten in Vilnius und Riga.
Erinnerungen wurden dieses Jahr wach an die Ausschreitungen in Ungarn 2006 und die sogenannte Bronzenacht in der estnischen Hauptstadt Tallinn 2007. Mit ersterem sind die Rigaer Ereignisse partiell vergleichbar, ging es doch um die soziale Situation und das Handeln der Regierung. Während in Ungarn der Ministerpräsident zugegeben hatte, die Bevölkerung im Wahlkampfes belogen zu haben, so ging es in Lettland eher um eine Lebenslüge der vorherigen Regierungen, welcher die Bevölkerung nur zu gerne Glauben geschenkt hatte, als von den fetten Jahren die Rede war. Immerhin hatten die Wähler 2006 ihre Regierung im Amt bestätigt.
Angesichts der aufkommenden Krise wurde in den letzten Monaten diskutiert, ob es ein Zufall sei, daß erneut der Physiker Godamnis die Regierungsgeschäfte führt, während die Bevölkerung mit harten Zeiten konfrontiert wird. In der mittwöchlichen Diskussionssendung "Kas notiek Latvijā“ (Was geschieht in Lettland), die vergleichbar ist mit der Sendung von Anne Will im deutschen Fernsehen, waren sich die Zuschauer einig, daß die Regierung Schuld sei an den Geschehnissen. Dies war das Ergebnisse einer Telefonumfrage während der Sendung. Die Antwortoptionen sind jedoch regelmäßig hinreichend suggestiv, so daß diese Antwort nicht überraschend kam.
An der Fernsehdiskussion nahm auch ein Teilnehmer der Demonstration teil, der bereitswillig Auskunft gab, Steine gegen das Parlament geworfen zu haben, und begründete dies damit, daß dies die einzige noch mögliche Form des Protests sei. Leider fragte ihn nicht einmal der Moderator, wogegen sich diese Form des Protests im Detail richte, warum er diese als erfolgversprechend betrachte und ob es nicht eher darum gehe, aufgestaute Wut abzureagieren. Als Lösung schlug der Demonstrant vor, daß eventuell ein anderes Wahlsystem helfen könnte. Doch auch hier wurde er von keinem Gesprächsteilnehmer gefragt, wie dieses aussehen solle.
An der Demonstration hatten nach Berichten von Beobachtern durchschnittliche Menschen teilgenommen und viele Arbeitslose, die im Rahmen der Krise jüngst ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Das Publikum sei gemischt gewesen, es erschienen Russen und Letten.
An den anschließenden Ausschreitungen seien 80% der Beteiligten Personen gewesen, die schon früher einmal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren, wie die Überprüfung nach 106 Festnahmen ergab. Während die Polizei beklagte, daß herumstehende Schaulustige keinerlei Anstalten gemacht hätten, die Gewalttäter von ihren Aktionen abzuhalten, wurde von Journalisten berichtet, daß sich schon während der friedlichen Demonstration zahlreiche angetrunkene Jugendliche auf dem Domplatz eingefunden hätten, die durch Gespräche untereinander deutlich ihr Desinteresse gegenüber der eigentlichen Kundgebung zum Ausdruck gebracht hatten.
Den erwähnten Organisatoren kann die Absicht eines Endes der Demonstration mit Randale nicht unterstellt werden. Im Internet kursierten vor der Veranstaltung Aufrufe zur Gewaltanwendung, welche die offiziellen Organisatoren bereits Tage zuvor dazu veranlassten, sich von solchen Tendenzen öffentlich zu distanzieren.
Reaktionen der Politik
In den Medien wurde berichtet, daß die Polizei am Domplatz vorwiegend das Geschehen vom Balkon des Radiogebäudes beobachtet habe, ohne wirklich einzugreifen. Der frühere Chef der Polizei, Juris Rekšņa erklärte, man sei früher auf ein solches Ereignis besser vorbereitet gewesen. Daß zu anderen Gelegenheiten Polizisten bereits während der Veranstaltung in der Menge verteilt diese in mehrere Gruppen unterteilt hätten, bestätigte auch die inzwischen beim Providus-Institut arbeitende frühere Polizistin Ilona Kronberga. Die gleiche Autorin spricht auch von einer zahlenmäßigen Unteerlegenheit, pro Demonstrant sei nur 0,01 Polizist auf dem Domplatz gewesen. Dem Autor dieser Zeilen ist bei den Fernsehbildern aufgefallen, daß unter den acht demolierten Fahrzeugen ein umgekippter VW-Bus alten Baujahrs der Munizipalpolizei zu sehen war, wie er im alltäglichen Straßenbild nicht zu finden ist..
Aus der Polizei selbst gab es Stimmen, das Vorgehen sei zu lasch gewesen. Dies wies Innenminister Segliņš zurück. Selbstverständlich hätte man härter vorgehen können, dies sei aber nicht erforderlich gewesen. Statt dessen warf dem früheren Außenminister Pabriks vor, erst zur Demonstration aufgerufen zu haben, um dann während der Ausschreitungen im Fernsehen live die Polizei zu kritisieren. Es sei ihm heute peinlich, so Segliņš weiter, früher mit Štokenbergs und Pabriks in einer Partei gewesen zu sein.
Unter den Demonstraten waren privat und in zivil auch zahlreiche Polizisten, die ihren Kollegen nicht zur Hilfe eilen konnten. Der oberste Ordnungshüter Segliņš hatte rhetorische gefragt, ob man es durchgehen lassen könne, daß Polizisten in Uniform den Sturz der Staatsmacht verlangen könnten.
6 Kommentare:
Ich habe 2 Anmerkungen zu dem Thema:
1. Wie verantwortungslos von der Seite der Organisatoren muss man eigentlich sein und vor dem Ende der Veranstaltung sich davonschleichen? Wo waren die Ordnungskräfte der Organisatoren, die die Betrunkenen rechtzeitig an die Polizei übergeben hätten können, zumal mit Provokationen zu rechnen war? Russische Kommentatoren schreiben, dass während der Massenproteste gegen die Schliessung der russischen Schulen, kein Auto zerkratzt und kein Fenster eingeworfen wurde, weil die Organisatoren höllisch aufgepasst haben, dass es nicht zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen kommt, weil man sich damit komplett diskreditiert (was mit Štokenbergs und Pabriks wohl jetzt passiert ist).
2. Wenn man sich die Karte von Riga anschaut, wie blöd musste eigentlich die Polizei sein, dass sie die Zugänge in die Altstadt vom Parlament oder vom Domplatz nicht versperrt und die Krawallmacher nicht an den Flussufer abgedrängt hat? Von der komplett zahlenmässigen Unterlegenheit (und das nach den Gewaltaufrufen in Internet) mal ganz abgesehen. Jetzt mal ganz böse gedacht, vielleicht war etwas Krawalle in der Altstadt sogar erwünscht, um jegliche Proteste, die in der Zukunft viel stärker zu werden drohen, von vornerein zu diskreditieren und die Protestler als gewaltbereiten, ziellosen Haufen vorzuführen (dazu passt die von Ihnen erwähnte Talkshow).
Die Ordnungskräfte der Organisatoren? Es ist richtig, daß es vor Diskotheken meist Rausscheißer gibt und daß – leider – in den baltischen Staaten die Anwesenheit von Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes selbst in vielen Geschäften nicht unüblich ist. Aber auch und gerade in einem demokratischen Land liegt das Gewaltmonopol beim Staat. Die Organisatoren einer Demonstration müssen ihre Kundgebung anmelden und genehmigen lassen. Für die Sicherheit zu sorgen aber ist selbstverständlich Aufgabe der Polizei und nicht mitgebrachter Schlägertrupps.
Aber ich erinnere mich, daß es eine juristische Diskussion mit Kloty schon einmal gab, wo sich zwei im Privatbesitz befindliche Inseln als Staaten anerkennen können sollten.
... damit sich kein Leser wundert, der entfernte Kommentar stammte von mir und wurde nur korrigiert.
Es muessen keine Schlaegertrupps sein (eine politische Demo ist kein Rolling Stones-Konzert), die von Seiten der Demo-Organisatoren fuer die Sicherheit sorgen. Zumindest in Deutschland ist es durchaus ueblich, dass bei den Demos, bei denen Gewalt zu eskalieren droht (bspw. die Anti-SiKo Demos in Muenchen), die Genehmigung der Demos mit der Auflage verbunden ist, Ordner seitens der Veranstalter einzusetzen, die gewaltbereite Personen an die Polizei melden/uebergeben und deeskalierend wirken. Wie ich schon geschreiben habe, das Konzept ist auch in Baltikum nicht unbekannt (Proteste gegen die Schliessung russischer Schulen in Lettland). Wenn die Demo in April 2007 in Estland genehmigt worden waere und eine Organisation moeglich waere, waere es vielleicht nicht zu den Krawallen gekommen.
Freilich waren die Schlägertrupps polemisch gemeint. Selbstverständlich sind bei Demonstrationen auch von den Veranstaltern bestellte Ordner normal. Aber diese dürfen keine hoheitlichen Aufgaben erfüllen. Im konkreten Fall hatten sich die Organisatoren von Gewaltaufrufen im Internet distanziert, und die Staatsgewalt war gewarnt. Darum ist das Versagen derselben in diesem Fall die bedeutendere Frage, die ja auch von derzeitigen und früheren Mitarbeitern der Polizei heftig kritisiert wurde. Die Schuld Pabriks und Štokebergs zuzuschieben, wie es Innenmimister Mareks Segliņš tat, ist wohl doch etwas zu einfach.
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