Donnerstag, 1. Januar 2009

Quo vadis Demokratie?

Als Ergebnis einer Konferenz über Parteiensysteme in den postsozialistischen Staaten 2007 in Budapest erschien ein Band,[1] dessen Titel mit dem Begriff “Trendsetter” darauf hinweisen sollte, daß zahlreiche Schwierigkeiten in den Transformationsstaaten – hier bezogen auf das Parteiensystem – durchaus ihre Parallelen in den “alten” Demokratien finden.
An dieser Stelle zunächst ein Blick auf das Regieren in Lettland und Deutschland.


Lettland GmbH
Lettland wird von oligarchisch strukturierten Parteien regiert, die nicht zuletzt dank der Passivität der Bevölkerung und der daraus resultierenden geringen Mitgliederzahl nur gering sozial verwurzelt sind. Diese Oligarchenparteien ähneln der Charakterisierung von Honoratiorenparteien vor der ersten Welle der Demokratisierung (Huntington). Die diffuse Zustimmung zu ihrer Herrschaft organisieren sie durch charismatische Politiker, die regelmäßig ausgewechselt werden – vorübergehend – in den Hintergrund treten oder auch generell nur von dort aus agieren, weil ihre Bewertung in Umfragen schankt. Auf diese Weie entsteht ein Sumpf aus Korruption, ein Klientelismus und damit eine partiell autoritäre Herrschaft. Im Gegenteil zum etwa zur Jahrtausendwende von Woilfgang Merkel und Hans-Jürgen Puhle entworfenenen Modell der defekten Demokratie, in der die Elite die Masse von der politischen Macht aktiv ausschließt, gelingt dies in Lettland infolge der postsozialistischen politischen Kultur auf subtile Art. Theoretisch bestünden für die Bevölkerung keine Beschränkungen, das Regieren selbst in die Hand zu nehmen.

Die politische Elite führt das Land wie ein Unternehemn mit beschrānkter Haftung für
· die Lebensumstände der Bevölkerung wie auch
· die politischen Konsequenzen in der internationelen Politik.

Im Fall von Schwierigkeiten werden Regierungen durch Umgruppierungen im Parteiensystem moduliert und Positionen durch neue Marionetten besetzt, die ebenfalls wieder den Oligarchen dienen. Diese sind, so die Erfahrung, um so erfolgreicher, je weniger sie im direkten Rampenlicht stehen. Dies hat Aivars Lembergs als “nur” Bürgermeister der Hafenstadt Ventspils immer vermieden. Andris Šķēle verschwand nach dreifacher Regentschaft als einfaches Parteimitglied hinter die Kulissen, während Ainārs Šlesers bereits die zweite Partei gründen mußte, nur um erneut als Verkehrsminister im Kabinett Einsitz nehmen zu können..

Aktiengesellschaft Deutschland
Nach dem Zweiten Weltkrieg war eine marktwirtschaftliche Ordnung in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Bis in die CDU hinein gab es Befürworter eines starken staatlichen Reglements in der Wirtscchaft, besonders in der Schwerindustrie, um Entwicklungen wie während des Dritten Reiches zu vermeiden. Dann folgte das Wirtschaftswunder, welches im Verständndis der Bevölkerung das System legitimierte.

Wenn heute in den Medien von der Wirtschaft gesprochen wird, meint dies in Wahrheit das Interesse derUnternehmen. Trotz sozialer Marktwirtschaft und Absicherung ist die Politik weitgehend angebotorientiert.

Zwar sind kleine und mittlere Unternehmen, zumeist Familienbetriebe, in Deutschland kummuliert nach wie vor die größten Arbeitgeber im Land. Die großen Untermnehmen sind jedoch vorwiegend Aktiengesellschaften,[2] deren Aktionäre oftmals ihrerseits Aktiengesellschaften sind.[3]

Diese Unternehmensform ist auf kurzfristigen Gewinn orientiert, weil die Aktionäre sich weniger für mittel- und langfristigen Produkterfolg und eine entsprechene Politik interessieren als für die Dividende und / oder zwecks Spekulation für den Kurswert der Aktie an der Börse. Die Manager der Aktiengesellschaften fügen sich dieser Orientierung naturgemäß. Sie sind nicht die Eigentümer des Unternehmens, die es möglichst lukrativ an die nachkommende Generation zu vererben trachten, sondern sie sind Angestellte des Unernehmens, also dessen Aktionäre. Diese wiederum setzen Vertragsbedingungen, die sich am Eigeninteresse orientieren. Die Manager werden also nach dem Erfolg des Unternehmens an der Börse und nicht beim Kunden der Produktpalette vergütet. Dividenden werden jährlich ausgeschüttet, folglich ist Strategie eine kurzfristige.

Aus diesem Grunde ist es kein Wunder, daß Zeitarbeit immer mehr ausgeweitet wird, denn ein flexibler, auf Rendite ausgerichteter Unternehmenskurs, verträgt sich nicht mit dauerhafter Bindung von Arbeitskräften an das Unternehmen und ebensowenig mit Investitionen in das vorhandene Humankapital, Outsourcing ist das Stichwort.

Die gesellschaftlichen Folgen sind deutlich sichtbar. Arbeitslosigkeit und Geringbeschäftigung steigen und mit ihnen die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter, die entweder überhaupt nicht arbeiten oder aber trotz ihrer Beschäftigung vom erzielten Einkommen ihren Alltag nicht finanzieren können und auf Unterstützung durch den Staat angewiesen sind, die sogenannten Aufstocker.

Für Transferzahlungen wiederum kommen die Steuer- und Abgabenzahler auf, also jener Teil der arbeitenden Bevölkerung, die von ihrem Einkommen noch leben können, deren finanzielle Situation sich jedoch auf diese Weise verschlechtert. Daß der Spitzensteuersatz im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte mehrfach gesenkt wurde begründet die Ängste des Mittelstandes.

Der Ärger beider beschriebenen Bevölkerungsschichten ensteht durch Skandale wie um den früheren Postchef Klaus Zumwinkel. Die Einkommensoberschicht zahlt nicht nur legal im Verhältnis weniger Steuern, sie hat auch mehr Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung.

Legales und illegales Vermögen können jene, die darüber verfügen, auf den Finanzmärkten einzetzen, um ihren Reichtum noch zu mehren. Mittelstand und Unterschicht verfügen auch dann über diese Möglichkeit nicht, wenn sie intelligente Ideen haben.

Konservative Parteien, die sich den Kampf gegen den Terror auf die Fahnen geschrieben haben, wollen die Bürger zunehmend überwachen. Auch dies trifft wieder jene, die in ihrer Mobilität Person, Eigentum und Kapital betreffend weniger flexibel sind als die Elite.

Weitere Beispiele
Aber nicht nur Deutschland und Lettland als der größte und einer der kleinsten Staaten der EU, als Vertreter des Westens und der postsozialistischen Welt können als Beispiele für eine Krise des Politischen herangezogen werden. Weitere Staaten kämpfen unter verschiedensten Voraussetzungen und auf unterschiedliche Weise mit innenpolitischen Schwierigkeiten:
In Frankreich wählte die Bevölkerung nach dem ungeliebten Jaques Chirac Nicolas Sarkozys zum Präsidenten, der durch das Fehlen von staatsmannischem Auftreten schnell unpopulär wurde.
Die Regierungskrise in Belgien wurde um das Schicksal des nicht zurück treten dürfenden Ministerpräsidenten Yves Letermes sprichwörtlich und dehnte sich zur ernsthaften Staatskrise aus.
In Italien wurde angesichts der Uneinigkeit des Centrosinistra (Ulivo) Silvio Berlusconi trotz seiner zumindest umstrittenen vorherigen Regierungsbilanz bereits das dritte Mal Regierungschef.

In den neuen Demokratien des postsozialistischen Raumes
· hat Lech Kacziński den Westen mit Populismus, anti-deutscher Haltung und Blockade der EU zur Weisglut getrieben,
· während Robert Fico in der Slowakei immerhin ruhiger regiert als es seinerzeit Vladimír Mečiar tat.
· Ungarn stürzte, ganz ungewöhnlich, plötzlich gerade ob der Offenheit des wiedergewählten Premiers Ferenc Gyurcsány 2006 in eine tiefe politische Krise.
· Und wie sich das Land, dessen langjähriger Regierungschef und jetziger Präsident Václav Klaus als erklärter Lissabon-Vertrag-Gegner in der Rolle der EU-Präsidentschaft bewähren wird, bleibt abzuwarten.

Doch auch solche Länder, die von außen betrachtet vielen als Hort eines bequemen Lebens im Wohlstand erscheinen, bleiben von politischen Krisen nicht verschont.
- In der Schweiz rüttelt Christoph Blocher seit nunmehr fünf Jahren an den Grundfesten der helvetischen Konkordanz.
- In Österreich spaltete Jörg Haider bis zu seinem plötzlichen Unfalltod über mehr als 20 Jahre die Gesellschaft und beendete den Proporz wohl für immer. Eine große Koalition in Wien ist zwar noch heute eine Koalition der beiden größten Parteien, die auch verhältnismäßig gleich stark, jedoch separat kleiner als Haiders politisches Doppelerbe sind.

Neben dem unpopulären und wohl auch unsinnigen Krieg im Irak legte George W. Bush das größte Kuckucksei mit dem Sündenfall Guantanamo,[4] der aufgrund des inneren Widerspruches vom propagierten moralischen Anspruch und der praktizierten Realität, Demokratie herbeibomben und erfoltern zu wollen, nicht nur seiner Administration. sondern auch dem ganzen Land zu einem Ansehen in der Welt verhalf, das wieder auf die Zeiten des Vietnamkrieges gesunken ist. In den postsozialistischen Staaten, wo eine Politik der gespaltenen Zunge zum Erfahrungsschatz der Bevölkerung gehört, diskreditierte Bush die Glaubwurdigkeit des gesamten Systems, welches in Osteuropa noch vor knapp zwei Jahrzehnten als erstrebenswert galt.

Postsozialimsus
Die Transformationsforschung stürzte sich Anfang der 90er Jahre auf die Staaten, welche sich vom Sozialismus lossagten, um sie als neue Beispiele, also Bestätigung ihrer theoretischen Annahmen zu beobachten. Nur Adam Przeworski riskierte die Vermutung, der Osten könne sich statt zum Westen zum Süden entwickeln.

Für die Entstehung eines Parteiensystems wie in westlichen Demokratien fehlten jedoch in den künstlich nivellierten Gesellschaften als Voraussetzung die entsprechenden Millieus. Während im Westen erst Interessenvertretungen enstanden waren, die dann während der Demokratisierung der ersten Welle politische Verantwortung zu übernehmen begannen, geschah dies, wie Offe bereits 1991 bemerkte, in Osteuropa gleichzeitig.[5]

Dieser Umstand ist gepaart mit einer Sehnsucht nach Idealen. Der Sozialismus erlaubte zwar nicht viele Freiheiten, war aber eine fürsorgende Gouvernante,[6] welche versprach, eines Tages würden paradiesische Verhältnisse herrschen. Da Demokratie und Marktwirtschaft von außen betrachtet das Wohlstandversprechen besser erfüllten, erhofften sich viele Menschen von diesen Systemen faktisch die Erfüllung der Versprechen des Kommunismus. Während sich diese Hoffnung nicht erfüllten, bedienen Populisten diese Erwartungen.

Ist die Demokratie in der Lage, vernünftige Entscheidungen zu treffen?
Angesichts der Schwierigkeiten in Westeuropa stellt sich die Frage, ob die Politik in der Demokratie fähig ist, sinnvolle Entscheidungen zu treffen, die im Interesse der Allgemeinheit sind und nicht nur bestimmten Lobbyisten und Oligarchen dienen. Während des Wahlkmapfes in Hessen 2008 wurde der innerparteiliche Streit der SPD um die Energiepolitik zwischen Andrea Ypsilanti und Wolfgang Clement selbstzerstörerisch öffentlich ausgetragen.

Wenn also auch im Westen zunehmend häufiger Themen wie Personen betreffend “eine Sau nach der anderen durch das Dorf getrieben wird”, was Umfragewerte und Erfolg wie auch den Bestand von Parteien grundlegend beeinflußt, ist der Osten dann vielleicht ein Trendsetter?

In der Vergangenheit waren Entscheidungen auch oftmals zunächst unpopular, später dann aber weitgehend unumstritten wie Westintegration und Wiederbewaffnung der Bundesrepublik unter Konrad Adenauer. Wie positiv die EU-Integration von Helmut Kohl sich mit der Einführung der gemeinsamen Währung auf den Wohlstand der Zukunft auswirkt, erweist sich gerade jetzt in der Finanzkrise.

Andererseits ließ Helmut Schmidt seine Koalition auch an der Gegnerschaft der eigenen Partei zum NATO-Doppelbeschluß scheitern, der, wie die Entstehung der Friedensbewegung und anschließend einer neuen Partei zeigte, ebenfalls unpopulär war. Die Raketen wurden schließlich nur sechs Jahre vor dem Mauerfall (!) stationiert.

Nachdem Fukuyama nach dem Zusammenrbuch der Sowjetunion[7] positiv in eine demokratische Zukunft der Welt blickte, prophezeiten Huntington[8] und Inglehart[9] seit den 90er Jahren einen Konflikt zwischen Kulturen, wenn auch um verschiedene Inhalte. In den letzten Jahren wurde klar, das die Herausforderung der Zukunft weniger die von den beiden Autoren vermuteten Fragen der Demokratie oder individueller Freiheiten sind, sondern eine Multikrise im Überlebenskampf der Menschheit mit Problemen rund um die Energieversorgung, Wasserknappheit, Überbevölkerung und Ernährung, ihrerseits alle mehr oder weniger Unterkapitel der Problematik Umweltverschmutzung. Eine Frage ist von der anderen gar nicht zu trennen.

Neue große Konflikte, Gewalt und Despotie wurden neuerlich mit dem Aufstieg Russlands, Chinas und Indiens zu drohen, welcher für die positiv besetzte Ordnungsmacht USA und der von ihr getragenen Demokratie eine Gefahr darstelle.

Aber plötzliche genügen wenige Wochen für eine grundlegende Änderung der weltweiten Agenda, für die nicht einmal Hoffnungsträger Barack Obama verantwortlich ist. Die Finanzkrise zeigt allen Regierungen der Industrieländer wie der Schwellenländer ihre gegenseitige Abghängigkeit. Auf G7 und G8 folgt nun offensichtlich G20.
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[1] Bos, Ellen / Segert, Dieter: Osteuropäische Demokratien als Trendsetter? Parteien und Parteiensysteme nach dem Ende des Übergangsjahrzehnts.
[2] Der Chemiekonzern Henkel ist eine Kommanditgesellschaft auf Aktien.
[3] Hier ist VW die Ausnahme mit der Eigentümerschaft des Landes Niedersachsen, dessen Sperrminorität als Ausnahme des Aktiengesetzes in der EU 2008 für Konlfikte sorgte.
[4] Jan Techau: Deutschland und die verlorene Ordnung der Welt, Deutschlandradio, 02.01.2008
[5] Offe, Claus, 1991: Das Dilemma der Gleichzeitigkeit. Demokratisierung und Marktwirtschaft in Osteuropa. Merkur. Jahrgang 45. Heft 4. S. 279-291
[6] Reetz, Axel / Spoltis, Veiko: Die Sehnsucht des Volkes nach einer unschuldigen Politik; in: Aktuelle Probleme postsozialistischer Länder. Das Beispiel Lettland, Verlag Wilhelm Surbir, Wittenbach/SG 2007
[7] Fukuyama, Francis: The End of History and the Last Man. New York 1992
[8] Huntington, Samuel: The Clash of Civilizations? Foreign Affairs Summer 1993
[9] Inglehart, Ronald / Norris, Pippa: The True Clash of Civilizations; in: Foreign Policy, No. 135. (Mar. - Apr., 2003), pp. 62-70

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