Texte über Estland und Lettland pflege ich auch in die entsprechenden Blogs des Vereins Infobalt zu stellen, dessen Mitglied ich bin.
Über Estland gab es einen Beitrag mit Umfrageergebnissen zur Akzeptanz der estnischen Regierung. Ein Kommentator mit dem Nickname „moevenort“ hielt den Beitrag für unkritisch. Daraufhin folgte ein weiterer mit konkreter Nennung, der dann beim Kommentator auf noch heftigere Ablehnung stieß. Er schrieb (in Auszügen, die kompletten Kommentare stehen online):
„ich bleibe bei meinem Kommentar, es handelt sich um Schönfärberei und nichts anderes. Ich bin selbst Politikwissenschaftler, weiss also sehr genau wie solche Umfragen zustande kommen Ganz wesentlich dabei ist die Art der Fragen, die gestellt werden gestellt bzw. nicht gestellt werden.“
„Das zum einen. Zum anderen hab ich zwei Jahre in Estland gelebt und gearbeitet, weiss also durchaus wie in wirtschaftlicher Hinsicht dort aussieht. Meine Prognose dürfte allerdings kaum gefallen. Es gibt nicht wenige Länder, die es selbst in der gegenwärtigen Krise nicht fertig gebracht haben, genau die Ideologie zu hinterfragen, die diese Krise verursacht hat. (...) Denn alles was man 20 Jahre lang in Estland getan hat war (wie kleine Kinder, so kam es mir manchmal vor) einer neuen Ideologie zu folgen (diesmal der neoliberalen) und eifrig das nachzuplappern, was in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Kreisen von Bankern, Analysten und politisch Verantwortlichen so en vogue war (...) Diese geistige Leere ztu sehen ist traurig. anderererseits: woher soll das Nachdenken auch in einem Land kommen, dass in seinen Schulen und Universitäten nicht den geringsten Wert legt, seiner Jugend selbständiges Denken beizubringen? ? Worauf in der vergangenen Jahren Wert gelegt wurde, war stattdessen nachzubeten, nachzuplappern, Sprechblasen wiederzugeben.“
„Ich hatte in diesem Blog hier ja eh wenig Hoffnung, dass man auch diesen Punkt einmal hinterfragen könnte, aber die einseitige art der Darstellung hier hat selbst mich ein wenig überrascht. (...) Was nämlich unerwähnt bleibt ist, dass es nicht zu wenige Wirtschaftswissenschaftler gibt, die genau in dieser Euro -Einführung ein zusätzliches Problem für Estland sehen.
Der Administrator des Blogs bedankte sich für die „energische Meinungäusserung“ und wies darauf hin: „Ich glaube, worauf der Beitrag zunächst mal hinweisen wollte, war der Unterschied zwischen Estland und Lettland. Lettische Umfragen (...) weisen ein starkes Misstrauen gegenüber den gegenwärtig Regierungen auf - in Estland haben Umfragen offenbar momentan andere Ergebnisse.“
„Pauschales Schimpfen von Deutschen über angeblich "estnische Verhältnisse" oder gar "Ossis" möchten wir uns hier aber genauso wenig anschließen. In sofern sind aber der Blogbeitrag und darüber hinaus gehende Diskussionen zwei verschiedene Dinge.“ Der Administrator lädt anstelle von anonymen Kommentaren zum Mitbloggen ein.
Ein weiterer Kommentator, der dem Nickname „lacplesis“ (Lāčplēsis) nach wohl einen lettischen Hintergrund hat, schließt sich an: „Da hätte ich doch gern mal ein paar eigene Argumente gelesen, nicht nur das Zitieren von angeblich klugen Professoren ..“
Den sehr unstrukturierten Kommentar des vorgeblichen Politikwissenschaftler „moevenort“ im Detail zu lesen, ist fast unmöglich. Es ist zudem unwissenschaftlich, einhemischen, estnischen Politologen nicht nur eine Meinung, sondern sogar die Urteilsfähigkeit abzusprechen. Die Ausführungen klingen verdächtig danach, daß er Autor glaubt, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein. Der Administrator hat Recht, wenn er Diskussionen über die Methoden der Demoskopie für zulässig erklärt; sie aber wie „moevenort“ generell als Manipulationen abzuqualifizieren, ist eine Verschwörungsthoerie, zumal der Kommentator als Anonymus keine Belege für seine Behauptung vorlegt oder vorzulegen bereit ist. Als Politikwissenschaftler müßte er bei der Zitierung von Kollegen Zunft erwähnen, daß es immer verschiedene Meinungen auch innerhalb einer Disziplin gibt.
Dem Administrator außerdem zuzustimmen, daß es Politikwissenschaftler hin oder her keine Diskussionskultur ist, ohne Argumente und anonym Autoren anzugreifen, die unter ihrem vollen Namen publizieren.
Die implizite Behauptung von „moewenort“, das Zitieren von Umfrageergebnissen bedeute, diesen uneingeschränkten Glauben zu schicken ist erneut unwissenschaftlich. Wenn auch „lacplesis“ korrekt meint, daß Umfrageergebnisse den Wähler beeinflussen, so stellen sich gleich zwei Fragen. Stellen Verwandte, Freunde, Kollegen und andere Nachrichten keine Beeinflussung dar und ist diese Beeinflussung negativ? Vieler Wähler sind sicher froh über eine ungefähre Vorstellung des potentiellen Wahlausgangs, um für sich selbst einen Entschluß zu fassen. Jens-Olaf gibt denn auch zu bedenken, daß die estnische Regierung nicht aus der Luft entstanden ist.
Und an dieser Stelle mischt sich Kloty ein, mit dem es in diesem Blog zu einem früheren Zeitpunkt bereits längere Diskussionen (1, 2) gab, daß viele Esten die Reformpartei, also Andrus Ansip, nur wählen, um Edgar Savisaar zu verhindern. Aber das Abstimmen für das empfundene kleinere Übel ist in demokratischen Staaten weder neu noch abzulehnen. Allerdings gibt es nicht, wie Kloty behauptet, nur russische Anhänger bei Savisaar, sondern auch estnische. DIE Esten gibt es nicht, fügt Jens-Olaf hinzu. Es ist kein Geheimnis, daß Kloty russischer Abstammung ist, aus Estland kommt und sich als politisch links bezeichnet (Kloty stellt richtig: "Das ist falsch. Ich hatte eine russische Uroma, alle anderen Vorfahren waren entweder Esten oder Deutsche. Es ist richtig, dass ich in einer russisch-sprachigen Umgebung aufgewachsen bin. Deswegen habe ich viele Kontake zu Russen in Estland und bin viel auf russisch-sprachigen Newsseiten unterwegs, von wo ich hin und wieder ein Artikel nehme, den ich fuer uebersetzenswert halte". Die Diskussion zu deutschstämmigen russischen Spätaussiedlern, zu denen Kloty offensichtlich zählt, soll hier nicht eröffnet werden, nur so viel, neben der ethnischen Abstammung ist die Sozialisation freilich nicht unwichtig.). Von Deutschland aus greift er in früheren Diskussionen regelmäßig Estland an und verteidigt Positionender in Estland lebenden Russen. Jens-Olaf meint: „Hm, ich teile nicht jede Kritik Klotys an Estland, aber finde nicht, dass er das jetzige Russland als Vorbild gegenüber Estland darstellt.“ Vorbild wäre der falsche Begriff, aber in Fragen des sowjetischen verhaltens gegenüber den baltischen Ländern verteidigt er Positionen Rußlands. Daraufhin verteidigt sich Kloty: „Ich fuehle mich in Deutschland sehr wohl, viel wohler als in Estland oder in Rußland. Wuerde mir estnische Gesellschaft wuenschen, die mehr die deutsche und skandinavische Werte und Verstaendnisse von Marktwirtschaft und (Minderheiten-) Politik teilt, als was da gerade vorherrscht.“
Zu guter Letzt meldet sich „cjc“ überrascht über die Vielzahl der Kommentare. Die aber überraschen wenig, denn ein Post bezog sich auf einen konkreten Kommentar von „moevenort“. Daß dies zum Widerspruch herausfordert, liegt auf der Hand. Wieso es allerdings typisch deutsch ist, die fehlende Struktur in einem Text zu monieren, den jemand verfaßt hat, der selbst Politikwissenschaftler zu sein behauptet, bleibt ebenso unklar wie die Feststellung, daß 15% FDP gewählt haben, obwohl jeder weiß, daß Steuersenkungen nicht zu erwarten sind.
„moevenort“ bezieht sich in der Kritik von Neoliberalismus und Demoskopie auf die Diskussion zur Postdemokratie, eine verhältnismäßig aktuelle Richtung der Politikwissenschaft. Vielleicht sollte sich der Kommentator auch an andere, frühere Richtungen erinnern, etwa die Unregierbarkeit. In den siebziger Jahren erreichte ÖTV-Chef Karl-Heinz Kluncker Gehaltssteigerungen im zweistelligen Prozentumfang – mitten während der Ölkrise. Streiks gehörten zum Alltag der britischen Wirtschaft. Dies hat erst zum Sieg von Parteien geführt, die eine neoliberale Politik befürworteten und realisierten.
21 Kommentare:
Es ist kein Geheimnis, daß Kloty russischer Abstammung ist
Das ist falsch. Ich hatte eine russische Uroma, alle anderen Vorfahren waren entweder Esten oder Deutsche. Es ist richtig, dass ich in einer russisch-sprachigen Umgebung aufgewachsen bin. Deswegen habe ich viele Kontake zu Russen in Estland und bin viel auf russisch-sprachigen Newsseiten unterwegs, von wo ich hin und wieder ein Artikel nehme, den ich fuer uebersetzenswert halte.
Kloty stellt richtig. Danke.
Die Diskussion zu deutschstämmigen russischen Spätaussiedlern, zu denen Kloty offensichtlich zählt, soll hier nicht eröffnet werden, nur so viel, neben der ethnischen Abstammung ist die Sozialisation freilich nicht unwichtig.
nennt man so etwas Zensur oder das herausfiltern nicht gewünschter Meinungsbeiträge?
Ich ging davon aus, dass Sie mich eigentlich für eine Diskussion auf diesen Blog verwiesen hatten. Sie meinten ja, der Estland Blog wäre nicht der richtige Ort dafür.
Vermutlich "Herr" Mövenheini, so lange Sie anonym bleiben und mit Ihren bisherigen Inhalten auftreten, lösche ich das.
Da Sie vorgeben, Doktorand an jenem Institut zu sein, an dem ich bereits promoviert habe und Gesine Schwan anführen, schlage ich vor, wir diskutieren Ihre Beiträge mal mit Frau Schwan.
Können Sie mir vielleicht verraten, was Sie inhaltlich an den Beiträgen gestört hat? Sie hatten einen klaren inhaltlichen Bezug und verwiesenauf eine durchaus aktuelle Debatte innerhalb der Politikwissenschaft? Wo also genau liegt das Problem?
Ich diskutiere mit Ihnen auf diesem Niveau nicht weiter anonym.
und was Frau Schwan angeht: Ich shätze die arbeit von Frau Schwan sehr, aber ich vermute mal Frau Schwan hat durchaus Wichtigeres zu tun, als sich mit irgendwelchen unwichtigen Gedankengängen von mir oder Ihnen auseinanderzusetzen.
Was meinen Sie eigentlich laufend mit anonym? Dies hier ist ein Internetblog. Ich lege als junger Deutscher sehr viel Wert auf meine Privatsphäre und achte selbstverständlich darauf, dass ich nicht permanent namentlich mit einem Medium agiere, aus dem sich Beiträge nie wieder entfernen lassen. Das ist eine gesunde Einstellungen, wie sie bestimmt wissen gibt´s in Deutschland mit der Piratenpartei inzwischen sogar eine politische Vereinigung, die sich mit der Problematik (die meiner generation in Deutschland im Gegensatz zu Estland übrigens sehr wichtig ist) auseinandersetzt. Was werfen Sie mir also vor? Dass ich tatsächlich nicht jeden Blogkommentar im Internet mit vollem Namen unterzeichne? Das ist doch hoffentlich nicht Ihr Ernst.
In Riga ist es bereits halb eins. Morgen lösche ich. Daß Sie bei Ihrem Niveau weder mit Frau Schwan diskutieren, noch Ihren Namen preisgeben wollen, wundert mich nicht. Ich werde mal schauen, ob ich beim OSI Ihre Identität nicht herausfinde.
tun Sie was Sie nicht lassen können. Ihnen ist glaub ich nicht zu helfen und an einer wirklichen inhaltlichen Diskussion sind Sie anscheinend auch gar nicht interessiert. Mit freundlichen Grüßen.
Was genau meinen Sie eigentlich mit "meinem Niveau", oder stört Sie inhaltlich etwas an der Postdemokratie - Debatte?
Sie meinen, Sie sind ein Wissenschaftler, wenn Sie eine Debatte ihre Disziplin verfolgen? Die Postdemokratie-Debatte hat wenig mit Ihren Ausführungen zu tun. Sie ist im Laufe von Jahrzehnten eine von mehreren, die sich mit Problemen des demokratischen Regierens beschäftigt haben. Sie geißeln den Neoliberalismus, der ohne die Unregierbarkeitsdebatte der 70er Jahre nicht verständlich wird. In einem post-sozialistischen Staat wie Estland wäre eine Diskussion der Transformationstheorien ebenfalls erforderlich.
Ich weiß ja nicht, was Sie für ein Dissertationsthema haben. Aber mit Herumnörgeln an Estland und dem Neoliberalismus und sich dabei nur auf die Postdemokratie berufend, würden Sie Gesine Schwan langweilen; und für eine Dissertation scheint mir das reichlich wenig.
So, Herr anonymer Politikwissenschaftler, wie wäre es mit diesem Link: http://www.mpifg.de/people/as/publ_de.asp#7
Nehmen Sie das Discussion paper "(2008): Krisentheorien der Demokratie: Unregierbarkeit, Spätkapitalismus und Postdemokratie. MPIfG Discussion Paper 08/10, Köln."
Viel Spaß beim Lesen! Und besuchen Sie doch mal meine Homepage.
Aber im Übrigen zeigt mir ein bißchen Internetrecherche, daß es Ihnen offenbar zusagt, sich als Doktorand einer doch eher weniger wissenschaftlichen Sprache zu bedienen. Auf zeit.de: "04.10.2007 um 8:40 Uhr moevenort 1. Geschmiere
Wer hat denn für dieses unglaubliche Geschmiere ihrer Autorin bezahlt? War es die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" oder doch die Bertelsmann-Stiftung mit der ZEIT und Holzbrinck ja schon seit einiger Zeit so überaus erfolgreich zusammenarbeiten? (CHE -Hochschulranking). Es ist immer wieder erstaunlich, wie weit PR und Journalismus auch bei der ZEIT immer mehr verwischen und für was sich Journalisten mittlerweile so alles hergeben.Die Wut, mit der die deutschen Mainstream-Medien seit einigen Tagen über Beck herfallen sagt so einiges über den wirtschaftlsiberalen Zeitgeist, der in vielen Redaktionen zum neuen Götzen erhoben wurde.Sozialliberal war einmal. Sie sollten sich schämen!"
Wenn also jemand nicht Ihrer Meinung ist, dann ist das Geschmiere. Meine Gratulation, das hatten wir schon mal.
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