Aktualisiert 17.03.2008.
Da haben wir also den Salat! Erst wird von Politikern versprochen, was das Zeug hält und was man nicht halten kann, anschließend stellen sich die Politiker gegenseitig und unter Anführerschaft der Medien an den Pranger. Wortbruch lautet der Vorwurf. Folglich wird es wohl erst einmal keine neue Regierung in Hessen geben. Was für ein Kasperletheater, mag man denken, aber wer führt eigentlich Regie?
So viel steht jedenfalls fest, daß vorwiegend Politiker und Journalisten eine Einbindung der Linken in eine Zusammenarbeit ablehnen, was etwa deutlich wird in Sendungen wie dem Presseclub. Im Gegenteil sieht die öffentlichen Meinung, ein großer Teil der Durchschnittsbürger diese Frage gelassener bis hin zu wohlwollendem Verständnis, was sich in Sendungen zeigt, wo Hörer telefonisch an der Diskussion teilnehmen dürfen wie im Presseclub oder auch dem WDR-Tagesgespräch.
Damit hier nichts falsch verstanden wird. Zum Glück ist Deutschland ein demokratischer Staat, in dem weder Partei noch Wähler ihren Abgeordneten konkrete Vorschriften machen können und dürfen, ein imperatives Mandat gibt es nicht. Selbstverständlich wirkt gleichzeitig eine Macht des Faktischen, die weder zu unterschätzen noch abzulehnen ist. Ein Politiker will – meistens wenigstens – wiedergewählt werden, und dazu ist er erstens auf das Wohlwollen der Wähler angewiesen wie auch angesichts des deutschen Wahlrechts auf die Gunst seiner Partei, ohne die er eben nicht aufgestellt würde. Wenn also die hessische SPD-Abgeordnete Dagmar Metzger aus Gewissensgründen Andrea Ypsilanti nicht zur Ministerpräsidentin wählen will, so denn die Mehrheit mit der Linkspartei zustande kommt, ist dies ihr gutes Recht.
Aber es macht natürlich die politische Situation nicht einfacher und sorgt im Blätterwald für ordentliche Häme gegenüber den Sozialdemokraten, die freilich das ihrige dazu getan haben, wobei die Äußerungen Becks vor seiner Krankheit vermutlich weniger schaden angerichtet haben als die anschließende harsche Kritik am Vorsitzenden aus den eigenen Reihen. Wenig verständlich ist in der Tat, warum Frau Metzger ein Urlaub wichtiger war, als eine so weitreichende Entscheidung. Vielleicht hat sie sich zu wenig Gedanken darüber gemacht, daß ihr Handeln für die eigene Partei etwa so positive Nachwirkungen hat wie die Empfehlung Wolfgang Clements vor dem Urnengang, Ypsilanti nicht zu wählen. Herzlichen Glückwunsch SPD!
Abkehr vom Blockdenken
Zwar gab es in Brandenburg zwischen 1990 und 1994 sowie in Bremen von 1991 bis 1995 bereits Ampelkoalitionen, aber in Berlin scheiterten solche Verhandlungen auf Landesebene 2001. Doch die Zeit ist, wie bereits diskutiert, für solche Bündnisse nur insofern reif, als sie ebenso wie die Jamaika-Koalition bei Ausschluß der Linken die einzigen Alternative zur großen Koalition sind. Die jeweilige Konstellation ist entweder für die FPD respektive die Grünen ein Kompromiß, der dem Umfallen nahekommt, da die Inhalte verhältnismäßig weit von den jeweils beiden anderen Bündnispartnern entfernt sind, auch wenn der Europapaparlamentarier und Vorsitzende der sozialistischen Fraktion, Martin Schulz, jüngst nicht zu Unrecht im Deutschlandradio betonte, daß es in der Bevölkerung in Deutschland eine Mehrheit gebe, die sozialen Ausgleich kombiniert mit ökologisch verantwortlichem Handeln befürworten und eine liberale Welteinstellung haben.
In Hamburg hingegen gibt es zur großen Koalition und dem Bündnis mit der Linken eine ganz andere Option, eine schwarz-grüne Koalition. Diese hatte bereits 1992 der heutige Ministerpräsident Baden-Württembergs, Günther Oettinger (Dank an Kloty!), erwogen, aber zweifelsohne ist die Bereitschaft dazu heute größer, gilt es doch sowohl für die CDU wie auch für die Grünen aus der Isolation durch die Fixierung auf einen Partner auszubrechen. Die Grünen haben es in dieser Koalition trotz noch fremdelnder Partner im Gegenteil zu Jamaika einfacher, weil es sich eben nur um ein Zweierbündnis handelt. Darüber hinaus dürfte es in Zusammenarbeit mit der CDU, aber ohne die FDP, für die Grünen auch einfacher sein, eigene Inhalte durchzusetzen. Dazu zählen etwa die Bereiche Umwelt und Soziales, wo wertkonservative CDUler wie auch die „Herz-Jesu-Fraktion” ihrerseits den wirtschaftsliberalen Ideen der FDP eher ferner stehen.
Auf den Hessen lastet nunmehr die Verantwortung richtungsweisender politscher Entschdeidungen, die auf Deutschland in den nächsten Jahren wohl zukommen. Auch Neuwahlen würden wohl kaum den Politikern und Journalisten genehmere Mehrheiten schaffen, denn wie viele einfache Bürger zutreffend feststellen, läßt die Gerechtigkeitsdebatte grüßen auf der Suche nach den Ursachen für die Erfolge der Linken in westdeutschen Landesparlamenten.
Aber vielleicht hat das derzeitige Szenario auch Vorteile. Wenn anläßlich der konstituierenden Sitzung des Landtages in Wiesbaden keine neue Regierung installiert werden kann, regiert die alte weiter, aber eben ohne Mehrheit. Schnell wird so erstens das Problem Koch zum Problem der CDU und zweitens wird der Blätterwald sich genötigt sehen zu diskutieren, wie das Problem zu lösen ist. Die Parteien werden im Parlament öffentlich Tacheles reden, in ihrem Abstimmungsverhalten Farbe bekennen – und sich vermutlich demzufolge auch bewegen müssen. Da nunmehr schon Guido Westerwelle sich dahingehend geäußert hat, rückt mittelfristig doch die Bildung einer Ampelkoalition in den Bereich des Möglichen.
Auseinandersetzung mit der Linken unausweichlich
Das ändert aber sicher nichts daran, daß die Frage von Bündnissen mit der Linken nicht von der Tagesordnung ist. Die Republik wird die Politikfähigkeit der Linken auch im Westen beobachten müssen anstelle der Empörung über die Machtbeteiligung, denn die nächsten dunklen Wolken ziehen bereits auf. Da muß gar nicht bis zur Bundestagswahl abgewartet werden. Es könnte etwa passieren, daß die Linke in den ostdeutschen Ländern nicht nur die SPD überflügelt, sondern vielleicht auch stärkste Partei wird. Und was dann?
In nächster Zukunft ist mehr Pragmatismus als Stimmungsmache gefragt. Die Republik kann kollektiv die Wähler der Linken ignorieren, deren Sorgen und Nöte Grund der Wahlentscheidung sind. Daß die CDU einstweilen der SPD den Aufstieg der Linken vorwirft, ist ein Scherz. Zwar sorgt die Agenda 2010 für Ärger bei SPD-Anhängern, doch unter einer schwarz-gelben Regierung wäre die Linke wohl kaum weniger erfolgreich gewesen.
Bliebe noch die von manchen in den Raum gestellte Frage nach der Radikalität der Linken, also ihrer Verfassungsfeindlichkeit. Einstweilen scheint diese jedoch weniger in Frage zu stehen als die der NPD, ein Verbot wurde nicht einmal diskutiert. Die Linke ist nicht für einen anderen Staat, sondern für einen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich aktiveren. Das aber steht eigentlich sogar im Grundgesetz: Artikel 20 (1) „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.”
Die deutsche politische Kultur wird sich wandeln müssen hin zu inhaltlichen Aussagen und weg von vollmundigen „Eheversprechen” vor Wahlen. Daß die Linke in den hessischen Landtag eventuell einziehen würde und damit die Mehrheitsverhältnisse denen im deutschen Bundestag gleichen, war bereits vor dem Urnengang alles abdeee als ausgeschlossen und war Thema. Andernfalls hätte Frau Ypsilanti kein Versprechen gegen eine Zusammenarbeit abgeben müssen. Genau aus diesem Grunde ist das lange Zögern der Frau Metzger nicht nachvollziehbar.
Anregungen aus dem Ausland
Angesichts des Zwanges zur Großen Koalition, schlösse man alle bislang diskutierten Modelle aus, könnte an einen Übergang zur Konkordanzdemokratie gedacht werden. In der Schweiz etwa wird für Ausgleich durch die Zauberformel seit den 50er Jahren gesorgt. Auch in Österreich haben über lange Zeiten Koalitionen aus den beiden großen Parteien regiert, so wie auch derzeit. In Deutschland kommt es meist über den Bundesrat zu einer faktischen Zusammenarbeit aller politischen Kräfte, da der Wähler auf Landesebene gerne für jene Partei stimmt, die im Bund in Opposition ist. Ohne sich dessen bewußt zu sein, kommt es so mehr oder weniger zu Konkordanz. Ob eine förmliche Einführung bei Wählern und Politikern Akzeptanz hätte, bleib aber bezweifelt werden.
Doch das Ausland kennt auch andere Beispiele. Dem folgend müßte eine Einbeziehung der Linken nicht immer gleich Koalition bedeuten. Was in anderen Demokratien völlig normal ist, wird einstweilen von der Presse geradezu als Staatskrise dargestellt. Warum darf eine Minderheitsregierung nicht mit wechselnden Mehrheiten regieren? Letztlich geht es bei Abstimmungen im Parlament immer um eine Mehrheit. Und welche auch immer das sein sollte, es handelt sich um eine Mehrheit der vom Volk gewählten Abgeordneten. Dagegen ist aus demokratischer Sicht nichts einzuwenden. Angesichts gegebener Mehrheitsverhältnisse sollte eine tolerierende Parteien auch nicht gleich die „beleidigte Leberwurst” markieren, wenn die Minderheitsregierung einmal etwas mit ihnen gemeinsam beschließt und anschließend etwas mit anderen Partnern durchsetzt, was mit ersterer nicht zu vereinbaren wäre. Schließlich geht es nicht darum, daß die Braut mit dem besten Freund des Bräutigams heimlich ausgeht!
Samstag, 15. März 2008
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2 Kommentare:
Der baden-württembergische Ministerpräsident heisst Günther Öttinger, nicht Jürgen.
Ich hätte eine mathematische Lösung für das Problem. Die Schwierigkeiten entstehen doch erst dann, wenn es eine ungerade Anzahl von Parteien in einem Parlament vorhanden ist. Machen wir doch wieder eine gerade Zahl daraus. Wie? CSU soll in allen Bundesländern antretten und CDU auch in Bayern, also Parteientrennung. CDU kann dann weiter nach links rücken, also die Mitte-Wähler bei der SPD abgraben und die CSU den rechten Block verwalten. Damit ist eine konservativ-liberale Mehrheit in Deutschland recht sicher.
Das mit dem Vornamen stimmt, sorry, schon verbessert. Aber beim Nachnamen liegt Kloty falsch, Oettinger schreibt sich nicht nur auf dieser Tastatur ohne Umlaut, sondern auch im wirklichen Leben.
Punkt zwei mit der Mathematik ??? Probleme gibt es bei einer geraden Zahl von Mandaten im Parlament! Und warum sollten wir in einer Demokratie Parteien vorschreiben, wo sie zu kandidieren haben.
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