Wer einfach mal einen flüchtigen Blick auf die wichtigsten Parteien in Lettland wirft, wird Verständnisprobleme haben. Parteinamen ohne politische Aussage wie Lettlands Weg, Neue Partei, Lettlands Erste Partei oder neue Zeit sind gekommen und gegangen.
Harmoniezentrum (Saskaņas Centrs) klingt eher nach einem Wellness-Hotel, ist aber auch eine politische Partei, zumal eine der wichtigsten, wenn auch als „russische“ beständig in der Opposition und erst seit letzten Frühjahr die tragende Kraft der Rathauskoalition in der Hauptstadt Riga. Für Kenner: Selbstverständlich ist Ainārs Šlesers als graue Eminenz in einer anderen Partei, nämlich der ersten, die aber nirgends die erste ist. Zuminest darf das Harmoniezentrum für sich in Anspruch nehemen, den Harmoniebegriff der Idee einer Versönung zwischen den Letten und dem russischsprachigen Bevölkerungsteil entlehnt zu haben.
Jetzt gibt es mit Einigkeit (Veinotība) noch eine schön klingende politische Kraft, die eigentlich gar keine neue ist. So sieht das auch die Leiterin des Rechnungshofes, Inguna Sudraba. Die wegen ihrer Anklage von Korruptionsfällen in der Bevölkerung angesehene, eloquente Dame hatte jüngst ihre Bereitschaft geäußert, das Amt des Regierungschefs zu übernehmen; dies aber nur in dem Fall, daß sie dies an der Spitze einer neuen politischen Kraft tun könne. Die Einigkeit ist jedoch letztlich die Vereinigung dreier bestehender politischer Parteien zuzüglich eines undurchsichtigen poltitisch-unpolitischen Konglomerats von Persönlichkeiten um die frühere Chefredakteurin der größten Tageszeitung des Landes diena, Sarmīte Ēlerte.
Neu zu sein, kann diese werdende Partei wirklich nicht für sich beanspruchen. Mit der von Einars Repše 2002 gegründeten anti-Korruptionspartei Neue Zeit vereinigt sich da die Bürgerliche Union, die sich erst während dieser Legislaturperiode von selbiger unter Führung von Sandra Kalniete abgespalten hatte. Dazu gesellt sich die Gesellschaft für eine neue Politik (Sabiedrība Citai Politikai), auch so ein wohlgefallender Name, von Artis Pabriks und Aigars Štokenbergs. Diese auch anfangs „nicht-Partei“ hatte sich von der Volkspartei erst nach den sogenannten „fetten Jahren“, als unter den Regierungen Kalvītis nichts gegen die Überhitzung der Wirtschaft unternommen wurde, also der jüngste tiefe ökonomische Fall vorbereitet wurde, abgespalten, als die genannten Politiker de facto rausgeworfen wurden.
Und auch Ēlerte ist kein politisch unbeschriebenes Blatt. Als Leiterin eines der wichtigsten Blätter Lettlands, welches einst als Organ der Volksfrontregierung gegründet und später privatisiert wurde, war immer eine Zeitung der Macht. Mit ihrer Unterstützung von Šķēle und dessen politischer Vision, das Land wie ein Unternehmen zu führen, wovon sie sich später wieder abwandte, hat sie sich nicht als inhaltlich den eigegen Werten treu erwiesen.
Hauptproblem für die Wähler aber ist, da viele national eingestellte Letten das Harmoniezentrum als Tod Lettlands betrachten, daß es kaum eine Alternative gibt. Auch der Soziologe Arnis Kaktiņš sagt, die Hoffnung der Einigkeit darauf, vom Volk als kleiner Übel angesehen zu werden, sind begründet und groß.
In der Presse allerdings werden bereits erhebliche Zweifel aufgeworfen, ob nach der Wahl die Einigkeit in Einigkeit bestehen bleiben wird. Ein Zerbrechen wäre vor dem Hintergrund der Parteienentwicklung der letzten 20 Jahre keine Überraschung. Parteien entstehen entlang politischer Konfliklinien. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit war dies quasi ein Viereck aus moderater oder auch deutlicher Unterstützung sowie Gegnern des bisherigen Regimes. Die Perpetuierung politischer Kräfte vorwiegend entlang persönlicher Animositäten, besonders auch rund um die Oligarchen des Landes, hat von diesem Wurzeln nichts übrig gelassen.
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