Mittwoch, 6. Oktober 2010

Die Grenzen der repräsentativen Demokratie

Über Politikverdrossenheit wird nicht erst seit gestern gesprochen. Dabei erheben viele Bürger regelmäßig Einspruch, sie sehen sich nicht als politk-, sondern als parteienverdrossen oder auch politikerverdrossen. Die politische Elite sei abgehoben und höre nicht auf das Volk und verstehe es auch oft nicht.


Wenn es dann in einem Land, das Rechtsstaat und repräsentativen Demokratie ist, zu Protesten des Ausmaßes von Stuttgart kommt, dann ist innehalten angesagt. Was ist jetzt plötzlich los? Wie konnte es dazu kommen?


Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat Recht, wenn er auf das rechtsstaatliche Verfahren hinweist, in dem über Jahre hinweg Stuttgart 21 beschlossen wurde und hinzufügt, es habe vorher nie Proteste dieses Ausmaßes gegeben. Von der Logik aus betrachtet ist es verständlich, daß die Politik im Ländle die Beschlüsse schließlich auch mit Polizeigewalt umsetzt. Auch das ist alles im Rahmen des Rechtsstaates.


Doch an dieser Stelle argumentieren andere, man könnte nicht mit solcher Aggressivität gegen friedliche Demonstranten vorgehen. Hier sei zunächst einmal dahingestellt, ob einzelne Teilnehmer der Demonstration das Pfefferspray vor der Polizei eingesetzt haben. Fest steht vielmehr, daß die Politik auf dem vorgesehenen Weg über Jahre hin eine Entscheidung vorangetrieben hat, die viele Menschen aus den verschiedensten Bevölkerungskreise für falsch halten.


Aber warum wachen sie erst jetzt auf? Nicht jeder Bürger verfolgt den administrativen Prozeß im Detail, was wann entschieden wird. Es ist verständlich, daß der Durchschnittsmensch ein Projekt erst dann so richtig zur Kenntnis nimmt, wenn die Entscheidung realisiert wird. Dagegen wäre viele, hätten sie die Pläne im Detail gekannt, vielleicht früher schon gewesen.


Ließe sich von Seiten der Politik nicht eine Parallele zur Jugendkriminalität ziehen? Der Vergleich scheint weit hergeholt, doch auch hier wird immer diskutiert, daß zur Disziplinierung jugendlicher Delinquenten die Strafe möglichst zügig auf die Tat folgen müßte. Folglich muß sich die Politik den Vorwurf gefallen lassen, daß sie das Projekt über Jahre hinweg vielleicht auch nicht deutlich genug kommuniziert hat.


Freilich, im konkreten Fall kommt erschwerend hinzu, daß es keinen Kompromiß zwischen Befürwortern und Gegnern geben kann, der Bahnhof kann ja nur entweder gebaut oder nicht gebaut werden. Aber gerade deshalb bleibt das Beispiel ein Lehrstück dafür, daß die Kommunikation zwischen Bevölkerung und Politik zu wünschen übrig läßt. Und auch wenn Deutschland ein politisches System hätte wie die Schweiz, in der regelmäßig über alle möglichen Frage direkt abgestimmt wird, würde die Lösung auf diesem Wege auch wieder voraussetzen, daß wenigstens einige Aktivisten sich ständig auf dem laufenden halten, um dann als Multiplikatoren die Bevölkerung zur Beteiligung zu motivieren.

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