Freitag, 11. März 2011

Eesti muutub Saksamaaks

Estland wird zu Deutschland, das war ein Witz, den ich vor über zehn Jahren mit einem estnischen Freund regelmäßig bemüht habe, wenn wir gemeinsam in Riga unterwegs waren und die Veränderungen Estlands und Lettlands miteinander verglichen.

Daß in Estland alles besser sei, haben die Letten schon oft gehört, und die Deutschen lesen regelmäßig in der Presse von diesem erfolgreichsten der drei baltischen Länder: Wählen im Internet und so, alles ganz fortschrittlich. Das prägt das Bild eines Landes in Stabilität und Zufriedenheit. Gewiß, die Finanzkrise hat dem Image ein paar Kratzer verpaßt, aber immerhin konnte sich Estland sogar beim Rettungsschirm für Lettland beteiligen.

Nun hat Estland ein neues Parlament gewählt und das Ergebnis ist wirklich bemerkenswert vor dem Hintergrund, daß Estland trotz aller Anstrengungen einiger Kreise, von eben diesem Faktum ablenken, ein Transformationsland ist, in welchem vor 20 Jahren der Übergang von Diktatur zur Demokratie und von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft stattfand.

Typisch für die politischen Landschaften dieser Staaten war über zwei Jahrzehnte deren politische Unübersichtlichkeit. Da die künstlich nivellierten Gesellschaften einfach keine Ahnung hatten, was konservativ, liberal oder sozialdemokratisch ist und es die entsprechenden Milieus zur Bildung solcher Parteien auch gar nicht gab, orientierte sich das Volk mehr an Personen als Parteien, die sich zur Vermeidung dieses negativ belasteten Begriffes prosaische bis populistische Namen gaben oder einfach einen Spruch irgendwo ausliehen – Neue Zeit, Recht und Gerechtigkeit oder Für Vaterland und Freiheit wären solche Beispiele. Gerne erinnert man sich nach der Spaltung auch an das große und das kleine Bier in Polen (das ist kein Scherz!). Das Volk, an pateranalistische Strukturen gewöhnt, gab oftmals nur zu gerne die Verantwortung nach oben ab, weshalb politische Parteien von Politologen der mangelnden Mitglieder wegen gerne ebenso prosaisch Telefonzellen- oder Taxiparteien nannten – in Anspielung auf mögliche Versammlungsräume.

Typisch war für die Parlamente des post-sozialistischen Raumes eine kaleidoskopische Entwicklung, Spaltungen, Vereinigungen, Parteiwechsel und so weiter, so daß dem Beobachter leicht schwindelig werden konnte. Oft schafften Regierungen keine Legislaturperiode lang, sich an der Macht zu halten, geschweige denn Wahlen zu gewinnen.

Und jetzt kommen die Esten. Im neuen Parlament sitzen nur noch vier Fraktionen. Die bislang als Minderheitsregierung amtierende Koalition wurde trotz aller Härten der Wirtschaftskrise satt bestätigt. Ministerpräsident Andrus Ansip ist nunmehr seit bald sechs Jahren im Amt und hat bereits zwei Wahlen überstanden. So etwas ist zwischen Estland und Bulgarien in den osteuropäischen Staaten nach dem Fall des eisernen Vorhanges überhaupt noch nie vorgekommen.
Die Reformpartei des Regierungschefs rechnet trotzdem mit Koalitionsverhandlungen, die sich etwa einen Monat hinziehen werden. Die Begründung für diese im Vergleich mit früheren Regierungen längere Zeit? 2007 habe niemand damit gerechnet, daß die Regierung die ganze Legislaturperiode durchhalten werde. Davon gehe man dieses Mal aber aus, weshalb die Verhandlungen aufmerksamer geführt werden müßten.

Aber welche Stolpersteine gibt es für zwei Partner, die es nach der Wahl zügig für logisch erklärt haben, die Zusammenarbeit fortsetzen zu wollen? Die konservative IRL (Union aus der Vaterlandsunion und der früheren Saubermannpartei Res Publica) hat etwas mehr zulegen können, als die Reformpartei, bleibt aber trotzdem der kleinere Partner. Vor vier Jahren wäre der frühere, zweimalige Ministerpräsident Maart Laar, der fließend deutsch spricht, gerne Außenminister geworden. Das war schwierig, weil der Reformpartei-Politiker Urmas Paet das Amt besetzte und sich dort als Nachwuchspolitiker Ansehen erworben hatte. Es ist anzunehmen, daß so wie Laar damals auf jegliches Ministeramt verzichtete auch dieses Mal die Regierungsbildung durch solche Ambitionen nicht verhindert wird.
Im vier Parteien umfassenden neuen Parlament gibt es auch irgendwie keine Alternative. Die Reformpartei könnte noch alternativ mit Savisaars Zentrumspartei koalieren, was aber aus inhaltlichen Gründen genauso wie eine Zusammenarbeit mit den erstarkten Sozialdemokraten unwahrscheinlich ist. Nach deren innerparteilichen Querelen im Herbst 2009 sind die 19 Sitze für den neuen Vorsitzenden Sven Mikser ein großer Erfolg, den sie wohl auch dem Zerfall der Volksunion zu verdanken haben. Diese Partei um frühere Kader der kommunistischen Partei war vor allem auf dem lande beliebt. Aber zusammen mit der Reformpartei käme dieses ungleiche Gespann auf 52 Mandate, nur eines mehr als die absolute Mehrheit – zu unsicher. Und dann könnten sich rein mathematisch noch drei Partner gegen die Reformpartei zusammenschließen, was aus inhaltlichen Gründen vielleicht sogar noch eher ginge als gegen die persönlichen Animositäten. Mit Edgar Savisaar wurde in den vergangenen 20 Jahren nur in zwei Ausnahmefällen koaliert.

Weil Savisaar das weiß, hat er jetzt für eine Regierungsbeteiligung seiner Partei angeboten, vom Amt des Parteivorsitzenden zurückzutreten. Das hatte er nach seinem Aufzeichnungsskandal 1995 schon einmal gemacht, um später fulminant zurückzukehren.

In Estland, so sieht es aus, bleibt die nächsten vier Jahre alles beim Alten. Offen ist wohl einzig die Frage, was aus der sich in der Opposition gerne sozialdemokratisch gebenden Zentrumspartei, die in der Vergangenheit vor allem russische Wähler ansprach und ins Parteiensystem ohne ethnische Partei integrierte, in Zukunft wird, wenn Savisaar einst schon aus Altersgründen nicht mehr da sein wird.

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