Der Anteil der nicht lettischen Bevölkerung in Lettland ist hoch. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg, also auch vor der erstmaligen Ausrufung der Unabhängigkeit waren die von Letten bewohnten Gebiete gemischt bevölkert. Neben der alten deutschbaltischen Oberschicht gab es Russen, Weißrussen und gerade im Osten des Landes, der einmal zur Rzeczpospolita[1] gehört hatte, auch Polen und Juden. Nachdem noch während der Zwischenkriegszeit die Mehrheit der Einwohner des neuen lettischen Staates Letten waren, so wurde in der Zeiten der Inkorporation in die Sowjetunion so viele Menschen aus anderen Republiken angesiedelt, daß die Letten beinahe zur Minderheit im eigenen Lande wurden. Nach dem Abzug der russischen Armee 1994 änderte sich das Bevölkerungsverhältnis so weit, daß ungefähr heute knapp zwei Drittel der Bevölkerung Letten sind.
Der große Anteil nicht lettischer Einwohner war der Grund dafür, daß die Letten sich wie die Esten nach der wiedererlangten Unabhängigkeit 1991 entschieden, nur jenen Menschen die Staatsbürgerschaft zu geben, die zum Zeitpunkt der Besetzung durch die Rote Armee 1940 Staatsbürger waren und deren Nachfahren. Zwar hatten bei dem noch vorher stattgefundenen Referendum über die Unabhängigkeit auch zahlreiche Russen für die Selbstständigkeit gestimmt, die Letten sahen es jedoch als problematisch an, Menschen über die Zukunft des Staates mitbestimmen zu lassen, die diesen Staat eigentlich nie wirklich wollten. Das sind zum einen jene, die den Zusammenbruch der Sowjetunion ablehnten, aber eben auch jene, die sich zwar wirtschaftliche Vorteile von einem unabhängigen Lettland versprachen, jedoch nicht darüber nachgedacht hatten, daß sie sich in einem Staat fremder Nation wiederfinden würden, der nach Jahrezehnten einer bloßen Duldung des Lettischen dieses nun zur Leitkultur erheben zu wollen.
Hierin ruht der Konflikt. Zur Sowjetzeit waren zwar beide Sprachen, Lettisch und Russisch, Amtssprachen. Im Alltagsleben war es jedoch zwar möglich, ohne Lettisch auszukommen hingegen keineswegs ohne Russisch, eine sehr zweischneidige Zweisprachigkeit also, die eben nun plötzlich ins Gegenteil verkehrt wurde.
Daß viele Russen diese Entwicklung als ungerecht empfanden rührte zum einen daher, die große russische Kultur als wichtiger zu empfinden inklusive des Statuses der Sprache als Lingua Franca. Aber es rührte eben auch daher, daß bis zu diesem Zeitpunkt nur weniger Russen darüber nachgedacht hatten, daß die Situation weniger Folge der lettischen als der sowjetischen Politik war. Natürlich waren sie aufgewachsen mit einer ganz anders lautenden Propaganda.
Über Jahre wurde eine vorwurfsvolle Haltung gegenüber Lettland aber auch Estland auch von westlichen, insbesondere deutschen Medien unterstützt, die nicht müde wurden, von der Diskriminierung der Russen zu sprechen.[2] Ohne dies an dieser Stelle bewerten zu wollen steht sicher fest, daß über Jahre hinweg beide Beobachtungen zutreffend waren: daß es zwei parallele Gesellschaften gab, eine lettische und eine russische, aber daß es auch keine manifesten Probleme oder Konfrontationen gab. Gerade das offizielle Lettland hat sicher auch darauf gehofft, daß sich diese Frage demographisch löst, dies sowohl die Haltung zu Lettland als auch die Staatsbürgerschaft betreffend.
Dabei wurde ein wichtiger Aspekt vernachlässigt, daß die Russen in einem anderen Informationsraum leben und vorwiegend nicht nur Medien auf Russisch konsumieren, sondern eben auch aus Rußland. Dies hat seine Wirkung bereits seit dem Machtantritt Putins. Doch seit dem jüngsten militärischen Konflikt im Kaukasus wirkt der Umstand verstärkt.
Das lettische Radio hat jüngst mit dem lettischen Politologen Viktors Makarovs und der lettisch-russischen Intellektuellen Marina Kosteņecka gesprochen. Makarovs weist darauf hin, daß noch Anfang August anläßlich des Referendums über die Parlamentsauflösung etwa in der liberalen Tageszeitung Diena positiv diskutiert wurde, daß sich auch die Russen nun beteiligten und den von Politikern geäußerten Behauptungen, daß nach einem positiven Resultat die Russen einmarschieren würden und die ansässigen Russen als Feinde und fünfte Kolonne gesehen wurden.
Die Journalisten des Radios erklärten, es sei schwierig gewesen, russische Mitbürger vor das Mikrophon zu bekommen. Eine junge Frau schließlich verglich die Rolle der Osseten mit denen der Russen in Lettland, die eben auch eine Minderheit seien. In einem Staat mit zwei Volksgruppen sei es ein Problem, wenn die Letten schon die Russen im eigenen Land nicht überzeugen könnten, wie könne sich dann erst das Gespräch mit Rußland gestalten. Man müsse zu einem Kompromiß über die historischen Ansichten kommen. Nie in der Geschichte seien die einen nur die guten und die anderen die schlechten gewesen.
Schon allein in dieser Meinungsäußerung wird deutlich, daß die junge Frau inzwischen über historische Fakten informiert ist, die zu sowjetischen Zeiten geleugnet wurden und auch von Rußland heute noch werden. Was vielen Russen fehlt, ist ein Zugang zur eigenen Historie, wie er etwa in Deutschland gepflegt wird. Ohne daß sich ein junger Deutscher selbst schuldig an den Verbrechen der Nationalsozialisten fühlen müßte, sind sich die Menschen der historischen Schuld bewußt. Und so feiern gerade die jungen Russen zunehmend den 9. Mai, also das Kriegsende. Makarov fügt hinzu, es sei eben schwierig, sich psychologisch mit Lettland zu identifizieren angesichts der Erfordernis einer Geschichts- und Sprachprüfung für die Einbürgerung und eines Bildungsgesetzes, welches seit wenigen Jahren den Unterricht auf Lettisch auch in einigen anderen Fächern vorsieht.
Marina Kosteņecka pflichtet dem bei und weist darauf hin, daß nunmehr seit 17 Jahren die Russen in Lettland hörten, sie seien Okkupanten, auch wenn sie im Lande geboren wurden. Aus diesem Grunde suchten sie nach ihren Wurzeln. In dem Moment, wo Rußland die Zeit der Erniedrigung hinter sich gelassen habe und bei den Osseten als Schutzmacht auftrete, fühle man sich dieser Kultur eher zugehörig.
Dabei sei es heute gar nicht erforderlich geopolitisch oder militärisch zu denken. Der ökonomisch Einfluß genüge. Jūrmala gehöre bereits den Russen, die Verkäufer seien Letten. Frau Kosteņecka, die in Riga geboren wurde, sagt, wäre sie an der Macht, würde sie sofort die antirussische Propaganda unterbinden und viel mehr auf jene Russen in Lettland hinweisen, die im Lande etwas produzierten, ihre Steuern bezahlten. Andernfalls werde die Spaltung der Gesellschaft tiefer. Die Regierung müsse nun Brücken bauen, aber sie befürchte, das es bereits zu spät sei.
Makarovs unterstützt diese Meinung und erklärt, die Regierung sollte nicht die Sympathien für Rußland bekämpfen, sondern statt dessen die negativen Einstellungen gegenüber Lettland. Immerhin habe es auch während der jüngsten Krise genügend Russen in Lettland gegeben, die nicht mit der russischen Flagge durch die Straßen gelaufen sind.
Fakt ist gleichzeitig, daß der Wunsch nach Einbürgerung sinkt, so berichtet auch das lettische Radio. Hinzugefügt werden müßte wohl, daß es sich auch ohne Staatsbürgerschaft in Lettland leben läßt – wie der Autor dieser Zeilen – mit der einzigen Konsequenz, daß die Teilnahme an Wahlen nicht möglich ist. Mit dem lettischen Paß wiederum sind Reisen nach Rußland schwieriger als mit einem russischen.
[1] Das war die Union aus Polen und Litauen.
[2] Darüber gibt es einen ausführlichen weiteren Beitrag.
Der große Anteil nicht lettischer Einwohner war der Grund dafür, daß die Letten sich wie die Esten nach der wiedererlangten Unabhängigkeit 1991 entschieden, nur jenen Menschen die Staatsbürgerschaft zu geben, die zum Zeitpunkt der Besetzung durch die Rote Armee 1940 Staatsbürger waren und deren Nachfahren. Zwar hatten bei dem noch vorher stattgefundenen Referendum über die Unabhängigkeit auch zahlreiche Russen für die Selbstständigkeit gestimmt, die Letten sahen es jedoch als problematisch an, Menschen über die Zukunft des Staates mitbestimmen zu lassen, die diesen Staat eigentlich nie wirklich wollten. Das sind zum einen jene, die den Zusammenbruch der Sowjetunion ablehnten, aber eben auch jene, die sich zwar wirtschaftliche Vorteile von einem unabhängigen Lettland versprachen, jedoch nicht darüber nachgedacht hatten, daß sie sich in einem Staat fremder Nation wiederfinden würden, der nach Jahrezehnten einer bloßen Duldung des Lettischen dieses nun zur Leitkultur erheben zu wollen.
Hierin ruht der Konflikt. Zur Sowjetzeit waren zwar beide Sprachen, Lettisch und Russisch, Amtssprachen. Im Alltagsleben war es jedoch zwar möglich, ohne Lettisch auszukommen hingegen keineswegs ohne Russisch, eine sehr zweischneidige Zweisprachigkeit also, die eben nun plötzlich ins Gegenteil verkehrt wurde.
Daß viele Russen diese Entwicklung als ungerecht empfanden rührte zum einen daher, die große russische Kultur als wichtiger zu empfinden inklusive des Statuses der Sprache als Lingua Franca. Aber es rührte eben auch daher, daß bis zu diesem Zeitpunkt nur weniger Russen darüber nachgedacht hatten, daß die Situation weniger Folge der lettischen als der sowjetischen Politik war. Natürlich waren sie aufgewachsen mit einer ganz anders lautenden Propaganda.
Über Jahre wurde eine vorwurfsvolle Haltung gegenüber Lettland aber auch Estland auch von westlichen, insbesondere deutschen Medien unterstützt, die nicht müde wurden, von der Diskriminierung der Russen zu sprechen.[2] Ohne dies an dieser Stelle bewerten zu wollen steht sicher fest, daß über Jahre hinweg beide Beobachtungen zutreffend waren: daß es zwei parallele Gesellschaften gab, eine lettische und eine russische, aber daß es auch keine manifesten Probleme oder Konfrontationen gab. Gerade das offizielle Lettland hat sicher auch darauf gehofft, daß sich diese Frage demographisch löst, dies sowohl die Haltung zu Lettland als auch die Staatsbürgerschaft betreffend.
Dabei wurde ein wichtiger Aspekt vernachlässigt, daß die Russen in einem anderen Informationsraum leben und vorwiegend nicht nur Medien auf Russisch konsumieren, sondern eben auch aus Rußland. Dies hat seine Wirkung bereits seit dem Machtantritt Putins. Doch seit dem jüngsten militärischen Konflikt im Kaukasus wirkt der Umstand verstärkt.
Das lettische Radio hat jüngst mit dem lettischen Politologen Viktors Makarovs und der lettisch-russischen Intellektuellen Marina Kosteņecka gesprochen. Makarovs weist darauf hin, daß noch Anfang August anläßlich des Referendums über die Parlamentsauflösung etwa in der liberalen Tageszeitung Diena positiv diskutiert wurde, daß sich auch die Russen nun beteiligten und den von Politikern geäußerten Behauptungen, daß nach einem positiven Resultat die Russen einmarschieren würden und die ansässigen Russen als Feinde und fünfte Kolonne gesehen wurden.
Die Journalisten des Radios erklärten, es sei schwierig gewesen, russische Mitbürger vor das Mikrophon zu bekommen. Eine junge Frau schließlich verglich die Rolle der Osseten mit denen der Russen in Lettland, die eben auch eine Minderheit seien. In einem Staat mit zwei Volksgruppen sei es ein Problem, wenn die Letten schon die Russen im eigenen Land nicht überzeugen könnten, wie könne sich dann erst das Gespräch mit Rußland gestalten. Man müsse zu einem Kompromiß über die historischen Ansichten kommen. Nie in der Geschichte seien die einen nur die guten und die anderen die schlechten gewesen.
Schon allein in dieser Meinungsäußerung wird deutlich, daß die junge Frau inzwischen über historische Fakten informiert ist, die zu sowjetischen Zeiten geleugnet wurden und auch von Rußland heute noch werden. Was vielen Russen fehlt, ist ein Zugang zur eigenen Historie, wie er etwa in Deutschland gepflegt wird. Ohne daß sich ein junger Deutscher selbst schuldig an den Verbrechen der Nationalsozialisten fühlen müßte, sind sich die Menschen der historischen Schuld bewußt. Und so feiern gerade die jungen Russen zunehmend den 9. Mai, also das Kriegsende. Makarov fügt hinzu, es sei eben schwierig, sich psychologisch mit Lettland zu identifizieren angesichts der Erfordernis einer Geschichts- und Sprachprüfung für die Einbürgerung und eines Bildungsgesetzes, welches seit wenigen Jahren den Unterricht auf Lettisch auch in einigen anderen Fächern vorsieht.
Marina Kosteņecka pflichtet dem bei und weist darauf hin, daß nunmehr seit 17 Jahren die Russen in Lettland hörten, sie seien Okkupanten, auch wenn sie im Lande geboren wurden. Aus diesem Grunde suchten sie nach ihren Wurzeln. In dem Moment, wo Rußland die Zeit der Erniedrigung hinter sich gelassen habe und bei den Osseten als Schutzmacht auftrete, fühle man sich dieser Kultur eher zugehörig.
Dabei sei es heute gar nicht erforderlich geopolitisch oder militärisch zu denken. Der ökonomisch Einfluß genüge. Jūrmala gehöre bereits den Russen, die Verkäufer seien Letten. Frau Kosteņecka, die in Riga geboren wurde, sagt, wäre sie an der Macht, würde sie sofort die antirussische Propaganda unterbinden und viel mehr auf jene Russen in Lettland hinweisen, die im Lande etwas produzierten, ihre Steuern bezahlten. Andernfalls werde die Spaltung der Gesellschaft tiefer. Die Regierung müsse nun Brücken bauen, aber sie befürchte, das es bereits zu spät sei.
Makarovs unterstützt diese Meinung und erklärt, die Regierung sollte nicht die Sympathien für Rußland bekämpfen, sondern statt dessen die negativen Einstellungen gegenüber Lettland. Immerhin habe es auch während der jüngsten Krise genügend Russen in Lettland gegeben, die nicht mit der russischen Flagge durch die Straßen gelaufen sind.
Fakt ist gleichzeitig, daß der Wunsch nach Einbürgerung sinkt, so berichtet auch das lettische Radio. Hinzugefügt werden müßte wohl, daß es sich auch ohne Staatsbürgerschaft in Lettland leben läßt – wie der Autor dieser Zeilen – mit der einzigen Konsequenz, daß die Teilnahme an Wahlen nicht möglich ist. Mit dem lettischen Paß wiederum sind Reisen nach Rußland schwieriger als mit einem russischen.
[1] Das war die Union aus Polen und Litauen.
[2] Darüber gibt es einen ausführlichen weiteren Beitrag.
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