Dienstag, 1. März 2011

„Orte“ und Personen im virtuellen Raum

Es ist an der Zeit, einen Post in eigener Sache zu schreiben. Der Anlaß ist die Kommentarspalte eines meiner Beiträge zu estnischen Politik im Estland-Blog, deren Einträge sich auf 32 summierten, ehe die „Moderation“ sich genötigt sah, dem ein Ende zu setzen. Das ist aber nicht der Grund. Der Grund ist vielmehr die Kommunikationsform im Internet und die eigenen Erfahrungen damit – den vorhandenen Möglichkeiten gegenüber gestellt.

Kommunikation ist immer ein Vorgang zwischen Kommunikator und Rezipient, wobei bei weitem nicht klargestellt ist, daß sich beide verstehen. Im persönlichen, mündlichen Kontakt geben Tonlage, Mimik und Gestik dem Rezipienten eine Möglichkeit der zusätzlichen Interpretation. Im Schriftverkehr ist dies nicht möglich. Und die Kommentierung im Internet ist ähnlich flüchtig, da oft in Eile verfaßt, wie E-Mails. Solange der Empfänger den Sender noch kennt, kennt er gegebenenfalls auch dessen Duktus. Bei Unbekannten ist dies anders. Und im Netz kann der Unbekannte noch unbekannter sein, wenn er sich hinter Nicknames versteckt.

Im Estland-Blog konnte im erwähnten Fall für Außenstehende zunächst der Eindruck entstehen, die Moderation habe zwei Streithähnen das Wort entzogen. Das stimmt natürlich nur insofern, als der Autor als Kommentator seines Posts jederzeit die Möglichkeit hat, einen neuen Text zu posten. Daß steht dem in diesem Fall anonymen Kommentator nicht offen. Er könnte, so wie dies der Autor des besagten Posts hier tut, in einem anderen Blog schreiben, wo er selbst die Moderationsfunktion innehat.

Der Grund für das moderatorenseitige Schließen der Diskussion lag in der Abschweifung vom Thema, die der Autor des Posts in seinem Kommentaren selbst angesprochen hatte. Ein zweiter Grund ist sicherlich die Frage, welchen potentiellen Leser der Disput interessiert? Zumindest gibt es keine weiteren Kommentatoren, die sich an dieser Diskussion beteiligt hätten. Das kann natürlich auch daran liegen, daß der Autor des ursprünglichen Beitrags auch bei anderen Kommentatoren kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn ihm an deren Äußerungen etwas zu kritisieren notwendig erscheint. Und wer läßt sich schon gerne deutlich kritisieren?

In jedem Fall läßt man sich als Autor natürlich nicht gerne das Wort abschneiden – verbieten möchte ich an dieser Stelle nicht sagen.

Ein Autor eines im Internet veröffentlichten Textes muß sich eigentlich immer den anonymen, und deshalb auch regelmäßig unflätigen Kommentaren stellen. Damit hat der Autor umfangreiche Erfahrung. Als Verfasser von Beiträgen auch in und über Lettland in lettischer Sprache diffamieren Leser ihn regelmäßig als schlechten Kenner der Lage, ja sprechen ihm das Recht ab, innerlettische Fragen überhaupt zu diskutieren. Ein einheimischer Kollege wiederum erlebte den Vorwurf, als er etwas über Australien schrieb, warum er denn über den fernen Kontinent schreibe und nicht über Lettland. Dies ist gewiß einem verbreiteten Provinzionalismus geschuldet, der beispielsweise anläßlich des Besuchs eines Marokkaners in einer Politikvorlesung mit Diskussion über den Umbruch in den arabischen Ländern dazu führte, daß unter den Studenten schnell nach dem Sinn von Revolutionen gefragt wurde – in Rußland ginge es jetzt schlechter als vorher – und so die Diskussion von Ägypten innerhalb von zehn Minuten beim Konflikt zwischen Russen und Letten in Lettland angekommen war.

Deshalb stellt sich immer wieder die Frage, wozu ein Autor, zumal in einem völlig unbezahlten Blog, diesen Streß auf sich nimmt. Manchmal sind Kommentare ja auch unter der Gürtellinie. So wurde dem Autor in den Kommentar eines mit einem männliche Koautor verfaßten Textes die Frage geschrieben, ob es sich bei den Autoren um ein homosexuelles Paar handele.

Trotzdem gibt es viele Gründe für eine publizistische Tätigkeit, begonnen bei der Ordnung der eigenen Gedanken, wobei ja gerade Kommentare helfen können, bis hin zu dem Wunsch, entweder damit Geld zu verdienen oder auch einfach eine interessierte Öffentlichkeit mit Informationen zu versorgen, die in diesem Umfang oder Form anderswo nicht angeboten werden. Und daß die deutsche Presse lange nicht so viel über die baltischen Staaten schreibt, wie es die Blogs können, steht außer Frage.

Auf die Blog-Nutzer geschaut stellt sich die Frage der Reichweite, wie viele (regelmäßige) Leser gibt es überhaupt und welches Vertrauen bringen diese den Autoren entgegen, ein Blog ist schließlich nicht die taz, FAZ, Zeit oder Süddeutsche – wobei diese von Blog-Kommentatoren gerne als Mainstream-Medien der Unglaubwürdigkeit bezichtigt werden. An dieser Stelle hilft natürlich ein mehr oder weniger moderierter Blog mit mehreren Autoren gegenüber einem individuellen, in dem der einzelne Autor nicht der Kontrolle „seiner Kommune“ unterliegt. Doch auch dann handelt es sich bei keinem der beteiligten Autoren zwangsläufig um Personen mit journalistischer Erfahrung, die einen journalistischen Anspruch erheben (würden).

Ein Vorteil des Blogs ist, er ermöglicht zumindest die Anonymität seiner Autoren. Der eine mag dies für sich aus verschiedenen Gründen praktizieren, für den anderen ist es ein Hindernis, die selbst verfolgten Ziele zu erreichen, was mitunter nur möglich ist, wenn er identifizierbar und vor allem auch erreichbar ist.

Und hier beginnt das Problem. Das Kommentieren von Posts ist keine Einbahnstraßen-Kommunikation, der Autor kann auf Kommentare kommentierend reagieren, aber eben nur eingeschränkt durch die Moderation oder auch durch Selbstzensur – denn wieviel Sinn macht es, auf unflätige oder unsinnige Kommentare zu reagieren? Machte es hingegen mehr Sinn, diese einfach zu löschen oder gar nicht erst zuzulassen?

Im konkreten Fall des mit 32 Einträgen kommentierten Textes über die bevorstehenden Parlamentswahlen in Estland hätte der Autor die von einem konkreten, anonymen Kommentator vorgebrachten und mit Estland nur noch in bedingtem Zusammenhang stehenden Thesen gerne separat diskutiert. Warum auch sollte dies in einer Kommentarspalte geschehen, wo dies vielleicht keinen anderen Leser interessiert? Ganz abgesehen davon handelte es sich um einen schon eher wissenschaftlichen Disput, dessen Inhalt tatsächlich mit dem Post selber, der eigentlich nur eine Nachricht war, nur noch sehr wenig im Zusammenhang stand. Doch während der Autor identifizierbar ist und der Kommentator dementsprechend seine Ideen hätte diesem persönlich mailen können, blieb der Kommentator hinter seinem Nickname versteckt und gab dem Autoren keine Möglichkeit, den Disput privat fortzusetzen – überdies in dieser Kombination nicht das erste Mal.

Der konkrete Kommentator ist eigentlich immer mit den Posts des konkreten Autors im Estland-Blog unzufrieden, soweit es um Politik geht. Und um Politik geht es eigentlich angesichts der Profession des Autors immer. Der Kommentator übersieht dabei, daß, so der Blog nicht in privater Tagebuchform geführt wird, es verschiedene journalistische Formate gibt: Nachrichten, Reportagen, Kommentare, Glossen usw. Der Autor hält sich vorwiegend an ersteres, denn das Ziel ist es, der interessierten Öffentlichkeit mitzuteilen, was in und um Estland geschieht, nicht dieses aus seiner eigenen politischen Überzeugung zu bewerten, geschweige denn wissenschaftlich zu bearbeiten. Doch der Kommentator negiert bei jedem Post die Vertrauenswürdigkeit der Quelle und wirft dem Autor vor unkritisch zu sein. Zwischen den Zeilen läßt sich dabei eine Verurteilung allen, was in Estland politisch geschieht, herauslesen. Er erwartet also vom Autor die Kritik der estnischen Zeitläufte. Dies ist aber nie das Ziel der Texte, zumal es verständlich ist, daß für die meisten Posts keine eigene journalistische Recherche vorgenommen wird, sondern eher wiedergegeben wird, was die estnischen Medien im Chor berichten.

Selbst behauptet der Kommentator von sich, Doktorand der Politikwissenschaften zu sein und von diversen Organisationen finanziell gefördert zu werden. Das wird wohl, selbst wenn er es unter einem Pseudonym schreibt, so stimmen. Nicht sicher hingegen ist, ob seine wissenschaftlichen Arbeiten erstens denselben Duktus haben, wie seine Kommentare im Estland-Blog, und zweitens er auch an der Universität so einseitig diskutiert wie hier. Sei es nun die Euro-Einführung in Estland oder die nach Meinung des Kommentators völlig deplazierte neo-liberale Politik des Landes, es werden von ihm zahlreiche auch im Internet zugängliche Quellen renommierter Autoren genannt, die seine Meinung untermauern. Geflissentlich und ziemlich unwissenschaftlich geht er jedoch nicht darauf ein, daß in den Wissenschaften Thesen üblicherweise diskutiert werden, es also meistens auch eine Anti-These gibt. Die Diskussion um den Euro hat dies jüngst mehr als deutlich gezeigt. Vielleicht liegt es auch daran, daß der Kommentator auf die von ihm zitierten Autoren und Thesen entkräftende Argumente immer nur mit neuerlichen Zitaten weiterer Autoren antwortet. Im Grunde also kommt ein wissenschaftlicher Disput in der Kommentarspalte des Estland-Blogs gar nicht zustande, weil sich der Kommentator dem verweigert.

Diskussion ist jedoch in einer Demokratie wichtig. Und vielleicht ist die fehlende Bereitschaft das Kommentators zum Disput im Estland-Blog symptomatisch, er äußert nämlich auch in seinen Inhalten ein Demokratieverständnis, das stellenweise mehr als merkwürdig ist. Aber eine Wiederholung der bereits im Netz stehenden Diskussionen über Wahlergebnisse, deren Repräsentativität angesichts des Boykotts einer schweigenden Mehrheit und der generelle Zweifel an der Demoskopie ist an dieser Stelle überflüssig.

Es ist dabei eine Fußnote, daß der Kommentator auch sachlich schlecht informiert ist, er müßte sonst wissen, daß das Sozialversicherungssystem Estlands entschieden weniger neo-liberal ist als das des südlichen Nachbarn Lettland.

Nur so viel steht fest, der Kommentator ist ein Serientäter. Den Nickname einfach mal googelnd findet man noch andere Stellen im Netz, wo der Kommentator Texte anderer Autoren kommentiert hat. Und um ihn im mit Google verheirateten Blogspot besser zu finden, sei mit „moevenort“ der Nickname auch in diesem Text wenigstens einmal erwähnt. Der Estland-Blog darf sich der Achtung des erwähnten Kommentators erfreuen, denn hier unterscheidet sich sein Duktus doch positiv.

P.S.: moevenort, mir als promoviertem und deutschsprachigem Politiolgen könnten Sie doch vielleicht im Gegensatz zu "antyx" Ihr Publikationsverzeichnis schicken. Das werde ich in keiner Datenbank wohl unter einem Ort finden, an dem sich Möven aufhalten, ohne damit etwas (Böses) über diese Vögel sagen zu wollen.
http://blog.antyx.net/2011/02/estonian-parliamentary-elections-are.html

1 Kommentar:

moevenort hat gesagt…

Lieber Herr Reetz,

ich hab einige kleine Empfehlungen für Sie.

"Zu guter Letzt: Was Sie sofort tun können: Zehn Empfehlungen
Unter anderem:

Selber denken.

Trauen Sie endlich Ihrem Gefühl, dass um Sie herum ein großes Illusionstheater stattfindet. Die Kulissen simulieren Stabilität, aber das Stück ist eine Farce: Immerfort treten dicke Männer auf und brüllen „Wachstum!“, Spekulanten spielen Länderdomino, und dauernd tänzeln Nummerngirls mit Katastrophenbildern über die Bühne. Das Publikum ist genervt und wütend, bleibt gleichwohl bis zum Ende der Vorstellung sitzen. Aber: Wann wird das wohl kommen?

Verlassen Sie besser die Vorstellung und beginnen Sie, ganz einfache Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Warum muss man immer mehr arbeiten, wenn man immer mehr arbeitet? Warum werden die Schulden größer, wenn immer mehr gespart wird? Warum schrumpft alles andere, wenn die Wirtschaft wächst?…
Beschließen Sie, ab sofort nicht mehr mitzumachen, falls Ihre Antworten Sie beunruhigen.

Fangen Sie damit an, aufzuhören. Hören Sie auf, Europapolitikern zu glauben. Hören Sie erst recht auf, Wirtschaftsforschungsinstituten zu glauben.

Und hören Sie um Gottes willen damit auf, sich widerspruchslos erzählen zu lassen, irgendeine Entscheidung sei alternativlos gewesen. So etwas gibt es in Demokratien nicht."


aus: http://www.nachdenkseiten.de/?p=8775#h22

einen freundlichen Gruß aus der Hauptstadt,

moevenort