Samstag, 17. November 2007

Die Versetzung des Bronzesoldaten in Tallinn

Über die baltischen Staaten wird in der Presse nicht viel geschrieben, und wenn, dann bleibt es ob fehlender Informationen oberflächlich, aber ist mitunter auch einseitig. Meine Antwort auf ein Beispiel:

Sehr geehrter Herr Heyden,
bereits die Überschrift Ihres Beitrages läßt vermuten, daß es eigentlich nur um ein Thema geht, und der Text endet dann – sehr diplomatisch unter Anerkennung der Verbrechen der Sowjetunion – eben mit dieser eigentlichen Aussage: Aber eines sei erwähnt, in Estland (wie übrigens auch in Lettland) gab es kein Hoyerswerda, Mölln oder Solingen. Es gab auch keine Ausschreitungen am ersten Schultag, am 1. September 2004, als in Lettland das neue Bildungsgesetz in Kraft trat, und es wird sie trotz aller Bemühungen von Außerhalb während der letzten Jahre auch in Zukunft vermutlich nicht geben.
Aber im Detail zu den Fakten und Behauptungen des Beitrages:
Erstens sehen die Esten den Bronzesoldaten nicht als Symbol, sondern er ist eines, und zwar eben nicht nur für die Esten. Was Sie übrigens gar nicht erwähnen ist, daß die zwölf Leichen am Denkmal Soldaten einer estnischen Division der Roten Armee waren!
Zweitens wurde die Entscheidung, den Bronzesoldaten zu versetzen, nicht aus „unerfindlichen“ Gründen getroffen, sondern, und das fehlt in Ihrem Beitrag ebenso wie in anderen deutschsprachigen am entsprechenden Hintergrund, die Diskussion wurde angestoßen, weil 2006 estnische Nationalisten versucht haben, das Denkmal zu schänden, der Staat gezwungen war, es von der Polizei schützen zu lassen, und damit ein Nachdenken über das weitere Vorgehen in Gang kam.
Drittens kann der Sieg der Reformpartei bei der Parlamentswahl 2007 sicher nicht monokausal gesehen werden. Sie müßten sich mit der estnischen Innenpolitik etwas mehr beschäftigen, um zu wissen, wie sehr Edgar Savisaar, der Chef der von Ihnen erwähnten Zentrumspartei, nicht erst seit dem Aufzeichnungsskandal von 1995 Persona non grata der estnischen Politik ist. Seine Qualifikation als linksliberal dürfte auch mehr als nur umstritten sein.
Und damit kommen wir zu ihrem eigentlichen Thema, welches in der Überschrift bereits fühlbar ist, mit dem bronzenen Soldaten aber nichts zu tun hat: und so wechseln Sie auch das Thema plötzlich und sprechen dann über die Nazis. Es ist völlig zutreffend, daß comparative studies in den Wissenschaften nichts ungewöhnliches sind. Damit meint man aber nicht, daß die Verbrechen zweier Regime miteinander aufgewogen werden sollen, können oder müssen. Insbesondere in den baltischen Staaten scheinen die Kriegsjahre auch gar keinen Vergleich zu erlauben. Als Folge des Hitler-Stalin-Paktes kamen die baltischen Länder in die Interessensphäre der Sowjets, was die Bevölkerung der kleinen drei Länder damals aber noch gar nicht wissen konnten. Was sie sehr wohl wußten war, daß die Sowjetmacht, kaum einmarschiert, sofort mit Deportationen begonnen hatte. Daß in diesem Moment der Gegner dieser Okkupationsmacht im Krieg zunächst einmal als eigener Verbündeter gelten mußte, darf nicht verwundern. Geschichte muß auch aus Sicht der Zeitgenossen gesehen werden!
Daß die Russen für etwas büßen müssen, darf auch wieder als Sicht von Putin-Rußland betrachtet werden. Sprechen Sie mit den Russen vor Ort, dort werden Sie mindestens genauso viele finden, die Putin widersprechen (siehe auch Beitrag über Narva im Eurasienmagazin, wo sich ein Russe als Euro-Russe bezeichnet).
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Axel Reetz

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