Mittwoch, 10. März 2010

Grenzüberschreitungen

Bei geteilten Städten denkt der Deutsche zunächst einmal an Berlin, vielleicht noch an zypriotische Hauptstadt Nikosia oder auch Beirut während des Bürgerkrieges. Doch es gibt es Beispiel auch im Baltikum: Walk. Die Stadt in Livland war jahrhundertelang nicht geteilt, weil es an dieser Stelle trotz der gemischten estnischen und lettischen Bevölkerung Livlands keine Grenze gab. Die Entstand erst mit der Unabhängigkeit Estlands und Lettlands nach 1918. Aus Walk wurden das estnische Valga und das lettische Valka, das faktisch nur die südwestliche Vorstadt des Ortes umfaßte. Doch diese Teilung hielt ebenfalls nur etwa 20 Jahre an, denn mit der Inkorporation der baltischen Staaten in die Sowjetunion 1940 verschwand die Grenze wieder.

Das nationale Selbstbewußtsein trug nach der neuerlichen Unabhängigkeit 1991 dazu bei, daß die Esten auch in Vorbereitung auf den erhofften EU-Beitritt ihre Grenzen befestigen. In dieser Zeit zeichnete sich noch nicht ab, daß gleich zehn Staaten gleichzeitig der EU würden beitreten können. Während also in berlin die Mauer fiel, wurde in Walk eine Grenze gezogen.

Das bedeutete natürlich nicht, daß keine Esten mehr nach Lettland und Letten nach Estland fahren konnten. Probleme gab es trotzdem zahlreiche. Zunächst nämlich wurde zum Grenzübetritt noch gestempelt, Personalausweise gab es damals überhaupt nicht. Auf diese Weise waren die Pässe aber zügig voll und die Betroffenen waren gezwungen, vor Ablauf der Gültigkeit neue Dokumente zu beantragen. Manche Menschen wohnten im einen Teil der Stadt, arbeiteten aber im anderen. Für Verwittwete Personen wurde sogar der Friedhofsbesuch damit plötzlich eine Geldfrage.

Besonders betroffen waren die Einwohner russischer Nationalität, Migranten aus der Sowjetzeit, die wegen der Gesetzgebung in Lettland und Estland mit dem Status der Staatenlosen besonders große Schwierigkeiten beim Grenzübertritt hatten, weil sie für das jeweils andere Land auch noch ein Visum benötigten.

Am schlimmsten traf es jedoch eine Reihe von estnischen Staatsbürgern, Bewohner einer kleinen Straße, die auf estnischer Seite põhja, Nordstraße, und auf der lettischen Seite savienības, Unionsstraße heißt. Die Esten hatten sich hier in der Sowjetzeit Eigenheime errichtet, von denen ein Teil sich nach der Grenzziehung von 1920 aber auf lettischer Seite befand. Der Vorschlag eines Staatsgebietsaustausches wurde von lettischer Seite abgelehnt.

Mitte der 90er Jahre begann nach dem Vorbild der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Städte Haparanda und Tornio in Schweden und Finnland Besserung. Einzig für Personen aus dritten Staaten blieb es lange unmöglich, einen der drei Grenzübergänge im Stadtzentrum zu nutzen. Für nicht motorisierte Besucher ein großes Problem. Seitdem das Schengener Abkommen auch in Estland und Lettland gilt, sind diese Schwierigkeiten vollumfänglich beseitigt.

Obwohl die physische Grenze verschwunden ist, bleibt natürlich eine juristische, und so sind andere Ärgernisse geblieben. Darum besuchten jüngst Delegationen der Außenministerien beider Staaten die Stadt, um sich über die aktuelle Situation zu informieren. Dabei stellte sich heraus, daß es im Bereich Kultur und Sport eine umfangreiche Zusammenarbeit gibt, diese sich damit aber auch erschöpft.

Für Probleme sorgt die Infrastruktur. Zwar nimmt das Krankenhaus in Valga Patienten aus Lettland auf, die ohne europäische Versicherungskarte aber die Rechnung selbst begleichen müssen. Bringt eine Lettin ein Kind in Estland zur Welt, sind notariell beglaubigte Übersetzungen der Dokumente erforderlich, damit das Kind als lettischer Staatsbürger registriert werden kann.

Ähnlich kompliziert verhält es sich mit dem Zugverkehr. Von Riga und von Tallinn gibt es Verbidungen, die lettischen Züge halten sogar am im estnischen Valga gelegenen Bahnhof, doch die Abfahrtszeiten sind schlecht abgestimmt und verlangen stundenlanges Warten. Noch schwierigere Zustände betreffen den Nahverkehr. Obwohl die lettische Seite einen Bus angeschafft hatte, läßt sich die gewünschte Linie nicht realisieren, denn während in Estland Rentner gratis fahren, müßten sie nach dem Grenzübertritt einen Fahrschein kaufen.

Die beiden Delegationen zeigten sich nach Angaben der lettischen Presse überrascht daüber, wie viel in Valga Valka abhängig ist von Entscheidungen, die nur in der hauptstadt getroffen werden können. Die Delegationen besuchten die geteilte Stadt, weil sie ihren Regieungschef Bericht erstatten sollen.

Keine Kommentare: