EU-Kommissar Siim Kallas hat erst jüngst verlautbart, sich für den Umzug in Schloß Kadriorg, den Sitz des estnischen Präsidenten, nicht zu interessieren. Der 2006 gewählte Amtsinhaber Toomas-Hendrik Ilves kann außerdem für eine zweite Amtszeit kandidieren. Die nächste Wahl ist in anderthalb Jahren, im Herbst 2011.
Die estnische Verfassung sieht die Wahl des Präsidenten mit 2/3-Mehrheit durch das Parlament vor. Gelingt dies nicht, wird aus Vertretern der kommunalen Parlamente und den Abgeordneten von Riigikogu ein spezielle Versammlung einberufen. Da noch keine Koalition seit 1992 breit genug angelegt war, wurde der Präsident mit der Ausnahme auch vom Wahlverfahren 1992 immer erst in diesem Gremium bestimmt. Und da kann es zu unerwarteten Mehrheiten kommen.
Die Volksunion, welche mit Arnold Rüütel Ilves’ Vorgänger stellte, ist nach den Skandalen um ihren früheren Vorsitzenden politisch wenig erfolgreich gewesen. Bei den Kommunalwahlen im vergangen Herbst brachte sie es landesweit nur auf 1,9% der Stimmen. Mehr oder weniger besser abgeschnitten hat die Partei im zentralestnischen Jõgevamaa, in Ida-Virumaa an der Grenze zu Rußland, auf der Insel Saaremaa und in Pärnumaa. Dennoch stellt sie in 39 Gebietskörperschaften den Ratsvorsitz.
Das wurde möglich, weil zahlreiche Mitglieder der Partei in örtlichen Listenkoalitionen kandidiert haben und dann zum Vorsitzenden des Rates gewählt wurden. Die parteipolitische Verteilung dieser Position ist aber wiederum eher ein Ausweis für das örtliche Koalitions-Farbenspiel als für die absolute Stärke der Parteien, denn die Ämterbesetzung ist überall das Ergebnis politischer Kompromisse.
Und so gehören seit der letzten Kommunalwahl 77 Ratsvorsitzende überhaupt keiner Partei an und wurden über örtliche Listen gewählt; das ist etwa ein Drittel aller Kommunalparlamente. Vaterland und Res Publica stellen die zweitstärkste Gruppe gefolgt von der Reformpartei. Die oppositionelle Zentrumspartei stellt 25 Ratsvorsitzende, darunter in den beiden großen Städten Tallinn und Tartu, während die Sozialdemokraten nur zehn und die im nationalen Parlament vertretenen Grünen überhaupt keinen Vertreter vorweisen können. Damit haben die Regierungsparteien unter den Ratsvorsitzenden der Kommunalparlamente keine Mehrheit.
Ist diese Position im politischen Alltagsgeschäft weniger wichtig, wird sie gleichzeitig wegen des Gremiums für die Präsidentschaftswahl plötzlich interessant. Auch unter Berücksichtung der 101 Riigikogu-Abgeordneten stellten 2006 die Ratsvorsitzenden allein ein Drittel der Delegierten in dieser Versammlung.
Nicht unbedeutend ist außerdem die Rolle der ethnischen Minderheiten. Da in Estland auch ständige Einwohner ohne etsnische Staatsbürgerschaft über das kommunale Wahlrecht verfügen, beeinflussen sie indirekt auch die Wahl des Präsidenten.
Und wer wird es nun? Ilves ist nicht unpopulär, er kann wiedergewählt werden und unter den Regierungsparteien wird er eher Zustimmung als Ablehnung erfahren. Viel hängt folglich davon ab, welche Parteien welche weiteren Kandidaten portieren. 2001 hatte eine liberal-konservative Regierung eine Parlamentsmehrheit. Trotzdem gewann Arnold Rüütel die Wahl gegen den Tartuer Professor Peeter Tulviste.
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