Donnerstag, 21. Juli 2011

Glanz und Elend der vierten Gewalt in Lettland

Ein persönlicher Absatz sei vorweg erlaubt: Als der Autor dieser Zeilen begann, Lettisch zu lernen, stellte sich zügig ein gewisses Unverständnis ein, warum es so schwierig ist, eine Zeitung zu lesen. Erst später mit zunehmender Sprachkompetenz wurde erkennbar, daß die meisten Beiträge extrem unstrukturiert waren. Abgesehen von der Lauyout-Krankheit, fast jeden Artikel, wenn auch nur mit wenigen Zeilen, auf der ersten Seite beginnen zu lassen, um ihn dann auf einer der folgenden Seiten fortzusetzen – was eine optische Erkennung der Wichtigkeit des Themas sozusagen verunmöglicht – wurde bald verstanden, daß eben nicht im ersten Absatz auf die Fragen, „wer, wann, was?“ und schließlich auf wo und warum geantwortet wurde, die Struktur der Sätze glich eher einem Palaver beim Bier, was ebenfalls nicht ausschloß, daß ein und derselbe Satz bis zu drei Mal in ein und dem gleichen Artikel zu finden war.

Probleme hat seit vielen Jahren auch das lettische Fernsehen vor allem wegen des allgegenwärtigen Geldmangels. Ein großer Teil des dringend nach Renovierung rufenden Gebäudes auf der Insel Zaķusala (Hasenholm) in Riga ist aus diesem Grund vermietet. Es gibt keine Rundfunkgebühren, das Fernsehen ist staatsfinanziert mit allen Konsequenzen für Vorwürfe der Einflußnahme.

Die Situation beim lettischen Radio ist geradezu noch schlimmer. Während der Finanzkrise wurde wegen Finanzierungsproblemen ernsthaft seine Schließung diskutiert.

Nun kam es beim lettischen Radio zu einem kleinen Eklat. Justizminister Aigars Štokenbergs war zum Interview geladen. Das Thema war der Kampf gegen die Schattenwirtschaft. Nachdem die fragende Journalistin nicht aufgeben wollte, den Minister danach zu fragen, wie er die wahren Nutznießer irgendwelcher Aktien der lettischen Luftfahrtgesellschaft Air Baltic etwa auf den Cayman Inseln ermitteln wollte, sagte dieser, das Gespräch mache keinen Sinn mehr und verließ das Studio.

Während des elfminütigen Interviews wird schnell klar, daß die fragende Journalistin nicht über die geringsten juristischen Kenntnisse verfügt, nicht in der Lage ist zu unterscheiden zwischen Ermittlungen in internationalen Kriminalfällen und der Verfolgung von Steuerhinterziehung oder auch zwischen deklarierten Einnahmen eines Unternehmens und den beim Unternehmensregister eingetragenen Eigentümern desselben.

Andererseits tat sich Štokenbergs auch selbst schwer, bestimmte Sachverhalte zu erklären. Zunächst einmal geht es um eine Novelle des Unternehmensgesetzes, daß künftig helfen soll, fiktive Überweisungen zwischen verschiedenen Parteien, hinter denen eigentlich keine geschäftliche Aktivität steht, aufzudecken und damit der Steuerhinterziehung auf die Spur zu kommen. Wenn Štokenbergs also im Interview nicht mehr sagt als „glauben Sie mir, wir haben unsere Mechanismen, diese fiktiven Verbindungen zu erkennen“, klingt das eher ausweichend. Wichtig wäre an dieser Stelle gewesen, die Mechanismen in möglichst einfachen Worten zu erklären, also, welche Geldbewegungen mit dem neuen Gesetz erkannt werden können, die dann wiederum Verdachtsmomente begründen, mit anderen Mechanismen weitere Untersuchungen einzuleiten.

Und dann begeht Štokenbergs noch einen Kardinalfehler: nachdem die Journalistin erneut wissen will, wie eine Novelle des Unternehmensgesetzes, das ja nun vorgesehen ist, Geldströme inländischer Akteure zu erkennen, es Lettland ermöglichen soll, in einem Offshore-Land nach den wahren Nutznießern zu fragen – ein Unterschied, den der Justizminister gerade erklärt hatte – zieht dieser als Beispiel ausgerechnet die erwähnte Air Baltic heran. Dieses Unternehmen und sein deutscher Chef Bertold Flick befinden sich seit Jahren regelmäßig mit verschiedenen Skandalen im Fokus der Aufmerksamkeit, nicht jedoch unter dem Verdacht der Förderung der Schattenwirtschaft.

Jetzt will die Radio-Reporterin plötzlich ganz generell wissen, wer die Nutznießenden der Dividenden der Air Baltic Aktien sind. Der Minister kann natürlich nur antworten, daß dies im Rahmen eines Kriminalprozesses möglich wäre. In diesem Moment beißt sich die Journalistin komplett an einer Verschwörungstheorie fest, Aktionäre dieser Gesellschaft müßten überführt werden. Während Štokenbergs ist schon längst wieder zu allgemeinen Antworten zurückgekehrt ist, spricht die Journalistin von „einem“ Unternehmen. Der Minister fragt, welches sie meint, und die beruft sich auf das vom Minister selbst genannte Beispiel: die Air Baltic.

Mit einem Wort: der Minister ist nicht in der Lage für nicht-Ökonomen und nicht-Juristen, den Sachverhalt in einfachen Worten zu erklären und die Journalistin ist mit dem Thema absolut überfordert.

Štokenbergs verläßt das Studio, als die Journalistin konkret fragt, wie die Schattenwirtschaft bekämpft werde, wenn geklärt sei, daß ein Staatsbürger der Niederlande die Aktien halte. Štokenbergs antwortet, wenn dieser im Gefängnis sitze. Daraufhin will die Journalistin aber wissen, wie der denn dahin komme ...

Vergangenheitsbewältigung auf Lettisch

Lettland geriet in Westeuropa und vor allem in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder in die Schlagzeilen wegen der alljährlichen Parade der Veteranen der Waffen-SS. Das Thema ist ein mit Fettnäpfchen übersätes heißes Eisen, auf das rein deutsch nur von der Schreckensherrschaft Hitlers ausgehend zu schauen, gewiß zu kurz greift.

Doch während des Krieges handelte es sich um Ereignisse unter Einfluß fremder Mächte. Daneben gibt es in Lettland auch ureigenst lettische historische Themen, die einer gesellschaftlichen Diskussion harren.

Nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion wurde im Zentrum von Riga an der Kreuzung von Raiņa bulvāris und Valdemāra iela Präsident Kārlis Ulmanis ein Denkmal gesetzt. Diese historische Figur genießt im lande viel Ansehen, obwohl sie aus einem demokratischen Blickwinkel kritisch zu betrachten wäre.

Da sind zunächst einmal seine Taten, die jenen von Politikern in anderen europäischen Ländern gleichen. Der vormalige Ministerpräsident Ulmanis putschte sich 1934 an die Macht, löste das Parlament ersatzlos auf und verbot schließlich die Parteien. Das Land wurde durch ein obligatorisches System der Beteiligung mehr oder weniger gleichgeschaltet und mit Abrissen und Neubauten in der mittelalterlichen Altstadt von Riga viel historisch-hanseatisches zerstört.

Neben dieser Politik steht aber noch eine Formalie. Staatspräsident Alberts Kviesis war zum Zeitpunkt des Putsches gewählt bis 1936. Er blieb zurückhaltend und auch so lange im Amt. Danach proklamierte sich Ulmanis als Führer und Präsident, das heißt, formal auf dem Boden der Verfassung von 1922, die 1993 reaktiviert worden ist, war Kārlis Ulmanis nie Präsident der Republik Lettland.

Die Politologen der Stradiņš Universität in Riga, Veiko Spolītis und Andris Sprūds hatten schon vor Jahren einen Leserbrief an die wichtigste Tageszeitung des Landes, diena, geschrieben, und kritisiert, daß selbst in einem liberalen Blatt die Journalisten Ulmanis in ihren Artikeln als Präsident bezeichnen. Nun haben die beiden einen neuen Vorstoß unternommen und angeregt, das Porträt des „Diktators“ der 30er Jahre von der Ahnentafel in der Rigaer Burg, dem Amtssitz des Präsidenten, zu entfernen.

Der Schritt ist mutig, denn Ulmanis ist im kollektiven Gedächtnis der Letten positiv verankert. Er beendete die zeit einer turbulenten Demokratie und unter seiner Regierung nahm die Wirtschaft einen Aufschwung, der für viele Letten mit Wohlstand verbunden war. Sogleich wandten sich die Leser der konservativen Lettlands Zeitung besorgt an die Redaktion und verlangten eine Erklärung. Journalisten dieses Blattes fragten daraufhin in der Universität der beiden Politologen nach, erhielten jedoch eher ausweichende Antworten. Wenn die beiden Wissenschaftler auch formal im Recht sind, so bleibt doch Kritik an Ulmanis unerwünscht. Rektor Jānis Vētra erklärte beispielsweise, wenn man die Porträts von Politikern aus der Galerie nehmen müsse wegen ihrer Neigung zur Selbstauszeichnung, dann gehöre auch jenes von Ministerpräsident Aigars Kalvītis wegen seines Verhaltens nicht mehr in die Staatskanzlei. Kalvītis war von 2004 bis 2007 Regierungschef während der in Lettland als fette Jahre bezeichneten Zeit nach dem Beitritt zur EU. Dekan Andrejs Vilks argumentiert, daß man nicht umsonst die Ära des genannten Politiker als die Ulmanis-Zeit bezeichne, die als licht und erfolgreich und das Selbstbewußtsein der Nation hebend im Gedächtnis geblieben sei.

Ex-Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga hatte in ihrer Amtszeit Ulmanis als Politiker gewürdigt, der nicht im eigenen, sondern im Interesse des Staates unter widrigen außenpolitischen Umstände gewirkt habe. Zur Eröffnung der 9. Saeima 2006 jedoch sprach sie von Ulmanis als einem Mann, der den politischen Disput an sich negiert und die Legitimität und Würde des Parlamentes in den Dreck gezogen habe, und diese negative Einstellung gegenüber demokratischen Prozessen habe sich bis in die Sowjetzeit hineingezogen.

Es ist nicht zu vermuten, Daß Spolītis und Sprūds Erfolg haben werden. Vielleicht aber kommt der Tag einer kritischen Diskussion über die historische Figur Ulmanis, die hinerfragt, ob Ulmanis für die ihm zugeschriebenen positiven Aspekte überhaupt wirklich verantwortlich ist. Mehr hinter vorgehaltener Hand wird schon einmal zugegeben, daß Ulmanis sich 1940 kampflos der sowjetischen Okkupation unterworfen hat. Sein berühmter Satz lautete damals: „Sie bleiben an ihrem Platz, ich an meinem“. Im Gegenteil zu den Finnen, die im Winterkrieg 1940 nur Karelien, nicht aber ihre Unabhängigkeit verloren, konnten sich die baltischen Republiken nicht einigen, Ein wichtiger Konflikt war die Vilnius-Frage. Polen hatte die litauische Hauptstadt nach dem Ersten Weltkrieg besetzt, weshalb diese beiden Staaten zu keiner Einigung kamen, während Estland und Lettland Polen mit ins Boot hatten holen wollen.

Freitag, 15. Juli 2011

Und sie sind doch verschieden

Das estnische Parlament Riigikogu setzt sich seit den letzten Wahlen im März dieses Jahres aus historisch wenigen nur noch vier Fraktionen zusammen und könnte so als konsolidiert bezeichnet werden. Doch Spaltungstendenzen treten zunehmend zu Tage.

Nachdem im letzten Jahrzehnt mit der Res Publica eine Saubermannpartei gegründet worden war für Enttäuschte der bisherigen Politik, deren Notwendigkeit von den einen angezweifelt wurde, während sich der angesehene Politologe rein Taagepera sogar zum Gründungsvorsitzenden wählen ließ, übernahm die Partei die Regierung später mit wenig Erfolg. Es folgte die Vereinigung mit der konservativen Vaterlandsunion.

Die alten „Seilschaften“ der Parteien existieren jedoch noch und viele ehemalige Vaterlandspolitiker sind enttäuscht, daß die Res Publica ihre Partei faktisch übernommen hätte, alle wichtigen Funktionen nicht von ehemaligen Vaterlandskollegen, der sogenannten Pullover-Fraktion, übernommen würden. Der ehemalige Regierungschef Mart Laar sei nur Verteidigungsminister. Die Unzufriedenen treffen sich wöchentlich als c`est la vie Gruppe und haben eine eigene Mailingliste.

Der estnische Politolge Rein Toomla ist der Ansicht, daß auch der Wähler zu den nächsten Kommunalwahlen möglicherweise nicht nur vier aussichtsreiche Parteien sehen will und meint, daß eine Abspaltung der Pullover-Fraktion und eine neue Partei diesen politischen Kräften sogar einen Stimmenzuwachs bescheren könnte. Die Anhänger des Flügels selbst wollen die Regierungskoalition nicht gefährden, das, so heißt es, sei völlig überflüssig. Als Problem sehen sie dabei weniger, genug Personen zur Parteigründung zu motivieren, es mangele vielmehr an Geld, sechs Millionen Euro seien erforderlich.

Probleme gibt es aber auch in anderen Parteien. Das efant terrible der estnischen Politik, Edgar Savisaar, der seit einigen Jahren Bürgermeister von Tallinn ist, wird wohl demnächst auf dem Parteitag seiner Zentrumspartei zum Vorsitzenden wiedergewählt, doch nicht ohne Widerspruch auch in den eigenen Reihen.

Ein weiterer Stein des Anstoßes könnte eine mögliche Kandidatur des Europaabgeordneten Indrek Tarand für das Präsidentenamt werden, heißt es unter den alten Vaterlandspolitikern. Dessen Unterstützung könne man nicht nur deshalb ablehnen, weil er eventuell von der oppositionellen Zentrumspartei nominiert werde. Tarand hatte 2009 als Unabhängiger ein Mandat in Brüssel gewonnen.

Nichtsdestotrotz stellt sich angesichts der ideologischen Ausrichtung der estnischen Parteien weniger die Frage nach der „Nachfrage“ nach einer konservativen Partei als vielmehr jene, was nach Auszug der Pullover-Fraktion die verbliebene Partei sein soll. Und wie soll sich eine allfällige neue Partei nennen, wenn sie ihren historischen Parteinamen Vaterlandsunion in der Abkürzung IRL bei den früheren Partnern zurück läßt?

Montag, 11. Juli 2011

Quo vadis Lettland?

Die lettische Politik ist seit der Unabhängigkeit 1991 nie stabil gewesen, die anfänglich gegründeten Parteien haben sich bis zur Unkenntlichkeit gewandelt und vermischt. Fast jeder hat schon einmal mit jedem, ausgenommen die verschiedenen russischen Fraktionen. Mit einem Wort, Politiker wie Wähler waren alles andere als beständig, was während zweier Jahrzehnte in einer ebenso unbeständigen und an kurzfristigen Zielen orientierten Politik niederschlägt, nimmt man den Beitritt zu NATO und EU aus. Die Überhitzung der Wirtschaft danach wurde auch ohne Finanzkrise nicht bekämpft.

Zweifelsfrei liegt die Ursache im fehlenden Verständnis des politischen Prozesses in der Bevölkerung, die nur zu gerne den Staat populären Personen anvertraut hat, um sich anschließend enttäuscht abzuwenden und der daraus resultierenden subjektiven Einschätzung der Politiker über ihre politischen Zukunft. Nicht selten waren dabei persönliche Animositäten wichtiger als Sachfragen, Personalentscheidungen schwierig und Ursache von Regierungsstürzen. 1999 wurde die später populäre Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga unterstützt von der konservativen Regierungsfraktion Für Vaterland und Freiheit zusammen mit der damals größten Oppositionskraft, der Volkspartei des beliebten Andris Šķēle, gegen welche sie sich an einer Minderheitsregierung unter der Führung von Lettlands Weg beteiligt hatte.

Nach den Wahlen 2010 gibt es nur noch fünf Fraktionen im Parlament – historisch wenig, doch Lettland hat nie wie das benachbarte Estland Listenkoalitionen verboten, weshalb nunmehr keine einzige dieser Fraktion aus nur einer Partei besteht. Der lettische Politologe Andris Runcis zählte vergangenen Herbst 18 Parteien. Die Koalition besteht nun erst mals nach der Wiedererlangten Unabhängigkeit nur aus zwei Fraktionen von denen eine zweifelsfrei unter dem Einfluß des als wichtigem Oligarchen geltenden Bürgermeisters der Hafenstadt Ventspils, Aivars Lembergs, steht. Lembergs gilt als Kandidat für das Amt des Regierungschefs ohne je zu kandidieren. Diese Union aus Grünen und Bauern hat dieses Jahr bereits in der Ombudsmann-Frage einem anderen Kandidaten zum Sieg verholfen, als ihn die Partei des Regierungschefs Valdis Dombrovskis, Einigkeit, favorisierte. Zugestanden haben sich die Parteien in beiden Nominierungen lange geziert, konkrete Namen zu nennen. Nunmehr ging es mit gleichem Ergebnis um die ungleich wichtigere Präsidentschaftswahl.

Dabei überschlugen sich die Ereignisse in diesem Frühjahr. Pikant ist neben dem Umstand, daß Valdis Zatlers damit vom Parlament das Mißtrauen ausgesprochen wurde und eine zweite Amtszeit versagt blieb, daß der Präsident wenige Tage zuvor der Verfassung entsprechend die Parlamentsauflösung angeregt hatte, worüber nun im Hochsommer das Volk wird abstimmen können. Grund für diesen ebenfalls historischen Schritt war die Ablehnung des Parlamentes, dem als weiterer Oligarchen geltenden Ainārs Šlesers die Immunität zu entziehen, wie es die Staatsanwaltschaft gewünscht hatte. Der kleinere Koalitionspartner beeilte sich später zu erklären, man sei mit der Abstimmung überrumpelt worden und habe jetzt mehr Informationen, die auf jeden Fall für einen Entzug der Immunität sprächen und die Fraktion würde jetzt anders abstimmen.

Die lettische Politik wird immer undurchsichtiger, Prognosen für die vermutlich anstehende vorgezogene Neuwahl schwieriger. Das russische Harmoniezentrum kann eigentlich nur gewinnen, während von der Einigkeit viele Wähler auch enttäuscht sind. Wie viele sie dennoch als das kleinere Über betrachten werden, ist gegenwärtig völlig offen. On das Hin und Her der Union aus Grünen und Bauern das eigene Klientel überzeugt ebenso. Sicher ist, daß diese Partei vor allem auf dem land bevorzugt wird, wo wiederum die konservative Lettlands Zeitung die bevorzugte Lektüre ist. Diese steht einer Kooperation mit der russischen Partei alles andere als wohlwollend gegenüber. Nachdem nach der letzten Wahl die konservativen Teile der Einigkeit eine Koalition mit dem Harmoniezentrum blockiert hatten, scheint diese in zwanzig Jahren immer von der Macht ausgeschlossene Partei die Partnersuche zu erweitern. Bereits jetzt gäbe es theoretisch eine Mehrheit für das Harmoniezentrum mit der Union der Grünen und Bauern, die mit einer Stimme reichlich knapp ist. Die Fraktion des nun verschonten Šlesers hätte noch einmal acht Sitze.

Man mag Ministerpräsident Valdis Dombrovskis zugestehen, daß er wirklich Lettland erfolgreich durch die Krise steuern möchte, aber obwohl bei der Wahl im Oktober 2010 sehr viele neue Gesichter ins Parlament eingezogen und zwei der drei Oligarchen, Ainārs Šlesers und Andris Šķēle mit ihrer nun gemeinsamen Liste mit nur acht Abgeordneten abgestraft worden waren, nach wie vor genug alte Seilschaften im Parlament vertreten sind. Weder Šlesers noch Lembergs Verpflichtungen wurden je hinreichend untersucht. Eine Steuererklärung ist auch nach 20 Jahren nicht eingeführt und auch die Privatisierungsvoucher, welche in Estland von vornherein auf eine Gültigkeit von zwei Jahren beschränkt waren, ist diese in Lettland immer wieder verlängert worden und die von der Durchschnittbevölkerung lange verkauften Papiere sind inzwischen im Wert gestiegen und werden aller Wahrscheinlichkeit von Einzelpersonen gehalten, die auf die letzten Filetstücke der Privatisierung warten wie etwa den lettischen Wald.

Freilich, es wäre zu einfach, dies nur der politischen Elite vorwerfen zu wollen. Es ist nichts Neues, daß die genannten als Oligarchen geltenden Personen im Volk ihre Anhänger haben, was besonders für Aivars Lembergs gilt, den seine Partei als Kandidaten für den Regierungschef plakatiert ohne daß er jedoch auch nur für ein Mandat kandidieren würde. Insofern ist der Unmut in Lettland groß, die Zustimmung zu vorzeitigen Neuwahl wahrscheinlich. Doch gleichzeitig ist nicht zu erwarten, daß die Anhänger der verschiedenen politischen Kräfte sich so deutlich anders verhalten werden als vor einem Dreivierteljahr zumal auch völlig unklar ist, woher gegebenenfalls unverbrauchte Kandidaten kommen sollen – vom scheidenden Präsidenten einmal abgesehen.

War Valdis Zatlers von den Oligarchen 2007 aus dem Hut gezaubert worden, um einen Gegenpol zur politisch aktiven Vorgängerin zu werden, so hat sich dieser im Amt stark gewandelt. Der nun gewählte Andris Bērziņš, den die ausländischen Medien mit einem gleichnamigen früheren Ministerpräsidenten verwechselt haben, ist nicht unbedingt ein unbeschriebenes Blatt. Der 66jährige hat seine Karriere in der Sowjetzeit begonnen, leitete bis zum Verkauf an die schwedische SEB eine der größten Banken des Landes und gehört zum Dunstkreis von Lembergs, ist Abgeordneter der Union aus Grünen und Bauern. Wie er sich verhalten wird, bleibt abzuwarten. Abzuwarten bleibt ebenfalls, welche Kräfte in der regierenden Einigkeit, die vermutlich auch aus den kommenden Wahlen nicht deutlich geschwächt hervorgeht, wie stark werden und eine Koalition mit dem Harmoniezentrum möglich wäre. Neben allen tatsächlichen und geargwöhnten Kontakten dieser politischen Kraft mit Moskau ist sie nun mitverantwortlich für die Niederlage von Zatlers. Spannend dürfte folglich auch die Regierungsbildung werden, denn allein der Präsident nominiert einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. Der wird dann aber bereits Andris Bērziņš heißen und seine Wahl muß weder auf einen gewählten Abgeordneten fallen noch einen Vertreter der stärksten Fraktion oder auch nur des größten Partners einer allfälligen Koalition. Der neue Regierungschef könnte also auch Lembergs heißen.