Dienstag, 25. Dezember 2007

Das Plus auf der Kirche

„Glauben kannst Du in der Kirche!“ Das ist so ein salopper Spruch, der schon einmal entgegnet wird, wenn sich jemand zwar seiner Aussage ziemlich sicher, aber von der Richtigkeit doch nicht vollständig überzeugt ist. Gerne wird alternativ mit der Formulierung „ich würde sagen“ gezweifelt. Doch dieser Satzanfang plaziert das Konditional völlig falsch, denn die ausgedrückte Vermutung wird ja tatsächlich ausgesprochen.
Aber von grammatikalischen Fehlern soll hier die Rede nicht sein. Es geht um das Glauben, um den Glauben, wenn sich Landesbischöfin Margot Käßmann in einem Radiointerview erschüttert zeigt, daß sie schon einmal gefragt wird, was das Plus auf den Kirchtürmen bedeutet – Hähne sind nicht immer zur Hand – oder ein Kind im Anblick von Jesus am Kreuze fragt, was dem denn passiert sei.
Bei dieser Besorgnis geht es nicht um einen sich ausbreitenden Atheismus. Zwar driften Kirchenmitgliedschaft und Glaube wie auch persönliche Definitionen zu diesen Fragen immer weiter auseinander, ja werden immer vielschichtiger. Die meisten Menschen sind aber eigentlich, wenn überhaupt, eher passiv religiös oder areligiös denn Atheisten im reinen Sinne des Begriffes. Atheismus ist schließlich auch ein Glaube, nämlich der geglaubte Zweifel an die Nichtexistenz eines Gottes. Und die kann man – wissenschaftlich – genau so wenig beweisen wie das Gegenteil, seine Existenz!
Andererseits geht es ganz vielen gar nicht um das Entsetzen darüber, daß immer weniger Menschen in die Kirchen gehen oder an Gott glauben. Es geht eigentlich um Fragen der Ethik, um Verhaltenskodexe, die nicht nur Bischöfe mit der Kirche verbinden. Da muß nur an die zehn Gebote oder Schlagworte wie Nächstenliebe erinnert werden. Dies drückt sich in Stellungnahmen über Reizthemen wie beispielsweise Abtreibung und Sterbehilfe aus. Die Gläubigen wollen oder wünschen, daß andere Menschen so handeln, wie es ihnen selbst der Glaube abverlangt. Damit sprechen die Gläubigen den Betroffenen das Recht zum eigenen Weltbild und eigener Entscheidung ab.
Die genannten Beispiele sind eine wichtige Grauzone, denn hier schreibt schon lange die Kirche bestenfalls vor, was ethisch ist oder nicht, und das ist nicht mehr verbindlich, sondern der Staat legt gesetzlich fest, was erlaubt und verboten ist, wobei fraglos der jahrhundertelange kulturelle Einfluß der Kirche auf die Gesellschaft sich in der Gesetzgebung zementiert hat. Andere Kulturen haben ein von anderen Religionen beeinflußtes rechtliches Korsett, daß von den Gläubigen der christlichen Kultur, aber keineswegs nur von ihnen mitunter scharf abgelehnt wird.
Dieser Ansatz ist interessant, denkt man an die umfassende Gewalt, die früher – zugegeben vor der Reformation – von der Kirche ausgeübt wurde. Und dabei geht es keineswegs nur um die Verfolgung von Hexen, deren Lächerlichkeit aus heutiger Sicht auch keinem Gläubigen mehr erklärt werden muß. Die Missionierung selbst war oftmals gewaltsam und für die Missionierten unfreiwillig. Sie war vielfach mit der Kolonialisierung durch die Europäer verbunden – andere Kulturen hatten andere Religionen. Ob zum Machterhalt nicht auch heute mancher noch gerne die Galileis lieber ausgebremst sähe, mag man angesichts der faktischen Unmöglichkeit dank des westlichen rechtlichen Korsetts diskutieren. Für das Glauben an sich ist Wissen sicher nach wie vor die größte Bedrohung. Was, wenn sich eines Tages doch die Nichtexistenz von Gott beweisen ließe?
So lange dies noch nicht eingetreten ist, belegt den spirituellen Bedarf, den der Mensch offenbar hat, daß es eigentlich keine Kultur ohne eine eigene Religion gibt, sei sie nun monotheistisch oder nicht. Als man noch nicht wissenschaftlich erklären konnte, woher Blitz und Donner kommen, hatten die Menschen vor vielen Naturereignissen Angst. Und diese Angst ließ sich von der Kirche instrumentalisieren, sie wurde damit unter anderem auch reich.
Dabei sollte nicht in Abrede gestellt werden, daß dies in früheren Jahrhunderten auch viele Vorteile mit sich gebracht hat. Dieser Gedanke läßt sich mit der Phrase, Gesetz ersetzt Moral umschreiben. Bevor es einen Staat im modernen Sinne gab, der Regeln durchzusetzen in der Lage war, und da geht es erst einmal noch gar nicht um deren Allgemeingültigkeit, geschweige denn eine wie auch immer geartete Rechtsstaatlichkeit, sondern allein um ein funktionierendes Gewaltmonopol des jeweiligen Machthabers, war die Angst der Menschen vor einer Bestrafung durch Gott nach ihrem Tode, mit einem Wort, die Hölle, ein probates Mittel, um die Massen zu dirigieren und das Chaos zu verhindern.
Zunächst mit der Reformation änderte sich viel. Sie war aus zwei Gründen erfolgreich, sie setzte sich erstens gegen die Moralverstöße des Katholizismus zur Wehr, was in der einfachen Bevölkerung eine Rolle spielte, aber sie wurde auch von vielen Herrschern begrüßt, die sich davon versprachen, das Joch der ja auch sehr mächtigen alten Kirche abzuschütteln. Die neue Kirche setzte sich entsprechend auch für diese Interessen ein. In den baltischen Ländern begannen die Priester die Sprache der „Ureinwohner“ zu akzeptieren und legten damit den Grundstein für die Entwicklung einer eigenen Kultur.
Später folgte mit der Aufklärung ein weiterer Schritt hin in Richtung zu mehr Freiheit und Individualität. Nun ist diese Diskussion keine neue. In den demokratischen Ländern, oft auch westliche Welt genannt, werden Werte wie Freiheit und Toleranz, die eher eine Folge der Aufklärung sind, hochgehalten. Zweifelsohne gab es in anderen Kulturen eine vergleichbare Emanzipation von den alten Vorstellungen des Glaubens nicht. Und das bedeutet, auch der heute von Gläubigen kritisierte Teil der Kultur ist auf selbigem Glauben in seiner Interpretation oder der Gegnerschaft zu ihm entstanden.
Historiker merken gerne an, daß noch alle Hochkulturen untergegangen sind. Oswald Spengler glaubte 1918 in der Ära der Napoleonischen Kriege den Anfang vom Ende der westlichen, also der christlichen Kultur zu sehen. Bereits vor dem 11. September schrieben Wissenschaftler wie Francis Fukuyama, Samuel Huntington und Ronald Inglehart Mutmaßungen über die weitere Entwicklung der Welt und sehen einen großen Konflikt der Kulturen, also der Religionen also der Glauben auf dieser Welt, der Motor für viel Unheil ist. Angesichts der aktuellen Weltlage kann diese Sicht der Dinge keinesfalls vom Tisch gewischt werden.
Aber kann unsere Kultur ohne die Errungenschaften von Freiheit und Toleranz existieren? Einschränkungen gibt es ja bereits genug, das bemerkt jeder, der in den vergangenen Monaten mal Fluggast gewesen ist. Themen wie Videoüberwachung und Bundestrojaner lassen ebenfalls grüßen.
Freiheit und Toleranz beschwörend: ob jemand glaubt oder nicht, ob jemand also gläubig ist oder nicht, das sollte jedem einzelnen überlassen werden. Wichtig ist, diesen nicht zum Maß aller Dinge zu machen und keine Allgemeingültigkeit zu beanspruchen. Für den Gläubigen mag es wie ein Frevel klingen, aber es gibt keine Veranlassung zu befürchten, wer sonntags in der Kirche seinen Glauben zelebriert, könne dieser Gewohnheit nicht nachgehen, wenn am darauffolgenden Montag in der Nachbarschaft ein Kind abgetrieben wird oder ein Mensch Selbstmord begeht.
Ob die Hochkultur des Westens untergeht, weil einige junge Menschen nicht wissen, daß auf der Kirchturmspitze kein Plus steht, sondern ein Kreuz, ist ebenfalls eine Glaubensfrage, bestenfalls kann vermutet oder spekuliert werden. Wissenschaftlich läßt sich diese Frage nicht beantworten – das zeigte schon Spenglers Untergang des Westens.

Sonntag, 23. Dezember 2007

Ethnische Minderheiten in den baltischen Staaten

In Deutschland reagieren die Medien besonders sensibel auf das Thema ethnische Minderheiten, insbesondere seit den Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien. Die Wissenschaft reagiert meist nicht anders. So sind in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten besonders Estland und Lettland in der Presse zum Thema geworden, weil in diesen beiden Ländern viele Russen leben.
Dabei gelten die Russen oft als Synonym für die Minderheiten schlechthin, obwohl es gerade in Lettland auch Ukrainer und Weißrussen gibt sowie selbstverständlich Menschen aus anderen ehemaligen Republiken der Sowjetunion – die Russen stellen jedoch mit Abstand den größten Anteil.
Aus Beobachtungen werden viele Geschichten über das Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen in den baltischen Staaten berichtet, die sich mitunter diametral widersprechen. Richtig ist sicher, daß es in Lettland und Estland zwei parallele Gesellschaften gibt. Diskotheken und Kneipen, die von jungen Leuten besucht werden, haben entweder ein vorwiegend russisches Publikum oder eben ein estnisches respektive lettisches.
Gerade in Estland wird diese Tendenz durch eine räumliche Segregation verstärkt, die Russen leben außer in der Hauptstadt vorwiegend im Nordosten des Landes, im Landkreis Ida-Virumaa (in den Städten Narva, Sillamäe, Kohtla-Järve und Jõhvi) während im Süden, Zentralestland und auf den Inseln die Esten unter sich sind. Ein zweiter Grund ist der große Unterschied zwischen den beiden Sprachen. Beide Völker tun sich schwer mit der jeweils anderen Sprache. Das ist beides in Lettland ganz anders, wo die Russen in allen Städten etwa die Hälfte der Bevölkerung stellen. In Lettland gab es auch während der Sowjetzeit die höchste Zahl an Mischehen.
In der Wissenschaft äußerte sich beispielsweise der heutige Direktor des Berliner Wissenschaftszentrum, Wolfgang Merkel, in vielen Publikationen kritisch: Lettland sei ein guten Beispiel für demokratieabträgliche Diskriminierung und den Ausschluß der Russen von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechten.
Dieser Vorwurf ist teilweise einfach unzutreffend. Jeder russische Rentner, auch wenn er kein Wort in der Landessprache spricht, erhält natürlich seine Rente. Auch die wirtschaftliche Aktivität, etwa eine Unternehmensgründung, ist nicht an die Staatsbürgerschaft gebunden. Und besonders in Lettland pfeifen es die Spatzen von den Dächern, daß die Erwartungen an Hilfe vom Staat besonders unter Letten groß ist, die auch Beamte sein können. Die Vertreter der Minderheiten hingegen sind der wirtschaftlich aktivere Teil der Bevölkerung.
Einzig sind die Russen tatsächlich von der politischen Partizipation ausgeschlossen, was angesichts allgemeiner Politikverdrossenheit (siehe entsprechender Blog) für viele Einwohner ein vernachlässigbares Problem ist. Genügend Staatsbürger gehen sowieso nicht zur Wahl. Da die Russen in Estland an einigen Orten sehr konzentriert leben, genießen die Nichtbürger dort das kommunale Wahlrecht, was sich bis zu einigen Brüsseler Offiziellen bis heute nicht herumgesprochen hatte. 2007 hatte der Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, René van der Linden, anläßlich eines Besuches Estland in diesem Punkt kritisiert, woraufhin die estnische Parlamentspräsidentin, Ene Ergmaa, offiziell und schriftlich protestierte.
Trotz dieser Umstände und auch trotz des Umstandes, daß unmittelbar nach der Unabhängigkeit das Russische für eine Weile bei den Titularnationen der Baltischen Staaten unbeliebt war, kann nicht behauptet werden, daß die Durchschnittbevölkerung gegenüber einem einzelnen Russen die Rechnung der historischen Verbrechen der Sowjetunion aufmache. Nichts wird so heiß gegessen wie es gekocht wird. Und so gab im Baltikum es im Gegenteil zu Deutschland kein Hoyerswerda, Mölln oder Solingen. Die Ereignisse in Tallinn 2007 als Protest gegen die Versetzung eines Denkmals sind die einzigen ethnisch motivierten Ausschreitungen gewesen.
2004 befürchteten viele Ausschreitungen in Lettland am 1. September, der traditionell der erste Schultag ist. Damals trat ein neues Bildungsgesetz in Kraft, nach dem die russischen Schüler einen Teil der Fächer auf Lettisch unterrichtet bekommen. Eine diffizile Frage, geht es doch sowohl darum, daß Schüler den Stoff benötigen, aber die Sprache sollten sie auch gut erlernen.
Die meisten Vertreter der Russen sind zwar während der Sowjetzeit zugewandert, ein großer Teil der ethnischen Minderheiten lebt in Lettland aber schon viel länger. Lettland hat von 1629 bis 1918 eine territoriale Trennung mit wechselnden Herrschaften erfahren, was vorwiegend auf den Livländischen Krieg im 16. Jahrhundert und den großen Nordischen Krieg im 18. Jahrhundert zurückgeht, in denen Schweden, Rußland und Polen-Litauen um die Vorherrschaft im Baltikum rangen.
So geriet Lettland nach dem Zerfall des Livländischen Ordens unter schwedische und polnisch-litauische Herrschaft und selbst nach der dritten polnischen Teilung 1795, als das gesamte Baltikum an das Zarenreich fiel, blieb der Osten des Landes, Lettgallen, Teil des Gouvernements Vitebsk. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, warum gerade im an Weißrußland grenzenden Osten des Landes heute viele Weißrussen und Polen leben. Allerdings war auch Riga im ausgehenden 19. Jahrhundert ein Magnet, die viertgrößte Metropole des Zarenreiches war damals de facto wenigstens dreisprachig, Lettisch, Russisch und Deutsch.
Ein Teil dieser historisch im Baltikum siedelnden Minderheiten ist durch die tragischen Ereignisse vor und während des Zweiten Weltkrieges verschwunden. Die – nur in Estland und Lettland lebenden – Deutschbalten, die Nachfahren der im Mittelalter eingewanderten Ordensritter und Händler, die in den Städten wie auch durch Großgrundbesitz auf dem Lande über Jahrhunderte die Oberschicht bildeten, übersiedelten zum größten Teil 1939 „heim ins Reich“. Nur wenige Menschen blieben freiwillig im Baltikum. Die ehemals besonders in Lettgallen ansässige jüdische Bevölkerung wurde während des Zweiten Weltkrieges von den Nationalsozialisten ermordet. Unter der polnisch-litauische Herrschaft war die Gegend und Vionius vorher ein Zentrum der jiddischen Kultur.
Nichtsdestotrotz war die ethnische Zusammensetzung bis zum Zweiten Weltkrieg, also bis zur Okkupation der baltischen Staaten durch die Sowjetunion eine andere als gegenwärtig. In Estland waren annähernd 90% der Bevölkerung estnisch, in Lettland etwa 80%. Die Deutschbalten haben immer nur eine sehr kleine Oberschicht gestellt. Inklusive der zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Sowjetunion noch stationierten Militärs war bis zu diesem Zeitpunkt in Lettland fast die Hälfte der Einwohner keine Letten. Dies ist zurückzuführen auf eine starke Migration in Richtung der baltischen Republiken. Nach dem Abzug 1994 ist der Anteil der lettischen Bevölkerung bei etwa 60%, dabei darf nicht vergessen werden, daß solche Zahlen auch immer davon abhängig sind, als was sich die Menschen, unabhängig von ihren Vorfahren, selbst fühlen.
Nun ist es umstritten, inwiefern von einer bewußten Russifizierungspolitik der sowjetischen Behörden gesprochen werden darf. Sicher ist, daß während der Sowjetzeit Esten und Letten sich politisch so weit zurückhielten, daß die Parteichefs ihrer Republiken im Gegenteil zu Litauen keine Einheimischen waren – respektive der Landessprache nicht mächtige, aus Rußland reimportierte Funktionäre. Während die Litauer den Bau neuer Fabriken immer wieder abwehrten, wurden in Estland und Lettland Werke dort errichtet, wo entsprechende Arbeitskräfte nicht ansässig waren und die dann einfach aus anderen Republiken angesiedelt wurden.
Darüber hinaus ist es richtig, daß noch unter Stalin viele Kriegsrückkehrer, und darunter nicht nur die Soldaten, sich zwar nicht mehr aussuchen durften, wo sie sich niederließen, die Rückkehr in ihre Heimat aber verwehrt wurde. Später jedoch gingen viele Russen gerne ins Baltikum, da dies in der Sowjetunion mit einer besseren Versorgungslage als der „Westen“ galt. Hinzu kam der Freizeitwert an der Ostseeküste.
Als die baltischen Staaten 1991 ihre Unabhängigkeit erlangten, hatte Litauen im Unterschied zu Estland und Lettland einen etwa der polnischen Minderheit entsprechenden russischen Bevölkerungsanteil von unter 10%. Betrachtet man die Zustimmungsrate bei den vorangegangenen Unabhängigkeitsreferenden, an denen noch alle Einwohner hatten teilnehmen dürfen, also auch die Russen, so kann konstatiert werden, daß dieser Bevölkerungsanteil sich ebenso von der Abkehr von Rußland ein besseres Leben versprach. Während sich Litauen in der Frage der Staatsbürgerschaft für eine Null-Lösung entscheiden konnte, das heißt jeder Einwohner konnte sie beantragen, erhielten in Lettland und Estland nicht alle Menschen automatisch einen Paß der nunmehr unabhängigen Republiken. Und dies stieß international auf harsche Kritik.
Hintergrund dieser Politik ist, daß sich Estland, Lettland und Litauen als die Fortsetzung der 1918 gegründeten Staaten verstehen, die nur ein halbes Jahrhundert nicht handlungsfähig waren. Somit erhielten zunächst einmal nur jene Personen, die vor 1940 Staatsbürger waren inklusive deren Nachfahren automatisch einen estnischen respektive lettischen Paß.
Das junge Sowjetrußland hatte in den Friedensverträgen von 1920 für alle Ewigkeit auf das Baltikum verzichtet, und die Aufnahme in die Sowjetunion 1940 wurde von kurz zuvor aus unfreien Wahlen hervorgegangenen Parlamenten beantragt. Diese Inkorporation in die Sowjetunion war international nie anerkannt worden.
Somit fanden sich die zur Unabhängigkeit positiv eingestellten Russen in einem fremden Nationalstaat wieder, was viele nicht erwartet hatten und dann eben auch ablehnten. Diese Menschen als Staatsbürger das Schicksal des neuen Staates mitgestalten zu lassen, hätte Instabilität nach sich ziehen können, denn Themen wie offizielle Staatssprache als Status für das Russische kämen einer Zementierung der Folgen von 50 Jahren Okkupation gleich.
Immerhin machten Estland und Lettland das Schicksal der Staatenlosigkeit nicht unausweichlich. Die ethnischen Russen konnten selbstverständlich die russische Staatsbürgerschaft erhalten. In beiden Fällen erhielten alle Menschen, die in den Jahren zuvor dauerhaft in Estland oder Lettland gelebt hatten eine Daueraufenthaltsgenehmigung. Niemand wurde also aus dem Land gedrängt und mit den Staatenlosen-Dokumenten war einzig je nach Staat die Reise ins Ausland mit einem häufigeren Erfordernis eines Visums verbunden.
Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, sich in Estland und Lettland einbürgern zu lassen, was mit Prüfungen der Sprach- und Geschichtskenntnisse verbunden ist, der nächste Punkt heftiger Kritik insbesondere aus dem westlichen Ausland. In der Tat sind beide Prüfungen insofern ein Problem, als der Geschichtsunterricht in der Sowjetzeit nicht ideologisch unbelastet war. Schlimmer noch aber wurden Fremdsprachen so gut wie nicht unterrichtet und eine Notwendigkeit oder auch nur Wünschbarkeit, die Sprachen der baltischen Republiken zu erlernen, wurde den dort angesiedelten Russen ausgeredet.
Auf der anderen Seite sind regelmäßig auftauchende Behauptungen, diese Prüfungen seien furchtbar schwierig, unzutreffend. In beiden Ländern müssen die Prüflinge vor einer Kommission von etwa fünf Damen in der Lage sein zu erklären, wie sie heißen, woher sie kommen, was sie beruflich machen etc. Dies muß nicht fehlerfrei sein, sondern halbwegs fließend und verständlich. Danach folgte in Estland ein Diktat von 100 Wörtern, in Lettland ein kleiner Aufsatz. Das entspricht einer halben DIN A4 Seite. Der Text lautete wie folgt: „Nach Tallinn kommen viele Touristen, viele Touristen wohnen in Hotel Viru, von Hotel Viru hat man einen schönen Blick auf die Altstadt“ und in diesem Stil weiter.
Wenn heute in der Presse von Diskriminierung der Russen in den baltischen Staaten die Rede ist, muß darauf hingewiesen werden, daß die wenigsten vor Ort lebenden Russen dies selbst so sehen – von einigen Verbandsfunktionären einmal abgesehen, die z.B. MdB Ulla Jelpke im Oktober 2007 gesprochen hat (siehe entsprechende Posts Jelpke 1 und Jelpke 2). Die meisten Russen wissen sehr genau, daß es ihnen im Baltikum besser geht als im Heimatland. Von Diskriminierung spricht vorwiegend Rußland selbst, diskriminiert aber die eigenen Leute bei der Visavergabe, wenn diese eine Staatsbürgerschaft des Baltikums haben.
Diese Friktionen haben in den letzten Jahren immer mehr nachgelassen. Und seit das Territorialprinzip der Staatsbürgerschaft gilt, das Deutschland übrigens auch erst im Jahr 2000 eingeführt hat, lösen sich die erwähnten Probleme biologisch.

Gratis Zirkus in Lettland

Dieser Beitrag wurde anschließend auch publiziert in: Baltische Briefe Nr.1 (711), 01.2008, S.4-6
Die Letten müssen gegenwärtig kein Geld ausgeben, um einen Zirkus zu sehen. Zirkus gibt es im Fernsehen, die Politiker treten auf.
Was ist besonderes passiert? Noch im Herbst 2006 gewann als einer der seltenen Fälle im postsozialistischen Raum eine an der Macht befindliche Regierungskoalition die Wahlen. Aber was zunächst vor dem Hintergrund der früheren großen Schwankungen in der Wählerunterstützung nach Stabilität aussah, war eher die Wahl des kleineren Übels in einer Gesellschaft, in der die Einwohner, die Bürger wenig aktiv sind, die Parteien also nicht aus gesellschaftlichen Bewegungen hervorgehen, sondern fast ausnahmslos von Vertretern der politischen Elite gegründet worden sind.
An der Exekutive, die nach dem Austritt der Neuen Zeit aus der Koalition im Jahre 2005 bis zum Urnengang als Minderheitsregierung existierte, waren die konservativ-liberale Volkspartei, die Listenkoalition aus Bauernunion und Grünen sowie die fusionierten Kräfte Lettlands Weg / Lettlands Erste Partei beteiligt. Die Bauernunion war damals angetreten mit dem bereits unter Korruptionsverdacht– ein Prozeß lief sogar bereits – stehenden Bürgermeister von Ventspils, Aivars Lembergs, als Spitzenkandidat, obwohl dieser sich nicht um ein Parlamentmandat bewarb.
Lettlands Weg war in den 90er Jahren eine der wichtigsten und langjährigen Regierungsparteien gewesen, die mehrfach den Ministerpräsidenten gestellt hatte. Trotz ihrer eigentlich liberaler Ausrichtung hatte sie als Partner auf Augenhöhe nur die Erste Partei finden können, in anderen Fusionen hätte sich die Partei nur unterordnen können. Ideologisch passen die beiden Kräfte weniger zusammen. Die Erste Partei wird auch Priesterpartei genannt, weil sie durch mehrere Geistliche gegründet wurde. Ihr Weltbild ist ein sehr konservatives, so trifft sie beispielsweise den Nerv der Bevölkerung mit ihrer Ablehnung von Homosexualität.
Diese regierende Koalition aus drei Parteien nahm nach der Wahl im Herbst 2006 zur Sicherung ihrer sonst knappen Mehrheit von nur 51 Mandaten in der 100 Sitze umfassenden Saeima mit der konservativ-nationalen Für Vaterland und Freiheit eine weitere Partei mit ins Boot.
Nachdem bereits zu Jahresbeginn 2006 der Jūrmalgeit-Skandal das Land erschüttert hatte, bei dem die politische Elite via Handygesprächen versuchte, im Kurort Jūrmala nahe der Hauptstadt Riga einen genehmen Bürgermeister zu installieren, begann schnell nach der Regierungsbildung der politische Nihilismus eine neue Dimension anzunehmen. Zunächst kam es zum Konflikt im Zusammenhang mit der Bestellung des Ombudsmannes, es folgten die Änderungen im Gesetz über die nationale Sicherheit, in dem sich die Regierung das Recht zugestehen wollte, selbst darüber bestimmen zu können, wer Träger von Staatsgeheimnisse sein darf. Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga nutze während ihrer letzten Monate im Amt das Recht, die Ausfertigung des Gesetzes zwecks Organisation einer Referendums auszusetzen. Die nötigen Unterschriften wurden zusammengetragen, aber das Referendum erreichte eine zu geringe Beteiligung, weil als Datum ausgerechnet der 7. Juli 2007 angesetzt war, ein Termin, den viele Paare für ihre Hochzeit ausgewählt hatten.
Auch die Wahl des neuen Staatspräsidenten verlief im Frühsommer alls andere als geräuschlos. Der plötzlich von der regierenden Koalition aus dem Hut gezauberte Arzt Valdis Zatlers hatte sich zu Schulden kommen lassen, was in Lettland angesichts geringer Saläre unter Medizinern gang und gäbe ist, Geldgeschenke von Patienten entgegenzunehmen, deren umstrittene Freiwilligkeit neuerlich in der Presse diskutiert wurde. Des weiterem haftet ihm an, daß die Entscheidung zu seinen Gunsten angeblich während eines Treffens der Spitzenpolitiker im Zoo getroffen wurde. Nach der erfolgreichen Bestellung sorgte der Angeordnete der größten Regierungspartei, der Volkspartei, Jānis Lagzdiņš, am Fenster des Abgeordnetenhauses für weitere Aufregung, wo er den ausgestreckten Arm mit Faust die andere Hand in den Ellebogen legend zeigte. Es fehlte nur der ausgestreckte Mittelfinger. Angeblich habe er sich an einen konkreten Bekannten vor dem Gebäude wenden wollen, was angesichts der dort versammelten Anhänger des Oppositionskandidaten und früheren Präsidenten des Verfassungsgerichtes, Aivars Endziņš, wenig überzeugend klang.
Aber die Regierung brachte das Faß erst im Oktober durch die – inzwischen wieder zurückgenommene – Absetzung des Direktors der Anti-Korruptionsbehörde Andrejs Loskutovs zum Überlaufen. Es gab Demonstrationen und erst dann und auch nur zögerlich war Ministerpräsident Aigars Kalvītis bereit, den politischen Bankrott seiner Regierung einzusehen und den Rücktritt anzukündigen – wenn auch mit dem kleinen Kniff, dies für den 5. Dezember anzukündigen, wenn Ministerpräsident Aigars Kalvītis exakt auf drei Amtsjahre zurückblicken kann.
Und was ist an diesem Vorgang besonderes? Neu ist, daß das inzwischen schon dritte Kabinett Kalvītis, welches vor dem Hintergrund der Instabilität der vergangenen Jahre bereits die 14. (!) Regierung Lettlands seit 1990 war, die erste ist, die nicht abtritt, weil die Koalition zusammengebrochen ist. Früher waren Ministerpräsidenten zum Rücktritt immer nur gezwungen, weil ein Partner der Regierung die weitere Unterstützung versagt hatte.
Und damit begann der Zirkus. In der Saeima haben die sogenannten nationalen Kräfte eine große Mehrheit; eine Regierung zu bilden dürfte also nicht schwierig sein. Die Mehrheitsverhältnisse haben sich jüngst nur bedingt geändert, weil die vormaligen Minister der Volkspartei Aigars Štokenbergs und Artis Pabriks nicht mehr zur Fraktion gehören. Ersterer war, obwohl Präsidiumsmitglied, in Abwesenheit aus der Partei ausgeschlossen worden, weil er angeblich eine eigene politische Kraft zu gründen geplant habe. Darauf hin trat Pabriks als Außenminister zurück. Beide Positionen wurden vom abtretenden Ministerpräsidenten nicht nur kommissarisch neu besetzt. Über seine Motivation wie auch jene der neuen Minister Māris Riekstiņš für das Auswärtige und den Bürgermeister von Kuldīga, Edgars Zalāns, für regionale Angelegenheiten mag man spekulieren. Offensichtlich gingen beide davon aus, daß sie auch in der nächsten Regierung dieselben Positionen würden besetzen können. Die Volkspartei demonstrierte jedenfalls trotz des Rücktritts von Kalvītis damit ihre Einstellung. Und so führte die Diskussionen über die Bildung einer neuen Regierung auch niemand anderes als der abtretende Regierungschef selbst.
Aber trotz der Mehrheiten ist die Lage verzwickt. Die Volkspartei ist nicht bereit unter einem Premier zu arbeiten, der aus der einzigen liberal-konservativen, derzeit in der Opposition befindlichen Kraft, der Neuen Zeit, kommt, die 2005 im Streit aus der damaligen ersten Regierung Kalvītis ausgetreten war und die zweite damit zu einem Minderheitskabinett hatte werden lassen. Die Gründe damals waren in etwa dieselben, welche nun zum Bankrott der dritten Regierung Kalvītis geführt hatten. Aus diesem Grunde will sich die Neue Zeit wiederum auch nicht vorführen lassen und ist verständlicherweise nicht bereit, unter einem Premier aus den Reihen der Partei des abtretenden zu akzeptieren.
Die Parteien der abgetretenen Koalition zeigten nun erneut demokratischen Entscheidungsprozessen die kalte Schulter. So erklärte Māris Segliņš, der auch unter Regierungschefs von Lettlands Weg Innenminister gewesen war, der Präsident müsse jetzt den Startschuß geben. Die Parteien könnten mit dem Prozeß der Regierungsbildung erst beginnen, wenn sie wüßten, wer den Auftrag erhält. Dabei hatte die Volkspartei den gerade erst in die Regierung gewechselten Zalāns als Kandidaten portiert, der prompt für Aufsehen sorgte, als er sich weigerte, in der bekanntesten und wichtigsten Diskussionssendung „Kas notiek Latvijā“ – „Was passiert in Lettland“ des lettischen Fernsehens aufzutreten. Nicht nur, daß er an dem Abend eine Einladung habe, nein, er halte grundsätzlich die Teilnahme an dieser Sendung für überflüssig. Aber auch der Umstand, daß sich Aigars Kalvītis dauernd in die Diskussion über eine neue Regierung einmischte, unterstrich nur noch einmal den Eindruck, der schon durch die Berufung Zalāns in die abtretende Regierung entstanden war.
Und wer ist der Dompteur in diesem Zirkus? Der Arzt Valdis Zatlers befindet sich in keiner beneidenswerten Position. Der Präsident, welcher in Lettland nicht nur das Recht hat, einen Regierungschef zu benennen, sondern dessen Pflicht dies auch ist. Doch kann er bei seiner Entscheidung die Mehrheitsverhältnisse im Parlament, das diesen Kandidaten dann bestätigen muß, nicht außer Acht lassen. Präsident Ulmanis hatte 1995 Māris Grīnblats nominiert, um eine Regierungsbeteiligung des Deutschletten Joachim Siegerist zu verhindern, was ihm auch gelang. Grīnblats wurde dann zwar nicht Ministerpräsident, aber statt dessen der damals parteilose Andris Šķēle, der anschließend auf dem Höhepunkt seiner Popularität die Volkspartei des jetzt abgetretenen Aigars Kalvītis gründete.
Doch damals war die Situation eine ganz andere. Drei Parteien waren mit ungefähr 15% der Mandate etwa gleich stark, angesichts der Mehrheitsverhältnisse war etwas anderes als eine Regenbogenkoalition arithmetisch gar nicht möglich. Heute dagegen sind drei Parteien mit einer für lettische Verhältnisse starken Fraktion im Parlament vertreten. Aber was nun unter diesen Umständen? Wenn sich die Parteien können sich nicht einigen, wer mit wem gehen soll oder will, zwingen sie dem Präsidenten eine Verantwortung auf, die ihm so eigentlich nicht zukommt. Gleichzeitig war der offensichtliche Wunsch des politisch noch unerfahrenden Zatlers chancenlos, einen unabhängigen Kandidaten zu benennen, auch wenn dies angeblich durch die Neue Zeit als Kompromiß noch einmal vorgeschlagen wurde.
Als Kompromißkandidat bot sich einzig der Kandidat von Lettlands Weg /Lettlands Erste Partei, Ivars Godmanis, an. Er hat Erfahrung im Amt, war bereits Regierungschef der Volksfront, was aber scher auch sein Manko ist. Viele Menschen verbinden die sozial und wirtschaftlichen harten Zeiten des Zusammenbruchs mit diesem Namen, sie sind der Meinung, daß die großen Arbeitgeber wie VEF oder RAF absichtlich geschlossen wurden.
Als Zatlers Godmanis schließlich berief wurde dem Wunsch Ausdruck verliehen, die Parteien möchten eine Regierung innerhalb einer Woche bilden. Auch dies ein Hinwis darauf, daß die vormaligen Partner nicht bereit waren, der Neuen Zeit wirklich ein ernsthaftes Angebot zu unterbreiten, die in einer fünf Parteien umfassenden Koalition nicht nur rechnerisch das fünfte Rad am Wagen gewesen wäre.
Die nunmehr erfolgte Bestätigung der neuen Regierung leidet unter dem Beigeschmack, eine Neuauflage der abtretenden zu sein nicht nur wegen der Kongruenz der beteiligten Partner. Wie bereits durch die Amtsübernahme von Riekstiņš und Zalāns angedeutet, denken die Regierungsparteien gar nicht daran, wirklich etwas zu ändern Die meisten Gesichter bleiben die gleichen.
Godmanis setzt damit eine schillernde Karriere fort. Als Regierungschef der Volksfrontregierung war er der Stein in der Brandung, fast alle Minister wurden in seiner Regierungszeit damals ausgewechselt, nur er selbst blieb. 1993 wurde seine Volksfront in Folge der sozialen Härten des Umbruchs abgewählt, die damals populäre Partei aus Reformkommunisten und Exilletten, Lettlands Weg, wollte ihn wegen seiner Unbeliebtheit nicht in ihre Reihen aufnehmen, was später dann doch geschah. Godmanis wurde Finanzminister.
Ob er nun in der Lage sein wird, das Staatsschiff umzusteuern, ist die eine Frage und ob er das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen kann eine andere. Und welche Aufgabe ist eigentlich die schwierigere? Die Bevölkerung, aber auch Sozialwissenschaftler und Journalisten, verlangen Neuwahlen, auch weil alle Regierungsparteien im fraglichen letzten Wahlkampf 2006 gegen die gesetzliche Obergrenze der Wahlkampfausgaben verstoßen haben. Es wird argumentiert, diese politischen Kräfte hätten ihren Sieg erkauft. Aber woher bei einer bald anstehenden Wahl unbelastete politische Parteien und Politiker kommen sollen, darauf hat niemand eine Antwort. Und hier sind Zweifel auch deshalb angebracht, weil viele der Parlamentarier auf den schwarzen Gehaltslisten von Lembergs stehen sollen – aber einstweilen weiß niemand wer.

Samstag, 22. Dezember 2007

Mindestlohn, Abfindungen, Neid und Gerechtigkeit

Stammtischgerede gibt es immer. Aber es ist interessant, daß in jüngster Zeit gleichzeitig über Mindestlöhne wie auch die Bezahlung der Spitzenmanager nicht nur im Volke, sondern auch im Parlament diskutiert wird. Nach einer Unterschichtdebatte, die nun schon länger geführt wird, liegt mittlerweile in Anbetracht der Einkommen der Ackermanns und Piëchs, nach den Skandalen bei Siemens und den Schwierigkeiten des DaimlerCrysler Konzerns eine Stimmung in der Luft, die natürlich immer im Verdacht steht, eine Neiddebatte zu sein.
Aber zunächst ein paar triviale Feststellungen: Im Kapitalismus, um dieses gerne negativ verstandene Schlagwort für die Marktwirtschaft zu verwenden, gab und gibt es immer Einkommensunterschiede. Die sind im über Jahrzehnte von Sozialdemokraten regierten Volksheim Schweden geringer als beispielsweise in den südamerikanischen Schwellenländern Mexiko oder Brasilien. Sie sind geringer in den kontinentaleuropäischen Demokratien als in den Vereinigten Staaten von Amerika. Es hängt sehr stark von der politischen Kultur, von der Geschichte eines Landes ab, wieviel Unterschiede konsensfähig sind. Während Deutschland mit seiner obrigkeitsstaatlichen Tradition viel Erwartung in den Staat kultiviert hat, will der US-Bürger in der Regel von seinem Staat eher in Ruhe gelassen werden.
So lange die unteren Einkommensschichten mit ihrem Leben zufrieden waren, und das galt in der Bundesrepublik beginnend mit dem sogenannten Wirtschaftswunder bis mindestens in die 80er Jahre, gab es keine nennenswerten Neidgefühle. Das der eigene Zahnarzt im benachbarten Villenviertel zu wohnen sich leisten konnte, war in einer Bevölkerung mit einem breiten Mittelstand akzeptiert, als es eben noch keine Ängste vor einem sozialen Abstieg gab.
Nichtsdestotrotz muß die Frage erlaubt sein, und da taucht das Unwort „Gerechtigkeitslücke“ wieder auf, ob es gerecht sein kann, wenn jemand von seinem Einkommen nicht leben kann, obwohl er nicht arbeitslos ist, sondern einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht. Und das ist dann auch die Ursache dafür, daß Forderungen nach einem Mindestlohn auftauchen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, daß die großen Chefs so viel Geld verdienen, daß mancher Manager in der Stunde mehr bekommt als seine Mitarbeiter im ganzen Monat.
Aber gemach, Vertreter aus Parteien und Verbänden weisen nicht zu Unrecht auf einen ganz wesentlichen Aspekt hin: in einem freien Staat kann der Staat nicht gesetzlich regeln, wieviel nach oben betrachtet auf der Einkommensskala ein Mitarbeiter einem Unternehmen wert ist. Und auch die Manager sind ja Beschäftigte ihrer Arbeitgeber, die großen Unternehmen in der Regel Aktiengesellschaften, bei denen die Gesetzgebung ja bereits vorsieht, daß die Mitarbeiter via Gewerkschaften in den Aufsichtsräten mitbestimmen.
Na schön, mag man geneigt sein zu sagen, aber trotzdem wird es als ungerecht empfunden, wenn die Einkommensschere so weit auseinander geht. Ist die Arbeit des Managers tatsächlich so viel mehr wert wie er am Monatsende mehr in der Tasche hat? Dem aber muß entgegen gehalten werden, daß das Leben nun einmal nicht gerecht ist. Die Menschen bringen unterschiedliche intellektuelle Voraussetzungen mit und wurden verschieden sozialisiert, sie haben unterschiedliche Ausbildungen und Ambitionen.
Die Frage Chancengleichheit bei der Bildung, Schlagwörter wie das Unwort „Migrationshintergrund“ und natürlich die Pisa-Studien, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Mindestlohn und Managereinkommen nicht der Parameter sind, diese Probleme zu lösen.
Aber eine auf Eigenverantwortung sich konzentrierende Sichtweise orientiert sich am Individuum. Damit vernachlässigt diese Argumentation, daß der Staat wir alle sind. Darum muß sich der Staat auch an allen orientieren; man nennt das Gemeinwohl. Und an dieser Stelle müssen weder die Begriffe der „sozialen Marktwirtschaft“ oder des „Sozialstaates“ als politische Ideen konkreter Parteien bemüht werden, es genügt ein Blick ins Grundgesetzt, denn Artikel 20 Absatz 1 besagt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Und im Rahmen der Grundrechte definiert der Text auch die Bedeutung des Eigentums, welches Artikel 14 Absatz 1 schützt: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet“. In Absatz 2 heißt es jedoch auch: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Und in diesem Zusammenhang ist es nötig zu begreifen, daß die Individuen in einer Gesellschaft immer nur dann vorankommen können, wenn die Allgemeinheit dabei mitgenommen wird. Dies gilt entweder in Form einer weitgehend sozial durchlässigen Gesellschaft wie den USA mit dem sprichwörtlichen Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär – wobei s natürlich auch hier die bekannten Behinderungen durch Hautfarbe und ein weiteres Unwort wie „Bildungsferne“ nicht durch den Parameter von staatlichen Lohnvorschriften gelöst werden kann – oder aber ein soziales Netz.
Kompliziert, verworren und damit ungerecht ist sicher das Steuersystem. Es ist nicht nachvollziehbar, daß der Erwerb des Wohneigentums, das früher einmal aus nachvollziehbaren Gründen gefördert wurde, nun dazu führt, daß, wer sich Wohneigentum überhaupt leisten kann, durch Steuergelder auch aus der Tasche der Geringverdiener gefördert wird, welcher seinerseits gar keine Chance hat, eine entsprechende Begünstigung je in Anspruch zu nehmen.
Auch wenn das Leben wie bereits erwähnt nicht gerecht ist, muß sich das Eigentum Gedanken über die Mittellosen, teilweise auch Chancenlosen machen. Andernfalls sind Beschwerden über die diversen unerwünschten Auswüchse im Lande sinnlos. Es ist erforderlich, über deren Ursachen nachzudenken. Eine gefühlte „Gerechtigkeitslücke“ ist dabei ein warnender Hinweis.

Leben und soziale Situation im Baltikum

Lebensstandard und allgemeine Lebensumstände sind für die meisten ausländischen Gäste viel wichtiger als Geschichte und Kultur. Wie hoch ist denn hier das Durchschnittseinkommen? Das ist die am häufigsten gestellte Fragen der Touristen. Darauf kann man nur erwidern, daß dies in zwei Sätzen gar nicht zu beantworten ist und eigentlich auch kaum zu ermitteln – getreu nach dem bekannten Motto: ich traue nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe. Aber ganz so schlimm ist es freilich nicht. In den baltischen Ländern besteht das Problem vorwiegend darin, daß zu viel im realen Leben passiert, was statistisch nicht erfaßt wird und nicht erfaßt werden kann. Darum ist es erforderlich, um den Lebensstandard der Menschen im Baltikum zu erklären, die Einnahmen- und die Ausgabenseite separat zu betrachten, weil sich beide Aspekte doch sehr deutlich vom westeuropäischen Durchschnitt unterscheidet.
Das offizielle Durchschnittseinkommen in Lettland liegt bei etwa 250 bis 300 Lat, und das ist deutlich weniger als 500 Euro. Damit sind die Letten statistisch noch hinter Portugal das Armenhaus Europas. Aber stimmt das?
Im Jahre 2002, also ungefähr ein Jahr vor dem Referendum, hat der lettische Journalist Juris Paiders ein Buch unter dem Titel „Ne¯ Eiropas Savieni¯bai“ also „Nein der Europäischen Union“ herausgegeben. Das Buch ist aber weniger ein Pamphlet gegen den Beitritt als eine Analyse der aktuellen wirtschaftlichen Situation in Lettland und der Folgen, die ein EU Beitritt zeitigen wird. Paiders schreibt, daß in einer durchschnittlichen lettischen Wohnung von der Kaffeemaschine über den Kühlschrank, Fernseher und Videorekorder bis hin zum Computer alles vorhanden ist. Und so viel ist klar, mit dem vorher genannten Durchschnittseinkommen ließe sich dies nicht finanzieren.

Einnahmen
Einstweilen ist es in den baltischen Staaten nicht Ungewöhnliches, daß Menschen mehr als eine Arbeitsstelle haben. Insbesondere in Lettland ist es außerdem ein leidliches Thema, daß viele Arbeitgeber ihre Mitarbeiter offiziell zum gesetzlich festgelegten Mindestlohn beschäftigen, zusätzlich aber das sogenannte „Umschlageinkommen“ zahlen, in klaren Worten formuliert, diese Menschen arbeiten also halb schwarz – zu ihrem eigenen Nachteil, denn natürlich werden für diese zusätzlichen Zahlungen keine Sozialabgaben abgeführt. Im Handwerk und auf dem Bau ist die Zahl der grundsätzlich schwarz Arbeitenden sowieso hoch.
Und damit läßt sich auch eine zweite beliebte Frage der Touristen beantworten: Wie hoch ist denn hier die Arbeitslosigkeit? Hier war die Antwort vor der Krise unproblematisch: Es gab in den baltischen Ländern keine Arbeitslosigkeit. Abgesehen davon, daß die Transferzahlungen des Staates gering sind und es sich nur für wenige wirklich Arbeitslose lohnt, sich registrieren zu lassen, gibt es auch genügend Kollegen, die als offizielle Arbeitslose die Unterstützung mitnehmen und nebenbei schwarz weiterarbeiten. Hier müssen viele Arbeitgeber keine große Überredungskünste besitzen. Eine aus der Sowjetzeit geerbte negative Einstellung gegenüber dem Staat und Vorschriften läßt hier wenig Unrechtsbewußtsein entstehen.
Aber daß es eigentlich keine Arbeitslosigkeit gab, lag vorwiegend an der Öffnung der Arbeitsmärkte in Irland und Großbritannien mit dem Beitritt zur Europäischen Union 2004. Zwar arbeiten dort viele Menschen in Positionen, die ihrem Bildungsniveau nicht entsprechen, aber der mutmaßlich höhere Lohn hat viele in Unkenntnis der auch höheren Lebenshaltungskosten gereizt. Durch den gleichzeitigen Boom im Inland fehlten in den baltischen Ländern de facto Arbeitskräfte und es gab Plakatwerbeaktionen, welche die Menschen zum Bleiben aufforderten und Diskussionen über die Notwendigkeit, Gastarbeiter aus anderen ehemaligen Sowjetrepubliken ins Land zu holen.

Ausgaben
Die Frage, welche Ausgaben die Menschen im Baltikum haben, unterscheidet sich aber noch deutlicher von Westeuropa. Was kostet hier eine Miete? Auch diese Frage ist unter Touristen beliebt. Und hier muß daran erinnert werden, daß der Löwenanteil der Wohnbausubstanz in den baltischen Staaten zu sowjetischer Zeit errichtet wurde, und das heißt, es gab nie einen Eigentümer, die Wohnung wurden von der Stadtverwaltung oder den Werken verwaltet. Dank der Voucherprivatisierung konnten so die Menschen fast überall Eigentümer der Wohnungen werden, die seit bereits lange bewohnten. Die Verwaltungen wurden in Kooperativen umgewandelt, die mit Wohnungsbaugesellschaften in Deutschland vergleichbar sind. Die Bewohner zahlen nur die sogenannten Kommunalgebühren, also die Betriebskosten. In einer ungefähr 47km2 großen, typischen Zwei-Zimmer-Chruschtschowka (benannt nach dem Parteichef in der Zeit, in welcher sie errichtet wurden), betrug diese Summe 2004 nur etwa 25 Euro im Monat. Während der Heizperiode steigt dieser Betrag jedoch deutlich an, denn die sozialistischen Wohnhäuser sind ausnahmslos fernbeheizt. Da die Energiekosten auch in den baltischen Staaten in den letzten Jahren gestiegen sind, gibt es natürlich Parteien, die sich mit Lösungen nur für ihre Wohnung von diesem Netz abkoppeln.
Aber darüber hinaus pflege ich zu sagen, daß Kartoffeln nicht wie in Deutschland im Supermarkt wachsen. Die meisten Familien haben Kleingärten in einem Radius von bis zu 100km von ihrem Wohnort, wo Gemüse und Obst angebaut werden, in Gewächshäusern „Marke Eigenbau“ werden meist auch Tomaten gezüchtet.
Diese Struktur kann nur existieren dank einer innerfamiliären Zusammenarbeit über drei Generationen. Selbstverständlich helfen die Kinder mit, aber auch die Großeltern werden eingebunden. Die Rentner sind so gering, daß die Alten gezwungen sind, beispielsweise in im Baltikum noch allgegenwärtigen Pförtnerpositionen zu arbeiten – die gibt es sogar in Studentenwohnheimen, denn die Studenten leben fast nirgends allein auf einem Zimmer, und am Eingang wird der Besuch kontrolliert – oder aber von ihren Kindern finanziell unterstützt werden, wofür eine Gegenleistung erbracht wird, indem die Rentner im Garten arbeiten und auch auf die Kinder aufpassen, denn die Eltern arbeiten wie erwähnt sehr viel.
Darüber hinaus gibt es in den baltischen Ländern neben anderen einen besonderen Volkssport: das sammeln von Beeren und Pilzen. Wegen der dünnen Besiedlung und des feuchten Klimas gibt es beides in Hülle und Fülle. Hier gedeihen auch die in Deutschland weitgehend unbekannten Moosbeeren, auf Estnisch „jõhvika“ und auf Lettisch „dze¯rvene“. Die Popularität dieser Tätigkeit ist so groß, daß die lettische Sprache dafür sogar eigene Verben kennt: „oga“ ist die Beere und „ogot“ bedeutet, sie zu sammeln. „Se¯ne“ bedeutet Pilz und „se¯n¸ot“ kann man nur mit „in die Pilze gehen“ übersetzen.

Kredite
Dies sind natürlich die Aspekte, die eine Touristengruppe bei einer nur wenige Tage dauernden Reise mit Ausnahme der am Straßenrand feilgebotenen Pilze und Beeren nicht zu Gesicht bekommt. Dafür springt ihnen beim Altstadtrundgang insbesondere in Riga etwas anderes ins Auge: die Vielzahl der großen und teuren Autos.
Zunächst muß einschränkend hinzugefügt werden, daß sich diese Beobachtung vor allem auf das Zentrum konzentriert. Da es nämlich keine große Mittelschicht gibt, die wie etwa in Deutschland einen Neuwagen der Mittelklasse erwirbt und diesen über zehn und mehr Jahre fährt, fehlt im Straßenbild dieses Segment von PKW. Es gibt fast ausschließlich die teuren Wagen und eben viele weit mehr als zehn Jahre alten, aus dem Ausland gebraucht eingeführten Autos.
Die meisten Fahrzeuge sind aber kein Privateigentum. Für die Buchhaltungen der ausländischen Firmenvertretungen ist es sinnvoller, einen Qualitätswagen über einen Leasingvertrag zu beschaffen, als die örtlichen Mitarbeiter mit Gebrauchtwagen auszustatten. Und diese, meist sehr jungen Personen, dürfen das Auto auch in ihrer Freizeit benutzen. Und geleast oder auf Ratenzahlung erworben sind zweifelsohne auch mehrheitlich die Fahrzeuge im Privatbesitz. Aber selbstverständlich gibt es in den baltischen Staaten auch Menschen, die in den letzten Jahren reich geworden sind, und sich die großen Wagen tatsächlich leisten können.
Dies muß man vor dem Hintergrund einer Lebenserfahrung verstehen, die in den vergangenen Jahren gezeigt hat, daß sich die Umstände schnell ändern können. Darüber hinaus sind die Gesellschaften der postsozialistischen Staaten noch erheblich mehr in der Moderne als der Westen, wo postmaterialistische Werte einen großen Teil der Gesellschaft erfassen. Im Baltikum wird eben gerne konsumiert, wenn es irgend möglich ist und dies auch gern gezeigt. Alleine die Einfahrt in die Altstadt kostet 5 Lat in der Stunde. Die Auswirkung dieses Snobismus zeigen sich außerdem in einer Vielzahl sogenannter Wunschkennzeichen, die in Lettland völlig frei wählbar sind. Und so kann es passieren, daß man einen Hummer mit dem Kennzeichen „ROLEXXX“ sieht.
Und selbst vor einem Studentenwohnheim, wo der Einzelne nicht einmal über ein eigenes Zimmer verfügt, sind oftmals mehrere Autos geparkt, deren Besitz man keinem Studenten zutrauen würde. Jedoch arbeiten die jungen Leute in der Regel spätestens ab dem zweiten Studienjahr und machen ob ihrer „zeitgemäßeren“ Kenntnisse nach Auslandsaufenthalt und Dank umfangreicher Sprachkenntnisse Karriere. Mit 300 Lat Monatseinkommen ist man dann kreditwürdig genug, und selbstredend kommen ein BMW und ein modernes Handy bei den Mädels in einer doch ziemlich materialistisch orientierten Gesellschaft besser an ...

Aktiva und Passiva

Schuldenfalle! Wir leben auf Kosten der nachfolgenden Generationen. Solche Behauptungen und Schlagworte kann man in den Medien häufig hören. 1983 machte die CDU vor der Bundestagswahl Stimmung für sich mit dem Slogan, die SPD-Schulden müßten abgebaut werden, nur sieben Jahre später begann das Versteckspiel der Schuldenspirale durch die Ausgliederung in andere Haushalte wie etwa den der Treuhandanstalt.
Unbedarften könnte bei diesen Schlagzeilen Angst und Bange werden, wie soll das bloß weitergehen, wenn wir es kaum schaffen, die Neuverschuldung zu bremsen? Und was bedeutet eigentlich Neuverschuldung? Neuverschuldung bezeichnet jene Summe an Krediten, die über den vorhandenen Schuldenberg hinaus zusätzlich aufgenommen, also neu werden.
Aber ist es richtig, soviel schwarz zu malen? Was sind eigentlich Schulden? Natürlich sind Schulden zunächst einmal Summen, die ausgegeben werden und die Einnahmen übersteigen, folglich wird streng genommen künftiges Einkommen ausgegeben. Was kann man gegen Verschuldung tun?
Das ist etwas, was sich durchaus mit einem Privathaushalt vergleichen läßt. Wer Schulden macht, hat offenbar nicht genug finanzielle Mittel zur Verfügung, um zu beschaffen, was benötigt und / oder gewünscht wird. Und dagegen kann man natürlich zwei Strategien einsetzen. Auf der einen Seite steht Sparsamkeit, also weniger ausgeben. Aber auf der anderen Seite könnte man auch einfach bemüht sein, mehr einzunehmen. Im Falle des Staates bedeutet dies natürlich, die Steuern müssen erhöht werden.
Schon ergibt sich eine weitere Frage: wie kann es sein, daß man ausgeben kann, was man gar nicht hat? Und die Antwort auf diese Frage ist ganz einfach, denn ausgegeben wird, was andere haben. Der Makler, dessen Geschäft dieser Vorgang ist, heißt Bank. Damit aber wird eines klar: Keineswegs wird ausgegeben, was gar nicht da ist, ausgegeben wird vielmehr, was andere einstweilen zur Befriedigung ihres Bedarfes und / oder Wünsche nicht benötigen! Und das konterkariert doch ein wenig die eingangs erwähnten Panikmache vom Leben auf Kosten von Kindern und Kindeskindern. Der Staat umverteilt also de facto mit einem Wechsel auf die Zukunft.
Und deshalb läßt sich summa summarum nur ein Schluß ziehen: Es kann mit diesem Wechsel nichts Schlimmeres passieren als das, was die entwickelten Länder mit vielen Entwicklungsländern bereits machen, nämlich die Schulden erlassen. Das käme vom Staat aus betrachtet einer Enteignung jener gleich, deren einstweilen nicht benötigte finanzielle Mittel als Darlehen durch den Staat ausgegeben wurde. Wie war das noch gleich mit höheren Steuern?
Freilich stimmt diese Logik nicht allumfassend. So wird der Löwenanteil der Kredite, die in den postsozialistischen Staaten Osteuropas über Kredite ins Land fließt, eben nicht durch inländische Einlagen gedeckt. Die Banken gehören ausländischen Konzernen und die Einlagen stammen aus den Herkunftsländern der Banken. Aber es gibt in diesen Staaten noch einen weiteren Unterschied zu den hochverschuldeten westeuropäischen Staaten: Schuldner sind in Osteuropa allem voran die Privathaushalte und weniger der Staat. Die öffentlichen Haushalte sind etwa in den baltischen Staaten weitgehend ausgeglichen.
Übrigens, hiermit soll in keinster Weise sozialistischen Modellen das Wort geredet werden, eine Neiddebatte ist hier fehl am Platze. Aber dieser Umstand hat vielleicht trotzdem etwas mit der „gefühlten Gerechtigkeitslücke“ zu tun.

Sonntag, 16. Dezember 2007

Die Lettische Sprache

Lettisch bildet gemeinsam mit Litauisch die baltische Untergruppe der indo-europäischen Sprachen, zu welchen von Russisch bis Portugiesisch fast alle Sprachen Europas gehören. Die Ausnahme im Baltikum ist beispielsweise das Estnische als finno-ugrische Sprache. Lettisch ist aber trotzdem eine verhältnismäßig junge Sprache, es ist im Laufe der Jahrhunderte entstanden mehreren Sprachen baltischer Stämme wie u.a. der Kuren, Semgaller und Lettgaller. Litauisch dagegen gilt als die der indeo-europäischen Ursprache am ähnlichsten verbliebene, also als die archaischste.
Ausländer deutscher oder englischer Muttersprache, die versuchen, sich das Lettische anzueignen, stöhnen meist wegen der vielen zu erlernenden Endungen sowohl bei den Deklinationen als auch bei den Konjugationen. Nicht selten heißt es, das sei ja wie Latein. Diese Beobachtung ist nicht von der Hand zu weisen, andererseits ist das Erlernen so schwierig auch nicht, ähneln sich doch die Endungen in konkreten Kasus, aber auch grammatikalischen Personen. Und noch etwas, sitzen die Endungen erst einmal, gibt es erheblich weniger Schwierigkeiten mit Idiomatik und Satzstellung als im Englischen oder Deutschen; das Lettische läßt dem Sprecher weitgehende Ausdrucksfreiheit, denn wer was mit wem macht, das wird Dank der Endungen verständlich. Und noch eine positive Nachricht für den Lernwilligen: Lettisch ist eine sehr regelmäßige Sprache, es gibt kaum Ausnahmen.
Dem Beobachter wird anhand von Aufschriften schnell auffallen, daß es im Lettischen, auch wenn es die lateinische Schrift verwendet, zahlreiche Buchstaben gibt, die sich auf einer deutschen oder englischen Tastatur nicht finden. Da sind die Balken über den Vokalen und die Häkchen unter einigen Konsonanten zu erwähnen. Diese Sonderzeichen wurden in der Zwischenkriegszeit anläßlich einer Rechtschreibreform von Ja¯nis Endzeli¯ns eingeführt. Die vorherige Schreibweise lehnte sich an ein deutsches Verständnis an, weil die Schriftsprache erst nach der Reformation langsam zu entstehen begann, als die vorwiegend deutschen Priester begannen, in der Landessprache zu predigen sowie Katechismus und Bibel zu übersetzen.
Endzeli¯ns verordnete den Letten eine logische Rechtschreibung, in dem Buchstaben ein Laut zugeordnet ist, Besonderheiten wie die Diphthonge „ie“ oder „ei“ im Deutschen oder das „th“ im Englischen gibt es nicht, alle Buchstaben sind separat zu artikulieren. Auch stimmhaftes und stimmloses S werden durch die Schreibweise mit Z respektive S im Gegenteil zum Deutsche sichtbar. Darum läßt sich auch jedes unbekanntes Wort mühelos richtig aussprechen. Dabei kommt außerdem die Betonung auf der ersten Silbe zur Hilfe, welche die Letten Dank eines Einflusses aus dem finno-ugrischen Livischen übernommen haben. Diese war die Sprache eines Volkes, welches auf dem heutigen Territorium Lettlands siedelte, sich aber durch die Jahrhunderte assimilierte. Eine der wenigen Ausnahmen davon ist „paldies“, Danke.
Der Reformer ging jedoch noch weiter und setzte Balken auf jene Vokale, die lang auszusprechen sind an Stelle eines Dehnungs-H. Die umgekehrten Dächer auf den Zischlauten C, S und Z stellen die Laute „tsch“, „sch“ und „dsch“. Die Häkchen unter den Konsonanten wiederum kennzeichnen sogenannte Palatalisierungen, Erweichungen: das bedeutet, der Sprechende legt bei der Aussprache des entsprechenden Buchstabens die Zunge weitgehend an den Gaumen.
Mit sieben Fällen hat Lettisch zwar mehr als das Deutsche, das muß aber nicht unbedingt heißen, daß dies die Sprache schwieriger macht. So gibt es etwa einen Lokativ, der auf die Fragen wo und wann antwortet, womit eine Vielzahl von im Deutschen oder Englisches mühsam zu erlernenden Präpositionen wegfallen. Die Hauptstadt Lettland heißt Ri¯ga, auf Lettisch mit langem I; Ri¯ga¯, also auch mit langem A am Ende bedeutet „in Riga“.
Dies erzähle ich am Herder-Denkmal (Johans Gotfri¯ds Herders) in der Altstadt:
Aber es gibt auch diskussionswürdige Aspekte, so ist im Lettischen vorgeschrieben, alle fremdsprachlichen Eigennamen zu lettisieren. Und wenn mein Name lettisiert wird, dann versteht meine Mutter nicht mehr, daß ich das sein soll. Neben der Tatsache, daß ein Name m.E. zur ureigensten Identität eines Individuums gehört, hat diese Lettisierung aber auch konkrete Nachteile. Zunächst wird sie trotz vorhandener Regeln so inkonsequent durchgeführt, daß meine verschiedenen Publikationen in lettischer Sprache in der Datenbank Lursoft nicht mit Autorensuche aufzufinden sind, denn die Redaktionen haben mindestens vier verschiedene Varianten erdacht wie Re¯tcs, Re¯tss oder auch Re¯ts. Und deshalb wird oftmals auch den Rückschluß aus der lettischen Schreibweise auf das original verunmöglicht; und dann ist es für Studenten auf der Suche nach Literatur schwierig. Fraglich ist die Praxis außerdem, weil sich Laute wie das englisch „th“ nicht mit einem oder mehreren Buchstaben des lateinischen Alphabets lautmalerisch nachstellen lassen. Auch sind Zweifel berechtigt, daß ein so kleines Land wie Lettland über Philologen aller Sprachen dieser Welt verfügt, welche die richtige Aussprache kennten. Dieser Einwand bezieht sich auf den Umstand, daß die Transkription mit der Argument verordnet wird, die Wörter sollten so geschrieben werden, daß der Lette sie richtig ausspricht. Doch gerade bei Anglizismen „demping“ und dergleichen, wird dagegen regelmäßig sowieso verstoßen. Wer „Parisa“ ließt, mag zunächst auch eher an eine Stadt in Frankreich denken, die aber im Lettischen „Pari¯ze“ heißt, mit langem I. Parisa ist Paris Hilton. Das E als Endung brauchen die Letten wie bei Herders das S zum Deklinieren. Und da auch getrennte Eigennamen plötzlich zusammengeschrieben werden, kann ein geographischer Atlas zum Stolperstein werden: Nujorka, Beverlihilsa. Man möge raten, um welche Orte es sich handelt.

Samstag, 15. Dezember 2007

Wie funktioniert Politik im Baltikum?

Beim Altstadtrundgang durch Tallinn oder Riga werde ich vor dem jeweiligen Parlament regelmäßig gefragt, wer denn gerade regiere, Konservative oder Sozialdemokraten. Ich antworte, daß man darauf nicht in einem Satz antworten kann und weise dann immer darauf hin, daß ich über die Parteiensysteme der baltischen Staaten promoviert habe. Vor dem Gebäude müßte bis zum nächsten Morgen stehen bleiben, um alles zu erklären. Das Parteienspektrum in den baltischen Ländern ist nämlich so einfach nicht, es entspricht nicht den Strukturen, wie sie aus den westlichen Demokratien vertraut sind.
Um Politik in den baltischen Staaten zu verstehen, muß man sich vergegenwärtigen, welche Lebenserfahrung die Menschen nicht nur hier, sondern im gesamten post-sozialistischen Raum mitbringen. Während der herrschaft der kommunistischen Parteien gab es zwar keine Freiheit, dafür aber soziale Sicherheit, wenn auch auf niedrigem Niveau. Weder die Arbeit noch die Wohnung konnte man verlieren. Das Gefühl der wirtschaftlichen Unsicherheit, welches in marktwirtschaftlich orientierten Gesellschaften zum Lebensalltag gehört, ist für die Menschen aus den vormals künstlich nivellierten Gesellschaften hier neu. Und weitgehende Unkenntnis herrschat darüber vor, daß dieses Gefühl im „Westen“ eben auch normal ist. Daher rührt die Unzufriedenheit.
So viel als Hintergrgund. Die Parteiensysteme wie auch die Regierungen in Osteuropa sind sehr unbeständig. Was das Schicksal konkreter politischer Kräfte anbetrifft, muß ich teilweise selbst in meiner Doktorarbeit nachschauen, weil man die vielen Veränderungen kaum nachhalten kann.
In fast allen postsozialistischen Staaten werden zumeist bei Wahlen die amtierenden Regierungen wegen der allgemeinen Unzufriedenheit aus dem Amt gejagt. Selten kam einstweilen der Sieg einer regierenden Koalition vor. Zumeist jedoch halten die Regierungen wenigstens eine Legislaturperiode durch, was im Baltikum bis anhin noch kein einziges Mal der Fall war. Und hier schießt Lettland den Vogel ab, demnächst wird bereits die 18. Regierung seit 1990 vereidigt werden.
Um dies zu verstehen, ist ein Blick auf die politische Kultur erforderlich. Und da kann man mit ganz einfachen Beobachtungen das Verhalten der Bevölkerung betreffend beginnen. Als reales Beispiel berichte ich von einer Familie mit zwei Töchtern im Alter von 17 und 19 Jahren aus Tukums. Die Eltern beklagen immer, sie hätten zu wenig Geld; und es stimmt, sie kommen mit ihren beiden Einkommen eben so über die Runden. Aber dann schränkt die Mutter ein: zu Maxima (eine litauische Supermarktkette) könne sie nicht gehen, weil es dort nur litauische Produkte gebe, sie möchte aber lettische kaufen. Zu Super Netto (eine Kette wie Aldi oder Lidl) könne sie nicht gehen, weil man da die Waren aus dem Karton nehmen muß. Daß sich dieses Konzept auch in Westeuropa in vielen Ländern durchgesetzt hat, will sie dann natürlich nicht glauben. Außerdem möchte sie nicht in einen Second Hand Laden einkaufen, weil sie sich nicht vorstellen könne, etwas anzuziehen, was schon vor ihr mal jemand getragen hat. Ich berichte dann von meiner Kindheit, in der Oma von Besuchen beim Onkel zurückkam, der vier ältere Kinder hatte, und wir selbstverständlich viel auftragen mußten. Daß sich nicht alle Eltern in Deutschland finanziell erlauben können, die schnell wachsenden Kinder alle sechs Monate neu einzukleiden, glaubt sie ebenfalls nicht.
Hintergrund für die politische Entwicklung ist also ein schiefer Blick auf den Westen, der oftmals als Schlaraffenland betrachtet wird. Als Helmut Kohl 1998 die Bundestagswahl verlor, wurde ich gefragt, was denn mit uns Deutschen los ist, warum wir denn Helmut Kohl nicht mehr wollten, wo es uns doch gut gehe. Mit anderen Worten, die Menschen im Baltikum sind davon ausgegangen, daß der Bundeskanzler persönlich dafür verantwortlich ist, wie hoch das Einkommen des einzelnen ist, und daß im Baltikum eben eine korrupte Regierung nicht bereit sei, den Menschen ein höheres Einkommen auszuzahlen. Des weiteren, und das ist für die Touristen eine erste Pointe, verstehen eben viele Menschen die Welt so, daß die Kommunisten versprochen haben, alles werde besser, dieses Versprechen aber nicht einhielten, also logen, während im Westen die Politiker die Wahrheit sagen und ihre Versprechen halten!
Auf diese Art und Weise ist eine Unzufriedenheit mit den eigenen Lebensumständen, die an einer völlig falschen Latte gemessen werden, vorausprogrammiert. Dies ist der Grund dafür, warum dann regelmäßig andere politische Kräfte ans Ruder kommen. Diese Tendenz wird verstärkt durch die Erinnerung an die autoritäre Herrschaft der Zwischenkriegszeit, als es wirtschaftlich bergauf ging. Beide Aspekte zusammen sorgen für eine Sehnsucht nach einer starke Hand. Und so konnten populäre Politiker lange immer wieder neue Parteien gründen, die dann auch auf Anhieb gewählt werden – in Lettland etwa ist derzeit nur noch eine Partei im Parlament, die dort bereits 1993 vertreten war.
Dese politische Kultur treibt mitunter abenteuerlich Blüten; es geschehen Dinge, die im Westen unvorstellbar wären. Vor den Wahlen 2002 gründete der damalige Präsident der Nationalbank in Lettland, Einars Repše, eine neue Partei. Populär war er wegen des hohen Nennwertes der nationalen Währung, die natürlich im Grunde nur eine politische Entscheidung ist, sie hat mit der Kaufkraft nichts zu tun. Repše erklärte, er werde zwei Konten einrichten, eines für die Partei und eines für sich, denn er habe ja auch Familie und gehe mit der Aufgabe des gut bezahlten Jobs ein Risiko ein, die Menschen möchten daher spenden – und das taten sie auch. Zwar kam die verlangte Summe, die Repsˇe zur Voraussetzung gemacht hatte, nicht zusammen, aber dennoch eine erkleckliche. Dies ist die zweite Pointe für die Gäste.
Nachdem Repše die Wahlen erwartungsgemäß gewonnen hatte, führte er dann zunächst zur Förderung der Transparenz in der Politik seine Koalitionsverhandlungen vor laufenden Fersekameras, was natürlich ein Unding ist. Anschließend richtete er in der Staatskanzlei eine neue Abteilung ein: Nejēdzību Noveršanas Birojs, das Büro zur Verhinderung von Unsinn. Auch hier lachen die Besucher; in Lettland haben dies die meisten Bürger Ernst genommen.

Mittwoch, 12. Dezember 2007

Advent, Konsum und der Dauerbrenner Ladenschluß

Und wieder ist er in der Diskussion! Anlaß ist die Vorweihnachtszeit, in der die Geschäfte zu den Adventswochenenden auch sonntags geöffnet sein dürfen – für viele der Untergang des Abendlandes, denen noch in Erinnerung ist, daß neben dem freien Sonntag in der Nachkriegszeit auch die Gewerkschaften für ein gesamt freies Wochenende gekämpft haben mit der Losung „am Samstag gehört der Pappi mir“. Interessant, daß es bereits in den 50er Jahren mal einen kupfernen, silbernen und goldenen Sonntag gegeben haben soll. Und darunter darf man sich exakt vorstellen, was dieses Jahr geschieht, nämlich verkaufsoffene Sonntage in der Adventszeit.
Aber letztlich ist diese Diskussion nur eine Scheindiskussion, denn „kaufen, kaufen“ gilt in der Adventszeit als Motto, um die nötigen Weihnachtsgeschenke zusammenzutragen, völlig unabhängig von der Frage, an welchem Tag dies geschieht, die Briefkästen quellen über vor Reklame insbesondere auch für Waren, die dem Nachwuchs unter den Weihnachtsbaum gelegt werden soll.
Der Streß in den Innenstädten dürfte sich durch die Sonntage eher entkrampfen. Man mag sich nur and frühere Zeiten erinnern, als selbst die sogenannten „langen Samstage“ nur bis 16 Uhr dauerten! Und für Berufstätige, die nach den alten Ladenschlußvorschriften mit Schließung um 18.30 Uhr gar keine andere Chance hatten, als sich in dieses Getümmel zu stürzen, und zwar nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern allwöchentlich. Berlin bildete sogar noch eine drastischere Ausnahme, wo bereits um 18 Uhr die Pforten der Supermärkte geschlossen wurden.
Nunmehr geht es aber nicht nur um eine Diskussion über den verkaufsoffenen Sonntag in der Adventszeit, sondern um eine liberalere Regelung des Ladenschlusses generell. In vielen Ländern ist die Öffnungszeit weitgehend freigegeben, die Geschäfte haben eigentlich immer offen, so ist es auch in den baltischen Staaten, sogar im katholischen Litauen. Dagegen setzen sich viele, vor allem konservative Kräfte zu Wehr, die getreu des Mottos der 50er Jahre das Ende des Familienlebens betrauern. Daß sich die Bedeutung der Familie in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt hat ist aber sicher nicht monokausal. Die Traditionalisten argumentieren außerdem, längere Öffnungszeiten bedeuteten nicht mehr Umsatz
Das aber behauptet niemand ernsthaft, selbstverständlich gibt der Verbraucher auf lange Sicht nicht wesentlich mehr Geld aus, auch wenn Spontankäufe zunehmen mögen. Der Konsum wird sich vorwiegend anders verteilen. Das hat aber nicht unbedingt zur Folge, daß die Verkäuferinnen länger arbeiten müssen. Wenn sich das Ausgeben auf einen größeren Zeitraum verteilt, dann natürlich auch der Andrang im Einzelhandel gestreckt, es gibt weniger Schlangen und es müssen nicht so viele Kassen gleichzeitig geöffnet sein!
Auch die Argumentation des Schichtdienstes als Familienkiller greift zu kurz. Erstens gibt es schon heute zunehmend mehr Berufe, die im Schichtdienst arbeiten. Wenn da die Partner ihre Schichten wiederum auf die des anderen einstellen können, warum soll man nicht manchmal sonntags frei haben zum Einkaufen und dann wieder dienstags. Späte Schichten oder auch frühe können durch studentische Aushilfen besetzt werden, die oftmals froh sind, wenn sie eben nicht von neun bis 17 Uhr arbeiten müssen.
Und dann gibt es natürlich noch eine weitere Diskussion: Will eigentlich jeder den althergebrachten Sonntag. Erst kürzlich haben in einer Radiosendung des WDR viele Anrufer erklärt, daß sie schon früher die freien Tage (Sonn- und Feiertage) langweilig fanden. Und auch ich, am Rande einer Großstadt aufgewachsen, habe schon in der Kindheit nie so recht verstanden, warum sich alle morgens durch die Staus von ihren Vororten zur Arbeit quälen, um dort im Büro aufeinander zu sitzen, dann in der Freizeit nach Feierabend wieder in den Wohnvierteln aufeinander hocken und durch die Wände das Fernsehprogramm des Nachbarn hören, um sich sonntags beim nachmittäglichen Spaziergang im Park schon wieder zu treffen.
Sicher, es kann keine Frage sein, daß die Liberalisierung auch jene gerade beruflich trifft, welche sie nicht wollen. Früher und eben teilweise auch noch einstweilen ist aber das Gegenteil der Fall, die Liberalen müssen sich den Traditionalisten unterwerfen. Und für alle, die einen beschaulichen Sonntag wünschen, darf man darauf hinweisen, daß offene Kaufhäuser niemanden zwingen, sie auch aufzusuchen. Daß die längeren Ladenöffnungszeiten die Familien zerstören würde, kann in den baltischen Ländern sicher nicht behauptet werden, ganz im Gegenteil ist der Familienzusammenhalt dort eher ausgeprägter als in Deutschland.

Der große Wurf: ALG I verlängert

Also die Deutschen empfinden eine Gerechtigkeitslücke. Allein schon der Begriff wäre es wert, zum Unwort des Jahres gewählt zu werden!
Aber drehen wir zunächst die Zeitschraube ein wenig zurück: die Agenda 2010, die für die „Gleichstellung“ aller Arbeitslosen verantwortlich zeichnet, hat das Netz der sozialen Sicherung vereinfacht und die Sozialhilfeempfänger wieder zu Arbeitslosen gemacht. Umfangreich sind die Diskussionen über die Höhe der Zahlungen, den inzwischen festgestellten finanziellen Mehraufwand für die öffentliche Hand und die ganz große Frage: hat der jüngste Rückgang der Arbeitslosenzahlen etwas mit Hartz IV zu tun oder nur mit dem Aufschwung?
Dies ist eine müßige Diskussion, da die reelle wirtschaftliche Situation nicht wie im volkswirtschaftlichen Modell so einfach ceteris paribus (die Klausel, mit der die Wissenschaftler andere Einflüsse ausschließen, um einen separaten zu berechnen) eruiert werden, genauso wenig wie die Frage, wieso die Wirtschaft entgegen allen Erwartungen die Mehrwertsteuererhöhung so gut verkraftet hat.
So begrüßenswert die Agenda als erster Schritt zur Begrenzung der Regulierungswut ist, mit den Reformen, die den Namen eins bekannten Managers tragen, wurde jedoch der Grundfehler des deutschen Sozialsystems nicht behoben, daß immer Arbeitslosigkeit an Stelle von Arbeit finanziert; alle Reformvorschläge bewegen sich ausschließlich innerhalb des gegebenen Systems und allem an die SPD, aber nicht nur sie, zeigen keine Bereitschaft, angesichts zahlreicher Fehlentwicklungen das deutsche Modell grundsätzlich zu überdenken.
Das gegebene System wird nämlich einer sich wandelnden Arbeitswelt nicht gerecht. Heutzutage sind etwa mehrfache Stellenwechsel in einem Curriculum Vitae normal wie leider auch die zahlreichen, eben nicht versicherungspflichtigen Jobs unter den diversesten blumigen Bezeichnungen wie „Ein-€- oder Minijob“. Insbesondere Akademiker fällt es oftmals schwer, den Berufseinstieg der klassischen Form zu schaffen, sie werden vielfach in Praktika ausgebeutet. Auch Leiharbeit ist ein leidiges Thema mit zahlreichen Vor- und Nachteilen für den Arbeitsmarkt einerseits und den Arbeitnehmer andererseits. Viele Vollzeit arbeitenden Arbeitnehmer können heute von ihrem Einkommen kaum leben. Fest steht: Ein guter Teil der arbeitswilligen Bevölkerung fällt so durch den Rost dieses Systems. Die Forderung nach dem Mindestlohn läßt grüßen. Dank der de facto Vollbeschäftigung während der Anfangszeit der Bundesrepublik gab es solche Probleme früher einfach nicht.
So viel zum allgemeinen Aspekt der Notwendigkeit von Reformen. Was bringt nun die Reform der Reform? Geht sie in die richtige Richtung? Und wie ist das nun mit der Frage der Gerechtigkeit?
Die Verlängerung der Zahlung von Arbeitslosengeld an jene, die länger eingezahlt haben, löste eine Debatte über die Risikoversicherung aus, die verwundert. Es kann ja überhaupt kein Zweifel daran bestehen, daß die Arbeitsversicherung keine Lebensversicherung ist, keine Kapitalanlage. Wer in seinem Leben nicht arbeitslos wird, und das ist ja das Ziel aller Politik, dann sieht der Arbeitnehmer zum Renteneintritt keinen Pfennig seiner Beiträge wieder. Die Argumentation, die einen hätten ja nun länger einbezahlt, ist vor diesem Hintergrund ziemlich unfair. Soll das dann heißen, daß künftig jene, die länger in die Krankenversicherung eingezahlt haben, eine bessere Behandlung bekommen, als ein junger Mensch, bei dem Multiple Sklerose oder Leukämie diagnostiziert wird? Schon früher wurden die Sozialkassen in allerlei Hinsicht mißbraucht, wie unter Kohl mit der Frühverrentung im Interesse der Unternehmer, aber auf Kosten der Allgemeinheit, daß wurde komischerweise als ungerecht nicht betrachtet, sondern toleriert.
Aber damit nicht genug. Wo ist ein System gerecht, in dem jene Arbeitnehmer, die es in ihrer Jugend leicht hatten, eine Stelle zu finden, also auch problemlos über Jahre hinweg einzahlen konnten, nun wieder im Vorteil sind gegenüber den jüngeren, die dieses Glück der frühen Geburt nicht haben? Die jüngeren haben vielleicht noch Kinder im Haus und bauen gerade ein Eigenheim. Bei den Älteren hingegen sind die Kinder aus dem Haus und die Kredite längst abbezahlt.
Verwunderlich ist die Forderung der SPD aber auch vor dem Hintergrund der Erhöhung des Rentenalters auf 67 wie auch der Behauptung, daß zunehmend die Erfahrung älterer Arbeitnehmer gebraucht werde. Wenn dem so ist, wozu dann längere Arbeitslosengeldzahlungen? Insgesamt erwecken die verschiedenen Kampagnen eher den Eindruck, daß sie wenig aufeinander abgestimmt sind. Die SPD befindet sich im Harakiri, zerrieben zwischen Regierungsbeteiligung plus CDU sowie der Linken.
Außerdem noch eines, das Leben ist sowieso nicht gerecht. Die ältere Generation leidet allerdings unter dem Problem, daß sie nur sehr langsam begreift, wie wenig zutreffend der Wachstumsglaube in den 50ern und 60ern war. Da die Parteien schon lange über eine Überalterung ihrer Mitgliedschaft klagen, darf man davon ausgehen, daß die Beschlüsse mehr der Befriedigung der Parteibasis dienen, die in diesen alten Denkschulen steckt, was früher gut war, kann heute nicht plötzlich schlecht sein. Wähler und Mitglieder wird allem voran die SPD auf diese Weise sicher nicht gewinnen.

Montag, 10. Dezember 2007

Russischer Einfluß in Estland und Lettland 2007

Warum ist das Thema der Krawalle in Tallinn mehr als ein halbes Jahr später plötzlich wieder aktuell?
Am 1. Dezember, also am Vorabend der Duma-Wahlen in Rußland, hatte das lettische Fernsehen in seinem Programm die Ausstrahlung eines französischen Dokumentarfilmes unter dem Titel „Das System Putin“ angekündigt – um dann kurzfristig das Programm zu ändern. Die Sendung fiel ohne große Vorankündigung aus, allein eine Textband erklärte, der Film werde aus technischen Gründen um eine Woche verschoben. Damit tauchte der Verdacht auf, man wolle die Russen am Tag vor dem Urnengang nicht verärgern, um wiederum den Ratifizierungsprozeß des Grenzvertrages (separater Text) nicht zu gefährden. Kuschen die Letten, wo die Esten dem mächtigen Nachbarn die Stirn zeigen?
In den ersten Tagen danach behauptete der Direktor des lettischen Staatsfernsehens (das öffentliche Fernsehen in Lettland ist steuerfinanziert, es hat zwar ähnliche Kontrollmechanismen wie das deutsche öffentlich-rechtliche, doch Einflußnahme der Politik wird von Journalisten immer wieder beklagt), es habe keinerlei Druck von niemandem gegeben. Später wurde zugegeben, das die technischen Probleme vorgeschoben gewesen seien, man habe tatsächlich kein Unheil heraufbeschwören wollen und bedauere den Entscheid, weil er doch so heftige Reaktionen ausgelöst habe. Der Direktor des Fernsehens trat zurück.
Behauptet wird, die russische Botschaft habe via Außenministerium interveniert. Dabei behaupten wiederum Russen, die den Film gesehen haben, das er keinesfalls so negativ gegenüber Putin ausfalle.
Das von den Esten Pronkssõdur (Bronzesoldat) genannte Denkmal wurde 1947 aufgestellt, wo 1945 12 Soldaten beerdigt worden waren. Die Stadt Tallinn hat sich in den folgenden Jahrzehnten ausgedehnt, so daß der Ort, früher neben dem Stadtzentrum gelegen, sich heute mitten im Zentrum zwischen der neoromanischen Karlkirche und der erst vor 20 Jahren errichteten Nationalbibliothek befindet. De facto befand sich die Trolleybushaltestelle „Tõnismägi“ direkt über den Gräbern. Das Denkmal ist wie das allerdings erst in den 80er Jahren errichtete Befreiungsdenkmal in Riga der Treffpunkt der – vorwiegend russischen – Kriegsveteranen jeweils am 9. Mai, das Datum, an dem die Sowjetunion das Kriegsende feierte. Im Mai 2006 versuchten estnische Nationalisten, das Denkmal zu schänden. Einer der der Rädelsführer, Tiit Madisson, ist für seine Aktivitäten in Estland hinlänglich bekannt und hat bereits im Gefängnis gesessen. Seither wurde es dauernd von der Polizei bewacht und die Politik entschied nach langen innenpolitischen Diskussionen, das Denkmal auf den ebenfalls unweit des Stadtzentrums gelegenen Soldatenfriedhof zu versetzen, wogegen die im Lande lebenden Russen wie auch Rußland protestierten.
In der Nacht bevor die Demontage beginnen sollte, versammelten sich abends vorwiegend jugendliche, vielfach alkoholisierte, Demonstranten (in Tallinn ist zwischen 23 und 8 Uhr der Verkauf von Alkohol verboten). Es folgten Straßenschlachten auch an den folgenden Tagen. Dabei waren viele Schaulustige mitten im Geschehen, filmten und photographierten, und wurden teilweise ebenfalls verhaftet.
Die Polizei drängte die Portestierenden in der Nacht vom Denkmal ab. Etwa 500m entfernt am Freiheitsplatz (Vabaduse väljak) wurde ein Imbiß-Kiosk geplündert, in dem zum Zeitpunkt des Überfalls eine Frau arbeitete, ein weiterer Kiosk etwa 500m entfernt vom Denkmal in anderer Richtung wurde in Brand gesetzt. Ebenfalls wurde das rund um die Uhr geöffnete Geschäft „Westmani Äri“ demoliert und geplündert. Gegenüber liegt das viersterne Scandic Palace Hotel, von dem aus die Touristen das Geschehen durchs Fenster mit Erschütterung verfolgten. In der Altstadt wurden außerdem die Schreiben der größten Buchhandlung „Apollo“ eingeschlagen, aber keine Bücher entwendet.
Die Demonstranten skandierten immer wieder „Rußland“ und „Faschisten“. Die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Duma erklärte im russischen Fernsehen, die Balten hätten bereits in der Zwischenkriegszeit faschistische Regime gehabt und seinen deshalb immer noch faschistisch eingestellt, während in Moskau die estnische Botschaft ebenfalls vorwiegend von Jugendlichen belagert wurde. Dabei wurde durchaus unter Kennern und Freunden Estlands im westlichen Ausland Kritik geübt. Man habe das Denkmal überhaupt nicht versetzen müssen oder auch der Zeitpunkt sei schlecht gewählt gewesen, hieß es. Aber hier sollten auch die Alternativen erörtert werden: Um das Denkmal nicht bis zum jüngsten Tage von der Polizei bewachen zu lassen, hätte höchstens ein hoher Zaun gezogen werden können. Aber was nutzt ein Denkmal, welches dann nur zu bestimmten Zeiten zugänglich ist, wenn die Behörden das Tor öffnen – oder hätte man ein Kassenhäuschen installieren sollen?
Der Termin kurz vor dem 9. Mai mag auf den ersten Blick verwundern. Andererseits hätte ein späterer Termin bedeutet, das Denkmal an diesem bedeutungsschweren Datum schützen zu müssen. Geplant war, bis zu diesem Tag das Denkmal bereits am neuen Standort zu sehen und dann feierlich einzuweihen. Genau das ist dann übrigens auch geschehen.
An dieser Stelle sollte auch noch einmal erwähnt werden, daß es weder in Estland noch in Lettland, die von Publizistik wie Wissenschaft der Diskriminierung ihrer Minderheiten regelmäßig bezichtigt werden, je zu Unruhen gekommen ist. Das entspricht weder der Mentalität der Esten, noch der Letten und ebenfalls nicht der Russen.

Krise um Antikorruptionsbehörde in Lettland

Ich habe am 26. Oktober für Radio Corax folgendes telefonisches Interview gegeben. Die Behörde KNAB ist im Internet ebenfalls zu finden.

Samstag, 8. Dezember 2007

Latweeshu waloda

Valoda ir svarīgs temats Latvijā – un vēl pie tam ļoti emocionālais. Cik reižu latviešu valodā runājošs ārzemnieks nebūtu dzirdējis, ka krievi pusgadsimtā nevarēja iemācīties pat “paldies” un “labdien”. Tāpēc pamatojot uz gramatikas daudzajiem liekas nepieņemami saukt kopīgu Eiropas valūtu par “Euro”. Tātad Latvijā kopā ar vēl trijām jaunām ES valstīm pieprasīja sākumā citu nosaukumu latviešu valodai – kuram arī jābūt rakstītam uz naudas zīmēm.
Citi gribētu vēl citās sfēras daudz stingrāk aizsargāt “nepareizo” latviešu valodas lietošanu. Ļoti interesanti, jo arī Vācijā konservatīvie grib ļoti sargāt valodu no it kā bagātības zaudēšanu un, piemēram, lielais dienas laikraksts “Frankfurter Allgemeine Zeitung” ilgi neakceptēja pareizrakstības reformu, ar ko turpinājas Vācijā jau caur tiesām gājusi diskusiju. Vācijā pat eksistē biedrība valodas sargāšanai www.vds-ev.de.
Bet ko sargāt? Jebkurā zemē runā daļa no cilvēkiem nepareizi vai izmanto svešvalodas vārdus, ar ko caur laikiem valoda mainās. Gadsimtiem vecus tekstus ir grūti saprast. Un stingri gramatikas un pareizrakstības noteikumi ir tik un tā tikai jaunāka laikmeta fenomens. Latvijā vācu mācītāji sāka rakstīt latviešu valodu orientējoties vācu rakstībā. Tikai Endzelīns inzgudroja tagadējo rakstību.
Atmodas laikā 1988.g. atjaunoja latviešu valodai valsts valodas statusu. Kamēr PSRS laikā krievu valodas zināšanas bija nepieciešamas, pēc neatkarības atjaunošanas ir mainījusies situācija uz pretējo, pēkšņi visiem cittautiešiem gribot negribot ir jāzina latviešu valoda. Lai gan Latvija starptautiskas prasības pilda, līdz ar izglītības likumu atkal pievērsa tematam uzmanību 2004.g. rudenī. Agrākie mēģinājumi mūsdienās cittautiešiem vai minoritātēm uzspiest publiskajā vietā vai oficiālos pasākumos sarunāties svešvalodā, proti, latviešu, šķita gan pārspīlēti.
Un paši latvieši, manuprāt, diemžēl neciena citas valodas pārrakstot (pārlatviskojot) vārdus no svešvalodām. Pirmais arguments šai praksei ir, ka tikai šajā gadījumā visi var izrunāt svešvalodu nosaukumus un vārdus pareizi. Bet vai tad tiešam visām pasaules valodām ir kāds filologs Latvijā, kurš precīzi oriģinālo izrunu var pateikt? Apšaubāmi arī tāpēc, ka Latvijā vienam un tam pašam cilvēkam vai uzvārdam parādās pareizrakstība vairākos variantos, lai gan pastāv tikai viens noteikumu katalogs. Ar vārdiem kā François Mitterand vai Margaret Thatcher sanāk vēl dziļākas problēmas, jo īstai izrunai trūkst latviešu valodā līdzīgas skaņas un līdz ar to arī alfabētā attiecīgie burti. Tāpat arī ir nepareizi domāt, ka latvisko pārrakstījumu paši latvieši izrunā tā kā iedzimtie attiecīgajā zemē. Turklāt, manuprāt, vārds ir katram cilvēkam neatņemama individuālā identitāte, ko mainīt nemaz nedrīkst. Un ar to nav viss. Ir valstis, kurās neprecētiem pāriem neļauj, piemēram, vienā viesnīcas numurā palikt. Latviešu valodā jau galotnes ir lielā pārsvarā atšķirīgas. Bet kas, ja precas ar ārzemnieku, vienā pasē oriģinālais, bet otrajā latviskotais variants?
Bet pareiza izruna arī nav tik nepieciešama kā atpazīstamība praktiskā ziņā. Latviešu studenti meklējot ārzemju literatūru svešvalodā bibliotēkās, piemēram, nevar to atrast, ja viņi nezina, kā rakstās oriģinālā meklētā autora uzvārds. Man ir ļoti apgrūtināts pildīt krustvārdu mīklas.
Sakarā ar Eiropas valūtas latviskošana tiek sajaukta ar etimoloģiju, jo šoreiz tieši grib to nosaukumu nevis pārlatviskot, bet gan patulkot. Sekojoši slavenam amerikāņu seriāliem un filmām jābūt “Svēta Barbara” un “Karalis Kongs” nosaukumi. Autobusi kursētu nevis uz “Esseni” Vācijā; bet uz “Ēšanu”, “Audi” mašīnas Latvijā brauktu ar “Klausies” uzrakstu!
Labs arguments bez šaubām ir gramatika. Jo latviešu valoda prasa locīt arī uzvārdus. Te var piedāvāt ļoti vienkāršu risinājumu kā tas arī Igaunijā notiek: pielikt atbilstošo galotni oriģinālam aiz ‘-zīmes. Protams, daži krievi atkal to nesaprot. Galotne –le atbild uz jautājumu “kam”. Manu uzvārdu Sillamäe telefona grāmata savā laikā pēkšņi atradu zem “Reetzile”.

Glosa par Latvijas Republikas partiju sistēmu

Saka Latvijā kur divi cilvēki esot trīs partijas. Tas nevar būt, tomēr likums paredz 200 biedru partijas dibināšanai. Bet sadalīt 2,5 miljonu iedzīvotāju, piedodiet aptuveni 1,5 miljonu pilsoņu, ar 200, varētu īstais skaits rezultātā sanākt. Pēdējos 13 Jaunā Laika gados ir bijis Latvijas Ceļš tāds saimniekot jauno sabiedrisko un politisko brīvību pulcējoties sākotnē Latvijas Neatkarības Kustībā pārveidojot to par Tautas Kustību Latvijai līdz tam punktam, kad Latvijas Pirmā Partija gluži tāda nemaz nebija un baidoties, ka vienīga nenodibināta partija paliks Latvijas Pēdējā Partija. Bet tā protams varētu gribot negribot palikt par Latvijas Muļķu Partijas pēcnācēja. Tātad diez vai neatradīs vēl Jauno Ceļu Latvijas Laikā. Laikam jau vajag pa visam Jauno Partiju nodibināt, kura, ak vai, jau aizgāja mūžībā. Tātad nekas cits neatliks nekā samierināties ar Tautas, Zemnieku un maznodrošinātu (vai arī maznodrošinātajām) Partijām? Vismaz ir skaidrs, ka Latgales gaisma spīd no rītiem pirmā Latvijas teritorijā un tiek pa Mūsu Zemes sliedēm aizvest līdz Ventspilij. Vismaz šaubas nav par vienu: tas ir ļoti demokrātisks virziens.

Ist die Sicherheit sicher?

Spätestens seit dem 11. September 2001 gibt es eine neue Dimensionen von Gefahren im Westen. Seither gibt es eine umfangreiche Diskussion der Reaktionen auf diese Herausforderung. Und hier sticht Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hervor, der bereits unter Helmut Kohl dieses Amt innehatte und auch damals in ähnlicher Art aufgefallen ist.
Die CDU in persona ihres Ministers ist der Ansicht, daß die Sicherheitsbehörden durch das Internet Zugriff auf die Festplatten von Computern erhalten sollten. Dies klingt wie eine ergänzende Hausdurchsuchung, enthält aber mehrere neue Dimensionen. Erstens bekommt der Betroffene etwas mit von einer Durchsuchung seines Hauses, was bei der Festplatte nicht unbedingt gegeben ist. Zweitens bedarf es neben einer neuen Gesetzgebung dafür auch einer entsprechenden Software, also sozusagen eines Bundestrojaners.
Die CU rechtfertigt diesen Schritt ins Jahr 1984, bei besonderen Gefahren „muß der Staat im äußersten Notfall“ entsprechend handeln dürfen, wobei es um keine massenhafte Durchsuchung von Privatrechnern gehe, „vielmehr geht es ausschließlich um gezielte Maßnahmen gegen einzelne Terroristen“. Beides entlarvt die Einstellung der CDU.
Wieso „muß“? Es gibt zahlreiche gläubige Menschen, die eine gezielte Tötung von Menschen, die möglicherweise als Waffe eingesetzt werden, ablehnen würden. Der Innenminister können per Grundgesetzt genauso durchsetzen wollen, daß von einem Polizeihubschrauber aus Falschfahrer auf der Autobahn erschossen werden, damit sie keine unschuldigen Menschen töten, was sie ja ebenfalls in Kauf nehmen. Den Terroranschlägen von 2001 ging es offensichtlich auch nicht darum, in den Twin Towern möglichst viele Menschen in den Tod zu reißen, sonst wäre der Anschlag zu einer anderen Zeit passiert.
Wenn sich die Maßnahmen nur gegen einzelne Terroristen richtet, warum werden diese dann nicht einfach verhaftet? Die Maßnahme wäre ja überhaupt nicht erforderlich, wenn die Sicherheitsbehörden bereits wüßten, WER die Terroristen sind. Und deshalb wird, begründeter Verdacht hin oder her, in Kauf genommen, auch völlig unschuldige Menschen in ihren Rechten einzuschränken.
Inwiefern diese Probleme hausgemacht sind, darf als Frage ebensowenig vernachlässigt werden. Wer Wind sähet, wird Sturm ernten. Inzwischen ist die Mitnahme sogar von Mineralwasser an Bord eines Flugzeugs verboten. Der Westen erzeugt also weltweit durch Einmischungen als Weltpolizei in fremden Kulturen erst mehr Unsicherheit, um die im Westen üblichen Freiheit einzuschränken. Damit sägen die Träger der Werte der westlichen Kultur an dem Ast auf dem wir sitzen. Je mehr Polizeistaat a la Schäuble wir einführen, desto mehr zerstören wir die liberale Demokratie – mit einer wehrhaften (oder auch streitbaren) hat dies nichts mehr zu tun. Diese Idee richtete sich gegen Feinde im inneren, die uns nicht moralisch verletzen wollten, sondern eine andere Staatsordnung anstreben, handele es sich um linksgerichtete Terroristen oder radikale Nationalisten.
Verkauft Schäuble die Gesuchten nicht für dumm? Ein Bundestrojaner kann ja eine Festplatte nur ausspionieren, wenn der Rechner am Internet hängt. Aber sind die Terroristen so dumm, ihre Computer eingeschaltet und an die Flatrate angeschlossen Tag und Nacht auf den großen Schnüffelangriff warten zu lassen? Nichts ist einfacher, als entsprechende Daten auf einem anderen Rechner zu lagern, Modemleitungen zu benutzen, die eben nur kurzfristig einen „Kontakt“ herstellen.Ist also der Aufwand für einen angeblich so seltenen Bedarf bei entsprechenden Zweifeln gerechtfertigt?

Transports un sabiedrība

Sandris Točs: Autovadītāji pret sastrēgumiem, nevis pret sabiedrisko transportu, komentārs Dienā, 5.12.2007
Par Rīgas korķiem var visi stāstīt, kuriem regulāri jābrauc no priekšpilsētām uz centru laikā, kad to dara liela daļa iedzīvotāju, lai tiktu uz darbu. Bet ne tikai tas, arī dienas laikā pārvietoties centrā parasti ātrākais risinājums ir iet kājām.Iemesls tam visam ir strauja ekonomiskā attīstība, arvien vairāk cilvēku var atļauties iegādāties savu mašīnu. Bet tanī pašā laikā vēsturiskā centrā ielas ir tādas, kādas viņas ir. Bez tā Rīga atrodas pie upes Daugava, un šķērsot to var pagaidām tikai trijās vietās.Izņemot tramvajus, kuriem daudzviet ir sava trase, kur mašīnas nevar braukt, sabiedriskais transports kustas tiem korķiem līdzi.Šajā situācijā Rīgas Dome sākusi ieviest līdzekļus organizēt satiksmi, kas izplatīts arī jau Rietumeiropā – tajā skaitā atsevišķas joslas sabiedriskām transportam, ka jau īstenots 13. janvāra ielā un kas tagad tiek plānots arī citur. Īpaši lielas diskusijas notiek par saucamo gaisa tiltu pie bijušas VEF fabrikas, viena no traģiskām vietām neapšaubāmi.Pret to protestē akcija “autovadītāju pret sastrēgumiem”. Nevar apšaubīt, ka autovadītāji ir pret sastrēgumiem, pašiem tādus jau jāpiedzīvo. Bet liekas, ka vienu aspektu viņi vēl nav gluži sapratuši: nevis nabaga autovadītājs pacieš to, bet viņš IR tas sastrēgums, vai teiksim viņas daļa!Tāpēc ir pilnīgi absurds pārmest politikai provocēt vēl lielākus sastrēgumus. Priekšlikums interesantā kārtā šai iniciatīvai ir, paplašināt brauktuves, ierīkot papildjoslas. It kā nebūtu bijušas Rietumeiropā caur dekādēm diskusijas par to un nebūtu pēc Otrā Pasaules Kara it īpaši izbombardētajā Vācijā bijis tieši tāds mēģinājums: caur graustiem bija ļoti vienkārši plašākas ielas būvēt, proti, izbūvēt transportam ar privātmašīnām piemērotu pilsētu. Pieredze bija ļoti vienkārši, līdz ar paplašinātām iespējam privāttransportam tas arī auga, proti, sastrēgumi tā arī turpinājās eksistēt un eksistē joprojām iepretim visiem pārvadiem un tuneļiem.Sen jau pārgāja politika uz dzīves kvalitātes jautājumiem: vai tad mūsu pilsēta ir domāta automašīnām vai iedzīvotājiem? Protams, tie laiki, kad labklājības valstis varēja atļauties plaši būvēt metrolīnijas, ir garām. Bet atteikties no savām gājēju ielām neviens negrasās. Vecrīga it kā tam līdzinājusies, bet iebraukt par maksu tiek lielā mērā atļauts, un tā ir vienkārši pilsētai arī laba peļņa.Savukārt, protams, autovadītājus daudzās valstīs vēl uzklausās. Jāsaprot ir, ka Vācijā vai Francijā, kur autoražotāji ir liela lobbisma loma, politikai nav citas izejas. Kasi varēja mainīt satiksmes politiku Šveice. Tur nepastāv tikai norobežotas joslas. Vēl tālāk sabiedriskām transportam ir zaļais vilnis, proti, apstājās tikai pieturvietās, bet šķērsojot krustojumu, automašīnām ir jāapstājas. Autobusi lielā mērā izmanto tramvaju trases.Otrais, varbūt pat sāpīgākais aspekts: autostāvvietas centra maksā ļoti dārgi un bez tā nevis paliek lētāk, jo ilgāk mašīna nolikta, bet tieši otrādi, aizvien dārgāk. Neapšaubāmi, ar to pilsētas tēvi vēlas, lai atvadītajiem zustu pēdēja griba braukt uz centru ar savu privāto auto! Un to iniciatīva pārmet politikai.Pagaidām Latvijā automašīnas daudz vairāk nekā Rietumeiropā ir statusa simbols. Bieži vien cilvēki uz līzingu ņem dārgas mašīnas, lai zīmēties, kas, starp citu, arī izpaužas braukšanas kultūrā, kurā nosaka uzvedību nevis ceļu satiksmes noteikumi, bet lielākas mašīnas tiesības.

Die Sehnsucht des „Volkes“ nach einer unschuldigen Politik

Dieser Beitrag ist die übersetzte und ergänzte Version des lettischen Beitrages „Ilgas pēc nevainīgas politikas“, der in Zusammenarbeit mit Veiko Spolītis bei www.politika.lv veröffentlicht wurde. Die deutsche Version erschien in Axel Reetz (Hrsg.): Aktuelle Probleme postsozialistischer Länder. Das Beispiel Lettland, Wittenbach 2007
Mit dem Wort „Volk“ soll Bezug genommen werden auf die häufige Verwendung dieses Begriffes in der lettischen Bevölkerung, mit dem sich die Menschen von der politischen Elite abgrenzen wollen.
„Was ist das für eine Demokratie?” Das kann man häufig als Kommentar von Letten hören, wenn sie über ihre Heimat sprechen, wenn auch meistens eher die Rede von der sozialen Situation im Lande ist. Die Menschen beschweren sich über Korruption und bezeichnen Politiker als Diebe, manchmal wird sogar der Staat öffentlich als Kleptokratie bezeichnet. Dabei gilt dies mitunter noch eher als positive Abgrenzung von Staaten, in denen die Oligarchen ihre Interessen ohne jede Rücksicht auf den Bestand des Staatswesens selbst durchsetzen.[1] Nichtsdestotrotz beklagen auch Politiker, daß politische Programme oftmals nicht mehr als deklarativen Charakter haben, hinter denen sich die Partikularinteressen der Parteielite verstecken.[2] Den Letten fehlen also selten Worte, um ihren Staat in schlechtem Licht darzustellen. Da diese Meinung auch gegenüber ausländischen Journalisten und Vertretern anderer Organisationen geäußert wird, ist die Vorstellung von Lettland im Ausland oft keine positive.
Trotzdem zeigen Umfragen, daß die Einwohner Lettlands mit 69 zu 24% dennoch Patrioten sind. Sogar unter den wegen Einbürgerung weniger werdenden Staatenlosen oszilliert die Verneinung einer patriotischer Einstellung zwischen 35 und 40% und liegt damit seit 2002 ständig unter den Werten der patriotisch Empfindenden mit 2006 54 zu 40%. Unter den Letten sagten zur gleichen Zeit immerhin 21% gegenüber einer starken Mehrheit von 72% sie hielten sich für Patrioten.[3] Die Betrachtung von Stadt und Land wie auch des Bildungsniveaus machen deutlich, wie sehr diese Werte mit dem Wohlstand korrespondieren, und folglich bezieht sich der gemessene Patriotismus meist weniger auf den Staat denn auf das Land und die Nation. Bereits im 19. Jh. stellte Alexis de Tocqueville fest, daß die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der Staatsform in direktem Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Situation steht.[4] Einstweilen aber sind die Lebensumstände in Lettland geprägt von einem großen Unterschied zwischen Erwartungen und der tatsächlichen Performanz des neuen Systems.

Gesellschaftliche Realität
Woher kommt der dargestellte Nihilismus vor dem Hintergrund des dennoch zu konstatierenden Patriotismus?[5] Noch auf den Barrikaden in der Altstadt von Riga haben die Letten während des Umsturzversuches[6] im Januar 1991 euphorisch für ihre Unabhängigkeit gekämpft und wollten zurückkehren in den Schoß der europäischen Nationen. Fünfzehn Jahre später lehnen die Menschen vor dem Hintergrund vorwiegend aus der Sowjetzeit stammender Werte die materialistische Gesellschaft des Westens ab, dessen Wohlstand sie gleichzeitig gerne erreichen würden und wohin seit dem Beitritt zur EU Dank der Öffnung der Arbeitsmärkte in Irland und Großbritannien viele – wenigstens vorübergehend – übersiedeln, wenn es sich auch vorwiegend um gering qualifizierte Arbeitskräfte handelt.
Ostrovska ist der Ansicht, daß die Menschen in der Zeit des „Nationalen Erwachens“ bereit waren alles zu akzeptieren, um die Unabhängigkeit zu erreichen: „If the price for sovereignty (understood as a nation state), is democracy – let it be democracy.“[7] Damals war die nationale Frage noch deutlich wichtiger für die Mehrheit der Bevölkerung als sozioökonomische Aspekte. Dabei ist natürlich zu beachten, daß die dramatische Verschlechterung der Lebensumstände erst nach der Unabhängigkeit eintrat, weil nach dem Zusammenbruch der UdSSR die örtliche, damals für sowjetische Verhältnisse gut entwickelte Industrie ihre Konkurrenzfähigkeit verlor; dann folgten Arbeitslosigkeit und der Einbruch des ohnehin bescheidenen Wohlstandes.
In Unwissenheit über die Grundlagen der Marktwirtschaft und der realen Lebensumstände im Westen, worüber zahlreiche Mythen verbreitet sind, sowie auch über die ökonomischen Folgen der Sowjetherrschaft, herrschen in Lettland einstweilen noch grundlegende Mißverständnisse über Demokratie und Marktwirtschaft vor, als handele es sich um ein System, unter dem sich automatisch und ohne Anstrengung Wohlstand einstellt, in dem die Politiker ihre Versprechen einhalten. „Die Bereitschaft einer Mehrheit der Bevölkerung war groß, an die Stelle des Zukunftsglaubens (in den Kommunismus) einen anderen (in Marktwirtschaft und Demokratie) zu setzen.“[8] Das wurde etwa deutlich im Unverständnis über die Wahlniederlage von Helmut Kohl in Deutschland 1998, als viele Menschen in Lettland verwundert fragten, warum denn die Deutschen ob ihres Wohlstandes den erfolgreichen Bundeskanzler nicht mehr wollten.
Ursache ist die Lebenserfahrung aus dem sozialistischen System, dessen Regierung gleichzeitig Arbeitsplatz und Wohnung garantierte, die Versorgung von der Wiege bis an die Bare, und sich somit niemand über sein Auskommen Sorgen zu machen brauchte. Deshalb ist es kein Wunder, wenn die Menschen weiterhin die Regierung als erste Anlaufsstelle für Hilfe ansehen,[9] als Geldverteilungsorgan oder zugespitzter formuliert als Garant für den freien Zugang zum Geldautomaten. Das verstehen viele unter Ehrlichkeit.
De facto erwarten die Menschen unter den Bedingungen von Demokratie und Marktwirtschaft von der Regierung die Erfüllung der Versprechen der Kommunisten. Da dies aber unrealistisch ist, bewerten die Menschen ihre eigenen Lebensumstände vor dem Hintergrund der beschriebenen Mißverständnissen und weisen die Schuld für ihre schwierige Situation dem gegenwärtigen Regime und der amtierenden Regierung zu.
Die durch die Gewohnheit des Lebens in einer nivellierten Gesellschaft zweifellos vorwiegend sozialdemokratisch eingestellte Bevölkerung ist nicht bereit, die fortgesetzte Herausbildung von gesellschaftlichen Schichten mit unterschiedlichem Wohlstandsniveau zu akzeptieren. Der Unzufriedenheit mit den Erfolgen der Politik folgt eine Entfremdung von derselben. Aus diesem Grunde schwankt ein großer Teil der Gesellschaft – mitunter auch Vertreter aus den Sozialwissenschaften – zwischen Orientierung unter den neuen Bedingungen und der Verbreitung von Verschwörungstheorien.

Politische Kultur im Wandel
Wissenschaftler definieren diesen Begriff als geschriebene und ungeschriebene Ideen und Werte, die Grundlage des Verhaltens der Mitglieder einer Gesellschaft sind.[10] Das beinhaltet geschichtliche Determinanten, was als „geronnene“ Politik bezeichnet wird, plus neue Konflikte. Diese Theorie basiert auf dem Versuch von Almond und Verba zu charakterisieren, wie eine funktionierende Demokratie aussieht, daß dies den Stil und die Einigung über eine demokratische Vorgehensweise umfaßt.[11]
Die Geschichte Lettlands ist zum größten Teil die Geschichte von Fremdherrschaft, angefangen bei den deutschen Kreuzrittern bis zur sowjetischen Okkupation, nach deren Zusammenbruch eine demokratische politische Kultur sich erst entwickelt. Gleichzeitig ist das Verhalten der Menschen stark beeinflußt durch die Erfahrung der Diktatur, als erstens Passivität im öffentlichen Leben sowohl als Schutz wie auch als Protest gegen das Regime eingesetzt wurde[12] sowie zweitens in der Gesellschaft informelle Strukturen der Problemlösung vorherrschte.[13] Die Politik, welche auch im Westen selten Begeisterung auslöst, wird in Lettland einstweilen in ihrem Kern nicht verstanden, sondern gerne wie folgt beschrieben: „Das sind doch nur Spiele”. Aus diesem Grunde fehlt dem System die „diffuse Unterstützung”[14], die Legitimation, weil die Lösungskompetenz des derzeitigen Systems, das „output”, die Menschen nicht zufrieden stellt, was natürlich unter anderem auf die schwache Interessenaggregation und -formulierung, das „input”, zurückzuführen ist, also zwei Kriterien von Almond und Verba, oder einfacher formuliert: Das Wissen über Rechte und Pflichten des Bürgers in der Demokratie. Dieser Begriff stammt seinerseits aus dem Griechischen und bedeutet „Volksherrschaft“, nicht jedoch die Lösung der Probleme der Bevölkerung durch Beschlüsse der Elite, wie es die Propaganda der Sowjetunion hat Glauben machen wollen.
Ausländische Wissenschaftler konstatierten bei der Untersuchung der Einstellung und dem Verständnis der Demokratie bereits während der Zeit des Nationalen Erwachens ein Unverständnis bezüglich des Mehrparteiensystems, was ein Beispiel deutlich macht: Nachdem gerade die 50jährige Herrschaft einer einzelnen Partei, der Kommunistischen, geendet hatte, begriffen die Menschen nicht die Erfordernis eines Mehrparteiensystems.[15] Des weiteren blieb auch die Funktion einer Opposition unverstanden mit dem Hinweis, die Kritik der Regierung sei ebenfalls Aufgabe der Regierung.[16] Es ist darum wenig verwunderlich, daß die Bevölkerung nach wie vor die erforderliche Interessenvertretung inklusive des so genannten Lobbyismus, der freilich auch in Westeuropa kritisiert, gleichzeitig aber als normal und erforderlich akzeptiert wird, als Korruption verstehen; und selbst lettische Wissenschaftler wie etwa Ostrovska und Laķis definieren in ihren Publikationen den Unterschied zwischen Korruption und Lobbyismus nicht.
In der Zeit des Nationalen Erwachens diskutierten die Menschen in ihrer Freizeit, im privaten Bereich noch häufig über Politik, woraus Mattusch in den 90er Jahren schloß, daß dieses Interesse an Politik politische Lernfähigkeit und den Willen zur Demokratisierung bedeute.[17]
Heutzutage dagegen ist die Partizipation gering, wovon Zeugnis ablegt, wie gering die Zahl der Menschen ist, die sich aktiv in der Politik oder auch in Organisationen engagieren. Selbst die größten derzeit an der Macht befindlichen oder gewesenen Parteien haben sehr wenig Mitglieder. So haben die Sozialdemokraten (LSDSP) als größte Partei nur etwa 2.500 Mitglieder und waren zudem nur einmal in der Legislaturperiode von 1998 bis 2002 im Parlament vertreten. Daß sie trotzdem die größte Partei sind, hängt mir ihrer Vergangenheit zusammen, sie sind aus den von der KPdSU abgespaltenen Nationalkommunisten LDDP hervorgegangen, die sich später, nach wenigen Jahren feindschaftlicher Beziehungen, mit der historischen Wiedergründung der LSDSP vereinigten. Heute ist der frühere KGB-Offizier Juris Bojārs der wichtigste Vertreter, auch wenn er selbst wegen seiner Vergangenheit nicht kandidieren darf. Die mehr oder weniger nationalistischen Konservativen (TB/LNNK) haben 2.028, die Volkspartei (TP) ungefähr 2.000 Mitglieder, während die Neue Zeit (JL) sogar nur 1.160 hat.[18] Im kleineren Nachbarland Estland hat die größte politische Kraft, die Zentrumspartei, kürzlich ihr 10.000. Mitglied aufgenommen. Den Parteien in Lettland fehlt also eine Verwurzelung in der Bevölkerung. Diese wird noch auffälliger durch die Konzentration des politischen Geschehens und der politischen Elite auf die Hauptstadt Riga. Viele Parteien haben in Kleinstädten und auf dem Lande keine Ortsverbände.[19]
Zweifellos sind die das Leben der Menschen oft beherrschenden und auch zeitraubenden Alltagssorgen dafür eine wichtige Ursache: „Because most residents are pre-occupied with issues of simple survival, it is understandable that people have no burning desire to become involved in the activities of non-governmental organizations.“[20] Aber teilweise entwickeln die Menschen auch sehr freiwillig keine Aktivität, denn Kritik ist einfacher ausgesprochen als Alternativen vorzuschlagen. Die Bevölkerung beteiligt sich nicht gern an Debatten. Mit diesem Begriff verbunden sind die Sitzungen des Parlaments, in denen ein Redner seine Ansicht verkündet, während die anderen lauschen.[21]
Zwar gibt es davon seltene Ausnahmen wie die heftigen Reaktionen auf die Forderung eines Teils der politischen Elite wie auch der liberal eingestellten Presse, eine Homosexuellenparade in Riga zu erlaube, was die traditionell eingestellte Gesellschaft Lettlands als eine aufoktroyierte Entscheidung empfindet. Generell aber tritt an die Stelle der demokratischen Massenlogik die Einflußlogik.[22] Die Menschen überlassen mit ihrer Passivität einzelnen Gruppierungen (oder Oligarchen) viel Raum zur Einflußnahme in der Politik. Das lettische Parteiensystem weist darum eine oligarchische Struktur auf, in der einzelne Parteien als „eigenartige, latente Lobbyismusinstitution“[23] Korruption Vorschub leisten.
Mit dieser „They versus us”-Mentalität[24] grenzen sich die Menschen gegenüber der Politik ab und geben ihrer Meinung Ausdruck, daß die Politiker in Parlament und Regierung sowieso nur korrupte Betrüger sind und Lettland nur gerettet werden kann, wenn es eines Tages gelingt, den richtigen Führer zu wählen: „many people in society have a paternalistic perception of democracy, believing that, if the right people are in power’, the situation will improve“.[25]
Umfragen zufolge halten 26,2% der Bevölkerung Lettland eine starke Führung für notwenig und 28,1% stimmen dem „eher“ zu. 8% sind unentschlossen. Daraus folgt, daß mehr als die Hälfte der Bürger das derzeitige Regierungssystem nicht als die ideale Lösung betrachten, und so oszillierte die Zustimmung zur These des Bedarfs nach einer starken Hand zwischen 50 und 60% während der letzten Jahre mit einer Gegnerschaft zwischen 40 und 50%.[26]
Aber gerade weil jeder seine eigenen Vorstellungen von einer starken Hand hat, witzeld die Letten über das politische Spektrum in in ihrem Land mit dem Sprichwort: „wo zwei Letten sind, gibt es drei Parteien“. Und tatsächlich war bis zur 8. Saeima[27] eine hohe Schwankung in der Wählergunst erkennbar[28] und jede Wahl wurde durch eine erst kurz zuvor gegründete neue Partei gewonnen, darunter Lettlands Weg (LC) 1993, die Demokratische Partei Hausherr 1995, die Volkspartei (TP) 1998 und die Neue Zeit (JL) 2002.[29] Hinter diesem Ergebnis verbergen sich zwei Aspekte: ein innerer und ein äußerer. Dem inneren Aspekt zur Folge versuchen Parteien, populäre Persönlichkeiten für sich zu gewinnen, ggf. auch von außerhalb der Politik wie etwa den Sportler Viktors Ščerbatihs oder den Komponisten Raimonds Pauls, der bereits für LC, die nicht mehr existierende Neue Partei (JP) und die TP kandidierte, während gleichzeitig dem äußeren Aspekt folgend populäre Persönlichkeiten auch versuchen, ihre Popularität für den Erfolg einer neugegründeten eigenen Partei einzusetzen wie Andris Šķēle 1998 mit der TP und Einars Repše 2002 mit der JL.[30] Mit der Wahl zur 9. Saeima 2006 gab es plötzlich keine neue Partei, was für eine allmähliche Stabilisierung des lettischen Parteiensystems spricht.

Vergleichende Politik
Die „geronnene“ Politik eines jedes Land unterscheidet sich Dank der jeweils eigenen Geschichte. Verfassungen und politische Kulturen sind folglich ebenfalls verschieden. In Lettland wurde 1993 nach der wiedergewonnenen Unabhängigkeit und der ersten Parlamentswahl im Unterschied zu den baltischen Nachbarn die Vorkriegsverfassung „Satversme“ von 1922 wieder in Kraft gesetzt. Während etwa in Deutschland viele Aspekte des Grundgesetzes den Erfahrungen der Weimarer Zeit geschuldet sind, also eine Reaktion auf die Erfahrung des Mißerfolges der Demokratie, was sich u.a. bei den Rechten des Präsidenten zeigt, der aber in Lettland das Recht der Benennung eines Kandidaten zur Regierungsbildung besitzt. Da das Land dennoch eine parlamentarische Demokratie ist, der Präsident also in erster Linie ein repräsentatives Organ, ist das direkt gewählte Parlament „Saeima“ die Institution mit der höchsten demokratischen Legitimität. Somit muß das erwähnte Recht als ein formales verstanden werden, denn der Präsident kann die Mehrheitsverhältnisse in der Volksvertretung und damit die Möglichkeiten der Koalitionsbildung nicht ignorieren. Andere Länder mit repräsentativen Präsidenten kennen ein vergleichbares Recht nicht einmal. Anderenfalls muß die Frage der Direktwahl des Präsidenten vergleichbar semi-präsidentiellen Systemen gestellt werden, ein in Lettland beliebtes Thema, mit dem sich die Unterstützung der Bevölkerung gut mobilisieren läßt. Der Experte für internationales Recht von der LSDSP, Juris Bojārs, legte vor der Wahl von 1998 gar zur Steigerung der Popularität seiner Partei einen neuen Verfassungsentwurf vor. Wird aber das formale Recht zur Nominierung eines Regierungschefs in Frage gestellt, muß dies unter Hinzuziehung des Aspektes geschehen, daß der Präsident in Lettland auch Kandidaten von außerhalb des Parlaments als Ministerpräsidenten benennen darf wie beispielsweise 1995 mit Andris Šķēle geschehen. Verfassungen anderer Staaten verlangen, daß der Regierungschef aus den Reihen der Abgeordneten bestimmt wird, es sich also um eine gewählte Personen handeln muß.

Politik und Politikwissenschaft in Lettland
Während in Westeuropa mehr oder weniger bekannt und, wenn vielleicht auch nur „zähneknirschend“, akzeptiert ist, daß Politik der Kampf um die Verwirklichung der eigenen Interessen ist – was im Pluralismus nach der Idee des „Positivsummenspiel”[31] ein Gemeinwohl besser garantiert, als eine nicht liberal-demokratische Regierungsform, so distanziert sich die Bevölkerung in Lettland von Politik, die nahezu ausschließlich negativ rezipiert wird, grundlegend. Aber diese Entfremdung führt zu Vertrauensverlust,[32] der in Lettland auch durch die großen Skandale der letzten 15 Jahre genährt wird wie den verschwundenen drei Millionen Lat im Rahmen des Zusammenbruchs der damals größten Kommerzbank des Baltikums, der Banka Baltija, wie auch die Probleme rund um die Privatisierung der Latttelekom, wo dem finnischen Investor über Jahre hinweg ein Monopol zugesprochen worden war.
Zu diesen Skandalen mit eher wirtschaftlichem Schaden kam zu Jahresbeginn 2006 mit „Jūrmalgate“ ein Skandal, der die fehlende moralische Integrität der Beteiligten belegte. Im Stadtrat des an Riga grenzenden Kurortes an der Ostsee mußte ein neuer Bürgermeister gewählt werden, angesichts der zersplitterten Parteienlandschaft kein einfaches Unterfangen. Der Verfassungsschutz hörte Telefongespräche wichtiger Politiker mit, in denen Stimmen gekauft werden sollten, um dort den wie es hieß „größten Dummkopf“ zu installieren. Dem politischen System fehlt deshalb die Legitimation: „Vor allem aber läßt sich eine weit verbreitete, zugleich tradierte und neu wachsende politische Apathie sowie ein teils latenter, teils manifester Autoritarismus als Ausdruck der Legitimationsschwierigkeiten des politischen Systems beobachten.“[33]
Sozialwissenschaftler, die sich beruflich mit der Beobachtung der heimischen Politik beschäftigen, bleiben ebensowenig unbeeindruckt von diesen Ereignissen. So wirft Curika im Grunde der Politik ihr Wesen vor mit der Formulierung, „wenn eine Partei in die Koalition möchte, dann muß sie das offensichtlich einzige, aber besonders effektive Mittel Mitte nutzen – Erpressung“. Weiter heißt es, „in Lettland wird dem Präsidentenamt theoretisch eine wichtige Rolle bei der Koalitionsbildung zugewiesen. Aber die Realität beweist, daß die Parteien meisten dem Staatspräsidenten nicht den geringsten Respekt als Entscheidungsbefugter bei der Ernennung eines Kandidaten für die Regierungsbildung erweise.“ Ganz im Gegenteil, der Präsident müsse oftmals eine längere Zeit warten, während die Parteien sich gegenseitig erpreßten, ehe sie sich untereinander auf einen Regierungschef geeinigt hätten, bis sich der Präsident auch mit anderen Kandidaten treffen kann, obwohl von Beginn an klar sei, daß er sowieso den von den Parteien portierten Kandidaten benennt. Wenigstens räumt die Autorin ein, daß selbstverständlich die Wahl des Präsidenten vor dem Hintergrund stehe, daß letztlich das Parlament dem vorgestellten Kabinett zustimmen muß.[34] Andererseits benennt sie in ihrem Text keinen Politikwissenschaftler als Autor, der den Kampf zwischen den Parteien um Macht und Einfluß, Forderungen, Verhandlungen und Kompromisse je als Erpressung bezeichnet hätte.
Eigentlich aber ist es ein Hinweis für Stabilität im Parteiensystem, wenn die Parteien sich bereits vor dem Treffen mit dem Präsidenten auf einen Regierungschef einigen können und dieser sich nicht den Kopf zerbrechen muß über einen Ausweg aus einer Pattsituation. Noch in den 90er Jahren, während das Parteiensystem mehr in Bewegung war, hatte der frühere Amtsinhaber, Guntis Ulmanis, mit Andrejs Krastiņš, Māris Grīnblats und Ziedonis Čevers immerhin drei Mal Kandidaten erfolglos berufen. Eine konsequente Verfolgung des Vorwurfs von Curika wirft die Frage auf, was ihrer Ansicht nach passieren würde, wenn eine einzelne Partei in Parlamentswahlen die absolute Mehrheit erzielte, sie also mit ihrem Spitzenkandidaten das Vertrauen des Wählers gewänne? In einer parlamentarischen Republik ist das Volk der Souverän und das Parlament das am höchsten demokratisch legitimierte Organ. In einem solchen Fall wäre selbstverständlich der Präsident auch nach der lettischen Verfassung faktisch gezwungen den Kandidaten dieser Mehrheitspartei zu ernennen. Alles andere könnte nur als konstitutionelle Krise bezeichnet werden.
Aber eine vergleichsweise paternalistische Denkweise findet sich auch in den Publikationen anderen Sozialwissenschaftler: „Doch von der Immunität der Letten gegen die Linke sprechend muß dennoch anerkannt werden, daß in Wahrheit keine reelle linke Alternative angeboten wird“[35] Puriņš und Šulcs bemühen sich nicht einmal darum, eine Antwort auf die Frage zu geben, wie eigentlich Parteien entstehen, sind aber offensichtlich der Ansicht, daß die Existenz des gesamten politischen Spektrums Aufgabe der Elite ist. Die Politikwissenschaft ist zwar verhältnismäßig jung, aber bereits in den 50er Jahren hat Duverger bei der Herkunft von Parteien zwischen jenen aus der Mitte des Volkes, also „bottom up”, und den von der politischen Elite gegründeten, also „top down”, Parteien unterschieden.[36] Aber in Lettland kann bestenfalls die konservative Partei TB/LNNK als „bottom up” bezeichnet werden. Sie ist das Ergebnis einer Vereinigung von TB (Für Vaterland und Freiheit) sowie der LNNK (Lettlands Nationale Unabhängigkeitsbewegung), die beide nicht aus dem Parlament heraus gegründet wurden. Aber tragischer noch müssen die anderen Parteien nicht nur als „top down” Gründung bezeichnet werden, sie sind vielmehr nach wie vor nur „top”-Parteien, also Honoratioren- oder Patronageparteien, deren Mitglieder sich wegen der fehlenden Partizipation der Bürger, die regelmäßig auch vom Eurobarometer bestätigt wird, weitgehend auf Funktionäre und Mandatsträger beschränkt. Die weitgehend passive Bevölkerung wirft der Elite vor, eine vom Volk herbeigesehnte Partei nicht zu gründen. Dahl sieht neben der Sozialisierung auch die Einbeziehung der Bevölkerung in die Parteiarbeit als eine Aufgabe von politischen Parteien an,[37] aber die Zurückhaltung der Wähler in Lettland erlaubt den Politikern, einen kleinen Kreis von Interessen zu vertreten. „Für die politischen Akteure ist es golglich sehr viel einfacher, eine „Schafherde“ hinter sich herzuziehen als sich mit über ihre Rechte und Pflichten interessierten Bürgern zu beschäftigen.”[38] Daß eine solche Gründung bislang nicht stattgefunden hat wie auch die Reflektierung dieser Tatsache durch die einheimische Politikwissenschaft belegen, daß es in Lettland noch Probleme mit der Demokratie gibt. „Die Entwicklung einer konsolidierten Bürgergesellschaft erweist sich in den ostmitteleuropäischen und baltischen Staaten als langfristiger, vor Rückschlägen nicht gefeiter Prozeß.”[39]

Demokratie mit Defekten – defekte Demokratie
Um die politische Situation in Staaten zu erklären, die sich zwar offiziell Demokratie nennen, in deren Systeme jedoch Unstimmigkeiten diagnostiziert werden können, haben Politikwissenschaftler in den 90er Jahren das Modell der „defekten Demokratien“ entwickelt. Dies wurde erforderlich, da beginnend mit Griechenland, Spanien und Portugal in den 70er Jahren über Südamerika und Asien zahlreiche Staaten eine von Huntington als dritte Welle der Demokratisierung bezeichnete Transformation erlebt haben.[40]
Die deutschen Politologen Croissant und Thiery konzentrieren sich weniger auf die bereits beschriebene Passivität, als sie sich mit der Frage befassen, in welchem Umfang eine Gesellschaft eine „öffentliche Arena zur Beeinflussung der Repräsentanten und Entscheidungsträger ausbilden kann”[41] Damit denken sie zunächst an solche Staaten, in denen die Elite die Bevölkerung von der Partizipation auszuschließen versucht und damit die Prinzipien der Demokratie mißachtet. Die Theorie der defekten Demokratien bezieht sich mit diesem Aspekt eines bewußten Ausschlusses der Öffentlichkeit durch die Elite nicht auf Lettland, ein solcher Vorwurf wäre zurückzuweisen, denn in Lettland verhindert die Partizipation der Bevölkerung niemand aktiv. Ganz im Gegenteil wird auch von Politikern in Lettland die Bedeutung einer Zivilgesellschaft betont, wenn auch in Folge von Korruption freilich die Organe der demokratischen Macht im Entscheidungsprozeß mitunter umgangen werden.
Im Unterschied zu Wissenschaftlern in Lettland, welche die Minderheitenfrage eher separat erforschen, sehen Croissant und Thiery sehr wohl den Ausschluß vom Demos aus ethnischen Gründen in Lettland. Folglich erwähnen Croissant und Merkel gerade Lettland als Beispiel, wo zwei Defekte zu finden sind, einerseits der Ausschluß ethnischer Minderheiten von den Bürgerrechten,[42] sowie das vielfach erwähnte hohe Ausmaß der Korruption. Nach Ansicht der meisten internationalen, politikwissenschaftlichen Beobachter steht die hohen Zahl Staatenloser in Lettland im Widerspruch zur Idee der Demokratie „one man one vote”. Andererseits sollte der stabilisierende Faktor des Staatsbürgerschaftsgesetzes nicht unerwähnt bleiben, denn in den frühen 90er Jahren konnten jene Immigranten, die eigentlich gegen die Unabhängigkeit Lettlands waren, am politischen Entscheidungsprozeß nicht teilnehmen und Lettland konnte deshalb nicht in eine konstitutionelle Krise stürzen.[43] Darüber hinaus wird oft verallgemeinernd von Minoritäten gesprochen und nicht unterschieden zwischen ethnischen Minderheiten und ihrem juristischem Status. Da ein großer Teil der heute in Lettland lebenden Menschen nicht lettischer Nationalität Nachfahren von Staatsbürgern sind, die schon in der Zwischenkriegszeit in Lettland gelebt haben, umfaßt der russifizierte Teil der Bevölkerung, also jener, der zumeist ausschließlich Russisch spricht, rechtlich gesehen zwei Gruppen, von denen nur ein Teil Staatenlose sind.
Als ernsthaften Defekt in Lettland könnte man dagegen die erwähnte Passivität bezeichnen. Vor diesem Hintergrund muß auch das Urteils von Mattusch verstanden werden, die den Parteien vorwirft, Interessenmaximierer bestimmter Klientel zu sein.[44] Ostrovska fügt hinzu, daß die ökonomischen Interessen von Oligarchen als gemeinsames Ziel die ideologische Diskussion ersetze.[45] In der Politikwissenschaft widerspricht dieser Sicht niemand: „East European parties seem to be more interested in governance than in interest aggregation“.[46]
Der zweite Defekt könnte darin liegen, daß die Menschen große Schwierigkeiten haben, sich ideologisch zu orientieren. „Most residents still have problems in understanding their own social interests, in connecting these interest with those of the political system, and in identifying themselves with any specific social groups.“[47] Das Parteiensystem Lettlands ist darum im Gegenteil zu dem Estlands einstweilen leider noch hauptsächlich ethnisch orientiert und teilt sich in pro-russische und pro-lettische Gruppierungen. Im Gegenteil zu Estland haben sehr viele Einwohner nicht lettischer Nationalität infolge ihrer Abstammung die lettische Staatsbürgerschaft. Die Parteien orientieren sich dagegen weniger an sozioökonomischen Aspekten, folglich spiegelt das Parteiensystem die gesellschaftliche Realität nicht wider, die nach Ostrovska wie folgt aussieht: „there has been a process of social disintegration, accompanied by gradual loss of legitimacy for the parliamentary democracy, and this, quite possible, may provoke authoritarianism.“[48]

Fazit
Die Hoffnungen des „Volkes“ nach der Wende beschreibt Juchler so „Die Erwartungen richteten sich dabei auf eine Verbesserung der Wirtschaftslage, aber auch auf die Bildung demokratischer Verhältnisse, auf eine gerechte moralisch erneuerte Gesellschaft schlechthin. Heute herrscht in den postsozialistischen Staaten Osteuropas Ernüchterung vor.“[49] Doch diese Hoffnungen waren irreal und damit kann in der Tat von „favourable conditions for legal and moral nihilism“[50] gesprochen werden, und darin liegt zweifelsohne eine Gefahr: „Die erworbene Abneigung gegen die vorangegangene autoritäre Form der Politik mischt sich in bedenklicher Weise mit Frustration gegenüber den Resultaten einer Demokratisierung, die fast ausschließlich durch die Parteieliten getragen wird.“[51] Aber letztlich handeln sowohl die Durchschnittsbürger als auch die politische Elite gleichermaßen vor dem Hintergrund ihrer Lebenserfahrung aus der Sowjetzeit.
So verständlich die Einstellungen der Menschen unter den beschriebenen Bedingungen in weiten Teilen auch sein mag, die erwähnten Folgen bleiben doch ein Hindernis auf dem Weg zur gelebten Demokratie. Hilfe und Unterstützung zu verlangen ist einfach, aber die Nötigen finanziellen Mittel hierfür können nur durch den Steuerzahler aufgebracht werden. Aber da es einstweilen keine großen Steuerzahler gibt und auch die Bereitschaft der Durchschnittbürger, ihrer Steuern ehrlich zu entrichten, gering ist, werden die Staatseinnahmen nicht ausreichen, um die Wünsche der Bevölkerung gegenüber dem Staat zu befriedigen. Dies wird begünstigt durch die Tatsache, daß Lettland bislang noch kein transparentes System der Steuererklärung eingeführt hat. Angesichts der Leistung der Wirtschaft Lettlands ist in naher Zukunft ein dem Westen vergleichbarer Lebensstandard nicht abzusehen. Er wird sich nur mittel- und langfristig verbessern inklusive der weiteren Herausbildung einer gesellschaftlichen Stratifikation. Aber das bedeutet selbstverständlich nicht, daß Lettland eine Kleptokratie sein muß, wenn einzig die Einwohner dies nicht wollen und nicht zulassen.
Bald werden seit der erneuerten Unabhängigkeit 18 Jahre vergangen sein. Wann wird die Bevölkerung Lettlands sich damit abfinden, daß die Politik nicht unschuldig ist, es nicht sein kann und nicht einmal sein darf? Einstweilen ist Wolff-Poweska auch für Lettland zuzustimmen: „es herrscht Demokratie ohne demokratische Kultur“.[52] Als Antwort auf die von Einheimischen oft gestellte Frage kann also geantwortet werden: Die Demokratie in Lettland ist eine formale.
Anmerkungen
[1] vgl. Ķemers, Ivars: Kleptokrātijas plusi un mīnusi, Diena 13.11.2001
[2] vgl. Škapars, Jānis: Jūrmalgeita un daudzpartiju problēma, Kultūras Diena 9.2.2007
[3] vgl. Umfrage des Instituts SKDS, 2006
[4] vgl. de Tocqueville, Alexis: L’Ancien Régime et la Révolution, 1856
[5] Diesen Begriff verwenden die Einstellung der Bevölkerung beschreibend auch Ostrovska und Tabuns. Vgl. Ostrovska, Ilze / Odīte, Liene / Zītars, Valdis / Āboltiņa, Signe / Strode, Ieva / Indāns, Andris / Brants, Māris / Vanaga, Sanita: 6. Saeimas vēlēšanas gaidot; in: Socioloģijas un politoloģijas žurnāls Nr.6, 06.1995, S.18; Tabuns, Aivars / Tabuna, Ausma: Estraged europeans - sociological investigation of Latvian society; in: Humanities and Social Sciences 1(22)/99, S.27
[6] Im Januar 1991 versuchten Sondereinheiten der Sowjetmacht Rundfunk- und Regierungsgebäude einzunehmen. Vgl. auch den Eingangsbeitrag.
[7] vgl. Ostrovska, Ilze: Nationalism and democracy: The choice without choice; in: Vēbers, Elmārs: Integrācija un etnopolitika, Riga 2000, S. 164
[8] vgl. Segert, Dieter: Aufstieg der (kommunistischen) Nachfolge-Parteien?; in: Wollmann, Helmut / Wiesenthal, Helmut / Bönker, Frank (Hrsg.): Transformationen sozialistischer Gesellschaften: Am Ende des Anfangs, Leviathan Sonderheft 15/1995, S.465
[9] vgl. Boulanger, Christian: „Politische Kultur“ und „Zivilgesellschaft“ in der Transformationsforschung: Versuch einer Annäherung und Kritik; in: Berliner Osteuropa Info 13/99, S.16
[10] vgl. Fenner, Christian: Politische Kultur; in: Dieter Nohlen (ed.), Lexikon der Politik. Band 3: Die westlichen Länder. München: Beck 1992
[11] vgl. Almond, Gabriel / Verba, Sidney: The Civic Culture: Political Attitudes and Democracy in Five Nations, 1963
[12] vgl. Putniņa, Aivita: Strādāsim vai noalgosim Antiņu? Interview http://www.politika.lv/, 11.09.2001
[13] vgl. Lemke, Jakob: Zwölf Jahre, zwölf Regierungen. Akteure, Ereignisse, Spezifika der litauischen Politik; in: Osteuropa 9/10/2002, S.1243
[14] vgl. Merkel, Wolfgang: Systemtransformation, Opladen 1999, S.137
[15] vgl. Arter, David: Parties and democracy in the Post-Soviet republics: the case of Estonia, Aldershot Dartmouth 1996, S.205, 234
[16] vgl. Lieven, Anatol: The Baltic revolution, New Haven und London 1994, S.265f.
[17] vgl. Mattusch, Katrin: Demokratisierung im Baltikum? Frankfurt 1996
[18] vgl. Barkāns, Elmārs: Partijas: spēcīgas organizācijas vai interešu klubi?, „Nedēļa“ 12.06.2006
[19] vgl. Škapars, Jānis: Jūrmalgeita un daudzpartiju problēma, Kultūras Diena 9.2.2007
[20] vgl. Ostrovska, Ilze: The State and it’s civil society: Priorities in a period of transition; in: Humanities and Social Sciences 4(13)/96 1(14)/97, S.78
[21] vgl. Akule, Dace: Vai Eiropa noticēs pilsoņu debatēm?, http://www.politika.lv/, 13.2.2007
[22] vgl. Widmaier, Ulrich / Gawrich, Andrea / Becker, Ute: Regierungssysteme Zentral- und Osteuropas, Opladen 1999
[23] Das Originalzitat: „savdabīgu, latentu lobisma institūciju“. Vgl. Broks, Jānis / Ozoliņš, Uldis / Ozolzīle, Gunārs / Tabuns, Aivars / Tīsenkopfs, Tālis: Demokrātijas stabilitāte. Latvijā: priekšnoteikumi un izredzes; in: Tabuns, Aivars (Hrsg.): Sabiedrības pārmaiņas Latvijā, Riga 1998, S.168
[24] vgl. Mény, Yves: The people, the elites and the populist challange, Key note adress to the German political science association meeting, Bamberg October 1997, S.9
[25] vgl. Tabuns, Aivars / Tabuna, Ausma: Estraged europeans - sociological investigation of Latvian society; in: Humanities and Social Sciences 1(22)/99, S.26ff.
[26] Umfrage des Instituts SKDS, 2005
[27] Die Letten numerieren ihre Parlamente beginnend mit dem ersten in den 20er Jahren. Somit wurde 1993 nach der wiedergewonnen Unabhängigkeit die 5. Saeima gewählt. Weitere Wahlen folgten 1995, 1998, 2002 und 2006.
[28] vgl. Pedersen, Mogens: The Dynamics of European Party Systems: Changing Patterns of Electoral Volatility, 1979
[29] vgl. Ginters, Māris: Vēlētāju balsojuma mainīgums (Electoral Volatility) Latvijas Republikas Saeimas vēlēšanu rezultātu kontekstā. (1993. – 2002.), Maģistra darbs Rīgas Stradiņa Universitāte 2005
[30] vgl. Reetz , Axel: Die Entwicklung der Parteiensysteme in den baltischen Staaten, Wittenbach 2004, S.159
[31] vgl. Offe, Claus: Der Tunnel am Ende des Lichts, Frankfurt am Main 1994, S.86ff.
[32] vgl. Zepa, Brigita: Līdzdalība kā politiskās nācijas veidošanās nosacījums; in: Pilsoniskā apziņa, Riga 1998, S.234
[33] vgl. Meyer, Gerd: Die politischen Kulturen Ostmitteleuropas im Umbruch; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 10/1993, S.10
[34] Die Originalzitate: „ja partija grib iekļūt koalīcijā, tai jāmāk izmantot šķiet vienīgais, bet tik efektīvais ierocis – šantāža“ sowie „Latvijā nozīmīga loma koalīcijas veidošanā teorētiski tiek piešķirta valsts prezidentam. Bet realitāte pierāda, ka partijas vairumā gadījumu neizrāda pat vismazāko cieņu pret prezidentu kā valdības vadītāja nominētāju.“ Vgl. Curika, Linda: Koalīciju veidošanas labirinti, http://www.politika.lv/, 10.10.2006. Der Artikel ist eine Zusammenfassung der Magisterarbeit der Autorin zum gleichen Thema, die von Ilze Ostrovska betreut worden ist.
[35] Das Originalzitat: „Taču runājot par latviešu imunitāti pret kreisumu, tomēr jāatzīst, ka patiesībā nekāda reāla kreisa alternatīva netiek piedāvāta.“ Vgl. Puriņš, Gatis / Šulcs, Uģis: 9.Saeima: Labējā nestabilitāte, http://www.politika.lv/, 10.10.2006
[36] vgl. Duverger, Maurice: Die politischen Parteien, Tübingen 1959
[37] vgl. Dahl, Robert: Democracy and ist Critics, New Haven; Yale University Press, 1989, S.15-20
[38] Das Originalzitat: “Proti, politikas ganiem ir daudz vienkāršāk vest aiz sevis t.s. „aitu baru”, nevis savas tiesības un pienākumus zinošus pilsoņus.” Vgl. Reetz, Axel / Spolītis, Veiko: Vēlētājs Aizspogulijā, www.politika.lv , 3.10.2006.
[39] vgl. Ismayr, Wolfgang: Die politischen Systeme der EU-Beitrittsländer im Vergleich; in: Aus Politik und Zeitgeschichte B5-6/2004, S.14
[40] vgl. Huntington, Samuel: The Third Wave. Democratization in the Late Twentieth Century, London 1991
[41] vgl. Croissant, Aurel / Thiery, Peter: Von defekten und anderen Demokratien; in: Welttrends Nr. 29, Winter 2000/2001, S.20ff., 26; auch Croissant, Aurel / Thiery, Peter: Defekte Demokratie. Konzept, Operationalisierung und Messung; in: Lauth, Hans-Joachim / Pickel, Gerd / Welzel, Christian: Demokratiemessung, Wiesbaden 2000, S.96ff. Diese Annahme findet ihre Parallele in dem schon vorher erörterten angeblichen Ausschluß der Minderheiten vom politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben.
[42] vgl. Merkel, Wolfgang / Croissant, Aurel: Defective democracies: Concept and causes, Manuskript 2000
[43] vgl. Broks, Jānis / Ozoliņš, Uldis / Ozolzīle, Gunārs / Tabuns, Aivars / Tīsenkopfs, Tālis: Demokrātijas stabilitāte. Latvijā: priekšnoteikumi un izredzes; in: Tabuns, Aivars (Hrsg.): Sabiedrības pārmaiņas Latvijā, Riga 1998, S.171
[44] vgl. Mattusch, Katrin: Vielfalt trotz ähnlicher Geschichte. Die drei baltischen Staaten und ihre unterschiedlichen Parteiensysteme; in: Segert, Dieter (Hrsg.): Spätsozialismus und Parteienbildung in Osteuropa nach 1989, Berlin 1996
[45] vgl. Ostrovska, Ilze: 6. Saeimas vēlēšanās: izvēle un rezultāti; in: Socioloģijas un politoloģijas žurnāls Nr. 7, 05.1996, S.46f.
[46] vgl. Žeruolis, Darius: Change and stability in emerging East European party systems: What the revelance of West European party models, Msc Dissertation, The London School of Economics and Political Science, S.11
[47] vgl. Ostrovska, Ilze: The State and it’s civil society: Priorities in a period of transition; in: Humanities and Social Sciences 4(13)/96 1(14)/97, S.78
[48] vgl. Ostrovska, Ilze: The State and it’s civil society: Priorities in a period of transition; in: Humanities and Social Sciences 4(13)/96 1(14)/97, S.78
[49] vgl. Juchler, Jakob: Der wirtschaftliche und politische Transformationsprozess Osteuropas in komparativer Perspektive, Zürich 03.2000, S.5
[50] vgl. Tabuns, Aivars / Tabuna, Ausma: Estraged europeans - sociological investigation of Latvian society; in: Humanities and Social Sciences 1(22)/99, S.26ff.
[51] vgl. Segert, Dieter: Die Entwicklung der Parteienlandschaft im ostmitteleuropäischen Transformationsprozeß; in: Hans Süssmuth (Hrsg): Transformationsprozesse in den Staaten Ostmitteleuropas 1989-1995, Baden-Baden 1998, S.108
[52] vgl. Wolff-Poweska, Anna: Politische Kultur in den postkommunistischen Gesellschaften; in: Weidenfeld, Werner (Hrsg.): Demokratie und Marktwirtschaft in Osteuropa. Strategien für Europa, Gütersloh 1995, S.49