Donnerstag, 12. November 2009

SIA Latvija

Jaunajā interneta portālā http://www.citadiena.lv/ ir iznācis raksts SIA Latvija, ko mēs kopā ar Veiko Spolītis rakstījām.

Montag, 9. November 2009

Protest gegen die Einladungspolitik der deutschen Botschaft in Riga

Die deutsche Botschaft in Riga hat zum von Sponsoren finanzierten Empfang anläßlich des Tages der deutsche Einheit 2009 im Gegenteil zu früheren Jahren zahlreiche seit Jahren ständig in Lettland lebende Deutsche nicht eingeladen. Dazu gab Frau Häberle im Rahmen eines der von ihr inziwschen nur noch selten organisierten Jour-Fixe eine kurze Erklärung ab, die zahlreiche Anwesende sehr verärgerte. Mein Brief an sie:

Sehr geehrte Frau Häberle,

bitte verzeihen Sie, daß ich wegen zahlreicher anderer Verpflichtungen erst jetzt dazu komme, dieses Schreiben zu verfassen; gleichzeitig noch einmal schriftlich vielen Dank für ihren informativen Anruf vom 5. Oktober 2009. Ich lege Wert auf Informationen aus erster Hand anstelle von Hörensagen aus der deutschen Community.

Anlaß für Ihren Anruf war eine Mail von mir an Ihre Kollegin, Frau Masloch. Schriftlich möchte ich erneut darauf hinweisen, daß es sich dabei um eine Mitteilung privater und nicht offizieller Natur handelte, daher auch der saloppe Ton. Daß Ihr Vorgehen im Rahmen des Empfanges der Botschaft zum 3. Oktober Folgen haben wird, war folglich keineswegs als Drohung gemeint, sondern als Prognose, die einerseits dem Hörensagen der deutschen Community zufolge eingetreten ist, nicht zuletzt aber auch mit diesem Schreiben, zu dem ich mich veranlaßt sehe, da Sie ihrerseits telefonisch angekündigt haben, meinen elektronischen Brief zu den Akten zu legen. Darum unter anderem geht dieses Schreiben in Kopie auch an den Botschafter und das Auswärtige Amt.

Ihren Ärger über meine in der erwähnten Mail geäußerte Vermutung, daß ich von der Adressenliste des Wirtschafts-Jour-Fixe gestrichen wurde, kann ich nicht nachvollziehen. Nachdem ich leider nur durch Hörensagen der deutschen Community erfahren hatte, daß ein großer Teil derselben den Tag der deutschen Einheit nicht gemeinsam mit der Botschaft feiern sollte, lag diese Annahme durchaus nahe. Ihr Argument, andere Vertreter der deutschen Community hätten sich bei Ihnen telefonisch gemeldet, greift m.E. zu kurz. Wieso sollten Mitglieder der deutschen Community durch Hörensagen verbreiten müssen, daß Sie technische
Änderungen in Ihrem Büro vorgenommen haben? Ich halte es im Gegenteil für selbstverständlich, daß ein jeder an seinem Arbeitsplatz bei einer derartigen Umstellung den Adressenabgleich selbstständig bewältigt.

Im Verlaufe unseres Gespräches pflichteten Sie mir bei, nun zwecks Aktualisierung ihres Verteilers über meine Mailadresse zu verfügen, welche übrigens ebenso wie mein Postfach (siehe Briefkopf) seit 1998 unverändert existiert. Gerne erwarte ich daher Ihre Interpretation des Umstandes, daß ich für die Diskussion Vīķe-Freiberga / Biedenkopf am 4. November, also etwa einen Monat nach unserem Gespräch, keine Einladung erhalten habe, jene zum Konzert am 3. Oktober ohne freien Eintritt vor unserem Gespräch aber sehr wohl. Dies belegt, daß der Botschaft nicht erst seit dem 5. Oktober meine Mailadresse vorliegt und es offensichtlich verschiedene Verteiler gibt. Anlaß zur Empörung bestünde folglich auf meiner Seite.

Telefonisch bestätigten sie meine Information vom Hörensagen der deutschen Community über den Hergang des Jour Fixe (für Adressaten Ihres neuen Verteilers), anläßlich dessen sie verkündeten hatten, daß nicht alle Vertreter der deutschen Community zum Empfang der Botschaft zum Tag der deutschen Einheit geladen werden. Sie unterstrichen, daß niemand der Anwesenden protestiert habe. Aber ist es nicht logisch, daß die Anwesenden ohne Einladung erst zu diesem Zeitpunkt davon erfuhren, daß sie nicht geladen sind? Ausladungen werden schließlich nicht versandt. Oder vertrauen Sie auch hier auf das Hörensagen der deutschen Community? Als mein Lehrstuhlleiter seine Einladung erhielt ging ich ebenfalls nicht sofort davon aus, selbst keine zu erhalten. Als Zuhörer unter vielen konnte zudem keiner der Betroffenen wissen, wer der anderen Anwesenden ebenfalls betroffen ist. Überdies waren die Betroffenen natürlich auch erst einmal sehr überrascht, weil die Botschaft in den vergangenen Jahren die deutsche Community immer zum Empfang eingeladen hat.

Dieser Punkt war eigentlich Stein des Anstoßes und Anlaß für meinen elektronischen Brief. Erst durch Ihre Reaktion weitet sich das Thema auf Ihre Tätigkeit in der Botschaft aus. Sie erwähnten am Telefon mehrfach einen „Auftrag“, ohne diesen konkret zu benennen. Ich bevorzuge den Begriff Aufgabe – ohne Ihnen in juristischen Details zu Nahe treten zu wollen – denn ein Auftrag kann erfüllt und beendet werden, eine Aufgabe gilt es, auf unbestimmte Zeit zu übernehmen. Die deutsche Botschaft vertritt mit wechselndem Personal die Interessen der Bundesrepublik Deutschland im Einsatzland, wozu selbstverständlich jene der im fraglichen Staat lebenden deutschen Staatsbürger zählen.

Sie bemühten im Rahmen des „Auftrages“ außerdem den Schwerpunkt des Empfangs als Veranstaltung für jene Partner, mit denen Sie während des vergangenen Jahres hauptsächlich zusammengearbeitet haben. Niemand wird gegen Arbeitstreffen Einwände vorbringen. Ob der Empfang zum Tag der deutschen Einheit dafür der geeignete Anlaß ist, stelle ich allerdings in Frage. Dieser sollte m.E. von Vertretern der gastgebenden Nation mit vor Ort lebenden Menschen der feiernden Nation, der deutschen Community, begangenen werden – die diplomatischen Corps dritter Staaten selbstverständlich eingeschlossen.

Mehrfach erwähnten Sie in unserem fernmündlichen Gespräch die Anwesenheit von Vertretern des Bundesrechnungshofes beim Jour Fixe und die Finanzkrise als Hinweis auf das Erfordernis der Sparsamkeit. Ein Empfang hätte sparsam auch ohne Mahlzeit organisiert werden können, wie bei deutschen Botschaften in anderen Staaten üblich. Mit dem Ergebnis von 2009, einem von privaten Firmen finanzierten, geschlossenen Empfang für Partner der Botschaft, an dem die deutsche Community nicht teilnehmen durfte, könnten Sie auch den Verdacht der Vetternwirtschaft auf sich ziehen. Über die Sicht der Sponsoren erlaube ich mir kein Urteil, obwohl es auch hierzu Hörensagen der deutschen Community gibt.

Was und wer ein Partner der deutschen Botschaft ist, ließen Sie telefonisch ebenfalls offen. Einen Eindruck vor Ort konnten freilich nur geladene Gäste bekommen. Wie unbedeutend die deutsche Community als Partner für Sie ist, haben Sie gezeigt, indem Sie keine Mühe für den Abgleich Ihrer Datenbank aufzuwenden bereit waren und augenscheinlich nach wie vor sind. Dies hatte wohl auch deshalb keine Priorität, da Sie über längere Zeit die Tradition des Jour-Fixes nicht fortgesetzt haben. Ihr Desinteresse an der deutschen Community habe ich allerdings nicht erst jetzt, sondern bereits beim Botschaftsempfang zum 3. Oktober im vergangenen Jahr erlebt, als ich Sie ansprach und mich als Referent anbot. Sie überreichten mir damals Ihre Visitenkarte, verweigerten mir aber das weitere Gespräch – auch zu meiner Person – und baten mich um einen Anruf am Ende des Folgemonats.

Wenn das dem „Auftrag“ der deutschen Botschaft entspricht, dann frage ich mich, welchen konkreten Nutzen ich als deutscher Staatsbürger von der Arbeit einer der wichtigsten Institutionen der Exekutive meines Herkunftslandes in meinem Gastland habe. Zu Ihrer Information: In Lettland sind in der Zeit Ihres Aufenthalts bereits ein Sänger und ein Volkswirtschaftsdozent wegen öffentlicher Äußerungen zur Wirtschaftslage des Landes vom Verfassungsschutz verhaftet worden. Ich publiziere regelmäßig auf Lettisch und bin nicht erst einmal von Einheimischen wie in der deutschen Community gefragt worden, ob ich mich nicht vor einem ähnlichen Schicksal fürchte. In diesem Fall wäre es für die deutsche Botschaft m.E. mehr als nützlich zu wissen, um wen es sich eigentlich handelt.

Leider ließen Sie mich auch während des Telefongespräches kaum zu Wort kommen und beendeten es durch Auflegen.

Da mir vom Hörensagen in der deutschen Community zugetragen wurde, daß Sie noch bis zum kommenden Frühjahr in Riga sein werden, entwickeln Sie in den verbleibenden Monaten vielleicht noch Interesse an der deutschen Community und sogar meiner Person; weitere Informationen über mich finden Sie auf meiner Homepage www.infobalt.de/reetz.html. Dort werden Sie erfahren, daß ich seit 1993 mit Unterbrechungen in Lettland und Estland lebe und arbeite und folglich einige Ihrer Vorgänger habe kommen und gehen sehen.

Mit freundlichen Grüßen

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Lettland im Herbst

Daß Lettland am Rande des Staatsbankrottes steht, dürfte sich mittlerweile weltweit herumgesprochen haben. Wie aber sieht der Alltag nun aus? Was geschieht auf der politischen Ebene? Befindet sich das Land in einer Schockstarre?

Die Umstände haben zu Beginn des Jahres den erst 38jährigen Finanzexperten und bisherigen Europaabgeordneten Valdis Dombrovskis ins Amt des Ministerpräsidenten gebracht und damit jene Partei zurück in die Koalition, welche eine ganze Weile von den oligarchischen bisherigen Regierungspartnern gemieden worden war.

Zwar sind Dombrovskis rhetorische Fähigkeiten, der Bevölkerung die Krise, ihre Folgen und das Regierungshandeln zu erläutern besser als die seines Vorgängers Ivars Godmanis. Aber regiert Dombrovskis das Land tatsächlich? Wird es ihm gelingen, sich bis zu den Wahlen im Herbst 2010 im Amt zu halten? Dann hätte er eine der seit 1991 am längsten regierenden Exekutiven geleitet.

Innenpolitische Hauptkriegsschauplätze
Wie weit der Einfluß Dombrovskis’ reicht, ist zweifelhaft, da die bislang federführende Volkspartei in ihrer Positionierung sprunghaft geworden ist, mal die Verhandlungen mit dem IWF befürwortet, dann wieder bereits unterzeichnete Vereinbarungen verurteilt und beständig latent mit dem Austritt aus der Regierung liebäugelt.

Eine Möglichkeit wäre, ähnlich wie 2004 die Verabschiedung des Haushalts abzulehnen und damit die Regierung zu stürzen. In diesem Fall könnte der Übervater der Partei, Andris Šķēle, wie Phönix aus der Asche in die Politik zurückkehren. Damit könnte sich die Partei der Ersten Partei / Lettlands Weg anschließen, die bei der letzten Regierungsbildung in die Opposition ging; andererseits ließe sich demonstrieren, daß in einer schwierigen Lage eine ernsthafte politische Kraft die Regierung nicht stürzt. Gleichzeitig könnte auch die Neue Zeit den Querulanten Volkspartei aus der Koalition schmeißen und versuchen, sich auf die zehn Stimmen der Ersten Partei / Lettlands Weg zu verlassen.

Hinter diesen Planspielen verbirgt sich letztlich die Frage, wer von einem neuerlichen Regierungssturz nach kaum mehr als einem halben Jahr im Amt und ein Jahr vor den Wahlen profitieren könnte und wem dies eher schadete. Ainārs Šlesers von der Ersten Partei etwa deutete an, daß seine Partei wohl eher nicht an einer neuen Regierung teilnehmen würde.

Für eben diesen ist die jüngste Ankündigung des früheren Ministerpräsidenten am ehesten ein Problem, da beide ähnliche Ambitionen haben. Während der über sieben Jahre als „einfaches Parteimitglied“ figurierende Šķēle zur Erklärung vorgab, er habe schon früher darauf hingewiesen, in die Politik zurückzukehren, sobald man an seiner Tür klopfe, trat das Parteimitglied mit der Mitgliedsnummer zwei Vaira Paegle, umgehend aus der Partei aus. Šķēle habe nie seine geschäftlichen Interessen beiseite geschoben und werde dies gewiß auch in Zukunft nicht tun. Sie war vor zwei Jahren eine von drei Parteitagsdelegierten gewesen, welche die Hand gehoben hatten, als gefragt wurde, wer einen Rückzug Šķēles aus der Partei wünscht.

Alltag und kleine Leute
Vor diesem Hintergrund sind die strammen Verordnungen der Regierung bei der einfachen Bevölkerung angekommen. So hat die Regierung einige als besonders schmerzhaft empfundene Einschnitte vollzogen wie die Schließung von Schulen auf dem Land. Dies mag angesichts der demographischen Entwicklung angemessen sein, es wurden aber auch Krankenhäuser geschlossen, darunter in der Hauptstadt selbst zwei traditionsreiche Häuser. Das Erste Krankenhaus war Ende des 19. Jahrhunderts damals noch am Stadtrand errichtet worden und befindet sich inzwischen zentrumsnah. Über lange Zeit hatte sich diese Einrichtung auf die Betreuung von Unfallopfern und Notfällen spezialisiert. Auch diese Reduzierung war allerdings seit längerem angedacht und nun unrealisiert geblieben.

Die inzwischen dramatisch steigende Arbeitslosigkeit führt zu großen sozialen Problemen. Nicht nur ist die Arbeitslosenunterstützung gering, nach Ablauf des Zeitraums für diese Zahlungen fehlt es an einer Art “Sozialhilfe”. Doch auch wer die Arbeit nicht verloren hat, sieht sich mit Einkommenskürzungen etwa bei Lehrern und einer 70% Rentenkürzung für Rentner, die ihr Einkünfte mit zusätzlicher Arbeit aufgebessert haben, konfrontiert. Selbst für bislang besser Verdienende sieht die Welt inzwischen anders aus. Wunderten sich in den vergangenen Jahren Rigabesucher noch über die große Zahl an teuren Limousinen – man zeigte eben in der lettischen Gesellschaft, was man hatte – so werden inzwischen vielen, die ihre Kredite oder Leasingraten nicht mehr bedienen können, die Autos wieder abgenommen. Das macht sich in weniger Staus während der Hauptverkehrszeiten ebenfalls bemerkbar.

Da einige Menschen tatsächlich in echte Not gekommen sind, es wird von Familien berichtet, die noch vor kurzem Leasingraten bezahlen könnten, bei denen es aber nun nicht einmal mehr für die Mahlzeiten ihrer Kinder reicht, hat die Regierung ein sogenanntes soziales “Kissen” beschlossen. Dies kann in Anspruch nehmen, wer gleichzeitig von der Krise und den Reformen betroffen ist. So erhalten Mittellose kostenlose Gesundheitsversorgung und Medikamente. Dagegen jedoch protestiert der Verband der Geringverdiener[1]. Dort wirft man der Regierung vor, daß NGOs nicht unterstützt werden, sie selbst etwa ihre Räumlichkeiten gratis für den Handel mit Second hand Kleidung zur Verfügung stellten. Überdies sei es ungerecht, daß Untätige oder Faulenzer kostenlose medizinische Versorgung erhielten, die sich eine zum gesetzlichen Mindestlohn arbeitende Mutter eines Kleinkindes nicht leisten kann. Personen, die Probleme mit den Ratenzahlungen haben, werden ebenfalls stattlich mit Stundungen unterstützt. Den Kommunen will die Regierung mit Schulbussen helfen.

Der lange Arm korrupter Praktiken
Auf der anderen Seite haben viele Staatliche Einrichtungen den befohlenen Rotstift aber nicht mit 20% umgesetzt und sind statt dessen erfinderisch geworden. Anstelle der Auszahlung sogenannter Prämien wurden plötzlich fiktive Überstunden honoriert. oder statt Bargeld Einkaufsgutscheine ausgegeben. Besonders pikant ist, daß sich gerade das Justizministerium mit internen Anordnungen über Kabinettsbeschlüsse hinweggesetzt hat, was inzwischen öffentlich von der Chefin des Rechnungshofes, Inguna Sudraba, kritisiert wurde. Andererseits wies selbst die stellvertretende Leiterin der Staatskanzlei, Baiba Pētersone, früher Mitglied der rechtskonservativen Für Vaterland und Freiheit, darauf hin, daß gegen den Kabinettsbeschluß nicht verstoßen worden sei.

Diese Ignoranz bezeichnete der Regierungschef als “kreative Buchhaltung”. Sie macht den Nihilismus und die Eigensucht eines Teils der Bevölkerung plakativ deutlich, denn nicht alle Einwohner Lettlands haben auch nur den Ansatz einer Chance, auf ähnliche Art und Weise ihren Lebensstandard zu halten.

Das Justizministerium wird geführt vom Parteivorsitzenden der Volkspartei, dem eloquenten Māreks Segliņš, der bereits früher als Innenminister mit interessanten Äußerungen über Polizei und innere Sicherheit aufgefallen ist. Freilich, die einstweilen zweifelhaft erscheinen, ungeachtet der Frage, ob die Wahlen turnusmäßig im Herbst des nächsten Jahres oder – was ebenfalls zweifelhaft ist – früher stattfinden.

Diese Auseinandersetzung finden statt vor dem Hintergrund, daß in Lettland bislang noch kein einheitliches Besoldungssystem im öffentlichen Dienst eingeführt worden ist – über das jetzt neuerlich diskutiert wird. Einstweilen ohne Folgen.

Innenpolitische Nebenkriegsschauplätze
Als wenn es derzeit nicht Wichtigeres gäbe, beschäftigt sich die Regierung jedoch auch mit anderen umstrittenen und kritischen Fragen in den Niederungen des Alltags. So sollen bei der Polizei Patrouillen- und Verkehrsabteilung zusammengelegt werden. Dann könnten sich die einen auch um Überschreitungen der Straßenverkehrsordnung und die anderen um Verstöße gegen die öffentliche Ordnung kümmern. Bislang fahren die Streifenwagen kreuz und quer durch die Stadt, auch jene der Munizipalpolizei – de facto eine Art aufgerüstetes Ordnungsamt – und oft läßt sich beobachten, daß immer gerade die falsche Streife am falschen Ort zur falschen Zeit ist.

Gleichzeitig flammte kürzlich ein neuerlicher “Taxikrieg” auf. Innenministerin Linda Mūrniece wehrt sich gegen Vorwürfe des Chefs von Air Baltic, Bertold Flick, die Polizei müsse sich schneller als bislang um den erneut ausgebrochenen Taxi-Krieg kümmern. Bereits in den 90er Jahren hatte es einen solchen gegeben. Jetzt ist er erneut entfacht, weil Flick auf diesem Markt als neuer Konkurrent aufgetreten ist. Konkurrierende Fahrer beschädigen die Autos anderer Firmen und mitunter entpuppt sich auch ein Kunde als “Verführer”, der den Fahrer an einen Zielort lotst, wo bereits Komplizen warten.

Dieselbe Ministerin reagierte im September überaus heftig auf eine nicht angemeldete Demonstration im südlettischen Bauska. Hier hatten sich spontan Menschen im online Sozialnetzwerk draugiem.lv zu einer Protestaktion gegen die Schließung des örtlichen Krankenhauses verabredet und blockierten mit der Brücke über die Mēmele (das ist nicht die Memel!) die Hauptverkehrsader des Baltikums Via Baltica. Anschließend wurde auch der die Brücke über die Mūsa besetzt. Als die Sondereinheiten Alfa aus Riga eintrafen, wurden zahlreiche Personen verhaftet, die sich Anfang Oktober vor Gericht verantworten mußten. Eine junge Frau, die aus Sorge um die medizinische Versorgung ihrer Mutter und ihrer Kinder auf einer der Brücken gestellt worden war, wurde freigesprochen. Ein weiterer Angeklagter erhielt die wohl eher symbolische Strafe von 5 Lat, ca. 7,50 Euro. Der Mann hatte zum Zeitpunkt seiner Verhaftung 2 Promille Alkohol im Blut. Er gab auch vor den Medien zu, Alkoholiker zu sein. Am fraglichen Tag sei er zufällig vorbeigekommen auf dem Weg zu einer Kneipe für die nächste 100g Dosis gegen den Kater vom Vortag. Als er die Menschen und die Polizei sah, habe er nur helfen wollen.

Ökonomischer Status Quo
Dann ist da noch die Diskussion über die Abwertung der Landeswährung, des Lats. Dies versuchten bislang alle Kabinette zu vermeiden, wie der Teufel das Weihwasser, denn viele Menschen haben sich in Fremdwährungen verschuldet. Die Abwertung würde Lettlands Konkurrenzfähigkeit vielleicht verbessern, doch exportiert Lettland ohnehin kaum Industrieprodukte. Statt dessen würde sich die Privatverschuldung deutlich erhöhen. Die Kreditgeber Lettlands haben die Politik akzeptiert. Doch aus Brüssel heißt es auch, daß die EU jeden eingeschlagenen Weg unterstützt hätte.

Freilich gibt es neben allen Horrormeldungen auch positive Folgen der Krise. Die Letten hatten während der fetten Jahre, auf Pump, über ihre Verhältnisse gelebt und damit ein Außenhandelsbilanzdefizit von 25% des BIP erreicht. Dieses ist hinweggeschmolzen ebenso wie die Inflation, welche sich zwischenzeitlich der 20% Marke genähert hatte. Inzwischen gibt es sogar eher deflationäre Tendenzen, die einzig durch die Steuerpolitik nicht immer sichtbar sind.

Aber auch diese positiven Aspekte ändern nichts daran, daß die Haushaltslage klamm ist. Ministerpräsident Dombrovskis ist darum der Ansicht, daß nur Steuererhöhungen oder Ausgabensenkung helfen. Die Neue Zeit hat darum den Vorschlag einer veränderten Immobilienbesteuerung in die Diskussion gebracht.

Hilflose Politik
In diese Gemengelage platzte die Ankündigung des Präsidenten, am 15. September zum zweiten Mal von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch zu machen und eine außerordentliche Kabinettssitzung einzuberufen, bei der wie bereits im April um Gesundheit, Haushalt, Bildung sowie die Verwaltung und eine Bewertung des während der letzten fünf Monate erreichten berichtet werden soll. Zatlers erklärte, die Verabschiedung des Haushaltes sei nun ebenso besonders wichtig wie klare Angaben, wie die Situation aussieht, was Lettland 2010 zu erwarten hat und aus der Krise heraus kommt. Der Präsident äußerte sich ebenfalls zuversichtlich, daß diese Sitzung auch die Stabilität der Regierung deutlich machen könne, wenn die Minister sie geschlossen verlassen.

Da die Sitzung im Gegenteil zu jener im April, die hinter verschlossenen Türen stattgefunden hatte, dieses Mal vom Fernsehen Live übertragen wurde, stellte sie sich wie eine vom Präsidenten geleitete Pressekonferenz des Kabinetts dar. Die zuständigen Minister der erwähnten Bereiche hatten Bericht zu erstatten und mußten anschließend auf zusätzliche Fragen des Staatsoberhauptes antworten.

Dies änderte nichts an den Reibereien zwischen den die Regierung tragenden politischen Kräften inklusive der Opposition. So wurden erneut Zweifel deutlich, ob das Parlament den Haushalt verabschieden wird. Die Erste Partei / Lettlands Weg erklärte sich, obwohl in der Opposition befindlich, dazu zwar grundsätzlich bereit, Diskussionen, wird das Budget angenommen, während die Volkspartei Zweifel zu zerstreuen versuchte, doch die Woche war ebenso reich an Spekulationen über die Ambitionen verschiedener Personen wie auch über hinter den Kulissen bereits organisierte Manöver.

Die Fraktionsvorsitzende der Neuen Zeit, Solvita Āboltiņa, etwa zeigte sich überzeugt, die Volkspartei versuche, um nicht als Königsmörder dazustehen, ihre Partei zu provozieren, die Regierung gegenüber der EU als instabil erscheinen zu lassen, um einen den Sturz der Regierung herbeizuführen und damit auf das eigentlichen Ziel einer Abwertung des Lats hinzuarbeiten. Dies hatte jüngst bei einer “Konferenz” der Partei deren graue Eminenz, Andris Šķēle, neuerlich ins Spiel gebracht.

Andere Beobachter sind der Ansicht, daß sich die Parteien gegenseitig provozierten. So habe Dombrovskis die Debatte über die Immobiliensteuern anläßlich einer Sondersitzung des Parlament zur Anhörung des Finanzministers auf die Tagäsordnung gesetzt wohl wissend, daß die Volkspartei diesen Vorschlag ablehnt und mit ihr auch das Harmoniezentrum und die Erste Partei / Lettlands Weg. Gleichzeitig hat die Sitzung parteiinterne Meinungsverschiedenheiten der Volkspartei zu Tage treten lassen, als bei der von ihr selbst beantragten Sondersitzung nur weniger ihrer Abgeordneten erschienen. Einige Mandatsträger sind der Ansicht, daß ein Verlassen der Regierung für die Partei tödlich wäre. Gleichzeitig kritisiert ihr Vorsitzender Segliņš, daß der Premier keine Mehrheit für die Wahl der Volkspartei-Abgeordneten Anta Rugāte ins garantiere, obwohl auch die anderen Parteien diese Kandidatur ablehnen.

Dies alles nährt Spekulationen über eine Annäherung zwischen Volkspartei und Erster Partei / Lettlands Weg und Pläne zur Bildung einer neuen Regierung. Dem seit Jahresbeginn nicht mehr im Kabinett sitzende Ainārs Šleser werden seit Jahren Ambitionen auf das Amt des Ministerpräsident nachgesagt. Da aber laut Verfassung der Präsident das alleinige Recht einer Nominierung hat, hätte wohl ein parteiloser Kandidat bei einem gegenwärtigen Regierungssturz bessere Aussichten. Und so gibt es Gerüchte, der kürzlich abgetretene Vorstandsvorsitzende der Sparkasse, Mārtiņš Bondars, sei Zatlers als Kandidat von Šlesers selbst vorgeschlagen worden.

Šķēles Rückkehr in die Politik gibt Kommentatoren ebenfalls Anlaß zu Spekulationen. Einige meinen, der Dinosaurier der lettische Politik benötige eine Plattform. Das spräche für einen Rehgierungssturz, der dann eventuell aber erst nach der Verabschiedung des Haushaltes geschehen könnte.

Aber es gibt eine weitere Option. Seit den Kommunalwahlen im Juni ist Šlesers stellvertretender Bürgermeister von Riga in einer Koalition mit dem Harmoniezentrum, das damit erstmals an wichtiger Stelle politische Verantwortung übernimmt, die es gerne auf der nationalen Ebene auch täte. Jānis Urbanovičs verkündete bereits, das Zentrum habe sich vor der Macht nie gedrückt.

Auch in der Krise hat sich am politischen Kindergarten in Lettland ebenso wenig geändert wie am nihilistischen Machtumgang. Die Zeitung Latvijas Avīze überschrieb einen Kommentar diese Woche mit “Bankrots līdzšinējai ‘politikai’” – Bankrott der bisherigen “Politik” – erstaunlicherweise dauerte dies bis September 2009.
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[1] Der lettische Begriff maznodrošinātie bedeutet eher „gering abgesicherte“, ein Wörterbuch bietet „Benachteiligte“ als Übersetzung an.

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Ende des präsidentiellen Regierens?

Deutschland hat gewählt und Angela merkel bleibt Kanzlerin. Erfreulich ist, daß die schwarz-gelbe Mehrheit nicht nur dank des negativen Stimmgewichtes zustande gekommen ist. Nur wenige Juristen und Politologen sahen in dieser Möglichkeit eine Gefahr für die Demokratie, immerhin habe das Verfassungsgericht mit dem Urteil eine Frist bis nach der nächsten Bundestagswahl gesetzt. Einzig der Jurist Hans Herbert von Arnim äußerte sich besorgt. Bedrohung der Demokratie hin oder her, eine Mehrheit, die keine Mehrheit ist, hätte den Blätterwald in jedem Fall rauschen lassen und die Legitimation der Regierung angekratzt.

Das Wahlergebnis bestätigt, daß die Volksparteien zunehmend keine mehr sind. Der Erisionsprozeß schreitet bei der SPD nur schneller voran als bei der CDU, deren Wähler wählen oft als Bürgerpflicht betrachten, wo SPD-Anhänger die Enthaltung als legitimen stillen Protest verstehen. Die CDU hat zwei Prozentpunkte verloren, obwohl der Absturz der SPD durch massenhaftes Nichtwählen zustande kam. Die CSU hat trotz aller geräuschvollen Personalwechsel kein besseres Ergebnis errungen als bei der Landtagswahl vergangenes Jahr, die in Bayern zum politischen Erdbeben wurde.

Daß es in der SPD nun rumohrt, ist nachvollziehbar und wohl auch erforderlich. Daß die alte Garde nun abtritt und eine neue Generation kommt, ist ein normaler Prozeß.

Interessanter wird das Wundenlecken in der Union. Diese früher gern als Kanzlerwahlverein bezeichnete Partei diskutiert und streitet weniger öffentlich, als die politische Konkurrenz, man stellt sich hinter die Frontmannschaft. Doch daß Angela Merkel kein CDU-Gewächs ist, wurde bereits häufig betont. Sie ist eine Frau, kommt aus dem Osten, ist Protestantin, in zweiter Ehe verheiratet und kinderlos. Das paßt so gar nicht in das ursprünglich überwiegend katholisch geprägte CDU-Miilieu der alten Bundesrepublik. Und in Neufünfland ist mit Ausnahme Sachsens die CDU keine heimische Partei geworden. Merkels Führungsanspruch entstand durch den Spendenskandal rund um Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble. Das schlechte Wahlergebnis dürfte Merkels Autorität mittelfristig, also in dieser Legislaturperiode in Frage stellen. Es stehen genüg potentielle Konkurrenten in Wartestellung.

Als genügte dies nicht, steht die Union vor dem Problem eines im Vergleich zu Helmut Kohls Zeiten deutlich gestärkten liberalen Partners, der nunmehr doppelt so groß ist wie die früher so selbstbewußte CSU. Da sind die Konflikte bereits vorprogrammiert. Merkel hat künftig keine Ausreden mehr, nicht CDU oder wenigstens schwarz-gelb pur umzusetzen. Die SPD kann dies nicht mehr bremsen, dafür aber endlich umso konsequenter als Opposition attakieren. Mit drei Parteien werden die Gegner von schwarz-gelb stärker.

Da einstweilen schwarz-helb auch im Bundesrat eine Mehrheit hat, haben auch die Lobbyisten mit der Präsentation ihres Forderungskatalogs nicht lange gewartet, denn die Erfahrungen zeigen, daß die deutschen Wähler generell in den Ländern gerne die nationale Opposition stärken. Kommende Landtagswahlen können also Schauplatz von Protestwahlverhalten gegen eine zu erwartende Politik der sozialen Kälte werden.

Eine solche Vermutung wird genährt von dem Umstand, daß es sich bei der neuen Mehrheit eigentlich um gar keine Mehrheit handelt. CDU/CSU und FDP haben zwar eine absolute Mehrheit der Sitze, aber nicht der Stimmen. Und auch diese (abgegebenen) Stimmen waren mit 72% Wahlbeteiligung nie weniger. Wahlenthaltung sollte nicht generell als Bedrohung der Demokratie gesehen werden, zumal sie in Deutschland immer noch höher ist als in anderen Ländern. Außerdeml ist nie gewiß, warum ein Wähler nicht wählt. Das Kind kann erkrankt sein, das schöne Wetter zu einem Ausflug einladen oder schlechtes zum Daheimbleiben anregen. Außerdem mag es auch Bürger geben, die sich allhemein wohl fühlen und denen tatsächlich nicht so wichtig ist, welche Partei gerade regiert.

In diesem Jahr jedoch hat sich ein Teil der Wählerschaft aus dem politischen Willensbildungsprozeß willentlich verabschiedet. Dies sind vorwiegend von der SPD enttäuschte Wähler, die eben auch keine andere Partei gesehen haben, die ihre Interessen verträten. Folglich hat nicht nur die schwarz-gelbe Regierung keine Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich, sondern schlimmer noch, der Bundestag vertritt in seiner neuen Zusammensetzung nur noch Ober- und schwindende Mittelschicht. Jene “Unterschicht”, über die in den vergangenen Jahren immer wieder diskutiert wurde, ist durch Linke und SPD unterrepräsentiert. Darin solle man, wie erwähnt, nicht generell eine Schädigung der Demokratie sehen. Aber es wird sich zeigen, ob dieser Personenkreis eine andere Variante der politischen Äußerung suchen wird.

Angela Merkel verdankt einen Teil ihrer Popularität sicher ihrem ruhigen Regierungstil, der mitunter auch als präsidentiell bezeichnet wurde. In einer großen Koalition gab es dafür auch ein Erfordernis. Es ist zu vermuten, daß dieses Regieren mit ruhiger Hand sowohl von innen als auch von außen unter Druck gesetzt wird.

Mittwoch, 16. September 2009

Deutsche Parteien kranken an ihrem System

Wenn man es genau nimmt, so bestand bei Bundestagswahlen seit 1994 die Möglichkeit, daß durch den Einzug der PDS weder scharz-gelb noch rot-grün eine Mehrheit haben würden. Die vieldiskutierte Überhangmandatregelung und das vom Bundesverfassungsgericht bemängelte, sogenannte negative Stimmengewicht ist sicher ein Grund dafür, warum dies erst 2005 geschah. Freilich gab es auch andere Gründe politischer Inhalte, allem voran eine Abneigung gegenüber der PDS, in welcher viele, die die Zeit der deutschen Teilung noch in gutter Erinnerung haben, nach wie vor die SED sehen.

Die Zeiten haben sich aber geändert. Ein guter Teil der Wähler ist inzwischen zu jung, um eine emotionale Erinnerung an die DDR zu haben und mit Oskar Lafontaine hat ein Politiker aus dem Westen die Partei auch hier “hoffähiger” gemacht – aber eben auch nur ein bißchen.

Das Ergebnis der Landtagswahl in Hessen 2007 konnte insofern nicht überraschen. Und das mit genau diesem Ergebnis die Debatte über den Umgang mit der Linkspartei beginnen würde, war ebenso absehbar. Einstweilen ist die Partei im Westen nicht das, was sie in Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern war und ist, als sie dort politische Verwantwortung übernahm.

Seit dieser Zeit geht im deutschen Parteiensystem ein Virus um: die Ausschließerrietis. Der Infektionsherd ist das Parteiensystem nur indirekt, indem es sich verändert. Auslöser sind viel mehr ein Teil der Wähler und mehr noch die Medien, unter deren Vertretern –Journalisten – die Fraktion mit emotionaler Erinnerung an die deutsche Teilung die Mehrheit stellt. Die Ausschließerrietis geht also vorwiegend von moralischer Empörung der Journalisten und eines Teils der Wählerschaft aus als von den Politikern, unter denen immer wieder darauf hingewiesen wurde, daß der Vorwurf einer Machtbeteiligung einer für den Austritt aus der NATO eintretenden Linken auf Bundesebene absurd ist.

Die Empörung hat 2007 verhindert, daß als Lösung nicht gewählt wurde, was in anderen, vor allem nordeuropäischen Ländern, normal ist, nämlich die Bildung einer Minderheitsregierung, die mit wechselnden Mehrheiten regiert.

Auch Heribert Prantl kommentierte, daß die Wähler und mit ihnen das Parteiensystem bunter und flexibler geworden sind, die Parteien selbst sind es aber (einstweilen noch) nicht. Die Parteien haben auf Druck der Presse damals das Thema vertagt. Mit den Landtagswahlen in Thüringen und dem Saarland hat es sich aber postwendend und zu einem für die Parteien unangenehmem Moment wieder auf die Tagesordnung gemogelt. Doch auch dies war zu erwarten.

Nun droht sich Gleiches wie in Hessen in umgekehrter Form zu wiederholen. Während Andrea Ypsilanti ihr Versprechen verwarf, nicht mit der Linken zusammenarbeiten zu wollen, um ihre politischen Ziele zu realisieren, schickt sich Christoph Matschie in Thüringen nun an, das Koalitionsversprechen einzuhalten und zu diesem Zweck seine inhaltlichen für eine Koalition mit der CDU über Bord zu werfen. Die SPD war in diesem Land bereits einmal in einer großen Koalition und stürzte anschließend von fast 30% auf unter 20% ab.

Freilich unterscheiden sich die beiden Beispiele; in Hessen zog die Linke erstens nur knapp in den Landtag ein, während sie in Thüringen zweitstärkste Kraft ist und fast zehn Prozent vor den Sozialdemokraten liegt. Zweitens ist die Partei im Osten eine politikerfahrene und kein Sammelbecken für diverse linksorientierte Sektierer wie parteill in Hessen und in Niedersachsen.

Nun wäre es an der Zeit, pragmatische Lösungen zu finden, die eine bessere Antwort auf den Wählerwillen darstellen, als so lange wählen zu lassen, bis der politischen Elite und den Journalisten das Ergebnis paßt. Freilich, räumen wir den Parteien großzügig ein, sich zu orientieren bis zur Bundestagswahl. Es ist nachvollziehbar, daß unmittelbar vor dem nationalen Urnengang Entscheidungen in diesen Fragen das Wählerverhalten nicht nur beeinflussen, sondern den Wähler möglicherweise auch verunsichern können.

Minderheitsregierungen mit wechselnden Mehrheiten wäre eine Lösung, die in Hessen ermöglicht hätte, sowohl das gegen die Linke gerichtete Versprechen Ypsilantis wenigstens teilweise einzuhalten und damit auch die Regierung nicht von unsicheren Kantonisten abhängig zu machen. In Thüringen ist die Linkspartei hingegen kein Chaotenhaufen und mit Lafontaine im Hintergrund auch im Saarland weniger. In beiden Fällen wären rot-grüne Minderheitskabinette angesichts der Stärke der Linken entschieden kleiner als in Hessen.

Bliebe als Alternative für Thüringen, daß nicht die stärkste Partei einer rot-rot-grünen Koalition, also die Linke den Regierungschef stellte. Christoph Matschie fühlt sich einstweilen in einer starken Position, weil ohne die SPD keine Regierung möglich ist. Daß die stärkste Koalitionspartei nicht den Ministerpräsidenten stellt, ist für Deutschland eine Ausnahme und ist etwa mit Reinhold Maier in Baden-Württemberg 1952 wie auch in Niedersachsen im selben Jahrzehnt vorgekommen, als das Parteiensystem noch unübersichtlicher war.

Einstweilen wurde für Thüringen der parteilose Theologe Ralf-Uwe Beck in die Diskussion gebracht. Aber gerade weil die Grünen in Thüringen für eine Mehrheit gar nicht nötig wären, Bodo Ramelow jedoch eine Ein-Stimmen-Mehrheit für zu klein hält und die Grünen aus diesem Grunde mit ins Boot holen möchte, warum nicht einen Grünen zum Ministerpräsident wählen? Dann würden diese sich auch gewiß weniger als fünftes Rad am Wagen fühlen.

So könnten in Thüringen neue Wege beschritten werden wie auch im Saarland völlig unabhängig von den Alternativen rot-rot-grün und Jamaika etwas neues ausprobiert werden muß und wird.

Auf der Bundesebene herrscht die Ausschließerrietis jedoch noch vor, und damit kann es am Ende, wenn es für Schwarz-gelb nicht reicht, nur wieder eine große Koalition geben. In beiden Fällen wird das aber nicht verhindern können, daß die Parteien sich mit den neuen Mehrheitsverhältnissen bald werden auseinandersetzen müssen.
Eine (knappe) schwarz-gelbe Mehrheit wird die dann in der Opposition befindlichen Kräfte auf der Landesebene beflügeln. Eine neuerliche große Koalition würde genau so unter dem Druck der rot-rot-grünen Option stehen wie im Spannungsfeld des Umgangs der Union mit ihrer Kanzlerin, wenn es ihr nicht gelingt, die große Koalition durch eine genehmere Mehrheit zu beenden.

Donnerstag, 10. September 2009

Zwischenruf zum Thema Wahlverdruß

NDRinfo strahlte jüngst einen Beitrag mit Kommentaren von Politologen, Politikern und Publizisten aus, der sich mit dem Verdruß der Wähler und seinem Ausdruck in Wahlenthaltung beschäftigte. Dabei wurden erneut “Säue durch das Dorf getrieben”, die ihr Rennen schon unzählige Male wiederholt haben. Dies betrifft die Volkswahl des Bundespräsidenten als Motivation einerseits sowie Ursachen und Folgen der Wahlabstinenz andereseits.

Die Direktwahl des Bundespräsidenten hat Amtsinhaber Horst Köhler selbst seines wieder ins Gespräch gebracht, nachdem es seit Bestehen der Bundesrepublik immer wieder diskutiert worden ist. Anlaß für ihn war gewiß der diesjährige Wirbel um die Kandidatin Gesine Schwan und deren eventuelle Wahl mit den Stimmen der Linken.
Daß Experten die Idee jetzt mit dem Hinweis unterstützten, daß gerade weil es sich um ein repräsentatives Amt handele, man den Wähler auch direkt an die Urnen rufen könnte, überrascht. Soll das etwa heißen, dem Wähler nur Entscheidungen zuzutrauen, die eigentlich keine Entscheidungen mit Entscheidungskraft sind?

Seit langem ist klar, daß ein direkt gewählter, aber politisch weitgehend machtloser Präsident ein demokratietheoretisches Problem darstellt, wenn die tatsächliche Regierung und der Kanzler nur aus indirekten Wahlen hervorgehen. Der Amtsinhaber mit weniger Macht hätte dann mehr demokratische Legitimation. Aus diesem Grund ist der Gedanke bereits in der Vergangenheit immer wieder verworfen worden.

Die Direktwahl noch zu unermauern mit dem Hinweis, daß die Bürgermeister inzwischen überall in Deutschland direkt gewählt werden, zeigt ein weiteres Mal den Irrwitz der Argumentation. Während Räte auf kommunaler Ebene kein wirkliches legislatives Organ sind, sind die Bundesländer über die vergangenen gut zehn Jahre alle zu der Süddeutsche Ratsverfassung ähnlichen Strukturen übergegangen, in denen der Bürgermeister Chef der Verwaltung und damit eben die mächtige Figur in den Kommunen ist – also kein Vergleich zum Präsidenten auf Bundesebene.

Die Frage der Wahlenthaltung wird ebenfalls regelmäßig diskutiert und häufig kritisch, ja geradezu negativ gewertet. In der erwähnten Sendung merkte aber ein schleswig-holsteinischer SPD-Bundestagsabgeordneter treffend an, daß Wahlenthaltung als Protest so lange keine Folgen zeitige, als die Politik auf diesem Wege nicht erfahre, warum der Wahlberechtigte zur Wahl nicht geht. Daß ein Politikwissenschaftler Wahlenthaltung einseitig als Ausdruck von Unzufriedenheit mit der Politik (aller Parteien) bezeichnet, Überrascht, denn tatsächlich weiß niemand, ob die Nichtwähler wegen schlechten Wetters nicht vor die Tür möchten oder bei gutem Wetter spannendere Freizeitvergnügen vorziehen – aus diesem Grunde finden Wahlen in anderen Ländern beispielsweise nicht sonntags, sondern werktags statt. Aber vielleicht ist der Betreffende auch einfach krank oder sein Arbeitgeber hat ihm kurzfristig und nur für diesen Zeitraum Urlaub genehmigt?

Jene Kommentatoren, die in einer niedrigen Wahlbeteiligung immer gleich den Untergang der Demokratie sehen, verkennen, daß in den USA etwa ein Wähler sich aktiv registrieren muß, um überhaupt abstimmen zu können, was für manche Bevölkerungsgruppen eine wirkliche Hürde darstellt, weshalb das System regelmäßig kritisiert wird.

Ein weiterer Aspekt ist, daß sind die Zeiten der großen polarisierenden Konflikte wie Wiederbewaffnung, Ostpolitik oder NATO-Doppelbeschluß lange zurückligen. Die Parteien werden in ihren Positionen immer austauschbarer, weil auch die Millieus, welche früher identitätsstiftend gewirkt haben, sich auflösen. Seit langem wird auch konstatiert, daß politisches Engagement in und durch Parteien nachläßt wie auch deren Mitgliedschaft schrumpft, viele Menschen aber gleichzeitig an anderen Stellen engagieren.

Somit kann Wahlenthaltung, auch wenn Unzufriedenheit als häufige Ursache nicht in Abrede gestellt werden kann und soll, durchaus als allgemeine Zufriedenheit dargestellt werden. Immerhin gäbe es für den Nichtwähler die Möglichkeit, sich zu organisieren die Neugründung einer Partei zu initiieren, wie dies seinerzeit mit den Grünen geschah, und Protest könnte sich auch in einem starken Anwachsen des Erfolges radikaler Flügelparteien äußern. Das ist aber bislang nicht geschehen.

Dienstag, 1. September 2009

Linksammlung

Mit diesem Post möchte ich am Baltikum Interessierten weitere Links geben, die bei Recherchen zu verschiedenen Themen hilfreich sein können und vorwiegend nicht kommerziell sind. Gleichzeitig möchte ich die Linkliste des Blogs selbst damit nicht bis zur Unübersichtlichkeit verlängern.
Der erste Link ist die Osteuropa-Datenbank von iMOE:

https://webmail.lanet.lv/horde/util/go.php?url=http%3A%2F%2Fdatenbank-osteuropa.imoe.de%2F&Horde=024e5cc115424542d5c98d40cd8d0564

Eine beschränkte Version der Info-Datenbank ist unter www.osteuropa-guide.de online.

Weitere werden folgen und mit entsprechenden Hinweisen versehen.

Sonntag, 3. Mai 2009

Verbieten - was?

Die Stadt Riga hat beschlossen, am 9. Mai die Versammlung der Veteranen des Zweiten Weltkrieges am Befreiungsdenkmal zuzulassen, nicht jedoch einen Umzug vom Denkmal der roten Schützen zum Veranstaltungsort. 

Das Ende der 80er Jahre errichtete Denkmal der Befreiung befindet sich etwa einen Kilometer hinter der Brücke über die Daugava in einem Park. Es wurde zum Gedenken der Befreiung vom Faschismus errichtet. Hier treffen sich Veteranen des Zweiten Weltkrieges alljährlich am 9. Mai, dem Tag, an dem die Russen des Kriegsendes gedenken. Das Denkmal der roten Schützen befindet sich am Rande der Altstadt gleich jenseits derselben Brücke. Es wurde in den 60er Jahren zur Erinnerung an die Einheiten lettischer Nationalität errichtet, die sich während der Oktoberrevolution auf die Seite der Bolschewisten gestellt hatten.

Oberbürgermeister Jānis Birks hätte die Versammlung auch gerne verboten. Es sei ein Leichtes für linksorientierte Provokateure, ähnlich wie am 13. Januar Ausschreitungen zu organisieren.

Riga tut sich, freilich ausgenommen der Sängerfeste, seit langem schwer mit Massenveranstaltungen unter freiem Himmel. Zugegeben, alle anderen Veranstaltungen sind jeweils geeignet, Proteste von Gegnern hervorzurufen.

So ist der 9. Mai für die Letten nicht nur der Tag des Kriegsendes, wie Ex-Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga einmal sagte, sondern selbstverständlich auch Symbol der ein halbes Jahrhundert währenden Okkupation. Der 16. März ist darum so etwas wie der komplementäre Anlaß. An diesem Tag treffen sich die Veteranen der Waffen-SS lettischer Nationalität.

Diese Demonstration wird nicht überraschend vor allem bei deutschen Beobachtern kritisiert. Unter lettischen wie deutschen Historikern ist noch immer nicht unumstritten, wie freiwillig die Beteiligung von ethnischen Letten an der Waffen-SS war. Sicher ist, daß viele Letten den Einmarsch der Wehrmacht 1941 als Befreiung von der sowjetischen Besatzung erlebten. Während diese Letten nach Sibirien deportierten, ermordeten die Nationalsozialisten vorwiegend die Juden. Es ist deshalb wenig verwunderlich, wenn viele junge Männer damals die Nationalsozialisten gegenüber den Sowjets als das kleinere Übel betrachteten.

Aber jenseits dieser Frage erklärt sich die Problematik der Veranstaltung auch durch den Umstand, daß die eigentlichen Veteranen längst verstorben sind und heute vorwiegend jüngere Rechtsextreme an diesem Tag marschieren.

Ein weiterer umstrittener Anlaß ist die Homosexuellenparade Pride, die seit 2005 zwar jährlich, jedoch nicht immer am selben Datum stattfindet. Gemeinsam mit den beiden anderen Gelegenheiten ist ihr der hohe Grad von Ablehnung durch einen Teil der Bevölkerung. Die Parade könnte ohne Polizeischutz nicht stattfinden.

Und weil diese Kundgebungen alle Gegner haben und ein Teil der Bevölkerung sich provoziert fühlt, wird regelmäßig über Verbote diskutiert, wofür es unter Politikern jeweils hinreichend Befürworter gibt. Ministerpräsident Ivars Godmanis hatte im Januar sogar verlangt, daß künftig nicht wieder Demonstrationen in der Altstadt genehmigt werden dürften, da eine Absicherung in den schmalen Altstadtgassen zu schwierig sei.

Die politische Elite Lettlands ist damit ein Spiegel der Gesellschaft. Was nicht gefällt, Auseinandersetzung mit einem Thema verlangte und Anstrengungen zur Garantie der freier Meinungsäußerung wie auch der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, dafür wird eben gerne ein Verbot verlangt.

Es ist daher ein Fortschritt, daß trotz aller Widerstände, die bis hin zu richterlichen Verfügungen gingen, alle genannten, umstrittenen Veranstaltungen stattfinden konnten und die Sicherheitsorgane ihre Arbeit weitgehend erfolgreich erledigten. Gewiß, am 13. Januar kam es zu Sachbeschädigungen und ein Alkoholgeschäft von Latvijas Balzams wurde geplündert. Das aber kommt auch in den „besten“ Demokratien vor.

Es ist allerdings nachvollziehbar, daß die SS-Marschierer dieses Jahr nicht zum Freiheitsdenkmal ziehen durften. Dieses Verbot wurde auch vom Gericht nicht aufgehoben. Warum auch sollte eine Demokratie Vertretern einer, zumal radikalen und antidemokratischen politischen Couleur nicht verwehren, ein nationales Symbol für sich zu vereinnahmen?

Samstag, 11. April 2009

Deputāts – padoms vai deptātam padoms?


8. Aprīlī Saeima trešā lasījumā apstiprināja Satversmes papildinājumu ar tautas tiesībām rosināt parlamenta atlaišanu. To valsts prezidents Valdis Zatlers citu uzdevumu skaitā Latvijas likumdevējam bija prasījis.
TB/LNNK deputāts un kādreizējais tieslietu ministrs, Dzintars Rasnačs, kritizēja, ka šādi izmantojot Latvijas tautu kā mēģinājuma trusīšus, jo šāda norma esot retums demokrātiskās valstīs. Tiesa gan, bet normas retums nepamato apšaubīt grozījumu leģitimitāti.
Citu demokrātisko valstu konstitūcijas parasti paredz, ka valsts galva var parlamentu atlaist, ja tas ilglaicīgi nespēj, piemēram, apstiprināt jaunu valdību vai arī pieņemt budžetu, proti, ja parlaments bloķē politisko procesu. Dažās valstīs pašiem deputātiem ir atļauta iespēja, lūgt sevi atlaišanu, ja viņi vairs nevēlās darboties esošā sasaukumā.
Iepretim Latvijā jau līdz šim prezidenta tiesības rosināt parlamenta atlaišanu nebija saistītas ar nekādām prasībām prezidenta pamatojumiem. Protams, riskēt savu amatu ierobežoja prezidenta iespējamu pārgalvību. Tā arī vēsturē neviens Latvijas valsts prezidents nav rosinājis Saeimas atlaišanu.
Tomēr, tagad pieņemtais Satversmes papildinājums ierobežo tautas rosināšanu vienīgi ar kvorumiem un laika notiekumiem, kamēr prasības pamatojumiem nav. Rezultātā, tauta varēs rosināt Saeimas atlaišanu nevis tās nespējas strādāt, bet gan politikas noraidīšanas dēļ. Šādi Satversmes jauna norma līdzinās agrāk formulētiem priekšlikumiem par atsaucamiem deputātiem. Tas, savukārt, līdzinās saucamam imperatīvam mandātam, proti, ievēlētajam deputātam ir jāpilda iepriekš formulētu politiku. Krievu nosaukums šādai valsts iekārtai ir Sovjet, latviski padome.

Bei nicht Gefallen – Abwahl

Jetzt ist es also beschlossen: In Lettland wird das Volk künftig per Referendum das Parlament auflösen können. Eine ungewöhnliche Regelung im internationalen Vergleich, denn anderswo können die Legislativen sich entweder selbst auflosen oder stehen im Falle einer Beschlußunfähigkeit unter dem Verdikt des Staatsoberhauptes. Die Saeima hat mit dieser Verfassungsänderung jedoch ihr Versprechen an Präsident Zatlers auch terminlich eingehalten. Und das war in diesem Fall ebenso wichtig wie der Inhalt.

Rückblende
Noch am Nachmittag des 31. Märzes wurde spekuliert, ob Präsident Valdis Zatlers am Abend ankündigen werde, die Auflösung des Parlaments zu veranlassen. Er nahm schließlich mit einer ausführlichen Begründung davon Abstand.

Zur Erinnerung, in Lettland ist die Parlamentsauflösung nach der Verfassung von 1922 nur auf Anregung des Präsidenten möglich, worüber dann ein Referendum stattfinden muß, daß im Falle eines ablehnenden Ergebnisses den Präsidenten selbst das Amt kostet.

Das Staatsoberhaupt hatte in seiner Reaktion auf die Ausschreitungen vom 13. Januar Parlament und Regierung aufgefordert, einige konkrete Beschlüsse zu fassen. Sollte dies nicht bis zum 31. März geschehen, werde er der Verfassung entsprechend die Parlamentsauflösung anregen. Da Zatlers damit der Politik eine Frist setzte, kam seiner Forderung einem Ultimatum gleich.

Die Einmischung des Präsidenten in die Arbeit von Legislative und Exekutive war verfassungsrechtlicht fragwürdig. Lettland ist eine parlamentarische Demokratie. Trotzdem erhielt Zatlers hinreichenden Beifall, weil in Bevölkerung und Medien begrüßt wurde, daß überhaupt einmal ein politischer Würdenträger durchgreift. Zustimmung gab es auch zum Inhalt. Der Präsident forderte:

- Die Wahl eines neuen Chefs der Anti-Korruptionsbehörde. Diese Position war seit der Absetzung von Andrejs Loskutovs im Frühjahr 2008 vakant.
- Neue Gesichter in die Regierung.
- Die Änderungen des Wahlgesetzes und damit die Abschaffung der Möglichkeit, in mehr als einem der fünf Wahlkreise zu kandidieren.
- Eine Ergänzung der Verfassung, die der Bevölkerung das Recht zur Parlamentsauflösung per Referendum gibt. Ein Referendum über eben diese Ergänzung auf Volksinitiative war 2008 wegen zu niedriger Beteiligung gescheitert.

Politische Hyperaktivität
Tatsächlich haben Parlament und Regierung es geschafft, diese Aufgaben in ungewohnter Eile zu erfüllen, obwohl im selben Zeitraum nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Ivars Godmanis auch noch eine neue Regierung gebildet werden mußte – aber auch das war freilich ein Teil der Forderungen Zatlers’.

Zunächst wurde eine neue Koalition unter Einschluß und sogar Führung der bisher oppositionellen Neuen Zeit gebildet. Ein neuer Chef der Anti-Korruptionsbehörde wurde eingesetzt, wenn auch umstritten blieb und kritisiert wurde, daß erneut die stellvertretende Leiterin, Juta Strīķe, nicht berufen wurde. Das Wahlgesetz wurde ebenfalls wie verlangt geändert.

Nur der Verfassungzusatz, im Gesetzgebungsverfahren die komplizierteste Forderung, war zwar bis zum 31. März nicht abgeschlossen; das Parlament versprach jedoch, dies bis zum 8. April nachzuholen.

Gesagt – getan; nun hat Ministerpräsident Valdis Dombrovskis alle Aussichten, daß seine Regierung bis zu den turnusmäßigen Wahlen im Herbst 2010, wie er sich anläßlich seiner Nominierung bereits gewünscht hatte, wird im Amt bleiben können. Denn, regt der Präsident die Auflösung des Parlamentes nicht jetzt an, was wegen der verschiedenen juristischen Fristen eine vorgezogene Wahl erst im Herbst 2009 nach sich ziehen würde, ist eine nur um wenige Monate vorgezogene Wahl anschließend wenig sinnvoll und daher unwahrscheinlich.

Veränderte Situation?
Die Drohung des Präsidenten ist damit weitgehend verpufft, wenn auch Kommentatoren bereits vorschlugen, Zatlers möchte nun den nächsten Forderungskatalog aufstellen.

Andererseits hatte Zatlers kaum eine Alternative. Und so begründete er auch seinen Rückzug. Hätte der Präsident die Parlamentsauflösung angeregt, wäre die gerade erst angelobte neue Exekutive bis zum allfälligen Urnengang ein Kabinett auf Abruf gewesen, eine lahme Ente. Doch gerade in der Krise ist eine handlungsfähige Regierung für Lettland von großer Bedeutung. Bereits Godmanis beklagte nach seinem erzwungenen Rücktritt, daß sich die Königsmörder hätten überlegen müssen, welche Folgen für das Land entstehen, wenn in die Verhandlungen mit dem IWF eine nicht unterschriftsberechtigte Regierung geht.

Gewiß, die neue Regierung wird nun angeführt nicht nur von einem an Jahren jungen Politiker. Es gibt auch eine Reihe von Ministern, die bislang keine hohen politischen Ämter innegehabt hatten. Andere Spitzenpolitiker haben allerdings nur eine Rochade vollzogen.

Andererseits stellt sich die Frage, warum dies alles nicht auf dem gewöhnlichen parlamentarischen Weg funktionieren konnte. Noch Anfang März hatten alle Koalitionspartner bei einem oppositionellen Mißtrauensvotum Ivars Godmanis gestützt, um ihn nur zwei Wochen später zum Rücktritt zu drängen. Der Präsident erklärte damals, Godmanis genieße sein Vertrauen nicht mehr. Bereits damit überschritt er seine Kompetenzen, denn in einer parlamentarischen Demokratie benötigt der Regierungschef nur das Vertrauen des Parlaments.

Der damalige Innenminister Māreks Segliņš hätte als Parteivorsitzender der Volkspartei ganz einfach durch seinen Rücktritt und den aller Minister seiner Partei aus der Koalition ausscheiden können, um Godamnis die Mehrheit zu entziehen.

Der Zusatz zur Verfassung
In der Diskussion um die Verfassungsergänzung stritten die Parteien über die erforderlichen Quoten. Bekanntlich sieht die Verfassung schon bisher Unterschiede für die Volksabstimmungen über Verfassungsänderungen und einfache Gesetze vor – die Beteiligung der Hälfte aller Wahlberechtigten oder nur der Beteiligung bei den letzten Parlamentswahlen. Bei einer durchschnittlichen Beteiligung von ungefähr 70% ist die Anforderung bei einfachen Gesetzen also deutlich abgeschwächt.

Volkspartei, Erste Partei / Lettlands Weg sowie Bauernunion und Grüne verlangten für die Parlamentsauflösung die qualifiziertere Quote, während die pro-russischen Parteien Harmoniezentrum und Für die Rechte des Menschen in einem integrierten Lettland wie auch die Bürgerliche Union und die Gesellschaft für eine andere Politik für die abgeschwächte Variante eintraten. Die nationalkonservative Für Vaterland und Freiheit lehnte die Ergänzung der Verfassung grundsätzlich ab.

Der Kompromiß sieht nun zwei Drittel der Wahlbeteiligung der letzten Parlamentswahlen und die Hälfte der Wahlberechtigten vor. Das ist zweifellos eine eher hohe Hürde.

Der Parlamentsauflösung auf Volksinitiative werden weitere Zeitbeschränkungen auferlegt. Ein Referendum kann im ersten Jahr nach einer Wahl und im letzten vor dem nächsten Urnengang wie auch während der letzten sechs Monate der Amtszeit des Präsidenten nicht stattfindet. Darüber hinaus muß zwischen zwei angestrengten Versuchen mindestens ein halbes Jahr liegen.

Der Verfassung innere Widerspruche
Dzintars Rasnačs von Für Vaterland und Freiheit, der in den 90er Jahren Justizminister war, kritisiert, die Letten wurden nun zu Versuchkaninchen. Der Politiker begründet diese Auffassung mit der Unüblichkeit des nun verabschiedeten Mechanismus in der demokratischen Welt. Doch warum soll eine exotische Regelung allein aufgrund ihrer Einzigartigkeit zweifelhaft sein?

Demokratietheoretisch fragwürdig sind andere Aspekte. Die Möglichkeit einer Auflösung des Parlaments ist generell nicht an Verfahrengründe, sondern an Einschätzungen und Zufriedenheit gebunden. Die Legislative Lettlands steht folglich nicht wie anderswo unter dem Verdikt einer vorgezogenen Neuwahl nur dann, wenn sie etwa über einen konkreten Zeitraum außerstande ist, eine neue Regierung zu bestätigen oder den Haushalt zu verabschieden, wenn also das politische Prozeß ins Stocken gerät.

Als Grund dafür bennenen andere Verfassungen sowohl die Unfähigkeit einer Mehrheitsfindung trotz entsprechender Bemühungen der Abgeordneten, wie auch die Erkenntnis der Abgeordneten, in der gegebenen Parlamentszusammensetzung nicht mehr arbeiten zu wollen.

In Lettland ist statt dessen einerseits wie bisher das Mißfallen der Rigaer Burg ausschlaggebend, dem nun jenes der Bevölkerung hinzugefügt wird. Im ersteren Fall mag ein Präsident eine tatsächliche Beschlußunfähigkeit des Parlamentes zum Anlaß nehmen. Wenn aber das Volk bereits ein Jahr nach seiner eigenen Wahlentscheidung bereits sein Mißfallen zum Ausdruck bringen kann, dann geht es nicht um die Fähigkeit des Parlamentes zur Gesetzgebung, sondern um die Unzufriedenheit mit Abgeordneten, also Personen und mit Inhalten, also Policy. Beides ist de facto eine Annäherung an die Idee des imperativen Mandats. Damit stellt sich die Frage, ob dem nun beschlossene Verfassungszusatz nicht eine Portion Verfassungswidrigkeit innewohnt, weil Ablehnung der konkreten Politik ein Widerspruch zur Gewissensfreiheit des Agbeordneten ist.

Doch nicht nur das gibt zu denken. Auch die Diskussion um die Quoten gilt es demokratietheoretisch zu beleuchten. Die geringere, von einigen Parteien geforderte, jedoch nicht realisierte Quote hatte nämlich bedeuten können, daß bei einer geringen Wahlbeteiligung ein Jahr nach dem Urnengang mitunter 16% der Wahlberechtigten ein Parlament auflösen, welches 60% der Wahlberechtigten gewählt haben. Aber auch die verabschiedete, qualifizierte Quote ermöglicht es, daß zahlenmäßig weniger Wähler ein Parlament aufzulösen in der Lage sind, als sich an seiner Wahl beteiligt haben.

Alle diskutierten Probleme sind darauf zurückzuführen, daß Lettland 1993 die alte Zwischenkriegsverfassung wieder in Kraft gesetzt hat, die ähnlich wie die Weimarer Verfassung, unter dessen Eindruck sie entstanden war, keine konsequente Gewaltenteilung vorsieht und damit deutlich über das in parlamentarischen Demokratien allgegenwärtige Problem der Mehrheitskongruenz in Parlament und Regierung hinaus geht.

Fazit
Weder der Entstehungsprozeß der Verfassungsänderung ist über alle Zweifel der demokratischen Willensbildung erhaben, noch ihr Inhalt, der außerdem an schon bestehenden Unzulänglichkeit nichts ändert. Ganz im Gegenteil: Die Schwierigkeiten, an denen die lettische Politik krankt, werden nicht repariert. Statt dessen zementieren derzeit policy und politics, Inhalt und Prozeß der Verfassungsänderung die oligarchische Struktur des Regierens in Lettland.

Freilich bleibt anzumerken, daß wie gewöhnlich bei derartigen Verfassungsänderungen diese erst nach der kommenden Wahl in Kraft treten. Wie Vineta Muižniece, die Vorsitzende des Justizausschusses sagt, müsse das jetzige Parlament in dem gesetzlichen Rahmen arbeiten, unter dem es gewählt wurde.

Die turnusmassigen Wahlen finden im Herbst 2010 statt. Welche Rolle könnte die Verfassungsergänzung ab Herbst 2011 spielen?

Donnerstag, 9. April 2009

„Küste“ auf dem Weg zu neuen Ufern

Das ist ein kleines Wortspiel. Küste ist einer der vielen Begriffe aus der Natur, die in Lettland häufig auch Nachname sind. Die lettische Übersetzung von Küste ist Krasts und so heißen eben auch viele Menschen in Lettland, darunter der ehemaliger Regierungschef Guntars Krasts. Der Politiker sitzt seit 2004 im Europäischen Parlament, wo er die nationalkonservative Partei “Für Vaterland und Freiheit” vertritt, welche vor Jahren mit der Unabhängigkeitsbewegung zum lettischen Kürzel TB/LNNK fusionierte.

Krasts vertrat diese Partei, ist nunmehr die bessere Formulierung, denn er kandidiert zwar erneut für das Europaparlament, dieses Mal aber auf der Liste von Libertas, der vom irischen Unternehmer Declan Ganley gegründeten euroskeptischen Partei.

Verblüffend bei dieser Umorientierung, gerade die nationalkonservative bisherige Heimat Krasts’ hat immer großen Wert auf den Schutz der lettischen Sprache gelegt. Jetzt ergreift er Partei für eine Partei mit einem lateinischen Namen, der für die örtliche Wählerschaft weder übersetzt noch lettisiert wird. Letzteres geschieht sonst mit allen ausländischen Eigennamen, in vielen Fällen bis zur Unkenntlichkeit – z.B. war Džons Meidžors mal Prime Minister in Großbritannien. Libertas sollte also Brīvība heißen oder wenigstens doch Libertass oder auch Libertasa, denn die Freiheit ist auf Lettisch wie im Deutschen auch weiblich. Libertase wäre deshalb ebenso möglich.

Guntars Krasts wirkte in den 90er Jahren in verschiedenen Kabinetten und Koalitionsregierungen. Den Posten als Ministerpräsident bekleidete er von 1997 bis 1998. Die damalige 6. Saeima war ein stark fragmantiertes Parlament mit drei Kräften, die als größte Parteien jeweils nur 15% der Stimmen erlangt hatten. Die Regenbogenkoalition führte zunächst mit zwei Kabinetten der damals parteilose Andris Šķēle, dessen steigende Popularität ihm den Rückhalt unter den Koalitionspartnern untergrub. Nach seinem Rücktritt führte Krasts die Regierung bis zu den turnusmäßigen Wahlen 1998.

Die Partei Libertas wirbt damit, die einzige politische Kraft zu sein, die paneuropäisch denkt und Europa bürgerfreundlicher machen möchte. Und so warb jüngst auch Krasts für eine Reform in Richtung einer nachhaltigen EU. Krasts sagte, Europa müsse demokratisch, verantwortlich und für die Bürger erreichbar sein. Europa sollte ökonomischem Wachstum und der Freiheit der Bürger dienen und nicht den Brüsseler Eliten. Die Partei lehnt den Reformvertrag von Lissabon als bürgerfeindlich ab.

Der Vorsitzende der Partei, Declan Ganley, lobte Krasts als einen Vertreter jener großartigen Generation in Europa, die aufgestanden sei und das Joch einer unfreien Herrschaft abgeschüttelt habe.

Der Parteigründer war 1992 kurzzeitig auch Wirtschaftsberater der lettischen Regierung.

Mittwoch, 8. April 2009

Euro = teuro? Aber für wen?

Rund um die gemeinschaftliche Währung in der Europäischen Union hat es zu keinem Zeitpunkt an Skepsis und Kritik gemangelt.

Zunächst und in Westeuropa ging es um Nutzen und Risiken. Die deutschen Professoren Wilhem Hankel, Wilhelm Nōlling, Karl Schachtschneider un Joachim Starbatty warnten vor der Einführung und jüngst im Rahmen der Finanzkrise erneut vor den Gefahren. Die Währungsunion werde scheitern. Einige Staaten wollten den Euro gar nicht erst einführen und blieben entsprechend bei ihrer nationalen Valuta.

In den 2004 beigetretenen Staaten ging es um dan Namen selbst. Vom allgemein französisch ausgesprochenen, eigentlich englischen Kürzel ECU abrückend hatten sich die beteiligten lAnder auf den – meiner Meinung nach einfallslosen – Namen Euro geeinigt. Die Griechen traten dank unkorrekter statistischer Angaben der Euro-Zone sofort bei und durften einen griechischen Aufdruck auf den Banknoten durchsetzen, weil ihre Sprache nicht das lateinisch Alphabet verwendet. Nach 2004 foderten die Letten, es möge Eiro oder besser noch Eira als dritte Variante hinzugefügt werden, damit sich der Name der Währung in ihrer Sprache deklinieren läßt.

Darum aber soll es hier nicht gehen.

In der Finanzkrise gibt es nun erneut eine Kakophonie der Meinungen. Während Professor Nölling den Zusammenbruch der Euro-Zone prognostiziert, weil die reichen Länder die ärmeren de facto unterstützten, so behauptete der im lettischen Ventspils lehrende Ökonom Dmitrij Smirnow, der für seine markigen Sprüche schon einmal vom Verfasungsschutz verhaftet worden war, daß für sein wirtschaftliche bedrängtes Land die EU generell kein Rettungsanker sei, denn die Union werde sowieso binnen der nächsten zwei bis drei Jahre zerbrechen.

Andere Länder hingegen spekulieren mit der Einführung der Gemeinschaftswährung. Island diskutierte sogar über den dafür erforderlichen Beitritt zur EU.

Die Regierungen Ostmitteleuropas wiederum setzen angesichts eines Abwertungsdruckes auf ihre nationalen Währungen jetzt noch mehr auf den als stabiler geltenden Euro und wollen die Einführung der Gemeinschaftswährung in ihren Länder beschleunigen. Im Baltikum trat insbesondere der estnische Ministerpräsident Andrus Ansip in den letzten Wochen mehrfach mit Prognosen an die Öffentlichkeit. In Lettland war Smirnow gerade wegen seiner Abwertungsspekulationen 2008 zwei Tage lang festgehalten worden.

Nun prescht nach einem Bericht der Financial Times der IWF vor. Ungarn, Rumänien, der Ukraine und Lettland wurde bereits Hilfe zugesagt und auf dem G20 Gipfel in London die großzügige Aufstockung der IWF-Mittel beschlossen. In einem vor einem Monat erstellten, vertraulichen Dokument schlägt der Währungsfond vor, die ostmitteleuropäischen EU-Mitglieder sollten den Euro als Zahlungsmittel einführen, auch ohne der Währungsunion formal beizutreten. Dieser Vorschalg würde bedeuten, daß die betreffenden Staaten zwar den Euro als Bargeld einführen, aber keine Sitze in der Europäischen Zentralbank einnehmen.

Das wäre ein Zustand ähnlich wie im Kosovo. Das nur halb unabhängige Land verfügt allerdings nicht nur nicht über eine eigene Währung.

Der IWF begründet seinen Vorschlag damit, daß die Stabilität der Länder damit erhöht werde, weil die auswärtige Schuld kalkulierbarer und nicht mehr als nötig steigen werde. So könne Unsicherheit abgebaut und Vertrauen erhöht werden. Die Alternative sei, so heißt es, einen drastischen Sparkurs im Inalnd gegen zunehmenden Widerstand durchsetzen zu müssen. Dieses Szenario verfolgte die Regierung Godmanis in Lettland ebenso wie der neue Ministerpräsident Dombrovskis.

Dieser IWF Report wurde zur Unterstützung einer gemeinsamen Kampagne mit der Weltbank und der Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung erstellt, mit der die EU-Länder überredet werden sollten, einen speziellen Fond für die ostmitteleuropäischen Mitglieder einzurichten. Diese Idee aber war am Widerstand sowohl aus Westeuropa wie auch aus dem Ostteil des Kontinents gescheitert. Die Länder der Eurozone wie auch die EZB lehnen eine Änderung oder Abschwächung der Beitrittskriterien ab.

Der IWF prognostziert für die ostsueropäischen Staaten inklusive der Türkei 413 Milliarden US-$ Auslandschulden und weitere 84 Milliarden US-$ Außenhandelsdefizit. Die Finanzierungslücke für 2009 und 2010 werde 186 Milliarden US-$ betragen.

Samstag, 4. April 2009

Politologe aus Rußland: Moskau wird an Einfluß verlieren

Wieso eine solche Überschrift in einem Blog über Estland? Die Zeitung Postimees berichtete am 30. März über den Besuch des russischen Politologen Andrej Piontkowski an der Universität Tallinn, wo er in einer Vorlesung eben diese Prognose abgab.

In den Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges wurden viele Theorien publiziert wie Fukuyamas Ende der Geschichte und Huntingtons Kampf der Zivilisationen. Immer wieder wurde dabei die Frage diskutiert, ob die Zukunft des Machtgefüges auf der Welt unipolar sei – Huntingtons Lonely Superpower – was von anderen Autoren angezweifelt wurde. Viele Kommentatoren sind der Ansicht, es werde sich eine multipolare Struktur herausbilden. So bezweifelte jüngst auch der Global Trends 2025-Bericht des National Intelligence Council, daß die USA ihre Bedeutung in der Welt werden erhalten können. Der konservative US-amerikanische Kommentator und Politikberater Robert Kagan zweifelt am Niedergang der USA.

Piontkowski ist der Ansicht, Rußland habe im Rahmen des Krieges gegen Georgien erkannt, daß der eigenen Politik alles aus der Hand geglitten sei. Solche Konflikte könnten sich auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion wiederholen, um von anderen Problemen im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise abzulenken. Die fehlende Nachhaltigkeit der Außenpolitik Putins für die Entwicklung des eigenen Landes ist schon vergangenen Sommer auch von Politikern, Journalisten und Wissenschaftlern angemerkt worden, die allerdings zwischen verstehender Erklärung und schroffer Ablehnung Rußlands schwankten. Piontkowski hält die Bedeutung Rußlands auf der Weltbühne für eine mehr scheinbare.

Der Politologe ist überzeugt von der Bedeutung solcher Länder wie Estland, das in der Informationstechnologie führend sei. Hier sei beispielsweise Skype erfunden worden, das jetzt die ganze Welt verwende. Estland demonstriere dem großen Nachbarn auch durch die Beteiligung an der Mission in Afghanistan seine Bedeutung beim Schutz vor dem auch Rußland bedrohenden islamistischen Terror.

Wenn auch Piontkowski es sich in einigen Punkten sehr einfach macht, sollte diese Meinung nicht auf die Goldwaage gelegt werden. Es besteht kein Zweifel, daß die Bedeutung eines Staates nicht monokausal ist und Rußland nicht wegen sinkender Rohstoffpreise und “allgemeiner Unbeliebtheit” in der Bedeutungslosigkeit versinken wird. Andererseits wird Estlands Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Techniken mitunter überbewertet, auch wenn in Tallinn schon früh möglich war, einen Parkplatz per Handy zu bezahlen. Aus der Idee, das Erbgut des gesamten estnischen Volkes zu erfassen, ist nie etwas geworden und das Wählen per Internet, das 2007 durch die Medien ging, hat die Zettelwirtschaft keineswegs ersetzt. Die genannten Theorien sind weniger als erfolgreiche Erklärung der Welt zu verstehen, denn als Beobachtungen und Idee, als Grundlage für Diskussionen.
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Ein Gedanke paßt besser in den Kommentar: Die NATO feiert gerade einen runden Geburtstag und ringt mit ihrer Rolle nach dem Ende des bipolaren Blocksystems und angesichts der Einsätze in Kosovo und Afghanistan. In den letzten Monaten ist von verschiedenen, allerdings zunächst nur einzelnen Personen vorgeschlagen worden, Rußland eine Mitgliedschaft anzubieten. Dies wird begründet mit der Bedeutung einer internationalen Zusammenarbeit etwa im Konflikt mit dem Iran. Die NATO würde damit endgültig den Charakter eines Verteidigungsbündnisses verlieren. Die estnische Tageszeitung Postimees berichtet, daß die Einwohner Estlands im Ernstfall mit Hilfe aus dem Westen nicht rechnen. Während des Konfliktes im Kaukasus gab es in Deutschland Umfragen mit dem Ergebnis, daß die Bereitschaft zu einer militärischen Unterstützung der baltischen Staaten tasächlich fehlt.

Polizei, Freund und Helfer und ... Übel?

Die Polizei soll für Ordnung sorgen, sowohl prophylaktisch als auch ermittelnd. Wie erleben die Menschen in Lettland die Polizei und was erlebt die Polizei selbst in der Krise?

Das lettische Radio berichtete jüngst von einem Autorfahrer, der sich wohl demnächst gezwungen sieht, mehrere hundert Lat Strafe zu bezahlen und die theoretische Führerscheinprüfung zu wiederholen. Grund dafür ist, daß er nach eigenen Angaben an einer unübersichtlichen Kreuzung in Richtung Vecāķi – ein Vorort von Riga nahe der Daugavamündung – mehrfach von der Polizei angehalten worden sei. Ein Polizist habe ihm ganz offen vom Hinweis eines Vorgesetzten berichtet: wo keine Sünder bestraft würden, werde es auch keine Arbeitsplätze für Polizisten geben: Der Fahrer unterstellt nun, daß die Polizei lieber an kritischen Stellen abkassiere, als über selbige Meldung an die Verwaltung zu erstatten, damit die Verkehrsführung verbessert werden kann. Gegen die Strafe klagen werde er aber nicht, weil das nur Geld und Nerven koste.

Zwar gab es, besonders unter Ausländern schon in der Vergangenheit wenig Positives über die Verkehrspolizei und deren Korrumpiertheit zu berichten. Der nun erhobene Vorwurf entbehrt aber nicht einer gewissen Fragwürdigkeit, denn die Verkehrspolizei könnte in Riga umfangreich zur Kasse bitten, da es beinahe nirgends an Verstößen mangelt. Oft wird der Wechsel der Fahrtrichtung oder auch der Spur nicht angezeigt. Gerne wird an großen Kreuzungen mit langen Wartezeiten für Linksabbieger statt dessen rechts abgebogen, um anschließend an der roten Ampel der kreuzenden Straße vor dem ersten dort wartenden Fahrzeug stehen zu blieben.

Ein weiteres Problem ist freilich, daß sich einer Mißachtung der Straßen- verkehrs- ordnung gerne auch die Polizei selbst schuldig macht. Manchmal ist sogar nicht schlüssig, warum ein Streifenwagen plötzlich vor einer roten Ampel Blaulicht und / oder Sirene einschaltet.

Ein Moderator der Verkehrssendung Zebra meint, die Autofahrer müßten sich selbstverständlich wehren. Wer Ordnung wolle, müsse auch für diese kämpfen. Nichts geschehe von alleine, und darum sei es manchmal sogar sinnvoll, wegen zehn Lat zu streiten.

Der Chef der Verkehrspolizei, Edmunds Zivtiņš, widerspricht dem eingangs zitierten Polizisten. Es gäbe keine derartigen Anweisungen. Die Höhe der Strafe hinge beispielsweise davon ab, wie häufig der konkrete Kraftfahrer bereits vorher aufgefallen sei und wie sehr er seine Dokumente in Ordnung habe.

Die neue Innenministerin, Linda Mürniece, hat im Rahmen der Verhandlungen über die vorzunehmenden Haushalteskürzungen jedenfalls betont, sie werde keine Kürzungen der Einkommen des operativen Dienstes zulassen.

Das könnte auch als bitter nötig bezeichnen werden, denn eine schlechter bezahlte Polizei wird nicht motivierter arbeiten. Und wenn die Gelder für Kraftstoff gekürzt werden, droht eine verschlechterte Einsatzfähigkeit. Das aber ist in der Krise ebenfalls ein Problem. Denn die Zahl von Verbrechen und auch Gewaltanwendung ohne räuberische Absichten hat sich erhöht.

Im März wurden im Park Esplanāde zwei zusammengeschlagene junge Männer gefunden. Einer von ihnen, erst 20 Jahre alt, verstarb später im Krankenhaus. Eine aus Aizkraukle stammende Gruppe von fünf jungen Männern hatten an diesem Tag noch mindestens 20 weitere Personen überfallen. Da es sich, wie die Polizei erklärte, nicht um Personen mit körperlicher Überlegenheit handelte, bewaffneten sie sich und überfielen an der Oper sogar eine Frau. Bald darauf konnten zwei der Täter auf frischer Tat im Park verhaftet werden, während die verbliebenen in Aizkraukle festgenommen wurden. Ein Mann versuchte durch einen Sprung aus dem Fenster im dritten Stock zu fliehen.

Eine vergleichbare Gruppe von Gewalttätern reiste aus Saurieši an und überfiel Passanten in Purvciems und anderen Wohnsiedlungen.

Die Polizei konstatiert darüber hinaus eine generelle Zunahme von Gewalt. Im Januar wurde in Saulkalne eine Verkäuferin ermodert. Der später verhaftete 28jährige Täter gab an, die Frau wegen eines Streites ermordet habe und erst anschließend auf die Idee gekommen zu sein, die Kasse zu rauben. Im März war in einer Rigaer Vorstadt eine 67jährige Damen in ihrer Wohnung mit der Axt erschlagen worden. Wie sich später herausstellte, war die Täterin eine gleichaltrige Bekannte, die so offenbar einen alten Konflikt beendete und anschließend 100 Lat stahl.

Vor wenigen Wochen hatte das Radio bereits berichtet, daß die Menschen zunehmend Angst haben, Opfer einer Gewalttat zu werden und deshalb alleine und in der Dunkelheit nicht mehr unterwegs seien.

Freitag, 3. April 2009

Uzticības atjaunošanai jāmeklē citi ceļi

Šis teksts tika rediģēts un saīsināts publicēts Latvijas Avīzē 1. Aprīlī.

Latvija ir demokrātiskā valsts. Jēdziena izcelsme no grieķu valodas – tautas valdīšana – pamato iedzīvotāju gaidas, ka valsts tiek valdīta viņu interesēs. Bet, diemžēl, Latvijas iedzīvotāji nav apmierināti ar politiku, politiķiem un politiskām partijām. Un šī neapmierinātība ir pamatota. Tāpēc eksperti nāk klājā ar priekšlikumiem pārmaiņām ne tikai politikā, bet gan arī valsts iekārtā.

Tiek diskutēta Saeimas iespējamas atlaišanas kārta, kā arī reforma vēlēšanu sistēmā. Jaunāko ideju piedāvā politologs Aleksnadrs Gārša. Viņaprāt, nevajadzētu prasīt ievēlētiem deputātiem kļūstot par ministriem mandāta nolikšana uz laiku, kamēr politiķis atrodas ministru kabineta sastāvā. Šādu praksi līdz šim pamato Charles de Montesquieu varas dalīšana (likumdevējs, izpildvara un jurisdikcija), jo nedrīkstos divas no tām apvienot vienā rokā.

Latvijā kā parlamentārā demokrātija, argumentē A.Gārša, varas dalīšana netiek konsekventi ievērota. Tiesa, šādā valsts iekārtā, parlamenta uzdevums kontrolēt valdību ierobežo faktu, ka valdības deputātu vairākuma atbalsta nepieciešamības dēļ, loģiski vairākums deputātu pārstāv tās partijas, kas veido koalīciju. Protams, mazakumvaldības gadījumā šī parādība izpaužas nedaudz sarežģītāk.

A.Gārša uzskata par absurdu, ka ievēlētiem deputātiem ir jāatsakās no demokrātiskā ceļā iegūta amata, kamēr viņu vietā ienāk neievēlētie cilvēki, proti, attiecīga partijas saraksta aiz svītra palikušie kandidāti. Turklāt, parasti uz ministru kabinetu tiekot aicināti tieši tie deputāti, kas saņēma vislabākos vēlēšanu rezultātus.

Kritika atbilst patiesībai. Novērst šo faktu liedzot politiķiem ieņemt amatus gan likumdevēja varā gan izpildvarā nav iespējams, jo populāram politiķim nav alternatīva, cerot uz kādu ministru krēslu atteikties no kandidēšanas uz deputāta mandātu.

Tomēr, arī parlamentāras demokrātijas nav vienādas. Kamēr Latvijā prezidents nosauc ministru prezidenta kandidātu, kuru, protams, Saeimai ir apstiprina, šai personai nav jābūt ievēlētajam deputātam. Proti, Latvijas valdības galva, iespējams, nav demokrātiski leģitimēta. Citās valstīs konstitūcija tieši nosaka, ka deputāti ievēl ministru prezidentu no sava vidū.

Vienalga, vai ministru kabineta sastāvā ir vai nav cilvēku, kas ir ievēlēti deputāti, jebkurā gadījumā valdība var tikai pastāvēt ar parlamenta uzticību. A.Gārša uzskata, ka tautas uzticību vairotu, ja par ministriem palikušiem deputātiem neienāktu citi saraksta kandidāti. Bet vai tautas uzticību tiešam vairos, ja ministru kabineta sastāvs, būdams vienlaicīgi deputātiem, iztic galu galā pašam sev?

Šis uzticības aspekts paliek jo izteiktāks, jo lielāks ir ministru kabinets un jo mazāk ir parlaments. Proti, lielās valstīs, kuru parlamentos sēž vairāki simti deputāti, valdošas koalīcijas frakciju sastāvu būtiski neietekmē, ja ministru skaits pat pārsniedz 20. Lielākie kabineti parlamentārās demokrātijas ir retums.

Bet Latvijā pašlaik ministru kabinets sastāv no 15 ministriem, kamēr Saeimā ir 100 deputātu. Ieskaitot pašu ministru prezidentu, ja neviens izpildvaras pārstāvis nenoliktu savu deputātu mandātu, valdības sastāvs jau ieņemtu tuvu vienai piektdaļai no deputātu krēsliem. No absolūtais vairākuma atbalsta, kas valdībai nepieciešami, paši ministri jau būtu gandrīz trešā daļa.

Protams, var apgalvot, ka galu galā ir vienalga, kurš valdošas koalīcijas partiju biedrs garantē valdībai uzticību. Pašiem ministriem sev sniedzot parlamenta uzticību šajā mērā varētu pat stabilizēt valdību. Tieši valdību stabilitāte Latvijā ir bijusi pēdējos gados problemātiskā.

Tomēr, mazā parlamentā kā Latvijas Saeimā 16 deputāti, būdams vienlaicīgi arī ministru kabineta locekļi, atņem pašam parlamentam arī zināmu daļu darbinieku. Deputātiem ir jābūt komisijās, jāapspriež likumprojektus, jāstrādā frakcijā un jāpiedalās parlamenta sēdēs. Komisijas izveido parasti atbilstoši ministriju portfeļiem. Jau tā ar 100 deputātiem nav vienkārši dalīt pa tagadējām 16 komisijām, lai katra frakcija varētu piedalīties katrā komisijā un lai tur būtu cilvēku skaits, kas ļauj komisijai pilnvērtīgi darboties. Kā deputāti to paveiks, ja viņi ir vienlaicīgi ministri?

A.Gārša pa piemēru labākai sistēmai norāda uz Westminster modeli. Tur pārstāvot ministri, būdams deputātam savu ministriju parlamentā un varot piedalīties likumdošanā.

Bet īstenībā, parlamentāras demokrātijas likumdevējs bieži vien tikai apstiprina izpildvaras likumprojektus. Varas dalīšanu ierobežo, ka ministrijās strādā savas nozares eksperti, kamēr deputāts kā atsevišķs politiķis ar dažiem darbiniekiem un padomdevējiem nespēj daudzus likumprojektus izstrādāt.

A.Gārša apgalvojums, ka būdams deputāts ministrs atskaitās intensīvāk parlamentam un būtu atbildīgāks ir pretrunā ar parlamentāras demokrātijas likumdevēja tiesībām un darba kārtību. Parlaments, proti, deputāti, plenārsēdēs uzdod ministriem jautājumus. Ministrijai ir jāatbild un neuzticības gadījumā parlaments valdību var gāzt. Dažās valstīs, tajā skaitā Latvijā, var atsaukt pat atsevišķus ministrus.

Protams, nevar noliegt, ka citu deputātu ienākšana Saeimā apgrūtina likumdošanu un tās kvalitāti, jo, tomēr, jaunam cilvēkam sākumā vajag iepazīties ar jaunu darba vietu. Turklāt, iespējams, attiecīgs cilvēks nav tās pašas nozares eksperts, ka par ministru kļuvušais kolēģis. Līdz ar to frakcijas sastāva izmaiņa ietekmē arī tās līdzdarbību komisijās. Pateicoties valdību nestabilitātei Latvijā, ministriem atgriežoties Saeimā, izraisīja nepārtrauktu deputātu rotāciju. Piemēram, Jānis Šmits, kurš aizvietoja Oskaru Kastēnu, kļuva pat par komisijas vadītāju.

Arī demokrātiskās valstīs nav viss ideāli. Lai gan A.Gārša kritika ir saprotama, pārmaiņu priekšlikumi nepārliecina. Ir laikam tādas nepilnības, ar kuriem vajag nomierināties.

Dienstag, 31. März 2009

Gefährliche Ruinen in Riga

Am 29.März stürzte ein Teil der Fassade eines Hauses Ecke Marijas und Elizabetes Straße im Zentrum von Riga auf Fahrbahn und Gehweg. Das ist nicht nur generell gefährlich, sondern besonders an dieser Stelle, weil zahlreiche Trolleybuslinien mit Endstation in Bahnhofsnähe stadteinwärts an dieser Kreuzung links abbiegen.

Das Jungendstilgebäude mit der Adresse Marijas iela 6 ist die wohl bekannteste Ruine der ganzen Stadt. Freilich gibt es in Riga viele verfallene und verfallende Häuser. Im Stadtzentrum jedoch sind die meisten während der vergangenen Jahre entweder renoviert oder aber entfernt worden. Der letzte spektakuläre Fall eines gefährlichen Einsturzes ereignete sich vor einigen Jahren, als ein altes Holzhaus in der Nähe des Zetralmarktes an der Ecke Maskavas und Turgeņeva iela auf die Sträße stürzte und die Schienen der Straßenbahn Nummer 7 für eine Weile blockierte.

Der Stadt ist das Problem an der Marijas seit langem bewußt. Abfall im Innenhof belegte, daß die Ruine über Jahre hinweg von Drogensüchtigen und Obdachlosen als Unterkunft genutzt wurde. Erst vor einem Jahr wurde darum über Maßnahmen diskutiert, was die Verwaltung im Falle jener Ruinen unternehmen kann und sollte, die nicht kommunales Eigentum sind. Nach einem neuerlichen Brand im Hof des Hauses wurde im Oktober 2008 schließlich beschlossen, daß die Eigentümer das Gebäude absichern müssen und andernfalls die Stadtverwaltung auf Kosten der Eigentümer diese Aufgabe selbst übernehmen werde.

Im Januar dieses Jahres haben die Eigentümer der Stadt ihrer Bereitschaft übermitteln lassen, sich um die Probleme zu kümmern. Im Innehof wurde ein vier Meter hoher Zaum errichtet. Entsprechend der Vereinbarung hätten die Arbeiten an einem Behlefsadach dann im Februar beginnen müssen. Das aber geschah nicht.

Während die Teileigentümerin Ludmila Baumane erklärte, sie plane seit langem, ein Hotel in dem Gebäude zu einrichten, klagte sie gleichzeitig über Probleme, sich mit dem zweiten Eigentümer, dem Esten Toomas Tool, zu einigen. Dieser wurde in der estnischen Wirtshcftszeitung Äripäev als Immobilienmagnat bezeichnet.

Nachdem nun der Ernstfall eingetreten ist, hat die Stadt von den Eigentümern ultimativ verlangt, bis zum 30. März etwas zur Absicherung des Geländes zu unternehmen. Geschehe dies nicht, so werde die Stadt selbst handeln und dies den Eigentümern in Rechnung stellen. Diese Schritte setzt die Verwaltung derzeit in die Tat um.

Das Haus an der belebten Kreuzung im Zentrum Rigas steht seit langem leer und verfällt. In den 90er Jahre gab es einen kleinen Metallhandlauf um das Gebäude, der Passanten zwang, Abstand zur Fassade zu halten. Später wurde diese mit einem Netz verhängt, damit keine Fassadenteile auf die Straße fallen können. Vorübergehend gab es auch einen Holztunnel, wie bei Baustellen üblich.

Donnerstag, 26. März 2009

Umfragen und parteipolitisches Poker in Estland

In jüngsten Umfragen, der Sonnatgsfrage zu den im Herbst anstehenden Kommunalwahlen, hat die Zentrumspartei mit 23% die Reformpartei deutlich abgehängt. Sie kommt nur auf 15%. In Tallinn ist der Unterschied noch einmal entschieden deutlicher, wenngleich bei der allgemeinen Zustimmung die Parteien weniger weit voneinander entfernt sind.

Da in Estland alle Einwohner unabhängig von der Staastbürgerschaft das kommunale Wahlrecht haben, kommentiert der Politologe Rein Toomla, daß die Reformpartei ihren Zuspruch unter der russischsprachigen Bevölkerung verspielt hat. Lag dieser Wert früher bei 20%, so würden heute nur zwei Prozent diese Partei unterstützen, ebenso viele wie die national orientierte Union aus Vaterland und Res Publica.

In Estland sind derzeit gleich mehrere Fragen auf der Tagesordnung, welche den Machtpoker im Lande beeinflussen. Zu verstehen ist dies vor dem Hintergrund, daß es für Parteien und Politiker neben der nationalen Ebene nur wenig Schauplätze der politischen Auseinadersetzung gibt. Aus diesem Grunde sind die kommunalen Organe mehr politisiert, als dies in anderen Ländern üblich ist. Dies gilt besonders für die Stadträte in Tallinn und Tartu.

Diskutiert wird derzeit über eine Änderung des Wahlmodus in Tallinn, konkret den Zuschnitt der Wahlkreise und ob diese nicht besser aufgelöst würden. Einstweilen sind die Stadtbezirke jeweils ein Wahlkreis, die sich aber in Bevölkerungsdichte und –zusammensetzung, in sozialer und ethnischer Struktur unterscheiden.

Außerdem wurde jüngst vorgeschlagen, eine Art Groß-Tallinn zu bilden, also einige umliegende Gemeinden der Stadt administrativ zuzuschlagen. Neben kleinen Orten wie Saku oder Laagri, die ohne die Nähe zur Hauptstadt sicher eine ganz andere Bedeutung hätten, steht die Idee im Raum, auch Maardu Tallinn anzugliedern. In dieser Stadt befindet sich der Hafen Muuga.[1]

Gleichzeitig melden sich erneut Einwohner des Tallinner Bezirks Nōmme zu Wort, die für eine „Unabhängigkeit“ ihres Ortsteils eintreten. Nōmme war tatsächlich in der Zwischenkriegszeit noch eine eigene Stadt.

Die Schwierigkeit im Umgang mit den unterschiedlichen Argumentationen liegt darin, daß beide Themen, Wahlkreiseinteilung und kommunale Gebietsreformen weder ungewöhnlich noch unschicklich sind.

Lettland hat erst jüngst eine Reform der kommunlane Strukturen endgültig verabschiedet, die alle Regierungen seit der Unabhängigkeit auf die lange Bank geschoben hatten. Estland hinkt in dieser Frage momentan hinterher. Änderungen sind aber ohne jeden Zweifel geboten. Allerdings hat Lettland nicht bschlossen, die Schlafstädte rund um Riga der Hauptstadt auch administrativ zuzuteilen.

Wahlsysteme und damit auch die Einteilung von Wahlkreisen wiederum sind als Voraussetzung gerechter Wahlergebnisse fast ständig in der Diskussion.

In Estland verbirgt sich hinter den Argumenten der Parteien deren konkrete Wahlchance. Die Reformpartei hat offensichtlich ihre russischsprachigen Wähler verprellt, wobei der größere Teil der russischsprachigen Einwohner ohnhin während der letzten Jahren zumeist ihre Stimme der Zentrumspartei von Edgar Savisaar gegeben haben, der zur Zeit Bürgermeister von Tallinn ist.

Würde nun die Repräsentation jener Stadtviertel, in welchen mehr Russen leben, verbessert, minderte dies die Chancen der national orientierten Parteien auf einen Sieg. Das gilt ebenso für eine Vereinigung von Tallinn mit Maardu, wo voriwgend Russen leben.

Allerdings irrte man, ginge man von großen ideologischen Unterschieden aus. Edgar Savisaar hat auf nationaler Ebene trotz guter Wahlergebnisse seiner Partei den Weg zurück in die Staatskanzlei, wo er von 1990 bis 1992 während er Volksfrontregierung saß, nie wieder geschafft. Zumeist haben andere Parteien eine Koalition gegen die Zentrumspartei geschmiedet. Zwei Mal saß Savisaar in dieser Zeit allerdinghs auf der Regierungsbank. 1995 mußte er im Rahmen des Aufzeichnungsskandal kurz nach Amtsantritt wieder zurücktreten. Aber vor den Wahlen 2007 war er sich nicht zu Schade, für eben die erwähnte Reformpartei als Mehrheitsbeschaffer zu dienen, nachdem deren Koalition mit der konservativen Vaterland / Res Publica geplatzt war.

Das wundert alles nicht. Edgar Savisaar und der Gründer der Reformpartei, der gegenwärtige EU-Kommissar Siim Kallas, haben ihre politische Karriere bereits in der Sowjetzeit begonnen und waren schon damals so weit inhaltlich voneinander nicht entfernt. Sie gehörten zu dem Quartett, das Ende der 80er Jahre mit der IME-Idee[2] an die Öffentlichkeit trat. Diese beinhaltete den Vorschlag, Estland möge innerhalb der Sowjetunion seine Wirtschaft selbst organisieren. Wie bereits oft erwähnt bedeutet diese Ankürzung als Wort gelesen auf Estnisch „Wunder“.

Die erwähnten Streitpunkte haben aber mit einem Wunder wenig gemein. Es geht auch weniger um politische Inhalte als um Posten. Aber auch das ist weder ungewöhnlich noch illegitim. Insofern bleibt vermutlich in Estland in diesen Fragen alles beim alten.
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[1] Kloty berichtet in seinem Blog unter anderem darüber: http://kloty.blogspot.com/2009/03/es-ist-schon-erst-eineinhalb-jahre-her.html
[2] Isemajandav Eesti – selbstwirtschaftendes Estland.

Mittwoch, 25. März 2009

„Dankbare Zeit für neue Parteien“

Die Überstrift steht in Anführungszeichen, sie stammt nicht von mir. Ilze Kuzmina hat so, natürlich in lettischer Sprache, einen Artikel in der Neatkarīgā (Die Unabhängige) überschrieben.

Lettland ist unter den postsozialistischen Staaten, in denen Regierungen viel häufiger wechseln als in Wetsuropa, der Spitzenreiter. Das gerade angelobte Kabinett Dombrovskis ist das 15. seit der Unabhängigkeit 1991.[1] Außerdem wurden in keinem Land so häufig und so viele neue Parteien gegründet. Mit Ausnahme der letzten Wahlen 2006 war die Siegering immer eine erst kurz zuvor entstandene politische Kraft.[2]

Eine dankbare Zeit, neue Parteien zu gründen, besteht derzeit tatsächlich, da sich die politische Klasse seit 2007, als die Menschen erstmals wieder auf den Straßen demonstrierten, derart diskreditiert hat, daß das Volk nach neuen Gesichtern verlangt – mehr als früher, als es die Erfolge neuer Parteien in der Vergangenheit erklärt.

Neue Parteien sind in jüngster Zeit bereits entstanden. Aigars Štokenbergs und Artis Pabriks, ehemalige Mitglieder und Minister der Volkspartei, haben die „Gesellschaft für eine andere Politik“ gegründet – über den geistreichen Namen wurde bereits geschmunzelt. Sandra Kalniete von der Neuen Zaeit gründete mit dem bei der Kandidatur um den Parteivorsitz von Für Vaterland und Freiheit unterlegenen Ģirts Valdis Kristovskis, der früher einmal bei Lettlands Weg war, die „Bürgerliche Union“. Selbstverständlich handelt es sich damit in beiden Fällen um Parteien, die wie schon früher aus der Mitte der politischen Elite heraus entstanden wurden.

Jetzt kündigt sich erstmals seit langer Zeit die Gründung einer Partei aus der Mitte des Volkes an. Die Gründer sind im wesentlich junge, bislang in der Öffentlichkeit unbekannte Personen wie der Präsident des Verbandes der Fischproduzenten, Didzis Šmits, der in Frankreich Diplomatie studiert hat und als Presseskretär der Neuen Zeit und im Außenministerium tätig war. Er selbst sagt, daß die potentiellen Mitglieder alle Professionelle seien, wenn sie auch bislang in „Privātā Dzīve“[3] nicht in Erscheinung getreten seien. Dazu zählt etwa Kristīne Drēviņa,[4] die derzeit am Europäischen Gerichtshof wirkt. Ebenefalls von der Neuen Zeit geprägt ist die ehemalige Büroleiterin von Kalniete, Dace Dzedone. Aleksandrs Tralmaks war bei der Tagszeitung Diena früher für die strategische Planung zuständig. Das wirtschaftspolitische Gesicht soll der neuen Partei der Dozent der Stockholm School of Economics Riga, Vjatscheslaw Dombrovski, geben. Er begründete sein Engagement damit, in diesen kritischen Zeiten könne er nicht als Zuschauer am Rande stehen.

Die Idee, so Šmits, sei bei Diskussionen unter Freunden in der Küche entstanden, weil bei allfälligen, vorgezogenen Neuwahlen keine Partei existiere, für die man guten Gewissens stimmen könne. Infolge dessen gehörten zu den potentiellen Mitgliedern vorwiegend Freunde von Šmits aus der Schul- und Studienzeit, wie etwa die Ökonomin der Nationalbank, Agnese Bičevska, Ehefrau eines Staatsekretärs im Finanzministerium, der selbt der Volkspartei angehört. Der PR-Experte Vladimir Novodvorski wiederum arbeitet für das Uneternehmen Ventsbunkers, das wiederum in Verbidung steht zu den Unternehmern Olafs Berķis und Oļegs Stepanovs, deren Bekanntschaft jüngst als Hinderungsgrund genannt wurde, daß Ģirts Kristovskis neuer Verkehrsminister werden könnte. Einstweilen aber habe die Partei aber nicht viel mehr als die zur Gründung erforderlichen 200 Unterstützer, sagt Šmits.

Bereits vor einer Woche hatte Šmits mit Bekannten den Verein „Tautas Laiks“ (Die Zeit des Volkes) gegründet. Was zunächst als Absetzung von einer als Zeit der Oligarchen und abgehobenen Politik empfundenen Periode vernünftig zu klingen scheint, könnte allerdings auch als Satire mißverstanden werden. Immerhin hatte Andris Šķēle 1995 die Volkspartei gegründet und Einārs Repše 2002 die Neue Zeit. Diese wird im Englischen als New Era übersetzt und von dort aus im Deutschen oft auch als Neue Ära.

Über die ideologische Ortung hält Šmits sich bedeckt, weil sich in Lettland noch keine Schichten herausgebildet hätten. Die Ausrichtung sei aber gewiß marktwirtschaftlich, wenn auch angesichts der Krise staatliches Eingreifen befürwortet werde. Die Partei wird darum voraussichtlich eine sozialliberale sein.

Da eine Parteigründung in Lettland ohne Gerüchteküche schier ausgeschlossen ist, fühlte sich Šmits aufgerufen, eine Unterstützung von Šķēle zu dementierten. Er habe aber zahlreiche andere Unternehmer angesprochen, denn ohne Geld könne man keine Partei gründen.

Berechtigter seinen Spekulationen über Expräsident Guntis Ulmanis. Šmits gibt zu bedenken, daß das Volk zwar nach neuen Gesichtern verlange, jedoch, tauchten diese auf, sogleich fragten, wer denn das sei, diese Leute kenne man nicht. Und so habe Ulmanis seine Teilnahme am Gründungskongress angekündigt, den Eintritt in die Partei aber nicht versprochen. Šmits würde ein solcher Schritt zwar freuen, doch die Partei sei nicht auf der Suche nach Wahllokomotiven.

An den Wahlen zum Europaparlament will die Partei nicht antreten, jedoch an einigen Orten Kandidaten für die am selben Tag stattfindende Kommunalwahl aufstellen.
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[1] http://www.rulers.org/ bietet eine andere Zählung an. Während der Autor dieser Zeilen jede Veränderung der Koalitionszusammensetzung wie auch der Neubildung einer Regierung mit den gleichen Partnern als eine neue Regierung betrachtet, ist die zählweise umstritten. Die genannte Seite zählt das Kabinett von Aigars Kalvītis nach dem Austritt der neuen Zeit 2006 nicht separat, die Präsidentin mußte keinen neuen Minsterpräsidenten benennen. Auch Andris Šķēles Rücktritt und neuerliche Ernennung 1997 wird nur als eine Regierung gewertet.
[2] Der Autor dieser Zeilen hat über das Parteiensystem promoviert und sieht sich bei Nachfragen zu länger zurückliegenden Ereignissen mitunter gezwungen, die Antwort in der eigenen Dissertation nachzuschlagen.
[3] „Das private Leben“ ist wohl eines der bekanntesten Boulevardmagazine in Lettland.
[4] Eine Anmerkung zum Journalismus in Lettland am Rande: in einer anderen Zeitung hieß diese Dame plötzlich Grīviņa.