Mittwoch, 28. Dezember 2011

Lettlands verworrene Wirtschaft

Daß Lettland politisch nicht zur Ruhe kommt, wurde in den vergangenen Monaten mehrfach berichtet. Dabei ist der Bevölkerung im Alltag nicht unbedingt bewußt, welche Schwierigkeiten, mit denen der Einzelne konfrontiert wird, auf welche politischen Versäumnisse zurückzuführen sind. Jüngst machten jedoch konkretere Probleme Schlagzeilen.
Mitte Dezember 2011 waren plötzlich die Schlangen vor den Geldautomaten der schwedischen Swedbank lang. Es hatte sich per SMS das Gerücht verbreitet, die Bank habe Zahlungsschwierigkeiten, was den Run auf die Geräte auslöste und in kurzer Zeit zu Versorgungsengpässen mit Bargeld führte. Zahlreiche Automaten besonders an frequentierten Orten waren leer.
Daß eines der großen schwedischen Geldhäuser tatsächlich in Turbulenzen ist, mag der Verbraucher je nach Kenntnis wirtschaftlicher Zusammenhänge für mehr oder weniger wahrscheinlich halten. Im Baltikum und vor allem in Lettland kann die Reaktion auf das Gerücht nur vor dem Hintergrund der jüngeren Vergangenheit verstanden werden. 1995 brach die Banka Baltija zusammen, wo viele Menschen ihr Geld verloren. 2008 wurde die Parex Bank über ein Wochenende handstreichartig verstaatlicht, nachdem es in Folge der Turbulenzen der Finanzkrise zum Abzug vieler Einlagen gekommen war. Und erst kurz vor dem Gerücht über die Swedbank, hatte die Sparkasse Lettlands (Latvijas Krājbanka) ihre Auszahlungen rationiert und schließlich eingestellt.
Die Ursachen waren verschieden. Die Banka Baltija hatte in den 90ern das Geschäftsmodell der Pyramide umzusetzen versucht, welches auch als Schneeballsystem bekannt ist und viele aus der Jugend von Kettenbriefen her kennen. Bereits damals hätte eine effektive Bankenaufsicht den Krach verhindern können. Doch die Politik verfolgte den Versuch, Lettland zu einem Bankenplatz zu entwickeln. Der Chef der Bank, der russische Jude Alexander Lavents, verschleppte später in den Prozeß durch zahlreiche Krankmeldungen, während ein Untersuchungsausschuß des Parlamentes auch nur wenig Licht in die Angelegenheit der verschwundenen 3 Millionen Lat von Latvenergo bringen konnte. Dieser Skandal schloß sich an den Zusammenbruch der Bank durch deren Liquidation an. Bis heute ist unklar, was damals wirklich geschah.
Die Bedeutung der Parex Bank bestand lange Zeit darin, daß sie als einziges größeres Institut ein urlettisches Unternehmen und keine Tochter ausländischer Geldhäuser war. Gemeinsam mit der Sparkasse genoß sie daher das Privileg, die Konten zahlreicher Behörden und staatlicher Einrichtungen zu führen. Die beiden Chefs, die ebenfalls russischen Juden Walerie Kargin und Wladimir Krasovitsky, hatten nach der Unabhängigkeit 1991 mit einer Wechselstuben-Konzession begonnen. Der Untergang dieses Hauses ist sicher einerseits externen Faktoren im Rahmen der weltweiten Finanzkrise geschuldet. Daß aber die Regierungen in den Jahren nach dem Beitritt zur Europäischen Union der einheimischen Spekulationsblase im Immobiliensektor genauso wenig entgegenwirkte wie dem Boom der privaten Kredite, war eindeutig ein hausgemachtes Problem. Die Bank wurde unter dem Namen Citadele nach Auslagerung einer Bad Bank neu gegründet.
Es sei nebenbei erwähnt, daß die ethnische Identität der genannten Banker in der Bevölkerung bereits existierende entsprechende Ressentiments nicht geschmälert hat.
Daß im Herbst 2011 nun auch die Sparkasse in Schwierigkeiten geriet, war allerdings vorwiegend ein importiertes Problem, zurückzuführen auf einen der wichtigsten Anteilseigner, die litauische Snoras Bank, die wiederum dem Russen Wladimir Antonov mit mehr als zwei Dritteln und dem Litauer Raimondas Baranauskas als Hauptanteilseigner gehört. Ersterer war zwischenzeitlich auch als potentieller Retter des angeschlagenen schwedischen Automobilherstellers Saab in Erscheinung getreten. Beiden wurde in Litauen Bilanzfälschung vorgeworfen, die Bank handstreichartig verstaatlicht. Die Krise dieses Geldhauses, aus der die beiden Eigentümer viel Geld abgezogen hatten, so der Vorwurf, führte über die damit verbundenen Probleme der Sparkasse in Lettland zu internationalen Verwicklungen zwischen den Regierungen: Wer ist für was verantwortlich, reagiert wie und wer soll angesichts knapper Kassen für Garantiesummen aufkommen? Bei denen über die europäisch üblichen Summen von 100.000 Euro in Lettland 100.000 Lat im Gespräch waren.
Das alles führte zu einem Kuddelmuddel: Anfangs durfte jeder Kontoinhaber bei der Sparkasse nur noch 50 Lat pro Tag abheben mit der Folge langer Schlangen vor den Geldautomaten. Später beauftragte der Staat die aus der gestrauchelten Parex Bank entstandene Citadele mit der Auszahlung. Diese wiederum Anmeldungen verlangte von den Kunden der Sparkasse, sich im Internet oder wenigstens telefonisch anzumelden, damit es keine Schlangen vor ihren Filialen gäbe. Doch auch das führte zu Problemen, da die Citadele nicht in allen kleineren und größeren Orten über Filialen oder auch nur Geldautomaten verfügt, nicht einmal etwa in der Kreisstadt Kuldīga, deren Bürgermeisterin über die Bereitstellung von Bussen nach Saldus nachdachte. Da bei der Sparkasse viele öffentliche Institutionen Konten führten, gerieten Hochschulen wie auch der öffentliche Nahverkehr in Riga in Liquiditätsprobleme, anstehende Gehälter und Sozialabgaben zu überweisen.
In den Sog dieser Schwierigkeiten geriet außerdem auch die lettische Fluglinie air baltic. Im Herbst mußten verschiedene Flüge gestrichen werden, weil die Finanztransaktionen nicht mehr reibungslos abgewickelt werden konnten. Dies war zwar nicht direkt verbunden mit den diversen Schlagzeilen rund um die air baltic in den Monaten und Jahren zuvor, wurde aber selbstverständlich vor diesem Hintergrund gesehen. Chef der Fluggesellschaft war seit langer Zeit der deutsche Bertold Flick, ein Sproß aus jener Industriellenfamilie, die vielen Deutschen noch aus dem Parteienfinanzierungsskandal der 80er Jahre bekannt sein dürfte. Flick war Mitte der 90er Jahre als Berater bei der Gründung der Airline nach Lettland gekommen, um 2002 zu ihrem Vorstandschef zu avancieren. Dieser Zeitraum fällt zusammen mit der Amtszeit des umtriebigen langjährigen Verkehrsminister Ainārs Šlesers, der Riga zu einem großen Luftkreuz ausbauen wollte, was fraglos in Teilen wenigstens für den baltischen Raum gelungen ist.
Flick war im Laufe der Jahre gewiß ebenfalls sehr umtriebig, hatte neben der Fluggesellschaft mit Logo in der gleichen hellgrünen Farbe unter Verwendung des Begriffes baltic ein Taxiunternehmen gegründet, was zunächst auf heftigen Widerstand der Konkurrenz stieß, und jüngst auch überall in der Stadt Riga Fahrradständer mit ausleihbaren Fahrrädern installiert. In diesem Zusammenhang war es zu einem Konflikt mit der Regierung über das Logo gekommen. Die halbstaatliche Fluglinie air baltic hatte unter Flicks Führung das Logo zeitweilig an die Flick gehörende Firma Baltijas Aviācijas Sistēmas BAS verkauft, die neben dem staatlichen Anteil von über 50% fast die gesamte zweite Hälfte der Anteile an air baltic gehört. Die BAS ihrerseits war erst 2008 an ihre Anteile gelangt, als die skandinavische Fluggesellschaft SAS aus dem Unternehmen aussteigen und Verkehrsminister Šlesers den Anteil für den Staat nicht übernehmen wollte. Die BAS begründete, man habe so der Fluggesellschaft aus einem finanziellen Engpaß geholfen, ein Rückkauf sei jederzeit möglich. Später wurde dann ein Angebot unterbreitet, durch das der Staat seine Aktienmehrheit verloren hätte. Der Verkauf wurde auf politischen Druck schließlich rückabgewickelt.
Daß Berührungspunkte von Wirtschaft und Politik ebenso unumgänglich wie nicht immer einfach sind, ist auch aus anderen Ländern bekannt. Die politischen Turbulenzen in Lettland während der vergangenen zwei Jahrzehnte stehen gewiß in Wechselwirkung mit wirtschaftlichen Interessen, dabei ist nicht immer alles transparent, manches läßt sich nur vermuten. Über die Versäumnisse der lettischen Politik ist viel berichtet worden. Dennoch, im Dezember verabschiedete das Parlament beinahe 20 Jahre später als die Nachbarrepubliken das System einer Steuerklärung. Ein folgender Rechtsstreit mit dem Flughafen Riga unter anderem wegen der Konditionen für den Billigflieger Ryanair führten schließlich zu einem Kompromiß, der mit dem Rücktritt Flicks endete.

Sonntag, 6. November 2011

Staatssprache und Verfassung

Daß es in Lettland einen hohen Anteil russischsprachiger Bevölkerung gibt ist bekannt. Bekannt ist auch, daß ein großer Teil dieser Menschen während der Sowjetzeit entweder selbst ins Land gekommen ist oder von solchen abstammt. Es ist zutreffend, daß 1991 die Bevölkerung des gerade wieder unabhängig gewordenen Lettland zwar kollektiv des Russischen mächtig war, aber nicht unbedingt der lettischen Sprache.

In 20 Jahren hat sich allerdings viel verändert. Junge Russen, welcher Abstammung auch immer, sprechen Lettisch besser als manch zugewanderter Ausländer, wohingegen mit Englisch als Pflichtfach in der Schule das Russische für junge Letten keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Das führt zu Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt, wo es wenig überrascht, wenn Arbeitgeber im Kundegeschäft Mitarbeiter MIT Russischkenntnissen wünschen. Dies bezeichnete die nationalistische Partei „Alles für Lettland!“, in persona Imants Parādnieks, als eine in keinem anderem EU-Land übliche Diskriminierung der eigenen Jugend, die es gesetzlich zu verbieten gelte. In welchem EU-Land hingegen Unternehmer gesetzlich gezwungen werden, sich für Kandidaten mit weniger Kenntnissen und Fähigkeiten zu entscheiden, darauf blieb Parādnieks eine Antwort schuldig.

Nun hat die Bewegung „Muttersprache“ unter Führung von Vladimir Linderman (Владимир Линдерман) eine Initiative gestartet: Es soll eine Volksabstimmung durchgeführt werden über die Frage, ob Russisch die zweite Amtsprache in Lettland werden sollte. Mit dieser Forderung war die Bewegung „Gleichberechtigung“ zu den ersten Parlamentswahlen nach der Unabhängigkeit 1993 angetreten. Eine ihrer wichtigsten Vertreterinnen, Tatjana Schdanok (Татья́на Ждано́к), die als Aktivistin der Interfront ursprünglich gegen die Ausflösung der Sowjetunion gewesen war, sitzt bereits in der zweiten Periode im Europaparlament. Linderman ist eine nicht weniger schillernde Figur. Er gehört den Nationalbolschewisten (Национал-Большевистская Партия) von Eduard Limonow (Эдуард Лимонов) an – die übrigens später mit dem Schachspieler Garri Kasparows (Га́рри Ки́ Каспа́ров) „Anderem Rußland“ (Другая Россия) paktierten. Linderman war in Lettland 2002 illegaler Sprengstoffbesitz und die Vorbereitung eines Umsturzversuches vorgeworfen worden, woraufhin er von einer Reise nach Rußland nicht zurückkehrte und sich so der Verhaftung entzog. Linderman wurde in Rußland 2008 verhaftet, 2009 nach Lettland ausgeliefert und vom Gericht freigesprochen.

Linderman erklärte gegenüber dem lettischen Radio in einem Telefoninterview in fließendem Lettisch, die Russen seien schon immer in Lettland gewesen, und die eigene Muttersprache gelte es zu verteidigen, damit die Russen nicht Bürger zweiter Klasse im Land seien. Lindermans jetziger Vorstoß wird von der Verfassung Lettlands gedeckt, welcher die direkte Demokratie ebenso wenig fremd ist, wie in der Schweiz. Es genügen die Unterschriften von 10% der Wahlberechtigten, und die Wahlkommission muß in einer gesetzlich festgelegten Frist den Urnengang ausschreiben. Linderman konnte nun 12.000 Unterschriften bei einem Notar hinterlegen, was die Behörden dazu zwingt, für den gesetzlich vorgeschriebenen Zeitraum täglich wenigstens vier Stunden auf Kosten des Steuerzahlers die Infrastruktur für die weitere Unterschriftensammlung vorzuhalten. Dies geschieht an 600 Orten auch im Ausland.

Der Leiter der Wahlkommission, Anris Cimdars, sagte im lettischen Radio, daß diese Unterschriften-Sammelaktion sich von anderen unterscheide, da eigentlich nur derjenige daran teilnehmen müsse, der für die Motion optiert – im Unterschied etwa zu Referenden, in denen man mit ja oder nein abstimmen würde, was auch die Moderatoren des lettischen Radios in ihrem Beitrag mehrfach unterstreichen. Das ist eine interessante Argumentation: Selbstverständlich ist es für Gegner der Idee, Russisch als zweite offizielle Staatssprache zu akzeptieren, das günstigste Ergebnis, wenn das Referendum erst gar nicht stattfinden kann, weil nicht genügen Unterschriften zusammengetragen wurden. Das gälte aber für jedes Referendum mit der Alternative ja oder nein zu einer konkreten Frage.

Ein anderer Aspekt des Referendums ist kurios. Bei der Vorlage von Linderman und seinem Verein handelt es sich um mehrere Änderungen der Verfassung, unter anderem auch des Artikels 4. Dieser aber gehört, wie Cimdars zu bedenken gibt, zu jenen, die nicht einmal das Parlament ohne anschließende Volksbefragung verändern dürfte. Folglich, egal ob die Angeordneten nach erfolgreichem Referendum über Lindermans Vorlage dieser im Wortlaut zustimmten oder sie mit Änderungen verabschiedeten, müßte darüber erneut ein Referendum abgehalten werden. Neuerlich ein Beispiel für die Inkonsistenten der Verfassung Lettlands aus dem Jahre 1922.

Nevēlētāji – drauds demokrātijai?

Zinātnieki un žurnālisti parasti uzskata par svarīgi, ka vēlētāju aktivitāte būtu augstā demokrātijas valdīšanas leģitimitātei. Arī citu iedzīvotāju vidū zemā aktivitāte nevairo uzticību politikai. Kad Vācijā Bundestag vēlēšanas 2009.g. piedalījās nedaudz pāri 70% balsstiesīgo šādi medijos un ekspertu vidū komentēja šo rādītāju kā problemātiski zemu. Īstenība vēlētāju aktivitāte ap trim ceturtdaļām starptautiskajā salīdzinājumā nav nekāds slikts rādītājs. Protams, ASV, kur iedzīvotāju reģistri nav un vēlētājiem ir speciāli jāreģistrējas, lai vispār piedalīties, skaitļi ir regulāri zemāki, bet arī citās demokrātijās neinteresējas iedzīvotāji tik daudz par savām tiesībām lemt par parlamenta sastāvu. Salīdzinot ar minētu vācu piemēru, aktivitāte, piemēram, Latvijā ir aptuveni par desmit procentiem zemāk.

Kas ir iemesli vēlētajiem nepiedalīties vēlēšanās Latvijā un citviet? Īpaši Latvijā bieži var dzirdēt, ka balsot tik un tā neko ietekmē. Pat reizēm pat Latvijas iedzīvotāji apšauba rezultātu. Bet vēlēšanas Latvijā tiek novērotas kā citur pasaulē un par to, kā lielā mērā viss notiek godīgi, grūti apšaubīt. Izplatītas arī ir vēlētāju grūtības izšķirties, par ko balsot. Skatoties uz to, ka aptaujās daudzi vēlētāji nespēj precīzi atcerēties, par ko viņi iepriekšējās vēlēšanas ir balsojuši, varētu arī šo faktu uzskatīt par iemeslu tām šaubām par godīgumu.

Kamēr kāds vācu deputāts salīdzināja atturēšanos no balsošanas ar kliedzienu pagrabā, kuru viņš vienkārši nedzird, nevarētu teikt, ka viennozīmīgo iemesli šai rīcībai nepiedalīties būtu negatīvi. Protams, ja cilvēks neiet balsot, politiķi nezina, kāpēc tas notiek. Bet, iespējams, cilvēks nemaz nav tik neapmierināts, ka viņam neviens politiskais spēks arī kā mazākais ļaunums neder. Varbūt vēlētājs arī uzskata par mazsvarīgi, kurš valda valsti – labā ziņā. Šādu uzskatu privātajās sarunās var dzirdēt Vācijā. Vidusslāņa pārstāvjiem ar dažo niancu atšķirībām zem jebkuras valdības bija daudzmaz labi. Tas, protams, arī pateicoties faktam, ka šo iedzīvotāju grupu par svarīgu uzskatīja jebkura valdība.

Savukārt, par atturīgajiem vēlētājiem raksta prese visādi. Vienam komentētājam viņi šķiet gudri, kas neļauj politiķiem sevi manipulēt, citi redz šo uzvedību par klusu piekrišanu. Vieni uztver nepiedalīšanos par vēlētāju tiesībām, citi uztraucās un pieprasa ieviest obligātu balsošanu, kā tas ir, piemēram, Beļģijā, Turcijā, Grieķijā un Austrālijā. Bet plaši zinātniskie pētījumi par vēlētāju motivāciju atturēties no balsošanas nav. Šo trūkumu mēģināja pildīt 2009.g. Dorothée de Nève ar grāmatu NichtwählerInnen – eine Gefahr für die Demokratie.

Publicistikā aksiomātiski tiek uzskatīts, ka demokrātija nevarot pārstāvēt bez demokrātiem, proti, ja iedzīvotāji neatbalsta šim politiskam režīmam, demokrātija viennozīmīgi sabruks. Tomēr, interesants fenomens, kā de Nève norāda, ir, ka 1930.g. tieši nebalsojošo vēlētāju aktivizēšana līdzēja NSDAP uzvarēt. Bet līdzīga motivācija citās valstīs, piemēram lielā aktivitāte postsociālistsiskās valstīs īsi pēc pārmaiņām nebalsoja par radikāļiem. Proti, viennozīmīgi skaidri iemesli un sekas šajā jautājumā nav (38).

De Nève grāmatas uzbūve ir sekojošā: Autore salīdzina 16 rietumu un austrumeiropas valstis – diemžēl, Latvija tajā skaitā nav pētīta. Pēc tam tiek atspoguļota līdzšinēja pētniecība. Atsevišķā nodaļa autore analizē sociostruktūru un pasīvo vēlētāju politiskus uzskatus.

Socio-strukturāli
Vācijā vēlētāju aktivitāte pēc federatīvas republikas nodibināšanas pārsniedza regulāri 90%, proti, vairāk nekā pusgadsimta pastāvēšanas laikā tā ir kritusi par aptuveni 20%. Bet atturēšanas aug ne tikai Vācijā. Lielā daļa no neaktīviem balsstiesīgiem vispār neinteresējas par politiku. Šādus vēlētājus bieži var sasniegt nevis ar konkrētiem politiskiem jautājumiem, bet gan ar baiļu un emociju uzrunu, pārliecinot vēlētājus par problēmu esamību vienlaicīgi piedāvājot savu risinājumu.

Cik trūkstoša interese par politiskiem jautājumiem, piemēram, trūkstošas cerības dēļ, ka politika vēlētāju dzīvē kaut ko var mainīt, atturēšanas no balsošanas ir noteikto sabiedrības slāņu parādība, šī rīcība šiem cilvēkiem nozīmē, ka noteiktās sabiedrības sastāvdaļas politiski vairs nav reprezentēti. Tā Vācijā var konstatēt, ka zemākais slānis ir zaudējis cerību un nebalso. Rezultātā uzvarēja 2009.g. partijas, kas šī slāņa intereses tieši nereprezentē (48ff.).

Par bīstami demokrātijai uzskata, ja atturēšanos izslēdz tik lielu iedzīvotāju daļu, ka vairākuma princips nav realizēts, proti, valdoša elite tad vairs reprezentē vairākumu balsstiesīgu, bet ne vairākuma iedzīvotāju domas. Ja konkrēta vēlētāju grupa ir neaktīva vai arī neaktīvie vēlētāji atbalsta nedemokrātiskiem valdīšanas modeļiem ir sasniegta vēl augstākā pakāpe draudiem demokrātijai (52). 2010.g. labākais piemērs ir referendums par skolas reformu Hamburg. Šajā pilsētā piedalījās aktīvi bagatāko slāņu kvartīru iedzīvotāji, kas baidījas par savu bērnu samaisīšanu skolā ar “sliktajiem”, no izglītības attālināto ģimeņu bērniem. Savukārt, tieši tiem , pārsvarā maznodrošināto ģimeņu bērniem, kam reforma bija domāta, vecāki savās priekšpilsētas piedalījas kādi 10% vēlētāju.

Skatoties uz Latvijas piemēru, tad par svarīgi tiek uzskatīts arī aspekts, vai kāda iedzīvotāju daļa ir izslēgta no tiesībām balsot. Merkel un Croissant to sauc par ekskluzīvām demokrātijām kā defektu demokrātiju apakšgrupu (54f.). Latvijā ar padomju laiku migrantiem, kuriem nepiešķira automātiski pilsonību un līdz ar to izslēdza no iespējas piedalīties vēlēšanas skaitās Merkel par demokrātijai bīstamu piemēru. Savukārt, Šveice ar savu salīdzinošu lielu migrantu īpatsvaru ap 20%, no balstiesībām izslēgta daļa iedzīvotāju ir īpaši augsts (62).

Politiski uzskati
Vēlētāju un tajā skaitā neaktīvās daļas politiski uzskati var būt iemesli atturēties (143). Daudzi cilvēki, kā minēts, neinteresējas par politiku. Latvijas gadījumā gan maz izglītotie gan arī labi izglītotie cilvēki neredz iespēju atrast mazāko ļaunumu. Pirmie dēļ dzīves apstākļiem, kurus pēc paternalistiskās nostājas gaida uzlabot savu dzīves līmeni no politiskās elites. Rezultātā ne retais vēlētājs šaubas vispār par demokrātiju, jo daudzi pārpratuši demokrātiju par labklājības garantiju.

Savukārt, inteliģence necer uz politisku eliti un dod priekšroku savām iniciatīvām. Latvijā noteikti Pēdējās Partijas dibināšana pierāda, ka daudziem, it īpaši intelektuāliem cilvēkiem, oligaristiskās partijas tāpat neder, kā Jaunais Laiks, kas blakus mūsdienīgiem politiķiem kā Dombrovskis arī apvieno arhaistiski domājošus cilvēkus ar brīžiem demokrātijai bīstamiem uzskatiem kā Linda Mūrniece, atceroties, piemēram, saasinātu reakciju uz tilta bloķēšanu Bauskā. Proti, rietumniecisku domāšanu neviena Latvijas partija gluži nepārstāv (171).

Neaktīvie balsstiesīgie varenākais politiskais spēks?
Kopsavilkumā var konstatēt, ka daudzās valstīs tie, kas nebalso arī neinformējas par notiekošo un arī nepiedalās citos veidos. Šādi varētu arī Latvijā teikt, ka noteiktais slānis labākā gadījumā pamana, kas ir ministru prezidents un prezidents, neapzinot, kādi tiem ir uzdevumi, kādas tiesības. 1998.g. iznākušā grāmata Ievads politikā šīs sabiedrības daļas īpatsvars min ar 22% (58).

Vācijā atšķīrās no citām valstīm ar to, ka tie, kas nepiedalās, biežāk noliedz demokrātiju vispār un nedistancējās no nedemokrātiskās vēstures (195). Šādi cilvēki noteikti par politiku ir vairāk domājuši nekā Latvijas apātijā dzīvojošie. Bet arī Latvijā līdzīgi uzskati ir konstatējami, lielākoties kolektīvā atmiņa iegājušo mītu dēļ par Ulmaņa laikiem, kas ir pamats stipras rokas atbalstam. Vācijā atklāja pētījums arī radikālākas domas pret ārzemniekiem neaktīvu iedzīvotāju vidū nekā starp tiem, kas piedalās vēlēšanās.

Tomēr, “Partei der Nichtwähler” (atturīgo vēlētāju partija) nav reāla būtne; šis cilvēku kopums nav politiskais spēks, jo, kā pētījumi rietumvalstīs pierāda, šiem vēlētājiem nav kolektīvas piezīmes, proti, kopā nebalsotu lielā pārsvarā par kādu konkrētu parlamentā nepārstāvētu partiju (203).

Šķietami nesenas aptaujas Vācijā pierāda pretējo. 2010.g. sociāldemokrāts, bijušais Berlin finanšu senators un tagadējais valdes loceklis valsts bankā, Thilo Sarrazin, provocē ar galvenokārt pret musulmaņiem paustām tēzēm. Aptaujās apgalvo 20% aptaujātie, ka viņi būtu gatavi, par Sarrazin partiju balsot, ja tāda tiktu nodibināta. Šis rezultāts ir ļoti grūti vērtējams, jo tas solis ir vienkārši nereāls. Protams, 2000.g. tiesneša nodibināta labēji populistiskā partija Hamburg gan sasniedza diezgan precīzi tādu rezultātu, bet līdzīgi kā Zīgerista Tautas Kustība Latvija 1995.g. politiskais spēks ātri pierādīja savu nespēju piedalīties pozīcija un izjuka.

Iepretim šiem līdzīgiem aspektiem, Latvija noteikti atšķiras, jo daudz vēlētājiem šķiet, ka nav, par ko balsot un skatoties uz intelektuālajiem un rietumnieciski orientētiem vēlētājiem šī doma arī vienkārši atbilst patiesībai

Līdz ar to, cik vien ir pierādījumi, ka politiskā elite valda arī to cilvēku interesēs, kas paši aktīvi nepiedalās, demokrātriju pēc de Nève domām nedrīkst būt tikai governement for the people, bet gan pēc Abraham Lincoln arī governement by the people (204). Šādi de Nève uzskata par galveno problēmu, ka noteiktā sabiedrības daļa ilgtermiņa nav reprezentēta. Tomēr, cik šīs cilvēku kopums lielā pārsvarā neatbalsta radikālajām idejām, viņi vienlaicīgi nav drauds demokrātijai ka sistēmai, jo paši valsts orgāni nav apdraudēti. Drauds demokrātiskai idejai, ja reprezentācija nav pildīta, tomēr, paliek (206f.).

Noteikti jābilst, ka Latvijas gadījumā sabiedrības gatavība, uzticēties stiprai rokai, varētu būt atšķirīgs piemērs no pētītiem de Nève grāmatā. Tanī pašā laikā Latvijā nav uz politiskās skatuves neviens politiskais spēks vai persona, kas varētu uzņemt šo atbildību, Latvijā pat ekstrēmistiskās un radikālās partijas nav. Un tās partijas, kas spārnos pozicionējas, nav ietekmīgas.

Baltijas valstis Vācijas ārpolitikā

Vācijas ārpolitika pret Baltijas valstīm pēc neatkarības, varētu teikt, ir bijusi atturīgi. Kā Vācijas attieksme pret Baltijas valstīm mainījās no bailēm par Padomju Savienības sabrukuma un tā ietekme uz Vācijas apvienošanos uz atbalstu Baltijas valstīm iestāties NATO un Eiropas Savienībā, pētīja vācu politologs, Helge Dauchert (Anwalt der Balten oder Anwalt in eigener Sache, BWV Berliner Wissenschaftsverlag, 2008). Lai paradigma maiņu saprast, jāieskatās federatīvās Vācijas vēsturē.

Vācijas ārpolitikas pamatojums valsts iekšienē
Pamats federatīvas Vācijas ārpolitikai ir Vācijas sadalīšana četrās zonās pēc Otrā Pasaules Kara un bipolāras pasaules varas sistēmas izveidošanās. Toreiz pat konservatīvie politiķi, galvenokārt katoļi, kā Jakob Kaiser, atbalstīja kristīgajam sociālismam. Ārpolitikā redzēja Vāciju starp Austrumiem un Rietumiem kā neitrālo valsti. Tāda pozīcija bija diezgan tuvu sociāldemokrātiem, kas Kurt Schumacher vadībā redzēja apvienotu sociālistisko Vāciju Rietumeiropā, lai gan, 1949.g. nodibināta Rietumvācijas republika tāpat nebija suverēna. Pirmās vēlēšanas Schumacher, kā Hitlera upuris, sev kā pārsteigumu zaudēja un pie varas nāca konservatīvā valdība Konrad Adenauer vadībā, kurš ātri kreisās tendences arī viņa partijā neitralizēja. Astoņus gadus vēlāk lozungs bija: “Keine Experimente.”
Jaunā tikai par pamatlikumu nosauktā konstitūcija paredzēja, ka valsti ārzemēs reprezentē prezidents. Tomēr, ārpolitiku veic valdība. Pēc konstitūcijas stipri izveidots valdības galvas amats Bundeskanzler medijos un zinātnē ātri vien veda pie kanclera demokrātijas jēdziena. Rezultātā izveidojās arī ārpolitika konkurence starp valsts kanceleju un ārlietu ministriju.
No katoļu Rheinland izcelies Konrad Adenauer jau Weimarer Republik laikā bija bijis politikā aktīvs kā Ķelnes mērs. Viņš pēc savas pieredzes neuzticēja vācu mentalitātei un vēlējās beigt Prūsijas tradīcijas. Tāpēc sabiedrotus meklēja Rietumos, Benelux valstīs un Francijā. Viņa politikas mērķi bija – šajā secībā – suverenitāte, integrācija un apvienošanās. Tas Aukstā Kara apstākļos faktiski nozīmēja, federatīvas Vācijas integrācija Rieumos uz apvienošanās rēķinu.

Vācijas rietumintegrācija un ārpolitika Aukstā Kara laikā
Šāda politika sakrita lielā mērā ar Rietumeiropas politiku. It īpaši Francija vēlējās redzēt Rietumstruktūrā integrētu Vāciju, lai novērst trupamākas agresivitātes. Ar Francijas ārlietu ministru Schumann Adenauer jau 1950.g. uzsāka attiecīgu politiku. Ar virsnacionālo organizāciju bija plāns kontrolēt Vāciju, kam vēlāk var piebiedroties arī citās valstis. Tas bija ES pirmsākums. 1954.g. ar Parīzes līgumi okupācijas statuss tika likvidēts un Vācija atguva suverenitāte. Saucamais Deutschlandvertrag garantēja četru kara uzvārētāju tiesības uz karaspēku klātbūtne Vācijā un tās iestāšanās NATO.
Tanī pašā laikā Adenauer turējās pie Alleinvertretungsanspruch, ka vienīgi federatīvā Vācija ir tiesīga pārstāvēt Vāciju. Pēc valsts sekretāra Walter Hallstein nosauktas doktrīnas federatīvā Vācija nenodibināja diplomātiskās attiecības ar valstīm, kurām tādas bija noslēgtas ar Austrumvāciju. To iepretim oficiālajam nosaukumam nekad nesauca par demokrātisko, bet ļoti ilgi par SBZ (Sowjetische Besatzungszone), vai vienkārši par zonu. Vēlāk nosauca viņu pēc oficiālā saīsinājuma, DDR.
Pēc Charles de Gaulles nākšanas pie varas 1958.g. Francijas un Vācijas tuvināšanas politika tika turpināta ar Élysée līgumu vai franču-vācu draudzības līgumu. Francijas intereses bija gan ASV ietekmes mazināšana kā arī Vācijas iesaistīšana starptautiskās struktūrās. Adenauer interese bija samierināšanas politika ar Vācijas iesaistīšanu starptautiskās organizācijās. Ar šādu politiku federatīvā Vācija tika integrētā Rietumstruktūras, bet, tomēr, ar Berlīnes mūra celšanu 1961.g. augustā politika pret Austrumiem bija nonākusi strupceļā.

Patstāvīgā Vācijas ārpolitika
1969.g. sociāldemokrātu vadīta valdība nomainīja kristīgo demokrātu 20 gadu ilgu noteicošu lomu politikā. Willy Brandt uzsāka savu jaunu Ostpolitik, “Wandel durch Annäherung“ stratēģija, atvieglojot vāciešu likteni “zonā” samazinot savstarpējo neuzticību. Tika noslēgti vairāki līgumi, starp tiem Varšavas līgums ar Poliju 1970.g. par robežu nepārkāpjamību, Oderas – Neisas līnijas akceptēšanu. Ar Grundlagenvertrag pamat-attiecību-līgumu 1972.g. tika regulēts kontakts starp abām Vācijām. Tomēr tikai atvērtas tikai “Pastāvīgās Pārstāvniecības” nevis vēstniecība un federatīvā Vācija neatzina Ausrumvācijas valsts būtību, līdz ar to arī neeksistēja Austrumvācijas pilsonība federālās Vācijas izpratnē. Šādi jebkurš Austrumvācijas iedzīvotājs tika uzskatīts par tikai vienas Vācijas pilsoni. Rezultātā vajadzēja Austrumvācijas iedzīvotājiem tikai fiziski nokļūt Rietumvācijā, lai saņemtu tās pasi. Proti, Hallstein doktrīna tika likvidēta, tomēr valstiskās attiecības starp divām Vācijām nenodibinātas.
Šis bija iemesls rīcībām pēc mūra krišanas. Mirklī, kas Austrumacijas iedzīvotāji varēja brīvi pārvietoties arī uz Rietumvāciju draudēja masveida izvākšanas, proti, vienīgas iespējas reaģēt bija, vai apvienoties vai arī atzīt pēc mierīgas revolūcijas Austrumvāiju kā valsts. Lielbritānijas premjerministre Margaret Thatcher un Francijas prezidents Francois Mitterand iestājas pret Vācijas atkalapvienošanos, tomēr, ASV prezidentam George Bush senior tādas pretenzijas nebija. Tika noslēgts 4+2 līgums par robežu nemaināmību, Oderas Neisas līnijas galīgumu, Vācijas atteikšanās no jebkādām teritoriālām prasībām kā arī apvienotās Vācijas tiesības brīvi izvēlēties alianses piederību, kas faktiski nozīmēja apvienotās Vācijas iestāšanos NATO.

Realitāte kā galvenais pamats Vācijas ārpolitikai – Baltijas valstis nav tēma
Šādi līdz pat PSRS sabrukumam Vācijas ārpolitikas fokusā bija tās dalīšana un nākotne, proti, Baltijas valstis Padomju Savienības sastāvā nebija federatīvās Vācijas priekšplānā. Ārpolitikas mērķis kopš oficiāli, protams, bija atkalapvienošanas. Tomēr, Aukstā Kara laikā šo mērķi sasniegt, nebija reāls, tā, piemēram, arī Stalina ierosinājums, apvienot Vāciju kā neitrālo valsti netika akceptēts no Adenauer valdības. Līdz ar to vēlākos gados valsts apvienošanas vairāk tika uzsvērts saucamas svētdienas uzrunas. Viens vienkāršs piemērs tam bija „L“ valsts numura zīmes piešķiršanu pilsētai Lahn, kuru 70os gados no Gießen un Wetzlar izveidoja, kas bija paredzēts pēc apvienošanos pilsētai Leipzig.
Sasniegt mērķi reāli palika tikai sakarā ar pārmaiņām Austrumeiropā. Tomēr, atbalsts sabiedroto valstu vidū sasniegt bija iespējami tikai stabilā Eiropā, proti, Rietumvācijas valdība uzskatīja pa nepieciešamu arī nedestabilizēt Padomju Savienību Mihail Gorbatschow vadībā.
Tāpēc Vācijai bija atturīgā attieksme pret Baltijas valstu atmodu un Dienvidslāvijas tendencēm dalīties. Tāpēc transformācijas laikā Austrumeiropā priekšplānā valdībai bija Visegrád valstis Polija, Čehija, Slovākija un Ungārija kā arī Krievija.

Transformācija nesa pārmaiņas arī ārpolitikā
1992.g. atkāpās no amata ārlietu ministrs Hans Dietrich Genscher, kurš tajā laikā bija nozares ministrs ar lielāku stāžu, kopš 1974.g. Brīvo Demokrātu partijas iekšienē cīnījās divi politiķi pārmantot ministriju, Irmagrd Adam-Schwaetzer un Klaus Kinkel. Otrais tika izvirzīts. Lai gan viņš pildīja arī partijas priekšsēdētāju funkciju, viņam trūka savā partijā tas izteikts atbalsts kā priekštecim. Šādi viņam bija ministru kabineta lielākas grūtības atrast atbalstu savām idejām pret kristīgiem demokrātiem aizsardzības ministru Volker Rühe un kanclera Helmut Kohl. Valdības vadītāja priekšplāna bija pēc Maastricht līguma ES tālāk integrēt, nevis paplašināt. Šāda politika bija arī svarīga Vācijas valdības uzticībai īpaši Francijā un Lielbritānijā (137f.).
Tomēr, pirmā delegācija brauca uz Baltijas valstīm uz reiz pēc neatkarības, jo pēc de factu neatkarības no Krievijas pateicoties Jelzina atbalstam arī Vācijai nebija vairs šķērsli atzīt Baltijas valstis. Uz vietas paziņoja jaunais ārlietu ministrs, ka Vācija būšot Baltijas advokāts, jo Vācijas valdība atzīšot Vācijas vaina sakarā ar Hilter Stalin Paktu. Šādi Baltijas valstis ļoti cerēja uz Vācijas atbalstu (141).

Vācijas ārpolitika un starptautiskās organizācijas
Sakarā ar tālākām pārmaiņām Eiropā mainījās starptautisko organizāciju lomas. EDSK pārtapa par organizāciju EDSO un Eiropas Padome sāka uzņemt bijušās PSRS republikas un satelītvalstis. Sarežģīti arī bija NATO nākotne pēc Aukstā Kara beigām. Kamēr Kohl negribēja kaitināt Krieviju, ko viņš uzskatīja par svarīgu partneru, Rühe negribēja redzēt pelēku drošības zonu aiz Vācijas austrumrobežas. Rühe gribēja Visegrád valstis uzņemt, kamēr ģeopolitiski Baltijas valstis nebija svarīgas (166ff.). Kinkel, savukārt, norādīja uz drošības problēmām tajās valstīs, kas paliktu aiz svītras un iespējamiem ar to saistītiem draudiem arī Vācijai (180f.).
Tomēr, Baltijas valstis pārvērtēja Vācijas ietekmi ES un NATO ietvaros iepretim tās lielumam pēc iedzīvotāju skaita un ekonomiskās nozīmes. Savukārt, vācu ietekme pašā Baltijā arī nebija liela, skatoties uz konfliktiem par krieviem un pilsonības jautājumiem. Īpaši Vācijas prese uztvēra krievu tautības Baltijas iedzīvotāju situāciju kritiski.
1992.g. ASV uzvarēja Bill Clinton prezidenta vēlēšanas. Viņa valdības politika raksturoja ideja, neatstāt jaunās demokrātijas Austrumeiropā aiz žogiem. Uz to reaģēt vajadzēja arī Kohl, kurš vēlējās šo procesu sinhronizēt, proti, veikt sarunas par iestāšanos ES un NATO ar visiem kandidātiem vienlaicīgi. Šādi, Baltijas valstis cerēja Vācijas atbalstu līdz ar NATO arī iekļūt ES.
Tomēr, Kohl nostāju pret Krieviju nebija īsti mainījusies un 1998.g vizītes laikā Maskavā viņš aicināja Baltiju risināt savus robežjautājumus ar Krieviju un brīdināja nediskriminēt savus krievu tautības iedzīvotājus. Dauchert uzskata, ka viņš šādi ignorēja, ka atslēga šiem jautājumiem esot bijusi tieši Maskavā, proti, autors uzskata konfliktos Krieviju par vainīgo pusi. Bet Vācija šādi atstāja Skandināvijai atbalstīt Baltijai, kas Somijas vadībā arī notika (265ff.). Līdzīgi ka ceļš uz Vācijas Baltijas valstu neatkarības atzīšanu, Kohl valdība mainīja savu attieksmi tikai pēc Krievijas valdības attieksmes maiņas. Kad Putin paziņoja, ka lai gan neredzot nepieciešamību Baltijas valstīm iestāties NATO, bet uzskatot to par Igaunijas, Latvijas un Lietuvas izvēli, Vācija piekrita NATO paplašināšanai Baltijā (271). Pēc Dauchert domām, neitrālo Zviedrijas un Somijas politiskās elites īstenībā vēlējās šādi pārliecināt par iestāšanos militāro aliansi savus iedzīvotājus.

“Vēstures beigām” beigas
Šādi beidzās 20.gs., ko Fukuyama aprakstīja kā vēstures beigām. Bet tad, kad uzņemšana ES un NATO palika par daudzmaz nolemtu lietu un pirms paplašināšana tika īstenota notika teroruzbrukums New York. 9/11 bija moments, kad Krievija un ASV cīņā pret terorismu atrada kopīgu valodu. Bet tā vienotība ātri beidzās ar ASV uzbrukumam Irākai. Austrumeiropas valstis, tajā skaitā Baltijas, piebiedrojās ASV, jo kongress nebija vēl ratificējis uzņemšanu NATO. Šādi izveidojas pēkšņi domstarpības starp ASV un jaunajām demokrātijām vienā pusē un Vāciju, Franciju un Krieviju otrajā pusē.
Šis jautājums, kā arī Kosovo atzīšana un Gruzijas karš 2008.g. apgrūtina komunikāciju gan NATO iekšienē kā arī kontaktā ar Krieviju. Daļēji šie jautājumi parādījās tikai pēc Dauchert grāmatas publicēšanas.

“Blakus ārpolitika”
Vācijas ārpolitiku pret Baltijas valstīm vēl ietekmēja Baltijas jūras krasta federālo zemju politika. 1992.g. Genscher un Dānijas ārlietu ministrs Uffe Ellemann-Jensen nodibināja pēc Schleswig-Holstein ministru prezidenta Björn Engholm ierosinājuma Baltijas Jūras Padomi. Bet šai padomei veltīja vēlāk maz uzmanību (281ff.) Mecklenburg-Vorpommern atvēra Igaunijas galvaspilsēta Tallinn pārstāvniecību, kura 2004.g. tika slēgta. Savukārt, Rīga darbojas ar citām organizācijām kopā cilvēks zinātnisko sadarbību veicināšanai.
Šādi var piekrist Dauchert izvirzītai tēze, ka Vācijas ārpolitikas virziens laikā posmā pēc Aukstā Kara beigām savā būtībā nav mainījies un Vācija līdz ar to pret Baltiju uzvedusies diezgan pasīvi. To par Baltijas valstu advokātu nosaukt nevar.
Pēc uzņemšanas gan NATO gan ES atkal pievērsa uzmanību Merkel, piemēram, klimatam. Un, protams, sakarā ar finanšu krīzi vispār kopš 2008.g. citi jautājumi ir priekšplānā. Merkel savas vizītes laikā 2010.g. septembrī Lietuvā izpauda Vācijas atbalstu jaunās atomenerģijas stacijas celšanai, ražošanas veids, kas vienlaicīgi Vācijas iekšpolitikā ir degpunktā un par ko preses konferencē Rīgā Merkel ar žurnālistiem runāja.

Freitag, 23. September 2011

Letten mißtrauen sich selbst

Dieser Text ist vor den außerordentlichen Parlamentswahlen entstanden.

Also über Politikverdrossenheit wird auch in den etablierten Demokratien Westeuropas seit so langer Zeit diskutiert, daß jeder Student jahrzehntealte Werke zum Thema in der Uni-Bibliothek finden kann. Mal heißt es Politik-, dann Parteien- oder Politikerverdrossenheit, was man wissenschaftlich mit verschiedenen Methoden auseinanderdröseln kann. Selten jedoch hinterfragt mal der Durchschnittsmensch seine eigenen Erwartungen an den Staat und seinen Beitrag zum Schlamassel.

Die Letten haben nun plakativ das Mißtrauen gegen sich selber geäußert, indem sie in einem Referendum am 23. Juli 2011 das von ihnen selbst erst am 2. Oktober 2010 (neun Monate und 21 Tage, die Zeit einer Schwangerschaft!) gewählte Parlament in die Wüste geschickt haben. Umfragen belegen nicht nur, daß viele Wähler so wie immer vor Wahlen in den vergangenen 20 Jahren nicht wissen, wen sie wählen sollen, sie zeigen auch, daß sowohl Referendumsmuffel – die eine Neuwahl meist für überflüssig hielten – als auch Befürworter der Entlassung des Parlamentes wenig Erwartungen in die Neuwahl setzen. Ein vom lettischen Radio interviewter Passant bringt es auf den Punkt: zunächst einmal müsse sich die Gesellschaft verändern.

Und so verwundert es auch wenig, daß, obwohl andere Passanten bekundeten, ausschließlich für neue Gesichter stimmen zu wollen, da die alten ihre Zeit in mehreren Parlamentszusammensetzungen abgesessen hätten, bei der anstehenden Neuwahl viele alte Gesichter wieder zur Wahl stehen – inklusive Ainārs Šlesers sogar als Spitzenkandidat seiner Partei, dessen von den Abgeordneten-Kollegen abgelehnte Immunitätsaufhebung der Grund für den historisch einmaligen Schritt des abgetreten Präsidenten Valdis Zatlers zur Parlamentsauflösung war.

Damit bleibt einstweilen und ziemlich sicher auch danach alles beim Alten. Der politische Diskurs verändert sich nicht. Der Bürgermeister von Ventspils, Aivars Lembergs, steht erneut als Chef der Exekutive zur Verfügung, weigert sich aber wie immer, sich in die Niederungen des politischen Alltags zu begeben und Abgeordneter zu werden.

Šlesers bemerkt zutreffend, daß sich die Menschen weniger für Wahlrechtsänderungen interessierten als für ihren Lebensstandard und sich die Politik deshalb genau darum zu kümmern habe, ohne zu erklären, warum er als langjähriger Minister in Regierungen saß, die dieses Ziel gewiß nicht als Priorität behandelt haben. Der Spitzenkandidat des Harmoniezentrums, Jānis Urbanovičs will auch erst einmal expressiv verbis für drei Jahre als Priorität den Lebensstandard heben, danach könne sich die Politik Fragen widmen, ob es nun eine Okkupation gegeben habe oder nicht.

Hintergrund ist die Forderung der Einigkeit nach den letzten Wahlen, das Harmoniezentrum müsse, um eine Zusammenarbeit in der Regierung möglich zu machen, die Okkupation anerkennen. Rigas Bürgermeister Nil Uschakow war ebenfalls kritisiert worden, daß er bei seinem Besuch im Museum dieses Namens gleich gegenüber des Rathauses diesen Begriff sich geweigert hatte in den Mund zu nehmen.

Die seit den letzten Wahlen nationalistischer gewordenen Nationalisten legen in Umfragen zu. Darüber freut sich Nationalist Raivis Dzintars, der ebenfalls mit dem alten Dauerbrenner in den Wahlkampf ziehen will, es müsse künftig ein Machtzentrum beim Präsidenten statt im Koalitionsausschuß gehen, will sagen, die Verfassung müsse geändert werden.

Mit anderen Worten, während Lettland und seine Bevölkerung unter den Folgen der Krise leidet, diskutieren die Politiker über Verfassung und Vergangenheit und versuchen, sich Pfründe und juristische Sicherheit zu erhalten. Es steht zu befürchten, daß die Wähler sich auch erneut für diese Positionen entscheiden werden.

Einziger Neuzugang im politischen Spektrum ist die Partei von Ex-Präsident Zatlers, der mit der Benennung seiner Partei als Zatlers Reformpartei unter Aufnahme seines Nachnamens sowohl schwer an den deutschen Joachim Siegerist mit seiner fragwürdigen Siegerist Partei erinnert, als auch bislang auf eine Festlegung in Fragen von Inhalten und Personal weitgehend verzichtet, was er in seinem weiterhin abgehackten Redestil gern in jedes Mikrophon rechtfertigt.

Ja, wahrscheinlich werden die lettischen Parteien wieder einmal nicht mit dem Harmoniezentrum koalieren wollen. Vermutlich sollte es für die Einigkeit mit Zatlers und den Nationalisten reichen, vielleicht aber auch in anderer Konstellation mit der Union aus Grünen und Bauern. Ohne letztere wäre allerdings ein positiver Aspekt anzumerken, es gäbe erstmalig keine Oligarchen mehr in der Regierung. Wie professionell jedoch Zatlers politische Genossen arbeiten werden, nachdem er einen in den 30ern stehenden Unternehmer als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten ausgerufen und einen Millionär für das Finanzministerium nominiert hat, bleibt ebenso ungewiß wie die Frage, wie die eher national denkende Bürgerliche Union innerhalb der Einigkeit mit den Nationalisten in einer allfälligen Regierung erneut in die nationale Frage über die sozio-ökonomische stellt.

Lettland hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren in der Öffentlichkeit vorwiegend mit der Vergangenheit statt mit der Zukunft beschäftigt, während im Hintergrund ganz andere politische Inhalte verfolgt wurden. Einstweilen deutet alles darauf hin, daß sich daran auch nach dem nächsten Urnengang nichts ändert. Sechs Monate sieht die Verfassung vor, ehe eine neuerliche Parlamentsauflösung möglich ist. Seit vergangenem Jahr kann dies auch das Volk allein mit einem Referendum anstrengen, den Präsidenten braucht es dazu nicht mehr. Mal sehen, wie lange die Letten dieses Mal Vertrauen in ihre eigene Entscheidung setzen.

Der Jurist Jānis Pleps erklärte, daß die Gesellschaft ihre Meinung, Politik sei ein schmutziges Geschäft, zügig ändern müsse. Politiker sei ein Job mit hoher Verantwortung, der enorme Kenntnisse verlange. Die negative Einstellung gegenüber der Politik in der Bevölkerung halte die kompetentesten Leute von einer politischen Karriere ab. Also Politikverdrossenheit als self-fulfillig prophecy. Und da steht Lettland dem Westen in nichts nach oder vor. Der aus der ehemaligen DDR stammende Politologe Dieter Segert gab seinem Sammelband über die Parteiensysteme Osteuropas bereits vor Jahren den Titel Osteuropa als Trendsetter.

Sonntag, 4. September 2011

Noch einmal Drambjan

Im August gab es in Estland einen Amoklauf im Verteidigungsministerium, der auch im Blog diskutiert wurde. Im Estland-Blog gab es eine Erörterung der unterschiedlichen Angaben in der Presse. Wikipedija ist sicher alles andere als eine sichere Quelle, aber es ist interessant zu sehen, daß unmittelbar nach den Ereignissen im August über den Täter ein Artikel eingestellt wurde, den es einstweilen auf Englisch, Estnisch und Finnisch gibt.

Die estnische Version bezeichnet Drambjan als Lokalpolitiker, Jurist und Terrorist, der das sowjetische Estland habe wieder herstellen wollen (sic!). Er stamme aus Armenien, seine Muttersprache sei jedoch Russisch. Er habe in Tartu und Kaliningrad studiert, sei geschieden und Vater zweier Töchter, von denen eine in Spanien lebt.

Drambjan habe als Anwalt 2007 Larissa Neštšadimova (estnische Transkription) von Ночной дозор (nächtliche Wache) verteidigt, die im Zusammenhang mit den Ausschreitungen wegen der Versetzung des bronzenen Soldaten angeklagt worden war, wurde aber später durch einen “fähigeren”, der Landessprache mächtigen anderen Juristen ersetzt. Wie gut er sich im estnischen Recht nach der Unabhängigkeit auskannte, wurde bislang weder von der Presse noch von Wikipedija erwähnt.

Drambjan gehörte eine Weile der inzwischen im Parlament nicht mehr vertretenen Volksunion an, die mehrfach mutierte Partei des ehemaligen Präsidenten Arnold Rüütel. Darüber hinaus war er aktiv in der Splitterbewegung Konstitutionspartei sowie in der Vereinigten Linkspartei, der heute bedeutungslosen Nachfolgeorganisation der Kommunisten Estlands. Der gebürtige Armenier hatte nach 1999 für die Liste “Zukunft Maardus” im Stadtrat von Maardu gesessen, war aber mit jeweils 45 und 23 Stimmen als Kandidat der Volksunion und der Linkspartei angehörender Einzelkandidat später nicht erneut gewählt worden. Für die Konstitutionspartei hatte er 2007 auch erfolglos versucht, im Wahlkreis Tallinn-Piritia ins nationale Parlament zu gelangen.

Der Beitrag in Wikipedija diskutiert ebenfalls, daß von politischer Seite nach dem Anschlag in Tallinn der Vergleich zum Amoklauf in Norwegen gezogen wurde und das Psychologen der Ansicht sind, Drambjan habe es lediglich an Aufmerksamkeit gefehlt, sein Tot wäre somit vermeidbar gewesen. Zu den Motiven wird auch hier spekuliert über die schwierige Lebensituation des Verstorbenen, der seine Kanzlei wegen mangelnde Kenntnisse der Landessprache hatte schließen, Wohnung, Sommerhaus und Auto verkaufen müssen und bei Freunden lebte und später einen Schlafplatz in Lasnamäe gemietet habe.

Wer laut wird, hat Recht oder Zufallsgenerator an die Wahlurnen!

In Lettland hat jüngst der Vertreter einer Splitterpartei eine live übertragene Diskussion von Kandidaten zur vorgezogenen, außerordentlichen Parlamentswahl gestört. Der Mann fiel zunächst mit einigen Anhängern sowohl vor Beginn der Sendung als auch während der Übertragung durch laute Kommentare und pfeifen auf und wurde von den Moderatoren um mehr Disziplin gebeten. Auf diese Aufforderung reagierten die Angesprochenen jedoch nicht. Während der eine die Veranstaltung zu stören versuchte, wurde das Geschehen von einem anderen gefilmt. Ein Beteiligter reagierte während einer Werbeunterbrechung auch auf weitere Bitten selbst des Publikums nicht, sondern stürmte auf die Bühne. Er überschüttete die Kandidaten Augsust Brigmanis von der Union aus Grünen und Bauern und den Vertreter von „Alles für Lettland!“, Imants Parādnieks mit Wasser und wurde von der Polizei verhaftet.

Der während der Sendung in Bauska verhaftete Dainis Grabovskis behauptet nun, er habe nicht persönliche Aufmerksamkeit erregen wollen, sondern verlange gleiches Recht für alle. Er kandidiert für die Partei „Volkskontrolle“ und ist führendes Mitglied eines Vereins von Globalisierungsgegnern und wollte in der Funktion als Kandidat ebenfalls an der Fernsehdebatte teilnehmen dürfen. Es sei unfair, daß nur die großen Parteien zu solchen Sendungen geladen würden. Auf der Bühne stünden die Vertreter von im Parlament vertretenen Parteien, die im Juli durch Referendum entlassen worden seien, aber neue politische Kräfte, die angetreten seien, etwas im Lande zu verändern, erhielten keine Chance.

Grabovskis wird minderschweres Randalieren vorgeworfen, ihm droht eine Geldstrafe im „Wert“ von 15 Tagen Haft. Der Festgenommene stand nicht unter Alkoholeinfluß.

Armands Agrums von den Christdemokraten kritisierte im lettischen Radio zwar die Methoden von Grabovskis, stützt aber dessen Meinung, daß kleine Parteien weniger Möglichkeiten zur Darstellung in den Medien erhielten. Das Fernsehen sei schließlich kein Privatunternehmen und werde von den Steuern finanziert, die alle zahlten. Er meint, gegebenenfalls könnten sich dann ja die kleinen politischen Kräfte auch als die schlechtere Alternative präsentieren. Kaspars Lazdāns von der Partei Freiheit, frei von Mehrwertsteuer, Haß und Wut und pflichtet dem ebenfalls bei, es müsse eigentlich Gleichheit herrschen, doch die Umfragewerte „sortierten“ schließlich die Parteien. Das lettische Fernsehen rechtfertigt sich mit dem Argument, Debatten mit zu vielen Teilnehmern seien für den Zuschauer langweilig.

Der Jura-Dozent der Universität Lettlands, Dr. Artūrs Kučs, sagte dem lettischen Radio ebenfalls, daß die öffentlichen Medien in Lettland auf diese Weise die Prinzipien der Verfassung mißachteten. Die Wähler hätten ein Recht darauf, auch auf die Meinung der Splitterparteien zu hören. Sein Vorschlag, das Prinzip, allen eine Chance zu geben und die Zahl der Debattenteilnehmer gleichzeitig zu begrenzen: Bei den Einladungen sollte das Fernsehen das Zufallsprinzip anwenden.

Der Mann sollte noch einmal eine Stunde Mathematik, Wahrscheinlichkeitsrechnung nachholen. Auf diese Art und Weise könnte es erstens zu Debatten nur zwischen Splitterparteien kommen und in Umfragen an der Spitze stehende Parteien total ausgeschlossen werden. Bei 6 aus 49 ist die Wahrscheinlichkeit, daß mehrfach die gleiche Kombination entsteht nicht kleiner als die, daß die gleiche Zahl kein zweites Mal gezogen wird. Das öffentliche Fernsehen darf, auch wenn es von allen finanziert wird, nicht das Interesse der Zuschauer ignorieren. Eine Mehrheit der Zuschauer hat auch die Mehrheit der Finanzierung geleistet. Freilich soll an dieser in keiner Weise einer in Lettland verbreiteten Meinung das Wort geredet werden, Demokratie sei die Diktatur der Mehrheit.

Dienstag, 30. August 2011

Ilves wiedergewählt – Estlands Stabilität

Erst im März hat Estland ein neues Parlament gewählt, in dem erst mal nur vier Parteien sitzen und derer nur zwei die Regierungskoalition bilden. Nun hat das Parlament erstmals seit der Unabhängigkeit gleich im ersten Wahlgang einen Präsidenten gewählt.

In den vergangenen 20 Jahren war ungeachtet selbst der Popularität von Lennart Meri, der in der außerverfassungsmäßigen Volkswahl von 1992 sogar beinahe dem kommunistischen Kader Arnold Rüütel unterlegen wäre, niemals gelungen, die erforderliche zwei Drittel-Mehrheit im Parlament zu erringen, immer mußte der Wahlausschuß unter Beteiligung der Kommunalabgeordneten zusammengerufen werden, der noch 2001 selbigen Arnold Rüütel entgegen einer konservativen Mehrheit im Parlament ins Amt gebracht hatte.

Toomas Hendrik Ilves ist trotzdem ein problematischer Politiker. Er ist ein aus Amerika heimgekehrter Exilant, der in den 90er Jahren zwei Mal Außenminister war und und sich in dieser Zeit wiederholt gegen die Bezeichnung Estlands als post-kommunistischer Staat gewandt, dessen nordeuropäische Rolle betont hatte. Ilves ist mit einer deutlich jüngeren Frau verheiratet, die in Estland für kopfschütteln sorgt.
Seine Wiederwahl sicherte nun der Umstand, daß die beiden Regierungsparteien Reformpartei und Vaterlandsunion hinter ihm standen und natürlich auch seine politische Heimat, die oppositionellen nur bedingt sozialdemokratischen Sozialdemokraten. Von diesen Fraktionen fehlten ihm trotzdem zwei Stimmen. Gegenkandidat war der Entertainer Indrek Tarand, der als parteiloser Kandidat 2009 bei den Europawahlen mit einem Rekordresultat gewählt worden war. Tarand war außerdem Berater des früheren Außenministers Ilves. Die oppositionelle und politisch regelmäßig isolierte Zentrumspartei des Tallinner Bürgermeisters Edgar Savisaar hatte lediglich keine andere Persönlichkeit zu nominieren.

Kalvītis: Soros klassischer Oligarch

Der ehemalige Ministerpräsident der Volkspartei, Aigars Kalvītis hat jetzt der Zeitung Latvijas Avīze gegenüber erklärt, in Lettland gäbe es keine Oligarchen.

Die Definition solcher Personen sei aus dem russischen übernommen und es handele es sich um Menschen mit ökonomischer Macht und solcher über die Medien. Ein typisches Beispiel dafür sei Georg Soros, der sowohl Währungen als auch Finanzmärkte kontrolliere. Auf die Frage, ob Ainārs Šlesers, Aivars Lembergs und Andris Šķēle, die in Lettland gemeinhin als Oligarchen tituliert werden, silche seien, billigt Kalvītis den genannten eine entsprechende Macht nicht zu, diese kontrollierten nicht „alle Prozesse“. Selbst bei der Union aus Grünen und Bauern gäbe es viele Meinungen und Lembergs kontrolliere diese Partei nicht. Šlesers wiederum könne man mit Lembergs und Šķēle nicht vergleichen, ihm gefalle es vielleicht, als dritter Oligarch bezeichnet zu werden, doch sein Einlfuß auf Wirtschaft und Medien sei nicht so groß. Kalvītis meint, Oligarchen gäbe es in Lettland nicht, diese Bezeichnung werde nur herangezogen für Personen, die alle kennten und eine wichtige Rolle in der „öffentlichen Politik“ (sic!) spielten, doch als „klassische Oligarchen (sic!) könnte man diese nicht bezeichnen. (Latvijas Avīze)

Montag, 29. August 2011

Lettland vor der Wahl: Zweifel der Oligarchen an sich selbst?

Lettland wählt im September außerplanmäßig ein neues Parlament, nachdem der letzte Urnengang nicht einmal ein Jahr zurück liegt. Ex-Präsident Valdis Zatlers hatte im Zweifel über seine Wiederwahl und vorgeblichem Zorn über den Schulterschluß der Angeordneten mit einem Oligarchen dem Volk die Möglichkeit zur Entlassung des Parlamentes vorgelegt, was die Wähler nur neun Monate nach ihrer vorherigen Entscheidung akzeptierten.

Zatlers begründete seinen Schritt mit dem großen Einfluß außerhalb des Parlament befindlicher Personen – der Oligarchen. Ein nur bedingt zutreffender Vorwurf, war doch der Anlaß für sein Handeln die Verweigerung des Parlamentes, die Immunität eines Abgeordneten aufzuheben, der als einer von drei wichtigen Oligarchen gilt, also nicht außerhalb der Politik steht – und stand. So argumentiert Ainārs Šlesers auch, er habe über all die Jahre immer ein Mandat des Volkes gehabt. Zatlers ist seiner Meinung nach ein Beispiel für den Zynismus im Lande. Vier Jahre lang habe dieser auf Staatskosten gemeinsam mit Lembergs, einem weiteren der namentlich Angegriffenen, gegessen, um nach seiner verfehlten Wiederwahl plötzlich irgendwelche Sündenböcke zu suchen. Gemeinsam mit Lembergs wirft er Zatlers vor, was dieser nun vier Jahre lang in der Rigaer Burg gemacht habe.

Eine kurze Straßenumfrage des lettischen Radios ergab ebenfalls, daß der Kampf gegen die Oligarchen bei den Wählern nicht oben auf der Liste steht. Alle erklärten, die Wirtschaft und die soziale Situation seien entschieden wichtiger. Viele Menschen sind auch der Ansicht, daß die Frage der Oligarchen vor den Wahlen künstlich aufgebläht würde.

Generell interessiert sich ethnisch lettische Wähler für das Thema mehr als die Russen. Interessant auch, daß Ainārs Šlesers selbst im Wahlkampf 1998 gegen die Oligarchen agitierte und 2002 mit der Neuen Zeit eine Saubermann-Partei erschien, die das Thema für sich beanspruchte. Während der sogenannten „fetten Jahre“ 2006 interessierte sich wiederum niemand für die Frage der Korruption. Dies waren auch die einzigen Wahlen in Lettland seit der Unabhängigkeit, zu der keine neue politische Kraft antrat. Bei der damaligen Wahl hatten zwei Listen die gesetzlich vorgeschriebene Höchstgrenze für Wahlausgaben überschritten, zwei politische Kräfte, die anschließend gemeinsam die Regierung bildeten. Juristisch wurde dieser Verstoß zwar 2008 vom Verfassungsgericht konstatiert, hatte aber keine politischen Folgen mit Ausnahme der sogenannten Regenschirmrevolution im Herbst 2007, ein halbes Jahr nach Amtsantritt von Valdis Zalters als Präsident, der damals „im Zoo“ von den Oligarchen selbst aus dem Hut gezaubert worden war.

Wie die Wahlen im nächsten Monat ausgehen werden, traut sich kaum jemand zu prognostizieren. Schon nach der Regenschirmrevolution waren außerordentliche Wahlen von einigen Experten verlangt worden nicht zuletzt wegen der fraglichen Verfassungsmäßigkeit des Urnenganges. Präsident Zatlers machte aber von seinem Recht eben erst jetzt zum Ende seiner Amtszeit Gebrauch und bietet den Wählern nach gescheiterter Wiederwahl eine eigene politische Alternative an. Einstweilen billigen Umfragen dem Harmoniezentrum 18% und der Zalters Reformpartei 17% zu. Die Wahlsiegerin vom letzten Jahr, die Einigkeit des Regierungschefs Valdis Dombrovskis muß federn lassen und liegt bei nur 10% gefolgt von den Nationalisten mit gut 7% sowie der Union aus Grünen und Bauern mit rund 8%. Die Partei Lebmbergs steht damit erstmalig überraschend schlecht da und leidet wohl wie die Einigkeit unter dem Malus der Regierungsverantwortung. Da Zalters kategorisch abgelehnt hat, mit Oligarchen zu koalieren, dürfte ein Pakt mit den Grünen und Bauern ausgeschlossen sein. Die lettischen Wähler sind wohl für ein Bündnis der „sauberen“ Parteien mit den Russen noch nicht bereit. Damit läuft unabhängig von den genauen Kräfteverhältnissen alles auf eine Koalition der Einigkeit mit Zatlers und den Nationalisten hinaus, ggf. auch ohne sie, wenn es für eine Mehrheit reichte. Damit zöge eine neue politische Kraft an die Macht, die sich im politischen Alltag unerfahren vermutlich aufreiben wird.

Lettisches Absurdum: Einbürgerung zwecks Auswanderung

Lettland hatte sich wie Estland nach der Unabhängigkeit 1991 entschieden, den während der Sowjetzeit zugewanderten Menschen die Staatsbürgerschaft der Wiederhergestellten Staaten nicht automatisch zuzugestehen, eine Einbürgerung ist erforderlich nach Sprach- und Geschichtstest.

Das Interesse an der Einbürgerung war in Lettland nach dem Beitritt zur EU vorübergehend zehn Mal größer als gegenwärtig, erklären die Behörden in Daugavpils, der zweitgrößten Stadt des Landes im Südosten mit besonders hohem Anteil ethnischer Russen. Derzeit kämen nur etwa zehn Personen am Tag, um sich nach den Möglichkeiten zu erkundigen. Die Gründe für das Interesse an einer Einbürgerung seien verschieden: Teilnahme an Wahlen aber eben auch der Wunsch, einen Arbeitsplatz in einem anderen EU-Land zu finden. Unter den Interessenten sind Vertreter aller Altergruppen, manche sind Anfang 20, andere bereits Rentner.

Der junge Igor etwa sagt, er habe die neunte Klasse beendet, also nach lettischen Verständnis eine Grundausbildung erhalten, so etwas wie ein Hauptschulabschluß, in Riga und anderswo gearbeitet, jetzt aber gäbe es nirgends Angebote mit einer vernünftigen Bezahlung. Also wolle er sich einbürgern lassen, um anschließend so schnell wie möglich Lettland den Rücke zu kehren. Das größte Hindernis für den jungen Mann sind seine schlechten Lettisch-Kenntnisse, aus diesem Grunde lerne er derzeit fleißig.

Die befragten Rentnerinnen sagten, sie lebten seit 1969 in Lettland und hätten sich ja schon lange einbürgern lassen, aber wie bei Igor liegen die Schwierigkeiten bei der Sprache. Schade sei es, daß es keine gratis Kurse mehr gebe. Im Grunde würden die Russen ja gerne Lettisch lernen, aber es fehlten die Möglichkeiten. Im Ausland, so die Dame, würde sogar dafür gezahlt, daß eine Sprache erlernt werde. 20 Lat sei für viele viel Geld. Wesentlicher Grund für den Wunsch auf Einbürgerung sei, daß sie einerseits zwar Steuern zahlten, aber den politischen Prozeß nicht beeinflussen könnten.

In Lettland gibt es nach offiziellen Angaben derzeit noch etwa 350.000 Menschen, die den sogenannten Nicht-Bürger-Paß haben. Sie sind ständige Einwohner des Landes mit Staatsbürgern weitgehend gleichgestellten Möglichkeiten, die jedoch kein Wahlrecht haben, dafür aber nach Rußland visumsfrei reisen. Auch dies ein Grund dafür, daß viele dieser Menschen die Einbürgerung nicht anstreben.

Donnerstag, 18. August 2011

Dudajew und Bin Laden

An den Tschetschenenführer Dudajew erinnert sich in Deutschland wohl eher selten jemand. Das ist im Baltikum ganz anders. Der später von den Regierungen der Russischen Föderation als Terrorist dargestellte Mann war in der Sowjetzeit Kommandant des Militärflughafens im estnischen Tartu. An diese Kommandantur erinnert am heutigen Barclay-Hotel eine Gedenktafel. Warum? Dudajew hatte während der singenden Revolution in Estland, an die das letzte Auslandsjournal des ZDFs erinnerte dazu beigetragen, daß die sowjetische Armee nicht eingriff.

Damit nicht genug! Die erste Regierung Mart Laar stürzte 1994, also nach der Unabhängigkeit, über eine Verschwörung mit den Tschetschenen. Die Esten hatten nämlich ihre bei der Nationalbank gelagerten Rubel nicht wie gefordert an Moskau zurückgegeben, sondern über Mittelsmänner nach Grosny transferiert, wo dieses Geld vermutlich für Waffen investiert wurde.

Die Logik hinter diesem Vorgehen? Dudajew hatte sich nicht gegen die Unabhängigkeit des Baltikums von der Sowjetunion gestellt und da wollten sich die Betroffenen in der Gegnerschaft der Tschetschenen gegen die Russische Föderation nicht lumpen lassen. Und die für Westeuropäer zunächst überraschende Unterstützung für das kaukasische Volk drückt sich auch in einer nach Dudajew benannten Straße im lettischen Riga aus. Die Straße heißt zwar Allee, ist aber eine eher kleine Straße weit abseits des Zentrums am Ende von Purvciems.

Nunmehr gibt es neuerlich eine Diskussion über diesen Namen, den es erst seit einem guten Jahrzehnt gibt. Im Radio äußert sich eine russisch sprechende Anwohnerin gleichgültig, während ein Lette von seinem letzten Besuch in Moskau berichtet, wo man nicht fassen konnte, daß der Mann ernsthaft vorgab, in der Dudajew Allee zu wohnen. Da könne man ja gleich eine Straße nach Bin Laden benennen. Die Russin gibt jedoch zu, daß viele Nachbarn einen anderen Namen lieber sähen, während ein zweiter Lette den Namen unterstützt.

Der seit zwei Jahren amtierende russischstämmige Bürgermeister von Riga, Nil Uschkow, würde den Namen gerne ändern, doch das läßt sich gegen den Rat für Denkmäler nur schwer durchsetzen.

Mittwoch, 17. August 2011

Amokläufer nun auch für die Esten

Am 11. August überfiel ein Mann das estnische Verteidigungsministerium. Wie sich bald herausstellte, handelte es sich um den aus Armenien stammenden Karen Drambjan, der sich im Anschluß selbst richtete.

Der Mann war bereits in diesem Frühjahr den Behörden aufgefallen, als er im Streit mit einem Nachbarn ein auf sich registriertes Barett gegen die Wand gehalten hatte. Der russische Ombudsmann Sergej Sederenko erinnert sich, daß er das Einschußloch gesehen habe. Damals hatte aber niemand mehr auf diesen Vorfall gegeben. Der Ombudsmann, der den Schützen persönlich gekannt hat, erinnert sich an das Jahr 2007. Im Zusammenhang mit dem Konflikt um die Versetzung des Bronzesoldaten, was damals zu mehrtägigen Ausschreitungen geführt hatte, habe der Armenier gedroht, er werde notfalls auch bewaffnet auf den Tõnismägi ziehen, um den Aljoscha zu schützen, was viele gehört hätten. Sederenko fügt hinzu, daß Drambjan weder verrückt noch dumm gewesen sei, sondern einfach eine schwere Zeit gehabt habe. Jetzt hülfen den Mitarbeitern des Verteidigungsministeriums Psychologen, aber wo sei die Hilfe für Drambjan gewesen, als dieser sie genötigt habe, fragt er. Die Sicherheitsbehörden lögen, wenn sie nun behaupteten, der Schütze sei schon vorher in ihrem Fadenkreuz des Interesses gewesen. Ein Freund des Täter bestätigt gegenüber der Presse diese Informationen. Niemand habe geglaubt, daß Drambjan einen Angriff startet, dies sei aber die Reaktion eines emotionalen Menschen auf die ihm zugefügten Ungerechtigkeiten gewesen.

Keine der beiden zitierten Personen erwähnt jedoch, was der Täter erlitten haben soll und durch wen, wieso das Ziel des Angriffs ausgerechnet das Verteidigungsministerium wurde. Es heißt nur, daß Drambjan zu viel freie Zeit gehabt habe, weil sein Anwaltsbüro wegen seiner fehlenden Estnisch-Kenntnisse weitgehend unbeschäftigt war und er dadurch auch noch seine Wohnung in Maardu bei Tallinn verlor, für welche er einen Kredit ausgenommen hatte. Sein Vater sei wohl Professor in Moskau gewesen und er selbst ein heißblütiger Armene mit osteuropäischen Lebensgewohnheiten, der nicht einmal um Hilfe gebeten habe, als er wegen mangelnder Einnahmen hungerte.

Donnerstag, 21. Juli 2011

Glanz und Elend der vierten Gewalt in Lettland

Ein persönlicher Absatz sei vorweg erlaubt: Als der Autor dieser Zeilen begann, Lettisch zu lernen, stellte sich zügig ein gewisses Unverständnis ein, warum es so schwierig ist, eine Zeitung zu lesen. Erst später mit zunehmender Sprachkompetenz wurde erkennbar, daß die meisten Beiträge extrem unstrukturiert waren. Abgesehen von der Lauyout-Krankheit, fast jeden Artikel, wenn auch nur mit wenigen Zeilen, auf der ersten Seite beginnen zu lassen, um ihn dann auf einer der folgenden Seiten fortzusetzen – was eine optische Erkennung der Wichtigkeit des Themas sozusagen verunmöglicht – wurde bald verstanden, daß eben nicht im ersten Absatz auf die Fragen, „wer, wann, was?“ und schließlich auf wo und warum geantwortet wurde, die Struktur der Sätze glich eher einem Palaver beim Bier, was ebenfalls nicht ausschloß, daß ein und derselbe Satz bis zu drei Mal in ein und dem gleichen Artikel zu finden war.

Probleme hat seit vielen Jahren auch das lettische Fernsehen vor allem wegen des allgegenwärtigen Geldmangels. Ein großer Teil des dringend nach Renovierung rufenden Gebäudes auf der Insel Zaķusala (Hasenholm) in Riga ist aus diesem Grund vermietet. Es gibt keine Rundfunkgebühren, das Fernsehen ist staatsfinanziert mit allen Konsequenzen für Vorwürfe der Einflußnahme.

Die Situation beim lettischen Radio ist geradezu noch schlimmer. Während der Finanzkrise wurde wegen Finanzierungsproblemen ernsthaft seine Schließung diskutiert.

Nun kam es beim lettischen Radio zu einem kleinen Eklat. Justizminister Aigars Štokenbergs war zum Interview geladen. Das Thema war der Kampf gegen die Schattenwirtschaft. Nachdem die fragende Journalistin nicht aufgeben wollte, den Minister danach zu fragen, wie er die wahren Nutznießer irgendwelcher Aktien der lettischen Luftfahrtgesellschaft Air Baltic etwa auf den Cayman Inseln ermitteln wollte, sagte dieser, das Gespräch mache keinen Sinn mehr und verließ das Studio.

Während des elfminütigen Interviews wird schnell klar, daß die fragende Journalistin nicht über die geringsten juristischen Kenntnisse verfügt, nicht in der Lage ist zu unterscheiden zwischen Ermittlungen in internationalen Kriminalfällen und der Verfolgung von Steuerhinterziehung oder auch zwischen deklarierten Einnahmen eines Unternehmens und den beim Unternehmensregister eingetragenen Eigentümern desselben.

Andererseits tat sich Štokenbergs auch selbst schwer, bestimmte Sachverhalte zu erklären. Zunächst einmal geht es um eine Novelle des Unternehmensgesetzes, daß künftig helfen soll, fiktive Überweisungen zwischen verschiedenen Parteien, hinter denen eigentlich keine geschäftliche Aktivität steht, aufzudecken und damit der Steuerhinterziehung auf die Spur zu kommen. Wenn Štokenbergs also im Interview nicht mehr sagt als „glauben Sie mir, wir haben unsere Mechanismen, diese fiktiven Verbindungen zu erkennen“, klingt das eher ausweichend. Wichtig wäre an dieser Stelle gewesen, die Mechanismen in möglichst einfachen Worten zu erklären, also, welche Geldbewegungen mit dem neuen Gesetz erkannt werden können, die dann wiederum Verdachtsmomente begründen, mit anderen Mechanismen weitere Untersuchungen einzuleiten.

Und dann begeht Štokenbergs noch einen Kardinalfehler: nachdem die Journalistin erneut wissen will, wie eine Novelle des Unternehmensgesetzes, das ja nun vorgesehen ist, Geldströme inländischer Akteure zu erkennen, es Lettland ermöglichen soll, in einem Offshore-Land nach den wahren Nutznießern zu fragen – ein Unterschied, den der Justizminister gerade erklärt hatte – zieht dieser als Beispiel ausgerechnet die erwähnte Air Baltic heran. Dieses Unternehmen und sein deutscher Chef Bertold Flick befinden sich seit Jahren regelmäßig mit verschiedenen Skandalen im Fokus der Aufmerksamkeit, nicht jedoch unter dem Verdacht der Förderung der Schattenwirtschaft.

Jetzt will die Radio-Reporterin plötzlich ganz generell wissen, wer die Nutznießenden der Dividenden der Air Baltic Aktien sind. Der Minister kann natürlich nur antworten, daß dies im Rahmen eines Kriminalprozesses möglich wäre. In diesem Moment beißt sich die Journalistin komplett an einer Verschwörungstheorie fest, Aktionäre dieser Gesellschaft müßten überführt werden. Während Štokenbergs ist schon längst wieder zu allgemeinen Antworten zurückgekehrt ist, spricht die Journalistin von „einem“ Unternehmen. Der Minister fragt, welches sie meint, und die beruft sich auf das vom Minister selbst genannte Beispiel: die Air Baltic.

Mit einem Wort: der Minister ist nicht in der Lage für nicht-Ökonomen und nicht-Juristen, den Sachverhalt in einfachen Worten zu erklären und die Journalistin ist mit dem Thema absolut überfordert.

Štokenbergs verläßt das Studio, als die Journalistin konkret fragt, wie die Schattenwirtschaft bekämpft werde, wenn geklärt sei, daß ein Staatsbürger der Niederlande die Aktien halte. Štokenbergs antwortet, wenn dieser im Gefängnis sitze. Daraufhin will die Journalistin aber wissen, wie der denn dahin komme ...

Vergangenheitsbewältigung auf Lettisch

Lettland geriet in Westeuropa und vor allem in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder in die Schlagzeilen wegen der alljährlichen Parade der Veteranen der Waffen-SS. Das Thema ist ein mit Fettnäpfchen übersätes heißes Eisen, auf das rein deutsch nur von der Schreckensherrschaft Hitlers ausgehend zu schauen, gewiß zu kurz greift.

Doch während des Krieges handelte es sich um Ereignisse unter Einfluß fremder Mächte. Daneben gibt es in Lettland auch ureigenst lettische historische Themen, die einer gesellschaftlichen Diskussion harren.

Nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion wurde im Zentrum von Riga an der Kreuzung von Raiņa bulvāris und Valdemāra iela Präsident Kārlis Ulmanis ein Denkmal gesetzt. Diese historische Figur genießt im lande viel Ansehen, obwohl sie aus einem demokratischen Blickwinkel kritisch zu betrachten wäre.

Da sind zunächst einmal seine Taten, die jenen von Politikern in anderen europäischen Ländern gleichen. Der vormalige Ministerpräsident Ulmanis putschte sich 1934 an die Macht, löste das Parlament ersatzlos auf und verbot schließlich die Parteien. Das Land wurde durch ein obligatorisches System der Beteiligung mehr oder weniger gleichgeschaltet und mit Abrissen und Neubauten in der mittelalterlichen Altstadt von Riga viel historisch-hanseatisches zerstört.

Neben dieser Politik steht aber noch eine Formalie. Staatspräsident Alberts Kviesis war zum Zeitpunkt des Putsches gewählt bis 1936. Er blieb zurückhaltend und auch so lange im Amt. Danach proklamierte sich Ulmanis als Führer und Präsident, das heißt, formal auf dem Boden der Verfassung von 1922, die 1993 reaktiviert worden ist, war Kārlis Ulmanis nie Präsident der Republik Lettland.

Die Politologen der Stradiņš Universität in Riga, Veiko Spolītis und Andris Sprūds hatten schon vor Jahren einen Leserbrief an die wichtigste Tageszeitung des Landes, diena, geschrieben, und kritisiert, daß selbst in einem liberalen Blatt die Journalisten Ulmanis in ihren Artikeln als Präsident bezeichnen. Nun haben die beiden einen neuen Vorstoß unternommen und angeregt, das Porträt des „Diktators“ der 30er Jahre von der Ahnentafel in der Rigaer Burg, dem Amtssitz des Präsidenten, zu entfernen.

Der Schritt ist mutig, denn Ulmanis ist im kollektiven Gedächtnis der Letten positiv verankert. Er beendete die zeit einer turbulenten Demokratie und unter seiner Regierung nahm die Wirtschaft einen Aufschwung, der für viele Letten mit Wohlstand verbunden war. Sogleich wandten sich die Leser der konservativen Lettlands Zeitung besorgt an die Redaktion und verlangten eine Erklärung. Journalisten dieses Blattes fragten daraufhin in der Universität der beiden Politologen nach, erhielten jedoch eher ausweichende Antworten. Wenn die beiden Wissenschaftler auch formal im Recht sind, so bleibt doch Kritik an Ulmanis unerwünscht. Rektor Jānis Vētra erklärte beispielsweise, wenn man die Porträts von Politikern aus der Galerie nehmen müsse wegen ihrer Neigung zur Selbstauszeichnung, dann gehöre auch jenes von Ministerpräsident Aigars Kalvītis wegen seines Verhaltens nicht mehr in die Staatskanzlei. Kalvītis war von 2004 bis 2007 Regierungschef während der in Lettland als fette Jahre bezeichneten Zeit nach dem Beitritt zur EU. Dekan Andrejs Vilks argumentiert, daß man nicht umsonst die Ära des genannten Politiker als die Ulmanis-Zeit bezeichne, die als licht und erfolgreich und das Selbstbewußtsein der Nation hebend im Gedächtnis geblieben sei.

Ex-Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga hatte in ihrer Amtszeit Ulmanis als Politiker gewürdigt, der nicht im eigenen, sondern im Interesse des Staates unter widrigen außenpolitischen Umstände gewirkt habe. Zur Eröffnung der 9. Saeima 2006 jedoch sprach sie von Ulmanis als einem Mann, der den politischen Disput an sich negiert und die Legitimität und Würde des Parlamentes in den Dreck gezogen habe, und diese negative Einstellung gegenüber demokratischen Prozessen habe sich bis in die Sowjetzeit hineingezogen.

Es ist nicht zu vermuten, Daß Spolītis und Sprūds Erfolg haben werden. Vielleicht aber kommt der Tag einer kritischen Diskussion über die historische Figur Ulmanis, die hinerfragt, ob Ulmanis für die ihm zugeschriebenen positiven Aspekte überhaupt wirklich verantwortlich ist. Mehr hinter vorgehaltener Hand wird schon einmal zugegeben, daß Ulmanis sich 1940 kampflos der sowjetischen Okkupation unterworfen hat. Sein berühmter Satz lautete damals: „Sie bleiben an ihrem Platz, ich an meinem“. Im Gegenteil zu den Finnen, die im Winterkrieg 1940 nur Karelien, nicht aber ihre Unabhängigkeit verloren, konnten sich die baltischen Republiken nicht einigen, Ein wichtiger Konflikt war die Vilnius-Frage. Polen hatte die litauische Hauptstadt nach dem Ersten Weltkrieg besetzt, weshalb diese beiden Staaten zu keiner Einigung kamen, während Estland und Lettland Polen mit ins Boot hatten holen wollen.

Freitag, 15. Juli 2011

Und sie sind doch verschieden

Das estnische Parlament Riigikogu setzt sich seit den letzten Wahlen im März dieses Jahres aus historisch wenigen nur noch vier Fraktionen zusammen und könnte so als konsolidiert bezeichnet werden. Doch Spaltungstendenzen treten zunehmend zu Tage.

Nachdem im letzten Jahrzehnt mit der Res Publica eine Saubermannpartei gegründet worden war für Enttäuschte der bisherigen Politik, deren Notwendigkeit von den einen angezweifelt wurde, während sich der angesehene Politologe rein Taagepera sogar zum Gründungsvorsitzenden wählen ließ, übernahm die Partei die Regierung später mit wenig Erfolg. Es folgte die Vereinigung mit der konservativen Vaterlandsunion.

Die alten „Seilschaften“ der Parteien existieren jedoch noch und viele ehemalige Vaterlandspolitiker sind enttäuscht, daß die Res Publica ihre Partei faktisch übernommen hätte, alle wichtigen Funktionen nicht von ehemaligen Vaterlandskollegen, der sogenannten Pullover-Fraktion, übernommen würden. Der ehemalige Regierungschef Mart Laar sei nur Verteidigungsminister. Die Unzufriedenen treffen sich wöchentlich als c`est la vie Gruppe und haben eine eigene Mailingliste.

Der estnische Politolge Rein Toomla ist der Ansicht, daß auch der Wähler zu den nächsten Kommunalwahlen möglicherweise nicht nur vier aussichtsreiche Parteien sehen will und meint, daß eine Abspaltung der Pullover-Fraktion und eine neue Partei diesen politischen Kräften sogar einen Stimmenzuwachs bescheren könnte. Die Anhänger des Flügels selbst wollen die Regierungskoalition nicht gefährden, das, so heißt es, sei völlig überflüssig. Als Problem sehen sie dabei weniger, genug Personen zur Parteigründung zu motivieren, es mangele vielmehr an Geld, sechs Millionen Euro seien erforderlich.

Probleme gibt es aber auch in anderen Parteien. Das efant terrible der estnischen Politik, Edgar Savisaar, der seit einigen Jahren Bürgermeister von Tallinn ist, wird wohl demnächst auf dem Parteitag seiner Zentrumspartei zum Vorsitzenden wiedergewählt, doch nicht ohne Widerspruch auch in den eigenen Reihen.

Ein weiterer Stein des Anstoßes könnte eine mögliche Kandidatur des Europaabgeordneten Indrek Tarand für das Präsidentenamt werden, heißt es unter den alten Vaterlandspolitikern. Dessen Unterstützung könne man nicht nur deshalb ablehnen, weil er eventuell von der oppositionellen Zentrumspartei nominiert werde. Tarand hatte 2009 als Unabhängiger ein Mandat in Brüssel gewonnen.

Nichtsdestotrotz stellt sich angesichts der ideologischen Ausrichtung der estnischen Parteien weniger die Frage nach der „Nachfrage“ nach einer konservativen Partei als vielmehr jene, was nach Auszug der Pullover-Fraktion die verbliebene Partei sein soll. Und wie soll sich eine allfällige neue Partei nennen, wenn sie ihren historischen Parteinamen Vaterlandsunion in der Abkürzung IRL bei den früheren Partnern zurück läßt?

Montag, 11. Juli 2011

Quo vadis Lettland?

Die lettische Politik ist seit der Unabhängigkeit 1991 nie stabil gewesen, die anfänglich gegründeten Parteien haben sich bis zur Unkenntlichkeit gewandelt und vermischt. Fast jeder hat schon einmal mit jedem, ausgenommen die verschiedenen russischen Fraktionen. Mit einem Wort, Politiker wie Wähler waren alles andere als beständig, was während zweier Jahrzehnte in einer ebenso unbeständigen und an kurzfristigen Zielen orientierten Politik niederschlägt, nimmt man den Beitritt zu NATO und EU aus. Die Überhitzung der Wirtschaft danach wurde auch ohne Finanzkrise nicht bekämpft.

Zweifelsfrei liegt die Ursache im fehlenden Verständnis des politischen Prozesses in der Bevölkerung, die nur zu gerne den Staat populären Personen anvertraut hat, um sich anschließend enttäuscht abzuwenden und der daraus resultierenden subjektiven Einschätzung der Politiker über ihre politischen Zukunft. Nicht selten waren dabei persönliche Animositäten wichtiger als Sachfragen, Personalentscheidungen schwierig und Ursache von Regierungsstürzen. 1999 wurde die später populäre Präsidentin Vaira Vīķe-Freiberga unterstützt von der konservativen Regierungsfraktion Für Vaterland und Freiheit zusammen mit der damals größten Oppositionskraft, der Volkspartei des beliebten Andris Šķēle, gegen welche sie sich an einer Minderheitsregierung unter der Führung von Lettlands Weg beteiligt hatte.

Nach den Wahlen 2010 gibt es nur noch fünf Fraktionen im Parlament – historisch wenig, doch Lettland hat nie wie das benachbarte Estland Listenkoalitionen verboten, weshalb nunmehr keine einzige dieser Fraktion aus nur einer Partei besteht. Der lettische Politologe Andris Runcis zählte vergangenen Herbst 18 Parteien. Die Koalition besteht nun erst mals nach der Wiedererlangten Unabhängigkeit nur aus zwei Fraktionen von denen eine zweifelsfrei unter dem Einfluß des als wichtigem Oligarchen geltenden Bürgermeisters der Hafenstadt Ventspils, Aivars Lembergs, steht. Lembergs gilt als Kandidat für das Amt des Regierungschefs ohne je zu kandidieren. Diese Union aus Grünen und Bauern hat dieses Jahr bereits in der Ombudsmann-Frage einem anderen Kandidaten zum Sieg verholfen, als ihn die Partei des Regierungschefs Valdis Dombrovskis, Einigkeit, favorisierte. Zugestanden haben sich die Parteien in beiden Nominierungen lange geziert, konkrete Namen zu nennen. Nunmehr ging es mit gleichem Ergebnis um die ungleich wichtigere Präsidentschaftswahl.

Dabei überschlugen sich die Ereignisse in diesem Frühjahr. Pikant ist neben dem Umstand, daß Valdis Zatlers damit vom Parlament das Mißtrauen ausgesprochen wurde und eine zweite Amtszeit versagt blieb, daß der Präsident wenige Tage zuvor der Verfassung entsprechend die Parlamentsauflösung angeregt hatte, worüber nun im Hochsommer das Volk wird abstimmen können. Grund für diesen ebenfalls historischen Schritt war die Ablehnung des Parlamentes, dem als weiterer Oligarchen geltenden Ainārs Šlesers die Immunität zu entziehen, wie es die Staatsanwaltschaft gewünscht hatte. Der kleinere Koalitionspartner beeilte sich später zu erklären, man sei mit der Abstimmung überrumpelt worden und habe jetzt mehr Informationen, die auf jeden Fall für einen Entzug der Immunität sprächen und die Fraktion würde jetzt anders abstimmen.

Die lettische Politik wird immer undurchsichtiger, Prognosen für die vermutlich anstehende vorgezogene Neuwahl schwieriger. Das russische Harmoniezentrum kann eigentlich nur gewinnen, während von der Einigkeit viele Wähler auch enttäuscht sind. Wie viele sie dennoch als das kleinere Über betrachten werden, ist gegenwärtig völlig offen. On das Hin und Her der Union aus Grünen und Bauern das eigene Klientel überzeugt ebenso. Sicher ist, daß diese Partei vor allem auf dem land bevorzugt wird, wo wiederum die konservative Lettlands Zeitung die bevorzugte Lektüre ist. Diese steht einer Kooperation mit der russischen Partei alles andere als wohlwollend gegenüber. Nachdem nach der letzten Wahl die konservativen Teile der Einigkeit eine Koalition mit dem Harmoniezentrum blockiert hatten, scheint diese in zwanzig Jahren immer von der Macht ausgeschlossene Partei die Partnersuche zu erweitern. Bereits jetzt gäbe es theoretisch eine Mehrheit für das Harmoniezentrum mit der Union der Grünen und Bauern, die mit einer Stimme reichlich knapp ist. Die Fraktion des nun verschonten Šlesers hätte noch einmal acht Sitze.

Man mag Ministerpräsident Valdis Dombrovskis zugestehen, daß er wirklich Lettland erfolgreich durch die Krise steuern möchte, aber obwohl bei der Wahl im Oktober 2010 sehr viele neue Gesichter ins Parlament eingezogen und zwei der drei Oligarchen, Ainārs Šlesers und Andris Šķēle mit ihrer nun gemeinsamen Liste mit nur acht Abgeordneten abgestraft worden waren, nach wie vor genug alte Seilschaften im Parlament vertreten sind. Weder Šlesers noch Lembergs Verpflichtungen wurden je hinreichend untersucht. Eine Steuererklärung ist auch nach 20 Jahren nicht eingeführt und auch die Privatisierungsvoucher, welche in Estland von vornherein auf eine Gültigkeit von zwei Jahren beschränkt waren, ist diese in Lettland immer wieder verlängert worden und die von der Durchschnittbevölkerung lange verkauften Papiere sind inzwischen im Wert gestiegen und werden aller Wahrscheinlichkeit von Einzelpersonen gehalten, die auf die letzten Filetstücke der Privatisierung warten wie etwa den lettischen Wald.

Freilich, es wäre zu einfach, dies nur der politischen Elite vorwerfen zu wollen. Es ist nichts Neues, daß die genannten als Oligarchen geltenden Personen im Volk ihre Anhänger haben, was besonders für Aivars Lembergs gilt, den seine Partei als Kandidaten für den Regierungschef plakatiert ohne daß er jedoch auch nur für ein Mandat kandidieren würde. Insofern ist der Unmut in Lettland groß, die Zustimmung zu vorzeitigen Neuwahl wahrscheinlich. Doch gleichzeitig ist nicht zu erwarten, daß die Anhänger der verschiedenen politischen Kräfte sich so deutlich anders verhalten werden als vor einem Dreivierteljahr zumal auch völlig unklar ist, woher gegebenenfalls unverbrauchte Kandidaten kommen sollen – vom scheidenden Präsidenten einmal abgesehen.

War Valdis Zatlers von den Oligarchen 2007 aus dem Hut gezaubert worden, um einen Gegenpol zur politisch aktiven Vorgängerin zu werden, so hat sich dieser im Amt stark gewandelt. Der nun gewählte Andris Bērziņš, den die ausländischen Medien mit einem gleichnamigen früheren Ministerpräsidenten verwechselt haben, ist nicht unbedingt ein unbeschriebenes Blatt. Der 66jährige hat seine Karriere in der Sowjetzeit begonnen, leitete bis zum Verkauf an die schwedische SEB eine der größten Banken des Landes und gehört zum Dunstkreis von Lembergs, ist Abgeordneter der Union aus Grünen und Bauern. Wie er sich verhalten wird, bleibt abzuwarten. Abzuwarten bleibt ebenfalls, welche Kräfte in der regierenden Einigkeit, die vermutlich auch aus den kommenden Wahlen nicht deutlich geschwächt hervorgeht, wie stark werden und eine Koalition mit dem Harmoniezentrum möglich wäre. Neben allen tatsächlichen und geargwöhnten Kontakten dieser politischen Kraft mit Moskau ist sie nun mitverantwortlich für die Niederlage von Zatlers. Spannend dürfte folglich auch die Regierungsbildung werden, denn allein der Präsident nominiert einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten. Der wird dann aber bereits Andris Bērziņš heißen und seine Wahl muß weder auf einen gewählten Abgeordneten fallen noch einen Vertreter der stärksten Fraktion oder auch nur des größten Partners einer allfälligen Koalition. Der neue Regierungschef könnte also auch Lembergs heißen.

Mittwoch, 18. Mai 2011

Jugend in Narva

Auch wenn die Zeiten der illegalen Referenden über eine Autonomie von Ida-Virumaa, dem vorwiegend von Russen bewohnten Landkreis im Nordosten Estlands bald 20 Jahre her sind, ist das Thema der Russen immer noch eines, wenn auch nicht im täglichen Bewußtsein. Ida-Virumaa ist von Tallinn und Tartu aus weit weg – aus den Augen aus dem Sinn. Vor Ort ist es mit dem Estnischen nach wie vor schwierig – logisch: Warum sollten plötzlich russische Muttersprachler miteinander Estnisch sprechen. Estnisch ist nun nicht gerade eine einfache Sprache, vor Ort braucht man sie nicht und warum sollte man gerade eine so kleine Fremdsprache wie das Estnische lernen. In einer EU mit Freizügigkeit sind da andere viel interessanter.


Aber das gilt nicht ausschließlich. Die Zeitung Postimees berichtete jüngst, daß sich russische Jugendliche in Narva, dem Zentrum Ida-Virumaas und immerhin drittgrößter Stadt Estlands mehr Möglichkeiten wünschen, das Estnische zu praktizieren. Das wurde auf einem Schülerforum diskutiert, in dem es unter anderem um den Übergang zu Estnisch als Unterrichtssprache im Kreenholm Gymnasium ging.


Die Motivation der Schüler ist einfach, sie wollen in der Europäischen Union studieren und da gibt es eben keine Möglichkeit, die Ausbildung auf Russisch fortzusetzen, meinen die Schüler.


Letzteres stimmt nur bedingt. In Riga gibt es mit der Internationalen Baltischen Akademie eine Hochschule mit russischer Unterrichtssprache, und das in Sillamäe / Ida-Virumaa ansässige College für Ökologie und Technologie hat sich schon vor Jahren in ein Institut für Management verwandelt mit Filialen in anderen estnischen Städten, darunter selbstverständlich auch Narva und sogar Tallinn. Fragwürdig ist an diesen Institutionen natürlich die Qualität der Ausbildung.

Montag, 9. Mai 2011

Ossi-Wessi-Konflikt auf Estnisch

Von Ende 2006 bis Mitte 2007 überschnitten sich die Amtszeiten der Präsidenten der baltischen Republiken so, daß gleichzeitig Rückkehrer aus dem Exil diese Position in Estland, Lettland und Litauen besetzten, Menschen, welche die Zeit der Sowjetherrschaft nicht persönlich erlebt hatten. Valdas Adamkus war in Litauen so populär, daß er nach dem Intermezzo mit dem später durch ein Impeachment abgesetzten Rolandas Paksas erneut gewählt wurde. Vaira Vīķe-Freiberga in Lettland überzeugte die Letten als Kompromißkandidatin, während in Estland mit Toomas Hendrik Ilves ein Mann aus der aktiven Politik das Amt bekleidet – er war vorher bereits zwei Mal Außenminister gewesen.

Über die Frage, was Osteuropa ist, gab es in der Politikwissenschaft in den 90er Jahren umfangreiche Diskussionen. Der Kompromiß lief in etwa darauf hinaus, sich auf diesen Begriff für die post-sozialistischen Staaten zu einigen. Estland jedoch mit seinem großen Bruder Finnland orientierte sich ganz im Gegenteil zu seinem südlichen Nachbarn Lettland schnell weg von einer Orientierung auf die schicksalhafte Vergangenheit hin zur Gestaltung einer neuen Zukunft. Ilves war es, der als Außenminister die Bezeichnung Estlands als osteuropäischen Staat zurückwies und erklärte, Estland sei ein nordischer Staat.

Vor den Sowjets waren viele Menschen aus dem Baltikum geflohen. Communities gibt es in Amerika, Australien, Schweden und Deutschland, um nur einige zu nennen. Einige der Flüchtlinge und auch einige Sprößlinge dieser Familien kehrten nach 1991 zurück. Für die örtliche Bevölkerung waren sie teilweisewillkommene Helfer, schnell aber wurde ähnlich wie im wiedervereinigten Deutschland klar, daß es Mentalitätsunterschiede gibt. In den 90er Jahren war der Vorwurf an die Exilanten aber auch andere Ausländer, sie verstünden überhaupt nichts, denn sie hätten ja nicht votr Ort gelebt, alltäglich.

Die meisten politisch aktiven Rückkehrer verschwanden schnell wieder von der politischen Bühne, wobei darunter sicher auch einige schillernde bis zwielichtige Personen waren wie etwa der Ex-Militär Jüri Toomepuu in Estland mit seiner radikalnationalistischen Partei wie auch der Pseudo-Lette Joachim Siegerist mit seinem Bananen-Coup.

Nun neigt sich die Amtszeit von Toomas Hendrik Ilves in Estland dem Ende zu und der Kolumnist Ahto Lohjakas meint, Ilves habe sich zunehmend von den Menschen im Lande entfernt und würde derzeit kaum eine Direktwahl gewinnen. Andrus Saar vom demoskopischen Institut Saar Poll pflichtet dem bei und sagt, Ilves habe seine Rolle als Präsident noch nicht gefunden, er wirke eher wie ein Gouverneur. Anstelle überzeugender Ideen, die er zielstrebig durchsetzen müßte, wechsele er häufig seine Positionen, mal näher am Volk mal ferner von ihm. Er halte Reden, welche die Angesprochenen nicht erreiche. Sein Urteil: den Präsidenten sähe man häufig, aber sichtbar sei er selten. Saar spricht von einer gläsernen Wand und wenig Empathie.

Da in Estland das Parlament den Präsidenten wählt und nicht das Volk, so Saar, ist von eienr Wiederwahl auszugehen, denn für die politische Elite gebe es keine Schwierigkeiten mit Ilves. Die estnische Verfassung sieht eine 3/5-Mehrheit für die Wahl des Präsidenten vor, was bislang seit der Unabhängigkeit nie geglückt ist, weshalb verfassungsgemäß ein Gremium aus Abgeordneten und Vertretern der kommunalen Parlamente zusammenkam. Nach den jüngsten Wahlen im März gibt es jedoch in Riigikogu nur noch vier Fraktionen. Die beiden Koalitionsfraktionen hatten Ilves auch früher unterstützt. Die oppositionellen Sozialdemokraten sind die politische Heimat des Präsidenten. Damit bleibt nur Savisaars Zentrumspartei, die gegen Ilves sein könnte. Gut möglich, daß das Parlament tatsächlich dieses Jahr erstmalig die Entscheidung direkt trifft.

Intolerantes Estland?

Daß die postsozialistische Staatenwelt gegenüber in jeder Form andersartigen Menschen nicht besonders tolerant sind, ist nichts Neues. Über die Homosexuellen-Paraden und die damit verbundenen Schwierigkeiten wurde viel berichtet. Menschen anderer Hautfarbe betreffend besteht das Problem bereits darin, daß es kaum solche Menschen gibt in den baltischen Ländern. Immer wieder gibt es einige Vorzeigeausnahmen, die der Landessprache mächtig irgendwie im Showgeschäft Fuß fassen.

Nun gibt es eine Studie der OECD, die Estland erneut diesen Vorwurf macht. Dies muß erstens vor dem Hintergrund gesehen werden, daß es auch in anderen Ländern heftige Integrations- und Leitkulturdebatten gibt und die sogenannten Zigeuner eigentlich in keinem europäischen Land willkommen sind. Zweitens wird dieser Bericht im Jahre eins der Mitgliedschaft Estlands im Club der entwickelten Staaten publiziert.

Die OECD kommt nun zu dem Ergebnis, daß Estland unter den OECD-Staaten nicht nur mit Abstand die intoleranteste Gesellschaft sei, in der nur 26% der Befragten keine Probleme mit Fremden hätte, sondern sich diese Abneigung in den vergangenen Jahren noch verstärkt habe.

Der estnische Menschrechtsexperte Karl Käsper weist darauf hin, daß statistisch deutlich erkennbar ein Zusammenhang zwischen Toleranz und Lebensstandard bestünde. Je toleranter eine Gesellschaft ist, desto besser seinen die Indexe. In Estland konstatiert er, daß dieses Problem von offizieller Seite ignoriert werde. Daß es im Gegenteil zu anderen europäischen Staaten keine xenophobische Partei gebe, erklärt er damit, daß hinreichend viele Politiker der etablierten Parteien nicht anders dächten und dies auch öffentlich zum Ausdruck brächten.

Ein von der Zeitung Postimees befragter 28jähriger Portugiese, der in Estland seit sieben Jahren lebe, kommentiert, die Esten seien nicht intolerant, sondern vorsichtig. In der Geschichte habe das Volk Unterdrückung, Okkupation und Ausnutzung erfahren und sei deshalb Fremden gegenüber aus historischer Erfahrung zurückhaltend. Er habe in seinen Jahren in Estland keine Diskriminierung oder Gewalt erfahren. Natürlich gebe es einzelne Ereignisse, die den Rückschluß zulassen, daß jemand etwas gegen eine andere Hautfarbe oder fremde Gewohnheiten gehabt habe. Solche Menschen aber gibt es nach Meinung des Portugiesen in jedem Land.

Karl Käsper weist darauf hin, daß die Flüchtlinge aus Estland während des Zweiten Weltkriegs auch irgendwo in der Fremde angekommen seien und dort trotzdem aufgenommen wurden.

Freitag, 6. Mai 2011

Präsidenten-Quartett

Über die bevorstehende Präsidentschaftswahl in Lettland wurde an dieser Stelle bereits berichtet. Es gibt zahlreichen Unwägbarkeiten, und seit der letzten Erörterung dieses Themas hat sich der Nebel nur bedingt gelichtet.

Zunächst ist ja pikant, daß es eigentlich keine einfachere Lösung gäbe, als den Amtsinhaber nach Ablauf seiner ersten Amtszeit zu bestätigen. Valdis Zatlers hat im Volk in den vergangenen Jahren genug Popularität gewonnen und die regierende Koalition aus Einigkeit und der Union von Bauern und Grünen verfügen über die erforderliche Mehrheit. Folglich bestätigt schon die Diskussion dieser Frage, daß der Amtsinhaber nicht allen politischen Kräften genehm ist.

Einstweilen dringt nur wenig von den Diskussionen zwischen den politischen Kräften nach draußen; wer welche Argument und Interessen vertritt ist Gegenstand von Spekulationen. Sicher ist, daß Zatlers 2007 nicht der Kandidat der heute größten Regierungspartei war, sondern von anderen Kräften gerade wegen seiner politischen Unbedarftheit damals als Überraschung-Coup auf den Schild gehoben worden war. Im Rahmen der Finanzkrise änderte sich dann sehr schnell sehr viel, und man könnte behaupten, daß Zatlers an der Entfernung jener Elite von der Macht, die ihn ausgesucht hatte, nicht ganz unbeteiligt war.

Für die politischen Akteure gibt es nun zwei Probleme. Erstens destabilisieren Meinungsverschiedenheiten bei der Besetzung politischer Ämter politische Allianzen und zweitens ist das Amt des Präsidenten nicht ganz ohne Einfluß, wie Zatlers über vier Jahre bewiesen hat, indem er nicht tat, was vermutlich seine Proteges von ihm erwartet hatten.

Somit ist einstweilen schwer zu beurteilen, welcher politischen Kraft was nutzen könnte, und die Politik ließ sich nicht aus der Reserve locken. Deshalb hatte Zatlers selbst eine ganze Weile abgewartet, ehe er seinen Hut in den Ring warf. Zatlers hätte freilich lieber den Vorschlag der regierenden Parteien erwartet. Doch die Politik hat es geschafft, ihre Zustimmung zu ihm so lange im Unklaren zu lassen, daß der amtierende Präsident auch nicht weiter zögern konnte, um den Abgeordneten nicht das Argument zu liefern, daß man sich über keine Kandidaten äußern könne, so lange die sich selbst dazu nicht geäußert hätten.

Darin besteht das Problem, einen anderen Kandidaten zu finden, der sowohl in den Augen der Bevölkerung Zatlers Ansehen stechen könnte, den portierenden politischen Parteien auch genehm ist und, was eben nicht zuletzt zur Kandidatur bereit. Viele Schwergewichte wie der frühere Präsident des Verfassungsgerichtes, Aivars Endziņš, der auch 2007 kandidiert hatte, haben längst abgewunken.

Hinter den Kulissen scheint es also spannend zuzugehen. Die ebenfalls äußerst populäre Chefin des Rechnungshofes, Inguna Sudraba, die schon häufig für alle möglichen höchsten Ämter gehandelt worden war, meldete sich nun auch zurück. Sie sei zur Kandidatur bereit, aber unter der Bedingung einer eindeutigen Mehrheit für sie. Diese Bemerkung ist vor dem Hintergrund interessant, daß jüngst sogar aus der größten Regierungspartei Forderungen laut geworden waren, die Abgeordneten sollten Ämter zukünftig in offener Abstimmung besetzen. Da dieser Vorschlag nur auf wenig Zuspruch stieß und die Abstimmung geheim ist, dürfte Sudrabas Wunsch so irreal sein wie in der Vergangenheit ihre Bereitschaft, als Regierungschefin für den Fall zur Verfügung zu stehen, daß sie von einer völlig neuen politischen Kraft nominiert würde.

Somit ist der lettischen Politologin Ilga Kreituse zuzustimmen, daß vermutlich bis zum Wahltag neue Kandidaten auftauchen könnten. Kreituse, die selbst früher für eine gewendete Kommunistenfraktion im Parlament gesessen hatte, sogar dessen Präsidentin war und 1999 auch für das Amt in der Rigaer Burg angetreten war, hat freilich Insider-Kenntnisse, auch wenn ihre politische Heimat in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist. Kreituse sagte im lettischen Radio, die Präsidentschaftswahl sei ein sehr kompliziertes Spiel, weil manche Abgeordnete Kandidaten ihre Zustimmung versichern, dann aber doch ihr Versprechen nicht hielten. Dieses Spiel wird noch dadurch komplizierter, daß ab dem dritten Wahlgang der Kandidat mit dem jeweils schlechtesten Ergebnis aufgeben muß, während nach dem fünften Wahlgang wieder völlig neue Kandidaten ins Rennen geschickt werden dürfen. Dieses System wurde während einer Minderheitsregierung 1999 voll ausgeschöpft. Am Ende führte die Zusammenarbeit eines kleineren Koalitionspartners mit der größten, aber in Opposition befindlichen Partei zum Sturz des Kabinetts. In diesem Sinne ist in der Tat nicht ausgeschlossen, daß entgegen eindeutiger Mehrheitsverhältnisse – also ganz anders als 1999 – auch 2011 mehrere Wahlgänge erforderlich sein werden.

Kreituse ist auch darin zuzustimmen, daß durch die zeitlich versetzen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen der Einfluß von Volkes Meinung minimiert wird. Um zum traditionellen Herbstwahltermin zu gelangen, war die erste Legislaturperiode nach der Unabhängigkeit auf nur gut zwei Jahre verkürzt worden. Der Präsident aber hat eine Amtszeit von vier Jahren. Darum findet nunmehr die Wahl des Präsidenten immer erst ein gutes halbes Jahr nach dem Urnengang statt, so daß diese politische Entscheidung im Gedächtnis der Wähler bei der folgenden Wahl nicht mehr so präsent ist, ja der Amtsinhaber auch Zeit hatte, die Herzen des Volkes zu gewinnen. Fände die Wahl des Staatsoberhaupt beispielsweise ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl statt, müßten sich die Fraktionen für diese Entscheidung vor dem Wähler rechtfertigen.

Montag, 25. April 2011

Wer ist schneller, wer ehrlicher?

Die Letten sagen gerne über die Esten, die seien so langsam. In deutschen Reisführern kann man auch Anekdoten lesen, man solle sich nicht wundern, wenn ein Este, der mit einem den ganzen Tag kein Wort gewechselt habe, anschließend zum Abendessen einlade. Sicher ist so viel, daß die Esten neben diversen Mentalitätsunterschieden bei vielen Ähnlichkeiten schneller sprechen als die Letten.

Gleich ist in beiden Ländern die Höchstgeschwindigkeit von 90km/h für PKW. Im estnischen Kreis Pärnu wurde vergangene Woche ein lettischer Staatsbürger mit 133km/h angehalten und versuchte das Problem durch Bestechung zu lösen. 100 Euro sollten fließen. Die Polizei habe jedoch nicht nachgegeben, sondern habe den Delinquenten an die zuständige Präfektur überwiesen.

Die estnischen Behörden kommentierten süffisant, daß die Philosophie, daß Geld alles regeln könne, vielleicht in anderen Ländern an der Tagsordnung sei, dies jedoch im Ausland ebenfalls eine Bestrafung nach sich ziehen könne.

Gewiß, viele berichten in Lettland gar davon, daß die Polizei ob der niedrigen Einkommen eine solche Lösung regelmäßig von sich aus anböte, wobei der Autor dieser Zeilen, wenn auch nur als Beifahrer, eher von Nachsichtigkeit der Verkehrspolizei berichten kann. Aber das ist natürlich eine genauso wenig repräsentative Beobachtung wie das berichtete staatstragende Beispiel der estnischen Kollegen. Daß eine solche Geschichte es in die Zeitung schafft, belegt eher, daß es sich um ein Thema als solches handelt. An und für sich sind Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung durch Bürger eines Nachbarlandes nicht per se eine Schlagzeile.

Der Postimees-Beitrag zu diesem Thema erwähnt nicht, wie hoch die offizielle Strafe gewesen wäre. Dem Autor dieser Zeilen scheinen 100 Euro etwas wenig für Probleme für den Verkehrssünder nicht nur materieller Art.