Donnerstag, 26. August 2010

Typisch baltischer Männermangel

Vielfach behaupten in den baltischen Staaten Frauen, es gebe einfach zu wenig Männer. In Lettland „kolumnierte“ Dace Rukšāne darüber bereits 2004 und die lettischen Realitäten wurden vom Autor bereits beschrieben.


Nun kommt die estnische Presse mit einer vergleichbaren Behauptung, nämlich daß trotz einer höheren Geburtenzahl von Jungs ab dem Alter von 35 die Frauen in ihrem Jahrgang die Mehrheit bilden. Die emeritierte Professorin der Universität Tartu Ene-Margit Tiit bestätigt, daß in Estland ähnlich wie in den anderen entwickelten Ländern mehr Jungs geboren werden als Mädchen und die Sterblichkeit des männlichen Geschlechts etwas höher sei.


Und so zeigte die Statistik2009, daß bis zum Alter von neun Jahren 2.474 mehr Jungen als Mädchen in Estland lebten. Im Alter von 35 aber sind es bereits 1.000 Männer weniger als Frauen. Und dieser Trend setzt sich bis zum Lebensalter von 70 Jahren fort bis auf ein Minus von 18.000 Männern.


Normalerweise, so die emeritierte Professorin, müßte sich der Überschuß der Jungen bei der Geburt bis ins mittlere Lebensalter ausgleichen wie in anderen Ländern der Fall. In Estland sei dies aber eben nicht so. Während die mittlere Lebenserwartung der Geschlechter sich im Westen um rund sechs Jahre unterscheide, betrage der Unterschied in Estland elf Jahre.


Verantwortlich dafür sind nach Meinung von Tiit neben biologischen Gründen auch typische Arbeitskrankheiten wie Krebs und Herzinfarkte. Die Wissenschaftlerin kann jedoch nicht bestätigen, daß Männer einfach mehr, sich also buchstäblich zu Tode arbeiteten. Auch Frauen arbeiteten in Estland sehr viel. Eine Verringerung der mittleren Lebenserwartung sei typisch für Transformationsgesellschaften wie Estland. Möglicherweise seien die Frauen eher fähig, sich an die neuen Umstände anzupassen.


An der Universität wurde weiter festgestellt, daß ein Mann, der erst einmal das Alter von 60 erreicht hat, durchschnittlich bis zum Alter von 77 lebt. Gleichzeitig stürben bereits viele Männer im Alter zwischen 30 und 50 nicht nur wegen Krankheiten, sondern in Folge ihres Lebendswandels.


Warum Frauen generell durchschnittlich länger lebten, sei eine schwierige Frage, meinen die Wissenschaftler. Möglicherweise sei dafür ursächlich, daß Schwangerschaften nur die stärkeren Frauen überlebten und so deren Gene sich deutlich häufiger weiter vererbten. Nichtsdestotrotz sind die Wissenschaftler der Universität Tartu überzeugt, daß soziale Gründe eine wichtigere Rolle spielen. So sei erkennbar, daß die Lebenserwartung mit dem Bildungsgrad steige.

Mittwoch, 25. August 2010

Ein echter Spionage-Thriller

Der Este Herman Simm sitzt im Gefängnis, weil er für Rußland spioniert hat und als der größte „Fisch“ in der Bündnisgeschichte gilt. So schrieb jüngst Spiegel online und veröffentlichte ein Interview.


Spionage und Geheimdienst sind nicht nur regelmäßig spektakuläre Themen für das Kino. Bei 007 ist es in der Regel keine Schwierigkeit, zwischen gut und böse zu unterscheiden und dem Kampf der Parteien zu folgen. Bei „Mission Impossible“ stellt sich schon eher die Frage, welche Mission da eigentlich unmöglich sein soll. Aber zurück in die Realität. Ob nun der Alltag der Agenten ganz oder teilweise so spannend ist wie ihre Hollywood Darstellung, mag dahingestellt sein. Publikationen in der Presse spielen jedoch allemal mit dem Wechsel zwischen Wirklichkeit und Fiktion oder Projektion.


So darf Simm Spiegel online auf die Frage, warum beim Interview zwei estnische Sicherheitspolizisten anwesend sind, völlig unkommentiert sagen, er gelte als dicker Fisch. Danach wird Simm schon gefragt, warum er so gut deutsch spricht. Was tut das zur Sache? Welchen Nutzen soll das bei seiner Tat gehabt haben? In Estland sprechen viele Menschen gut deutsch, nicht nur solche, die in Deutschland Verwandte haben, wie Simm von sich behauptet. Spiegel online erwähnt im weiteren Verlaufe des Gespräches mehrfach die Reaktion der Anwesenden und Wortwechsel in Estnischer Sprache. Während davon auszugehen ist, daß die Spiegel online Vertreter kein Estnisch verstehen, geben sie gleichzeitig keine Auskunft darüber, ob die Beobachter ihrerseits Deutsch verstehen. Aus dem Kontext geht einzig hervor, daß das Gespräch offensichtlich auf Deutsch geführt wurde.


Anschließend wird Simm nach seiner Karriere befragt mit dem Ziel, den Zeitpunkt seiner Anwerbung herauszufinden. Simm meint, daß der KGB in der Sowjetzeit keine Polizisten anwerben durfte. Erst nachdem er wegen falscher Beschuldigungen Mitte der 90er Jahre als Polizeichef entlassen worden war, sei er aus Frust während eines Urlaubs in Tunesien auf ein Angebot eingegangen. Dies vorgeblich vor dem Hintergrund von Drohungen gegen das Wohl seiner Tochter.


Und dann geht das Gespräch zurück zu seiner Karriere, wo Spiegel online sich über den anschließenden Aufstieg im Verteidigungsministerium erkundigt, den Simm abwiegelt. Immerhin gibt er auf Nachfrage zu, daß es anfangs schwierig und mit jeder höheren Position immer einfacher gewesen sei, Informationen aus der Behörde zu schmuggeln.


Simm meint, es sei ein Leben auf des Messers Schneide gewesen. Er sei bereits nervös geworden, einen Menschen zwei Mal am Tag zu treffen, habe sich aber bei guter Musik und guten Filmen zu entspannen verstanden.


Als es im Gespräch schließlich um seine konkrete Arbeit geht, mischen sich die Beobachter ein. Simm fragt die Journalisten, zu welcher Geheimhaltungsstufe sie Zugang hätten, was die Gefragten damit beantworten, in ihrem Berufsstand überhaupt keinen Zugang zu haben. Wäre dieser Wortwechsel nötig gewesen? Während die Redakteure ihr Unverstänsnis äußern, behauptet Simm, die Beobachter hätten dies so verlangt.


Zwei weitere derartige Unterbrechungen vermeldet Spiegel obline, während es um die technische Abwicklung des Kontaktes geht. Simm entschuldigt sich und erklärt auf die Frage, was er sagen dürfe, daß er eigentlich gar nichts sagen dürfe und gerade 46 Tage Einzelhaft hinter sich habe – nachdem Spiegel online das Interview beantragt hatte, so zumindest behaupten es die Redakteure.

Abschließend meint Simm, daß er durch die Reaktion seiner Kontakte und Gerüchte geahnt habe, bald verhaftet zu werden. Doch damals habe es keinen Ausweg gegeben. Im Westen hätte man ihn gesucht, den Russen aber habe er nicht getraut.


Lustig nur, daß gegen Ende Spiegel online die Muttersprache von Simm in kursiv plötzlich als Estländisch bezeichnet. Zum Glück ist das Interview nicht auf Deutschländisch publiziert worden.

Vaira Vīķe-Freiberga als Wirtschaftsexpertin

Die während des Krieges über Deutschland ins kanadische Exil geflohene spätere Präsidentin Lettlands hatte sich in ihren Amtsjahren im Inland großer Belebiebtheit erfreut und war auch im Ausland angesehen. Sie brachte es bis zur Kandidatin für das UNO-Generalsekretariat und die Präsidentschaft des EU-Rates. Immer wieder wurde über neuerliche innenpolitische Ambitionen gemunkelt. Doch die 1937 geborene ehemalige Professorin für Psychologie verweigerte sich dem, was sich wohl mancher in Lettland gewünscht hätte.


Vor einigen Tagen äußerte sie sich anläßlich eines Besuches zur Konferenz der Freunde Estlands in der estnischen Hauptstadt Tallinn plötzlich über Wirtschaftsfragen, genauer über den Euro.


Angesichts der großen Schwierigkeiten der Eurozone seien viele Länder derzeit gar nicht unglücklich, daß sie der Europäischen Währungsunion nicht angehörten. Sie beglückwünsche die Esten für ihre Erfolge einschließlich der bevorstehenden Einführung des Euro, doch daheim sagten viele „Thanks God“, daß Lettland die Maastricht-Kriterien nicht erfüllt habe. In ihrem Referat wiederum erwähnte sie, daß sie während ihrer Amtszeit eine ähnlich vorsichtige Politik in Lettland angemahnt habe wie in Estland.


Kommentar: Währungspolitik ist ein Thema, das gewiß neben 50% Weisheiten der Wirtschaftswissenschaften ebenso 50% aus der Psychologie enthält. Neben ökonomischen Daten ist Vertrauen wichtig. Oft genug ist erwähnt worden, wie problematisch eine gemeinsame Währung für eine Gruppe von Staaten ist, die keine gemeinsame Wirtschafts- und Sozialpolitik betreiben. Neben Griechenland stecken auch die anderen sogenannten PIIGs-Staaten in Schwierigkeiten. Dennoch handelt es sich bei Griechenland und eine sehr kleine Volkswirtschaft. Zum Vergleich: In den USA, die ebenfalls nur eine Währung haben, ist das unvergleichlich wichtigere Kalifornien quasi pleite.


Folglich hätte die Ablehnung der Aufnahme eines Landes in die Währungsunion, welches die Maastricht-Kriterien im Gegenteil zu vielen bereits in der Zone befindlichen Staaten die Kriterien ad absurdum geführt. Darüber hinaus ist es fraglich, wer in der Welt in eine Währung Vertrauen entwickeln soll, deren ausgebende Nationen ihr offensichtlich selbst nicht vertrauen.


Daß die Einführung des Euros in Estland nicht nur erfreuliche Folgen für die Durschschnittsbevölkerung zeitigen wird, mag zutreffen. Aus den Worten der lettischen Ex-Präsidentin hingegen spricht offenbar auch Neid. Jene Politik, die über Jahre hinweg in Tallinn mit dem Ziel des Eurobeitritt betrieben wurde, hält sie für richtig, den Beitritt jedoch für falsch. Wer also jahrelang auf etwas spart, daß er sich lange gewünscht hat, soll es nicht kaufen, wenn er es sich leisten kann?