Dieser Beitrag erschien in : Baltische Briefe Nr.2 (712), 02.2008, S.6-7
Nach einem Besuch der Europaabgeordneten der Linken, Sahra Wagenknecht, in Estland wurde das Thema um die Translozierung eines Denkmals in der Hauptstadt Tallinn, die Ende April vergangenen Jahres über mehrere Tage zu Ausschreitungen geführt hatte, erneut aktuell. Frau Wagenknecht beklagt nicht nur neuerlich die Diskriminierung der russischen Bevölkerung in Estland, sondern berichtet von einem angeblich unfairen Prozesses gegen die als Rädelsführer der Krawalle Angeklagten. Sie zweifelt damit außerdem an der Version, die Aktion sei bereits vorher geplant gewesen.
Über die Versetzung des Denkmales ist in den letzten Monaten wiederholt intensiv in der Presse diskutiert wurden, und dies nicht nur in Estland, sondern selbstverständlich vor allem in Rußland, aber auch in Westeuropa. Dabei meinen sich als moderat verstehende Kommentatoren, die estnische Regierung habe einen ungünstigen Zeitpunkt für die Versetzung des Denkmals gewählt. Dies klingt zunächst überzeugend, begannen doch die Arbeiten nur etwa zwei Wochen vor dem 9. Mai, an dem die Russen das Ende des Zweiten Weltkrieges feiern und sich die Veteranen traditionell seit vielen Jahren an dem Denkmal treffen. Ähnliche wird in Lettland im Park rund um das sogenannte Befreiungsdenkmal an diesem Datum der Vergangenheit gedacht.
Dabei muß auf einige grundlegende Unterschiede zwischen den beiden Denkmälern hingewiesen werden. Der bereits 1947 eingeweihte sogenannte Bronzesoldat (Pronkssõdur) in Tallinn befindet sich sehr zentral, unweit der Altstadt neben der neoromanischen Karlkirche und direkt vor der erst in den 90er Jahren fertiggestellten Nationalbibliothek. Das lettischen Pendant ist hingegen erst 1985 errichtet worden und befindet sich jenseits der Daugava außerhalb der historischen Stadtzentrums von Riga. Darüber hinaus ist es von einem Park umgeben, wohingegen der Platz, auf dem sich der Bronzesoldat befand entschieden kleiner ist als ein Fußballfeld. Nationalisten hatten das Monument, welches bewußt die Größe des Freiheitsdenkmals in Riga in den Schatten stellen sollte übrigens kurz nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1996 zu sprengen versucht– allerdings erfolglos. Ein weiterer gravierender Unterschied besteht darin, daß die jüngere Gedenkstätte in Riga ausschließlich als Zeichen des Sieges der Sowjetunion über den Faschismus installiert wurde, während der Bronzesoldat tatsächlich zu Ehren von Soldatengräber errichtet wurde, bei denen es sich im konkreten Fall pikanterweise nicht um Russen, sondern um Esten handelt.
Aber eine Bewertung der Vorgänge im Frühjahr 2007 kann sich nicht auf diese historischen Kenntnisse beschränken, denn insbesondere Ereignisse im Jahre 2006 erklären den Handlungsbedarf, welche leider in der Presse (soweit der Autor sie vernommen hat) nicht erwähnt wurden.
Am 9. Mai 2006 kam es zu einem Konflikt vor dem Denkmal als Veteranen versuchten, einem national orientierten Demonstranten die estnische Flagge zu entreißen. Am folgenden Tag demonstrierten erneut Nationalisten, unter ihnen der in Estland aus der Zeit des Nationalen Erwachens bekannte Dissident Tiit Madisson, der wegen des Vorwurf eines Umsturzversuches auch in den 90er Jahren zwei Jahre in Haft war.
Die Polizei forderte daraufhin die Demonstranten auf, keine weiteren Manifestationen auf dem Tõnismägi (so der estnische Name des Ortes) durchzuführen. Der Platz wurde von der Polizei angeriegelt und über Monate hinweg bewacht.
Es folgte eine politische Diskussion, wie auf die Probleme vor der Nationalbibliothek zu reagieren sei. Am 11. Oktober beschlossen die den Ministerpräsidenten stellende Reformpartei und die damals oppositionelle Vaterlandsunion, das Denkmal zu translozieren. Ein entsprechender Antrag wurde am 10. Januar 2007 mit 66 Stimmen im Parlament angenommen.
Der Präsident setzte diesen Beschluß in Kraft, da auch das Gesetz über Kriegsgräber deren Verlegung vorsieht, wenn sie sich an nicht angemessenen Orten befinden. Auf dem aktuellen Platz befanden sich die Gräber sogar, wie sich anschließend herausstellte, beinahe direkt unter der Trolleybushaltestelle.
Im August gab es auf Veranlassung der Stadtverwaltung von Tallinn einen Runden Tisch zum Thema, an dem nicht alle politischen Kräfte teilnahmen. Einige Teilnehmer votierten jedoch für eine Umgestaltung des Tõnismägi und die Belassung des Denkmales an diesem Ort. Dahingehend äußerten sich auch viele Kenner Estlands aus Westeuropa.
Nichtsdestotrotz darf nicht vergessen werden, daß dieses Denkmal sowohl für die Russen als auch für die Esten ein Symbol war und ist und nicht erst durch die Vorgänge Ende April 2007 wurde.
Somit gab es neben der Versetzung eigentlich realistisch nur eine Alternative, nämlich einen dauerhaften Schutz zu organisieren, der nicht in patrouillierenden Polizisten und einem blauweißen Absperrungsband besteht. Das hätte ggf. nur ein Zaun sein können. Anderenfalls wären weitere Konfrontationen zu jedem 9. Mai erneut zu erwarten gewesen, was einem Ehrenmal für Gefallenen nicht gebührt. Was aber ist ein eingezäuntes Denkmal wert?
Das offizielle Estland hatte somit im Grunde nur die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub: entweder Krawalle am Denkmal zum 9. Mai verhindern, oder aber anläßlich dessen Translozierung.
Daß die Versetzung schließlich so kurz vor dem fraglichen Datum stattfand, hatte neben der über Monate andauernden politischen Diskussion freilich noch einen weiteren Grund, den die Politik nicht beeinflussen konnte: am 7. April 2007 standen turnusgemäß Parlamentswahlen in Estland an.
Den Zeitpunkt betreffend kann abschließend nur angemerkt werden, daß nach den Ereignissen von 2006 weitere Probleme absehbar waren und natürlich nach dem 9. Mai immer auch vor dem (nächsten) 9. Mai ist. Man darf wohl auch davon ausgehen, daß die estnische Politik außerdem mit diesem Ausmaß an Schwierigkeiten nicht gerechnet hat.
Eine andere Frage ist der Polizeieinsatz. Die Fernsehbilder machen deutlich, daß die estnischen Sicherheitsbehörden an derartige Großeinsätze noch nicht gewohnt sind. Das erinnert ein wenig an die junge Bundesrepublik, die in den 60er Jahren zunächst mit dem Studentenprotest auch wenig sensibel umzugehen verstand. Die estnische Regierung könnte natürlich nun sowohl mit einer lückenlosen Aufklärung von eventuell unverhältnismäßigen Reaktionen der Polizei in der „Bronzenacht“ wie auch einem fairen prozeß ihre Rechtsstaatlichkeit unter Beweis stellen.
Über die Versetzung des Denkmales ist in den letzten Monaten wiederholt intensiv in der Presse diskutiert wurden, und dies nicht nur in Estland, sondern selbstverständlich vor allem in Rußland, aber auch in Westeuropa. Dabei meinen sich als moderat verstehende Kommentatoren, die estnische Regierung habe einen ungünstigen Zeitpunkt für die Versetzung des Denkmals gewählt. Dies klingt zunächst überzeugend, begannen doch die Arbeiten nur etwa zwei Wochen vor dem 9. Mai, an dem die Russen das Ende des Zweiten Weltkrieges feiern und sich die Veteranen traditionell seit vielen Jahren an dem Denkmal treffen. Ähnliche wird in Lettland im Park rund um das sogenannte Befreiungsdenkmal an diesem Datum der Vergangenheit gedacht.
Dabei muß auf einige grundlegende Unterschiede zwischen den beiden Denkmälern hingewiesen werden. Der bereits 1947 eingeweihte sogenannte Bronzesoldat (Pronkssõdur) in Tallinn befindet sich sehr zentral, unweit der Altstadt neben der neoromanischen Karlkirche und direkt vor der erst in den 90er Jahren fertiggestellten Nationalbibliothek. Das lettischen Pendant ist hingegen erst 1985 errichtet worden und befindet sich jenseits der Daugava außerhalb der historischen Stadtzentrums von Riga. Darüber hinaus ist es von einem Park umgeben, wohingegen der Platz, auf dem sich der Bronzesoldat befand entschieden kleiner ist als ein Fußballfeld. Nationalisten hatten das Monument, welches bewußt die Größe des Freiheitsdenkmals in Riga in den Schatten stellen sollte übrigens kurz nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1996 zu sprengen versucht– allerdings erfolglos. Ein weiterer gravierender Unterschied besteht darin, daß die jüngere Gedenkstätte in Riga ausschließlich als Zeichen des Sieges der Sowjetunion über den Faschismus installiert wurde, während der Bronzesoldat tatsächlich zu Ehren von Soldatengräber errichtet wurde, bei denen es sich im konkreten Fall pikanterweise nicht um Russen, sondern um Esten handelt.
Aber eine Bewertung der Vorgänge im Frühjahr 2007 kann sich nicht auf diese historischen Kenntnisse beschränken, denn insbesondere Ereignisse im Jahre 2006 erklären den Handlungsbedarf, welche leider in der Presse (soweit der Autor sie vernommen hat) nicht erwähnt wurden.
Am 9. Mai 2006 kam es zu einem Konflikt vor dem Denkmal als Veteranen versuchten, einem national orientierten Demonstranten die estnische Flagge zu entreißen. Am folgenden Tag demonstrierten erneut Nationalisten, unter ihnen der in Estland aus der Zeit des Nationalen Erwachens bekannte Dissident Tiit Madisson, der wegen des Vorwurf eines Umsturzversuches auch in den 90er Jahren zwei Jahre in Haft war.
Die Polizei forderte daraufhin die Demonstranten auf, keine weiteren Manifestationen auf dem Tõnismägi (so der estnische Name des Ortes) durchzuführen. Der Platz wurde von der Polizei angeriegelt und über Monate hinweg bewacht.
Es folgte eine politische Diskussion, wie auf die Probleme vor der Nationalbibliothek zu reagieren sei. Am 11. Oktober beschlossen die den Ministerpräsidenten stellende Reformpartei und die damals oppositionelle Vaterlandsunion, das Denkmal zu translozieren. Ein entsprechender Antrag wurde am 10. Januar 2007 mit 66 Stimmen im Parlament angenommen.
Der Präsident setzte diesen Beschluß in Kraft, da auch das Gesetz über Kriegsgräber deren Verlegung vorsieht, wenn sie sich an nicht angemessenen Orten befinden. Auf dem aktuellen Platz befanden sich die Gräber sogar, wie sich anschließend herausstellte, beinahe direkt unter der Trolleybushaltestelle.
Im August gab es auf Veranlassung der Stadtverwaltung von Tallinn einen Runden Tisch zum Thema, an dem nicht alle politischen Kräfte teilnahmen. Einige Teilnehmer votierten jedoch für eine Umgestaltung des Tõnismägi und die Belassung des Denkmales an diesem Ort. Dahingehend äußerten sich auch viele Kenner Estlands aus Westeuropa.
Nichtsdestotrotz darf nicht vergessen werden, daß dieses Denkmal sowohl für die Russen als auch für die Esten ein Symbol war und ist und nicht erst durch die Vorgänge Ende April 2007 wurde.
Somit gab es neben der Versetzung eigentlich realistisch nur eine Alternative, nämlich einen dauerhaften Schutz zu organisieren, der nicht in patrouillierenden Polizisten und einem blauweißen Absperrungsband besteht. Das hätte ggf. nur ein Zaun sein können. Anderenfalls wären weitere Konfrontationen zu jedem 9. Mai erneut zu erwarten gewesen, was einem Ehrenmal für Gefallenen nicht gebührt. Was aber ist ein eingezäuntes Denkmal wert?
Das offizielle Estland hatte somit im Grunde nur die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub: entweder Krawalle am Denkmal zum 9. Mai verhindern, oder aber anläßlich dessen Translozierung.
Daß die Versetzung schließlich so kurz vor dem fraglichen Datum stattfand, hatte neben der über Monate andauernden politischen Diskussion freilich noch einen weiteren Grund, den die Politik nicht beeinflussen konnte: am 7. April 2007 standen turnusgemäß Parlamentswahlen in Estland an.
Den Zeitpunkt betreffend kann abschließend nur angemerkt werden, daß nach den Ereignissen von 2006 weitere Probleme absehbar waren und natürlich nach dem 9. Mai immer auch vor dem (nächsten) 9. Mai ist. Man darf wohl auch davon ausgehen, daß die estnische Politik außerdem mit diesem Ausmaß an Schwierigkeiten nicht gerechnet hat.
Eine andere Frage ist der Polizeieinsatz. Die Fernsehbilder machen deutlich, daß die estnischen Sicherheitsbehörden an derartige Großeinsätze noch nicht gewohnt sind. Das erinnert ein wenig an die junge Bundesrepublik, die in den 60er Jahren zunächst mit dem Studentenprotest auch wenig sensibel umzugehen verstand. Die estnische Regierung könnte natürlich nun sowohl mit einer lückenlosen Aufklärung von eventuell unverhältnismäßigen Reaktionen der Polizei in der „Bronzenacht“ wie auch einem fairen prozeß ihre Rechtsstaatlichkeit unter Beweis stellen.
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