Kloty hat inzwischen sowohl in meinem als auch im Estland Blog neuerlich geantwortet:
“In meinen Augen war Estland ein moderner Staat mit gelungener Integrationpolitik (wie mir von meinen Bekannten/Verwandten immer wieder versichert wurde). Ich habe mich sehr gefreut, als Estland EU beigetreten ist.”
Zustimmung, abgesehen davon, daß es in Estland mehr oder weniger ausgeprägt Parallelgesellschaften gibt, so wie das mit den Türken in Deutschland oder den verschiedenen Nationalitäten des Melting Pots USA auch diskutiert wird.
“Doch als ich dann ueber die Geschichte mit dem Bronzenen Soldaten gehoert habe, wusste ich sofort, dass das nicht gut ausgehen wird und so kam es auch.”
Warum ist das nicht gut ausgegangen? Die Unruhen in der Banlieue und die alljährlichen Krawalle in Kreuzberg zum 1. Mai sind weder für Paris noch für Berlin angenehm, sind Ausdruck von Problemen, stellen aber keine Staatskrise dar. Darum stimme ich folgendem Absatz von Kloty nicht zu:
“Sie schreiben, dass das Denkmal schon vorher ein Politikum war. Das ist richtig. Nur wurde er mit der Versetzung von einem kleinen estnischen Politikum, den man mit genuegend Umsicht haette loesen koennen, zu einem grossen europaeischen Politikum, in den auch andere Laender involviert wurden. Oder war das vielleicht das Ziel?”
Daß sich dieses Politikum mit Umsicht hätte lösen lassen, habe ich oft genug in Frage gestellt und meine Zweifel auch begründet. Kloty ist bislang auf die konkreten Argumente noch überhaupt nicht eingegangen, außer mit dem Hinweis, den Zusammenhang zwischen dem Denkmal und der Parlamentswahl sowie dem Denkmals in Riga nicht zu verstehen. Dieses Problem Klotys ist offensichtlich durch seine Weltanschauung begründet:
“Ich sehe mich nicht als Vertreter der enttaeuschten russischen Minderheit, ich lebe ja nicht in Estland, bin also nur mittelbar betroffen, sondern ich sehe mich eher als einen Buerger eines EU-Staates, dessen politische Meinung recht weit links angesiedelt ist und der nicht ansehen kann, wie in einem anderen EU-Land, das zufaelligerweise seine Heimat ist, dumpger Nationalismus salonfaehig ist (...) Ich bin mir bewusst, dass es viele Russen in Estland gibt, die einfach stolz darauf sind Russen zu sein und Esten als "primitivere" Leute ansehen, umgekehrt gilt es genauso, mit diesen Leuten moechte ich nichts, nichts, nixhts zu tun haben.”
Eben noch beruft Kloty sich darauf, er sei nicht betroffen, da er nicht in Estland lebe, das er aber gleichzeitig als seine Heimat bezeichnet. Kloty macht mit seinen Ausführungen das typische Denken der sowjetisierten Russen salonfähig, die noch nicht bemerkt haben, daß die angebliche Internationalität der Sowjetunion in Wahrheit die Schaffung des Sowjetmenschen unter eine russischer Hegemonie zum Ziel hatte. Die von mir bereits einmal erwähnte, in Riga geborene Russin, erklärte die “große Sowjetunion” sei ihre Heimat gewesen. Historisch betrachtet ist die Russische Föderation noch heute das letzte große Kolonialreich der Erde. Daß Kloty sich als „recht weit links“ bezeichnet, wundert folglich nicht, denn die diversen K-Gruppen im Westen Deutschlands sehen die Dinge exakt so wie Kloty – hierzu mein Briefwechsel mit Ulla Jelpke, MdB Die Linke und die Fortsetzung. Was bedeutet Heimat für Kloty, ist sie nur ein Synonym für den Geburtsort? Darum fährt Kloty auch fort:
“Wer sagt denn eigentlich, dass Estland ein "fremdes" Land fuer die Russen ist? Wieviele Generationen muss man in einem Land leben, dass es nicht mehr "fremd" ist? Ihnen muss ich nicht erzaehlen, seit wann Russen in Estland leben. Ueberhaupt erinnern mich diese Diskussionen ueber mein Land dein Land an dunkle vergange Zeiten oder an aktuelle Konflikte im Nahen Osten. Sie als Dozent fuer Politikwissenschaften muessten doch wissen, wieviele monoethnische Staaten es auf der Erde gibt. Das Land Estland steht dem estnischen Volk nicht der exklusiven Nutzung zur Verfuegung. Wie lange muss man in einem Land leben, um sich nicht mehr als Gast fuehlen zu muessen? In einem multikulturellen Europa sollte das doch Allgemeingut sein.”
Wenn Kloty den Esten die Heimat und die Pflege ihrer Kultur abspricht, und das beinhaltet natürlich auch die Herrschaft über das eigene Territorium, so gilt dies für alle Völker der Welt. Also will er einmal auf der Welt umrühren und alles gleich machen? Nichts gegen Völkerfreundschaft, auch das gehörte zur sowjetischen Ideologie. Gerade die Unterschiedlichkeit macht doch die Welt interessant. Und Kloty sollte es nicht entgangen sein, daß gerade das Leugnen von Identität und das Verbot, sie auszuleben immer wieder zu Konflikten führt. Selbst wenn wir Afrika als Beispiel gar nicht heranziehen, ist der Kampf um die Kosovofrage eine Folge des Traumas der EU, die Bürgerkriege der 90er vor der eigenen Haustür nicht verhindert zu haben können. Israel verlangt diesem Umstand überhaupt seine Existenz. Die nach Estland eingereisten Russen haben ihr Mutterland, die Esten aber nur ein, zumal sehr kleines Vaterland.
Aber da kommt Kloty manchmal auch in Widerspruch mit sich selbst: Erst spricht er von einer weitgehend geglückten Integration, welche ich angesichts verschiedener Interpretationen von Integration und Assimilierung wenigstens diskussionswürdig finde, kommentiert aber die russische Beschimpfung der Balten und Deutschen als Faschisten mit Verständnis:
“Solange alle Russen unterschiedlos als Okkupanten betrachtet werden...”
Was nicht stimmt. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, daß erstens in der einfachen Bevölkerung keine “offenen Rechnungen” bestehen, also die Integration so weit geglückt ist, daß es keine manifesten oder gewalttätigen Konflikte gibt, und zweitens die Tatsache einer völkerrechtswidrigen Okkupation über 50 Jahre weder von den Russen noch von Rußland als Tatsache akzeptiert wird. Übrigens sollte als sehr positiv angemerkt werden, daß die russische Gastfreundlichkeit eben auch keine Grenzen in irgendeiner Form von Haß gegen die Deutschen eingeschränkt wird. Da aber Kloty die typische Argumentation des Homo Sovieticus übernimmt, verwundert auch nicht:
“Herr Reetz, eins kann ich Ihnen versichern, die estnische Oma aus Viljandi war sowjetische Staatsbuergerin ohne, dass sie auch nur ein Wort auf Russisch haette sagen muessen. Estnisch war zu Zeiten der Sowjetunion viel besser aufgestellt, als Russisch jetzt in Estland. Ja, ich weiss in diesem Punkt werden wir einander nicht ueberzeugen koennen.”
Also wenn ein riesiger Staat einen kleinen annektiert und dessen Einwohner dann nicht zu seinen Staatsbürgern macht, dann wären sie vogelfrei oder was? Die Staatsbürgerschaft der Sowjetunion sowie die gute Stellung des Estnischen haben die Oma aus Viljandi nicht vor der Deportation nach Sibirien schützen können! Und die Frage, welche Stellung das Russische in der Sowjetunion hatte, da kann ich wieder nur auf die bereits erwähnte Hegemonie verweisen. Es war SU-weit die einzige Staatssprache und für jeden, der etwas werden wollte, unumgänglich, ganz zu schweigen von Wohnorten innerhalb Estlands oder Lettlands, wo das Russische damals wie heute erforderlich ist, um verstanden zu werden. Gerade im Infrastrukturbereich gab es fast nur Russen. Ich selber wurde noch 1993 in Riga ab Bahnhofschalter angebrüllt, weil ich eine Fahrkarte auf Lettisch kaufen wollte.
“… als was ich mich selbst sehe und warum ich mich auf das Thema konzentriert habe. Ich bin in Estland geboren, lebe aber schon seit 17 Jahren in Deutschland und hatte mit Estland nicht so viel zu tun (hin und wieder ein Verwandtenbesuch).”
Ich bin in Deutschland geboren und lebe seit rund 15 Jahren mit Unterbrechungen in den baltischen Staaten. Und gerade als Deutscher stört mich die fehlende Fähigkeit der Russen anzuerkennen, daß sie im Falle Estlands einen großen Teil von 800 Jahre Unterdrückung zu verantworten haben – nicht nur in der Sowjetzeit. Aber Kloty geht es nicht um Estland, sondern um seine Ideologie.
Summa summarum sollen nun Fakten, die ein totalitäres Regime mit Unrecht geschaffen hat mit rechtsstaatlichen Mitteln zementiert werden, was im Grunde ja geschieht. Man stelle sich vor, das Unabhängige Estland verführe mit den Russen wie die Sowjets mit den Esten!
„auf Ihren Wunsch kommunizieren wir auf Ihrem Blog weiter, obwohl ich der Meinung bin, dass so eine Diskussion durchaus fuer die Leser des Estland-Blogs interessant waere, denn wir haben zwei Meinungen, die durchaus die Verhaeltnisse in Estland reflektieren, so dass ein oeffentlicher Meinungsaustausch durchaus interessant waere. Wie dem auch sei.“
Da es meines Erachtens in den Ausführungen von Kloty nicht um Estland geht, finde ich diesen Ort besser.
Kloty bezeichnet sich als links. Ihm entgeht, daß auch er eine Identität hat. Offensichtlich ist er als Jugendlicher von Estland nach Deutschland gezogen, weil seine Eltern Spätaussiedler sind (?) Seine Argumentation ist nicht so neutral wie er glaubt. Er rechtfertigt das befinden der Russen in Estland, vermutlich seine Herkunft, findet aber keine Worte des Verständnisses der estnischen Sicht der Geschichte.
2 Kommentare:
Sorry, dass ich mich wieder in die Privatdiskussion einmische ;)
Kloty kann ich nur anraten, sich eingehend mit der europäischen Menschenrechtskonvention 1) zu beschäftigen, damit er für sich das Völkerrecht klären kann und auch sich mit der estnischen Verfassung 2) eingehend zu beschäftigen, um sich über die formalen Rechte ethnischer Minderheiten in Estland zu informieren.
Und ja Kloty, die formalen Rechte greifen "scheinbar" für einige Individuen leider nicht immer in der Praxis, was kein estnisch spezifisches Problem ist, sondern durch soziale Spannungen verursacht wird, die weder legitim, noch illegitim sind, sondern ein "bewegender" Ausdruck an Veränderungen in einem demokratischen System sind (in undemokratischen Systemen werden diese Spannungen nämlich einfach unterdrückt).
Zudem hat Ilves am 23.02.08 auch selbst vermerkt, dass "All the citizens of the Republic of Estonia must find equal protection before the laws and courts of the republic… All civil liberties must apply irrefutably to the national minorities… The government must establish courts of law for the protection of the security of the citizenry" 3)
Ilves ist sich also durchaus bewusst, dass das estnische Rechtssystem insbesondere in der Minderheitenfrage noch ausbaufähig ist, was man natürlich nur bemerkt, wenn man nicht nur auf aus dem Kontext herausgerissene Zitierungen die Augen offen hält.
Ich habe auch nichts gegen Kloty's politisch gefärbte Auffassungen, die er auch gerne haben darf, ich bitte nur darum, dabei wahrheitsgemäß zu bleiben.
1) http://www.echr.coe.int/NR/rdonlyres/F45A65CD-38BE-4FF7-8284-EE6C2BE36FB7/0/GermanAllemand.pdf
2) http://www.president.ee/en/estonia/constitution.php
3) http://www.president.ee/en/duties/press_releases.php?gid=109368
Hallo Herr Reetz,
langsam bewegt sich die Diskussion in Richtung verschiedene Weltanschauungen, deswegen ist es whl wirklich besser, sie aus dem Estland-Forum zu nehmen.
Warum ist das nicht gut ausgegangen? Die Unruhen in der Banlieue und die alljährlichen Krawalle in Kreuzberg zum 1. Mai sind weder für Paris noch für Berlin angenehm, sind Ausdruck von Problemen, stellen aber keine Staatskrise dar.
Nennen Sie mir ein Artikel, der über die russisch-spachige Minderheit geht und in dem das Wort April nicht vorkommt. Es ist jetzt 3/4 Jahr her, aber immer noch wird darauf verwiesen. Wie oft wird auf die 1. Mai Krawalle verwiesen? Apriler Ereignisse waren ein einschneidendes Augenblick in Geschichte Estlands, deren Bedeutung nicht runtergespielt werden kann.
Daß sich dieses Politikum mit Umsicht hätte lösen lassen, habe ich oft genug in Frage gestellt und meine Zweifel auch begründet.
Leider kenne ich Ihre früheren Artikel zum Thema nicht. Könnten Sie Ihre Begründungen, warum die Proteste hätte nicht vermieden werden können nochmal zusammenfassen? Es ist keine Frage, das Denkmal ist ein Politikum, nur warum es nicht anders hätte gelöst werden können, ist mir nicht klar.
Eben noch beruft Kloty sich darauf, er sei nicht betroffen, da er nicht in Estland lebe, das er aber gleichzeitig als seine Heimat bezeichnet.
Nun, da ich nicht in Estand lebe, bin ich von z.B. der Sprachkommission nicht unmittelbar betroffen. Ich bezeichne Estland als meine Heimat und nicht nur als Geburtsort, weil ich mich mit Estland auseinandersetze, auf meinem Blog und jetzt gerade in Diskussion mit Ihnen. Mir würde auch nie im Leben einfallen Deutschland oder Russland als meine Heimat zu bezeichnen, genau wie der Mehrheit der in Estland geborenen russisch-sprachigen.
Wenn Kloty den Esten die Heimat und die Pflege ihrer Kultur abspricht, und das beinhaltet natürlich auch die Herrschaft über das eigene Territorium, so gilt dies für alle Völker der Welt. Also will er einmal auf der Welt umrühren und alles gleich machen?
Die nach Estland eingereisten Russen haben ihr Mutterland, die Esten aber nur ein, zumal sehr kleines Vaterland.
Jetzt gleiten wir in die wunderbare Welt der Weltanschauungen ab. Die obere Frage wird Ihnen jedes Einwanderungsland beantworten. Ja, USA, Australien, Neuseeland ua möchten alle Einwanderer verrühren und eine neue Nation erschaffen, die möglichst nicht auf Blutverwandschaft basiert. Mit Sowjetdenken hat es nichts zu tun, auch wenn es für mich keine Beschimpfung ist, so wie Sie es verwenden. Ist Estland ein Einwanderungsland mit 30% Nichtesten? Ist Deutschland ein Einwanderungsland mit 5% Nichtdeutschen? Die Antwort auf diese Fragen hängt sehr von der eigenen Weltanschauung ab, da braucht man keine K-Gruppe zu sein.
Gerade die Unterschiedlichkeit macht doch die Welt interessant. Und Kloty sollte es nicht entgangen sein, daß gerade das Leugnen von Identität und das Verbot, sie auszuleben immer wieder zu Konflikten führt.
Richtig, siehe April letzen Jahres, Estland.
kommentiert aber die russische Beschimpfung der Balten und Deutschen als Faschisten mit Verständnis
Herr Reetz, sie unterscheiden nicht zwischen Russen, die, wie sie sagen, alle Esten als Faschisten beschimpfen. Bisschen Diversität wäre auch von Ihrer Seite begrüßenswert.
Und die Frage, welche Stellung das Russische in der Sowjetunion hatte, da kann ich wieder nur auf die bereits erwähnte Hegemonie verweisen. Es war SU-weit die einzige Staatssprache und für jeden, der etwas werden wollte
Englisch ist die Verkehrssprache der EU und unabdingbare Voraussetzung für jeden, der etwas werden will. Und jetzt?
Ich selber wurde noch 1993 in Riga ab Bahnhofschalter angebrüllt, weil ich eine Fahrkarte auf Lettisch kaufen wollte
Tut mir leid für Sie. Höfflichkeit in den Ostblockländern war recht rar, hat sich hoffentlich gebessert.
Und gerade als Deutscher stört mich die fehlende Fähigkeit der Russen anzuerkennen, daß sie im Falle Estlands einen großen Teil von 800 Jahre Unterdrückung zu verantworten haben – nicht nur in der Sowjetzeit.
Stoert es Sie denn als Deutscher, dass Deutschland einen groesseren Teil der 800 Jahre Unterdrückung Estlands nicht anerkennt?
Er rechtfertigt das befinden der Russen in Estland, vermutlich seine Herkunft, findet aber keine Worte des Verständnisses der estnischen Sicht der Geschichte.
Mein Traum von Estland ist ein Neuanfang, ohne Schatten der Geschichte. Überlasst die Geschichte Historikern und nicht Politikern, auch nicht Politikern, die sich als Historiker begreifen. Schaut nach vorne und nicht zurück. In Deutschland hat es nach 1945 mehr oder weniger geklappt, warum nicht auch in Estland?
Kommentar veröffentlichen