Samstag, 2. Februar 2008

Der Mob und das Pandämonium


Ein ganz normaler Tag an der Uni
Wo man hinschaut Tabletts mit Geschirr und Verpackungsabfall aus der Cafeteria, hunderte Zigarettenkippen auf der Treppe vor der Bibliothek und zerrissene, wenn überhaupt vorhandene Zeitungen in der Leseecke. Dieses Bild bietet sich den Besucherinnen und Besuchern an einem ganz gewöhnlichen Tag in der Universität – sogar in den Semesterferien.
Viele Studierende der 90er Jahre machen sich offenbar keine Gedanken darüber, von wem ihr Abfall am Abend beseitigt wird. Obwohl unzählige Mülleimer vorhanden sind, wird der Unrat häufig achtlos neben den Tonnen „entsorgt“.
Es kommt aber noch schlimmer, denn all dies geschieht oftmals keineswegs „aus Versehen“, wie das folgende Beispiel belegt. Wider Erwarten auf das Vergehen angesprochen: „willst du das nicht in den Mülleimer schmeißen?“, reagiert der Übeltäter auch noch frech: „Nein, will ich nicht, ich wollte das da auf den Stuhl schmeißen.“ (Personen und Handlungen dieser Episode sind nicht frei erfunden.)
Die Liste derartiger ,,Kavaliersdelikte“ ließe sich beliebig erweitern. Es interessiert nicht, welche Konsequenzen das eigene Handeln für Kommilitonen und Unipersonal hat. Wichtig ist einzig und allein, daß die Einzelnen ihr Schäflein ins Trockene bringen und zwar auf dem bequemsten Wege. Angesichts der chronischen Überlastung der Hochschulen ist ein solches Verhalten eigentlich alles andere als gefragt.

Klassendenken statt Solidarität
Die gegenwärtigen Studierendengeneration bemängelt beispielsweise, daß die Universität zu voll ist, man gibt in Fragebögen wissenschaftlicher Untersuchungen gar an, darunter zu leiden. Doch andererseits wird dies durch das alltägliche, extrem egoistische Verhalten noch verschlimmert. Der Einzelne entwickelt eine ,,Das-ist-meins-Mentalität“, nach der für die Allgemeinheit bestimmte Gegenstände wie Bücher, Kopierer, Drucker und so weiter, einmal ergattert, in Beschlag genommen werden. Selbst wenn es Stunden dauert und die Schlange der Wartenden wächst, kommt keinem der Gedanke, für kürzere Geschäfte einmal zurückzustehen.
Kaum ist man fertig, verwandelt sich die Einstellung freilich ins genaue Gegenteil. Für das Wegräumen der Bücher nach dem Kopieren beispielsweise oder das simple Zurückstellen der Kaffeetasse fühlt sich die BenutzerIn dann nicht mehr verantwortlich. Das soll das „Personal“ erledigen. Die Angestellten der Bibliothek und der Cafeteria sind aber allein schon wegen des Massenansturms überlastet.
Statt wie früher die Studierenden durch Hinweisschilder vom eigenhändigen Rückstellen der Bücher abzuhalten, muß die Bibliothek seit vergangenem Jahr auf die Kooperationsbereitschaft ihrer Nutzer und Nutzerinnen vertrauen. Heute fordern die gelben Tafeln daher zum Abräumen auf. Diese Hinweise werden jedoch derart beharrlich ignoriert, daß man meinen könnte, die Studierenden seien des Lesens gar nicht mächtig.
Nicht besser ist der Zustand der außerhalb der Bibliothek aufgestellten und damit der Aufsicht entzogenen Zeitungen. Selbst der inzwischen über den Bänken montierte offizielle rügende Hinweis, daß der ,,derzeitige Zustand nicht akzeptabel“ sei, schindet nicht genug Eindruck bei den LeserInnen, als daß Diebstahl und Vandalismus abnähmen.
Die gleiche Arroganz legen die Studierenden an den Tag, wenn es darum geht, ihre durch die halbe Universität getragenen Tabletts aus der Cafeteria dorthin zurückzubringen oder ihre Zigaretten im Aschenbecher zu löschen und ihre Plastikbecher und Schokoriegelpapierchen in die Mülltonne zu werfen.
Die Ursachen dieser Mentalität sind nicht ausschließlich in der allgegenwärtigen Überfüllung der Universität zu suchen. Die Erstsemester bringen diese Einstellung schon aus der Schule mit, wo ihnen früh vermittelt wurde, daß der Banknachbar ein potentieller Konkurrent ist.

What is this and what the hell is it doing in here?!
Die Entscheidung über den Beruf fällt dann in der Regel nach einem der folgenden Muster: Entweder man schreibt sich für erfolgversprechende Modefächer wie Betriebswirtschaft oder Jura ein, die nicht unbedingt das Traumfach sein müssen, aber dafür eine berufliche Zukunft mit hohem Einkommen und Prestige versprechen. Oder es wird dasselbe studiert wie schon die Eltern, weil es für viele die einfachste und von zu Hause am ehesten unterstützte Wahl ist.
Wieder andere immatrikulieren sich erst einmal für ein x-beliebiges Fach, um „drin“ zu sein und orientieren sich dann erst. In diesem Fall dient das Studium also als Beschäftigungstherapie, die häufig mangels anderer aussichtsreicher Ausbildungs- oder Berufsmöglichkeiten mitunter nur nach langem Zögern gewählt wird. Dies hat jüngst auch eine Studie des Konstanzer Sozialwissenschaftlers Hansgert Peisert ergeben. Die Attraktivität des Studiums hat darum in den vergangenen Jahren trotz schlechterer Rahmenbedingungen nicht gelitten.
Die gegenwärtige Misere der deutschen Hochschulen ist auch auf die Bildungspolitik der Sozialdemokraten in den 70er Jahren zurückzuführen. Damals wollte man allen das Abitur ermöglichen und dadurch die Universitäten für alle Bevölkerungsschichten öffnen. Mit einer Verbesserung der Chancengleichheit für den Nachwuchs einkommensschwacher Familien ging zugleich eine starke Zunahme der Immatrikulationen insgesamt einher. Ein Grund dafür ist das ungleich höhere Prestige eines Hochschulstudiums im Vergleich mit einer Ausbildung.
Die Früchte ernteten die Schüler und Schülerinnen der 80er Jahre, für die das Abitur immer stärker zum wichtigen Kriterium für eine berufliche Karriere gleich welcher Art wurde. Dieser Zustand hat. entgegen der ursprünglichen Intention, das Klassendenken sogar noch verstärkt. Die Generation der Studierenden der 90er Jahre hat nichts anderes kennengelernt.
So entsteht ein Teufelskreis, der die beobachteten Verhaltensweisen nach sich zieht. Einmal auf den Geschmack gekommen, lehnen die Studierenden nämlich eine verstärkte Öffnung der Universität ab, sind jedoch auch gegen Verschärfungen und Studienzeitverkürzungen, so die erwähnte Studie. Mit anderen Worten: Sie sind für den Status Quo, weil sie, einmal im Unibetrieb, selbst davon profitieren.

,,Geklonte“ Kinder der 68er
Gleichzeitig konstatiert die Konstanzer Untersuchung eine verstärkte materialistische Grundeinstellung der Studierenden. Einerseits stöhnen alle über die hohen Mieten, andererseits ist es aber für viele (zum Glück bei weitem nicht alle) offenbar kein Problem, gleichzeitig ein vergleichsweise teures Auto zu unterhalten. Von Ausgaben für (repräsentative) Kleidung und Reisen ganz zu schweigen.
Auch dies lehrt, daß von der ursprünglichen Intention der Öffnung der Universitäten nicht viel geblieben ist, schließlich hat sich die Unterstützung durch den Staat (BAföG) in den letzten elf Jahren alles andere als verbessert.
Sind die Kinder der 68er, aufgewachsen während der geistig-moralischen Wende, alle „geklonte“ Studierende, die, uniform ausstaffiert und denselben Leidenschaften frönend, dasselbe Ziel anstreben nämlich möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen, um den ohnehin hohen Lebensstandard noch steigern zu können? Ist in den 90ern statt Selbstverwirklichung und persönlicher Entfaltung wie in den 70ern nur Luxus angesagt? Dies wäre vor allem insofern erschreckend, als die Studierenden von Heute die gesellschaftliche „Elite“ von Morgen sein wollen.

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