Sillamäe steht in Estland für radioaktiven Müll und russische Migranten
Sillamäe, im Februar 1997. – Die 20.000 Einwohner zählende Stadt im Nordosten Estlands ist selbst für Esten „terra incognita“. Der von den Sowjets aus dem Boden gestampfte Ort gilt dem Baltenvolk als Inbegriff für Unwirtlichkeit. Ein Besuch zeigt, daß sich daran auch vermutlich so schnell nichts ändern wird.
„Was, nach Sillamäe wollen sie?!“ Das ist die meistgehörte Reaktion, weiht man Esten in solche Reisepläne ein. Oft fügen sie noch hinzu: „Da war ich noch nie, und da möchte ich auch gar nicht hin.“ Mit solch negativen Assoziationen kann sonst nur der ehemalige sowjetische Marinestützpunkt Paldiski konkurrieren. Was ist an Sillamäe so ungewöhnlich, daß selbst Einheimische auf die bloße Erwähnung reagieren, als läge diese Stadt noch hinter dem Ende der Welt?
Privilegierte Sowjetsiedlung
Auf den ersten Blick ist kaum ein optischer Unterschied zu anderen Orten fernab des politischen und wirtschaftlichen Zentrums Tallinn auszumachen. In Sillamäe leben die meisten Menschen in den gleichen nackt anmutenden Wohnblöcken wie in den zu Sowjetzeiten errichteten Schlafstädten, welche auch die Hauptstadt Estlands umgeben. Die Häuser wurden nie verputzt, man kann sogar die Fensterstürze sehen. Doch auch der ältere Teil der Stadt ist unestnisch, so weit das Auge reicht gibt es keines der charakteristischen Holzhäuser.
Die Sowjets haben hier nach dem Krieg an Stelle des kleinen Kurortes, den auch Tschaikowsky gerne besuchte, eine Industriestadt ganz im stalinistischen Zuckerbäckerstil errichtet, die im Unterschied zu den großen Protzbauten anderswo großenteils lauter schnuckelige zweistöckige Wohnhäuser sind. Die Einwohner aus der ganzen Sowjetunion zuzogen. Ebenso wie in den benachbarten Städten Narva, Jõhvi und Kohtla-Järve leben in Sillamäe auch heute noch vorwiegend Russen.
Zu Sowjetzeiten war die Stadt geschlossen. Fremde hatten keinen Zutritt und nicht etwa nur Ausländer. Sogar die Landstraße von Tallinn nach St. Petersburg machte an dieser Stelle einen mehrere Kilometer betragenden Umweg. Grund dafür war das große Werk am Rande der Stadt, in dem unter höchster Geheimhaltung radioaktives Material für die Militärs produziert wurde. Was hier geschah, wurde nicht einmal in den offiziellen Statistiken der estnischen Teilrepublik geführt. Man erzählt sich noch heute, damals sei die Versorgungslage hier besser gewesen als in Moskau. „Sillamäe war ein Staat im Staate mit herausragenden Privilegien“, erklärt der stellvertretende Bürgermeister Valdek Murd.
Das ist aber nur die praktische Ursache, warum die meisten Esten noch nie in dieser Stadt gewesen sind. Heute ist der Zutritt schließlich nicht mehr verboten.
Hypothek für die Umwelt
Unweit der Ostseeküste, an der sich Sillamäe über rund vier Kilometer erstreckt, befindet sich unter freiem Himmel eine Deponie. Das dort gelagerte radioaktive Material droht aufgrund der geringen Entfernung von nur rund zehn Metern die Finnische Bucht zu verseuchen. Als „hinreichend gefährlich“ bezeichnet auch Neeme Jõgi aus der Chefetage das Problem. Die Deponie muß ständig feucht gehalten werden, damit der Wind den Staub nicht ins Meer weht. Aus diesen Gründen wird seit Jahren über Möglichkeiten der Entsorgung und Sanierung diskutiert. Auch deutsche Firmen haben Sillamäe oft besucht.
Silmet heißt das seit etwa einem Jahr privatisierte Sorgenkind heute, welches die Sillamäer nach wie vor nur liebevoll „das Werk“ nennen. Der einzige Stadtbus fährt jeweils zu den Schichtwechseln einmal durch die gesamte Stadt – bis zum Werk.
Der Betrieb verarbeitet heute Buntmetalle. Er ist zwar aus dem Gröbsten noch nicht raus, Entlassungen wurden gerade jüngst wieder angekündigt. Aber das, was da aus alten Zeiten da noch lagert, ist nach Berichten estnischer Zeitungen etwas wert, könnte man es nur ins Ausland verkaufen. So sorgt Silmet nach wie vor regelmäßig für Schlagzeilen in der Presse und wird den Schatten der Geheimniskrämerei nicht recht los, obwohl die neue Führung offenherzig Auskunft gibt.
Wirtschaftlicher Niedergang
Die Aktiengesellschaft muß gleichzeitig natürlich auch die Rolle des größten Hoffnungsträgers übernehmen, mangelt es doch sonst in Sillamäe an Arbeitgebern. Silmet ist dabei in Estland ein Unikum, wie Neeme Jõgi meint, weil die gesamte Produktion in den Export geht. Buntmetall wird nach Rußland, Japan, in die USA und in geringeren Mengen nach Europa geliefert. Österreich ist ein Kunde. Verwendung findet das Silmet-Angebot in der Automobilindustrie, der Medizin und bei der Herstellung von Golfschlägern.
Aber das ist noch nicht alles. Typisch für die Sowjetwirtschaft war die fehlende Arbeitsteilung. Große Betriebe haben schließlich auch ihre eigenen Dienstleister unterhalten. Die neuen Eigentümer vom Silmet haben die Firma jetzt in fünf Einzelteile aufgespalten. Die Metallproduktion als eigentlicher Zweig steht so neben dem Betrieb des Heizwerk und einer extra Verwaltung für die Liegenschaften. Die Fernheizung ist einstweilen die einzige in der Stadt. Hauseigene Gas- oder Ölbrenner waren in der Sowjetunion bei Mehrfamilienhäusern unüblich.
Sillamäe ist faktisch stark vom Schicksal des Werkes abhängig. „Wenn Silmet pleite geht, ist das für die Stadt eine Katastrophe“, sagt Murd und spielt auf das Schicksal der benachbarten Ortschaft Oru an, wo unlängst ein Torfwerk geschlossen wurde und seither buchstäblich nichts mehr läuft. Er könne die Sorgen der Bevölkerung verstehen, die während der letzten Jahre einen extremen Fall erleben mußte. Silmet hofft nach Jõgis Worten auf die Einrichtungen eines Freihafens für die Verladung von Öl, der nahe genug an Rußland ist und bessere Navigationsmöglichkeiten bietet als russische Häfen. (Anmerkung: Dieser existiert inzwischen).
Als Unterstützung für die Entwicklung in Sillamäe gründete der russische Jude Hanon Barabaner 1993 das College für Ökologie und Technologie. Er selbst weilt jedoch meist in Tallinn, wo bald darauf eine zweite Filiale dieser privaten Bildungseinrichtung etabliert wurde. Die ständige Fluktuation der Lehrkräfte und eine technische Ausrüstung, die sich weitgehend auf die elektrische Beleuchtung beschränkt, sorgten für einen negativen Ruf. Barabaner habe das College nur zum Geld verdienen eingerichtet, heißt es. Daß ohne Veränderungen des Lehrplans, wie versichert wird, der Name kürzlich in Sillamäer Institut für Wirtschaft und Führung geändert wurde, wird das Vertrauen nicht erhöhen. Dennoch, die Zahl der Anmeldungen steigt jährlich. Es gibt eben in Sillamäe nichts anderes.
Streitbare Staatsbürgerschaft
„Ich bin nur ein einfacher Mann“, pflegte Aleksander Kuklov, ein vor mehr als zehn Jahren aus dem damaligen Sverdlowsk, heute Jekaterinburg, zugewanderter Trainer und Deutschlehrer zu sagen, wenn es um seinen Status in Estland geht. „Ich habe überhaupt keine Papiere“, beschwerte er sich unisono mit vielen seiner Landsleute. Daraus sprach die Erfahrung des russischen Volkes, daß die Regierung sowieso über ihre Köpfe hinweg entscheidet. Kuklov glaubte nicht, daß sich seine Lage eines Tages bessern würde und spekulierte sogar mit der Auswanderung nach Polen.
In der Tat mußten die Einwohner Estlands ohne Anspruch auf einen estnischen Paß nach der Unabhängigkeit 1991 lange Zeit für jede Auslandsreise immer wieder ein neues Dokument beantragen, daß für die Rückreise beinahe wichtiger war als beim Verlassen des Landes. „Das ist unsere neue Demokratie“, war ein beliebter Kommentar.
Kuklov hat Erfahrung. Über Jahre war er in Sillamäe die anerkannte Kapazität für das Deutsche, führt die zahlreicher werdenden Ausländer in der Stadt herum, hilft den zur Emigration bereiten Rußlanddeutschen bei Übersetzungen und macht sich als Übersetzer bei Reisen ins deutschsprachige Ausland nützlich. Seit die estnischen Behörden es aber nun geschafft haben, die lange angekündigten Ausländerpässe auszustellen, macht auch Kuklov ein zufriedenes Gesicht.
Auch wenn diese Probleme nur selten für Schlagzeilen sorgen, überraschten jüngst Untersuchungen der Universität Tartu mit einer mehrheitliche Zustimmung zur Unabhängigkeit Estlands ebenso wie zum Übergang zur Marktwirtschaft unter den Russen in Sillamäe und Umgebung. Gegenwärtig sind rund 3.500 Sillamäer estnische Staatsbürger. Das sind 20 Prozent der Bevölkerung, keine geringe Zahl bei Berücksichtigung eines Anteils von rund vier Prozent ethnischen Esten. Andererseits haben sich immerhin 31 Prozent für einen russischen Paß entschieden. Rund die Hälfte der Einwohner sind weiterhin staatenlos.
Für den Erwerb eines estnischen Passes muß unter anderem eine Prüfung in der estnischen Sprache abgelegt werden. Diese beherrschen nach eigenen Angaben in Sillamäe fließend gerade einmal drei Prozent, 60 dagegen sprechen kein Wort. In diesem faktischen Ghetto russischer Migranten bleibt ein Fortschritt natürlich schwierig. Zufrieden berichtet der stellvertretende Bürgermeister Murd trotzdem, daß jetzt viele junge Leute fleißig Estnisch lernen, weil sie an estnischen Hochschulen studieren wollen. Im vergangenen Sommer gab es sogar mehrere Sprach-Lager für Kinder.
Politischer Poker
Die Probleme mit der Wirtschaft und der Staatsangehörigkeit finden ihre Entsprechung in der Konstellation der örtlichen politischen Kräfte. Im Stadtrat gibt es zwei Fraktionen von elf und zehn Abgeordneten - „Es lebe Sillamäe“ und „Vereinigung“. Letztere steht den Esten nahe. Der frühere Silmet-Chef, Priit Saksing, war ebenfalls Vorsitzender des Stadtparlamentes.
Der 1996 ins Amt gekommene Bürgermeister, Sergej Sobolew sprach zwar fließend estnisch, konnte aber leider inhaltlich nicht mehr anbieten als zu predigen, daß man Estnisch lernen müsse. So urteilte nach einem Besuch der in Estland bekannte russische Fernsehjournalist Aleksander Zukerman.
Nach den Lokalwahlen Anfang 1997 wurde er zwar zunächst in seinem Amt bestätigt. Doch dann ereilte ihn das Schicksal seines Vorgängers, er wurde im Spätsommer über Nacht einfach abgewählt. Anschließend kam es zu einem monatelangen Interregnum, denn auch Saksing mußte wegen eines Skandals um die Entlassung einer Dezernentin zurücktreten. Die Stadt blieb vollständig führungslos.
Ab dem 24. September vertrat Valdek Murd, eigentlich für Sozialfragen zuständig, das vakante Bürgermeisteramt, in das er jedoch nicht gewählt werden wollte: „Jeder muß wissen, was sein Gebiet ist“, sagte der erst neun Monaten zuvor aus dem benachbarten Kohtla-Järve zugezogene Mann, der dort dasselbe Amt schon fünf Jahre inne hatte. Der unter Sobolew als Sekretär tätige Sergej Sonow widerspricht. „Natürlich wollte Murd Bürgermeister werden, doch er hatte nicht einmal die Macht, sich als Kandidat aufstellen zu lassen.“
Sonow macht Kräfte in der Hauptstadt für die politischen Spiele in Sillamäe verantwortlich. Er folgt damit einer weit verbreiteten Ansicht, daß es immer irgendwo höhere Mächte gibt. Murd charakterisiert seinerseits die Beziehungen zu Tallinn als schwierig. Mag der Versuch einer Einflußnahme auf die Postenverteilung auch plausibel sein, herrscht in der Hauptstadt sonst wohl eher Desinteresse, was die ganze Region betrifft. Immerhin konnte Ministerpräsident Mart Siimann sich am 9. Juni 1997 zu einem eintägigen Besuch in Sillamäe mit einer hochkarätigen Delegation in seiner Gefolgschaft durchringen, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Daß er etwas bewegt hätte, war jedoch nicht zu erfahren.
Da die Sillamäer Abgeordneten offensichtlich zu einer stringenten Politik nicht zu bewegen sind, stellt sich damit natürlich die Frage, wie mächtig diese Kreise in Tallinn wirklich sind. Vor wenigen Tagen wurde nun ein ehemaliger Bürgermeister der estnischen Hauptstadt auf den Sessel des Landrat gehievt. Das politische Spiel dürfte damit noch nicht beendet sein, da stimmt auch Sonow lebhaft zu.
Was ist schon normal?
Ergänzen möchte ich diesen Text mit einigen Absätzen, die in einem anderen Zusammenhang verfaßt wurden. Hier werden die Erfahrungen eines Westdeutschen in den ersten Wochen des Aufenthalts in Sillamäe wiedergegeben, was damals doch alles eher exotisch als normal wirkte.
Als während der kalten Wintermonate das russischsprachige Wochenblatt День за Днем den in Estland bekannten russischen Journalisten Aleksander Zukerman nach Sillamäe schickte, war dieser am Busbahnhof äußerst verwundert. Er fragte einen von zwei in Sillamäe lebenden Ausländern nach dem Weg und traf also in der vormals gesperrten Stadt als aller erstes jemanden, der kein Russisch versteht. Dies wurde später auch der Aufmacher des Artikels.
Zukerman mußte sich im einzigen Hotel der Stadt zu dem völlig überhöhten Preis von immerhin 30 Dollar pro Nacht ein Zimmer mieten. Damit aber nicht genug. Der aus dem Kaukasus stammende Eigentümer dieses Etablissements hatte das Café des Hauses zwar bereits adrett herrichten lassen, nicht jedoch die Zimmer – was nicht verwundert, hält sich doch die Zahl der Übernachtungen in Grenzen. Überraschend hingegen war für die Gäste aus Tallinn und Deutschland die anschließende Verweigerung des Personals, den Journalisten in ihrem renovierten Restaurant speisen zu lassen. Ein fein den estnischen Gesetzen entsprechendes Schildchen wies in estnischer Sprache auf den Grund hin: „reserveeritud“.
Der Hotelgast mußte erst deutliche Worte finden, um sich Einlaß zu verschaffen. Auf die Frage, wo er sonst in Sillamäe essen sollte, wußten die freundlichen Mitarbeiter nämlich auch keine rechte Antwort (es sei erwähnt, daß es damals nur noch zwei weitere Cafés in der Stadt gab). Nach diesem Erlebnis staunten die Besucher auch nicht mehr, als sie die Hälfte der Tische im angeblich voll besetzten Café verwaist vorfanden. Ähnlich reagierte man, als die Kellnerin den „willkommenen“ Gästen Pommes Frites servierte, obwohl sie den Hinzugestoßenen erst zwei Minuten vorher erklärt hatte, es gäbe an diesem Abend leider keine Pommes Frites mehr. In Deutschland würde der Gast ein solches Verhalten schlicht als unverschämt einstufen, doch in Sillamäe muß das keineswegs heißen, daß die Kellnerin eine persönliche Rechnung mit dem Gast zu begleichen hat. Sie reagiert deshalb auf bissige Kommentare nicht verärgert, sondern nur mit einem Achselzucken.
Genau die gleiche Reaktion zeigte ein „Handwerker“, der bei dem Versuch, ein Antennenkabel zu installieren, feststellte, daß er zwar den Lötkolben dabei hat, um den Stecker am Kabelende zu befestigen, nicht jedoch einen Schraubendreher, um das Gehäuse zu öffnen. Ähnlich hilflos stand der arme Mann Stunden später vor dem Verteilerkasten im Treppenhaus, welchem man schon von weitem ansah, daß andere vorher ihr Problem mit Gewalt zu lösen versucht hatten. Da es offensichtlich keinen die Schlüssel verwaltenden Hausmeister gab oder der Handwerker lieber eine halbe Stunde geräuschvoll diverse Öffnungsmethoden ausprobierte, hieß es Warten bis die rettende Idee kam: einfach die Scharniere aufzubiegen. Bleibt noch zu erwähnen, daß der hilfsbereite Mann immerhin sofort erschienen war und auch so lange blieb, bis er das Problem gelöst hatte.
Die Einheimischen selbst sind es, die unter diesen Umständen tagtäglich lebend die nōtige Geduld in irrationalem Wechsel einmal aufbringen und dann wieder nicht. Als Aufmerksamkeit des Hauses steht auf der Theke der nicht zur Selbstbedienung konzipierten Mensa des Sillamäe‘er Colleges, die übrigens von einem Subunternehmer bewirtschaftet wird, ein Glöckchen, um die freundliche Mitarbeiterin herbeizurufen, wenn sie sich gerade in der Küche aufhält. Man möchte glauben, ein einmaliges deutliches Zeichen dürfte genügen, um sich bemerkbar zu machen. Doch den meisten Gästen reicht das nicht, obwohl oder trotzdem die Dame sich selbst von penetrantem Klingeln zu keinem bösen Wort hinreißen läßt und statt dessen in geübter Ruhe die Wünsche der Kunden erfüllt. Die könnte man freilich böswillig auch als Zeitlupe bezeichnen.
Vielleicht ist diese Ungeduld auch nur ein Resultat des langen Wartens vor der Tür. Denn selbst wenn das gigantisch große Vorhängeschloß außen verschwunden ist, also schon jemand in der Mensa anwesend ist, bedeutet das noch lange nicht, daß die Hungrigen, Öffnungszeiten hin oder her, bereits Zutritt haben. Der Einfachheit halber enthält der Chef des Hauses die sich natürlich ständig ändernden Öffnungszeiten der Öffentlichkeit meist vor. Ist die Tür einmal offen, steht der Ausschank unmittelbar bevor, doch wie sollte es anders sein, auch das ist eine relative Größe, weil die Dame hinter der Theke mit einnehmendem Lächeln um eine Minute bittet, und das wird nun wieder ohne Klingeln und Meckern akzeptiert.
Manche Menschen in dieser Stadt werden übrigens nicht müde zu erwähnen, daß zu Sowjetzeiten alles besser gewesen sei, damals habe noch Ordnung geherrscht. Die anderen sagen einfach: „Das ist normal“. Und das ist es hier in der Tat.
Sillamäe, im Februar 1997. – Die 20.000 Einwohner zählende Stadt im Nordosten Estlands ist selbst für Esten „terra incognita“. Der von den Sowjets aus dem Boden gestampfte Ort gilt dem Baltenvolk als Inbegriff für Unwirtlichkeit. Ein Besuch zeigt, daß sich daran auch vermutlich so schnell nichts ändern wird.
„Was, nach Sillamäe wollen sie?!“ Das ist die meistgehörte Reaktion, weiht man Esten in solche Reisepläne ein. Oft fügen sie noch hinzu: „Da war ich noch nie, und da möchte ich auch gar nicht hin.“ Mit solch negativen Assoziationen kann sonst nur der ehemalige sowjetische Marinestützpunkt Paldiski konkurrieren. Was ist an Sillamäe so ungewöhnlich, daß selbst Einheimische auf die bloße Erwähnung reagieren, als läge diese Stadt noch hinter dem Ende der Welt?
Privilegierte Sowjetsiedlung
Auf den ersten Blick ist kaum ein optischer Unterschied zu anderen Orten fernab des politischen und wirtschaftlichen Zentrums Tallinn auszumachen. In Sillamäe leben die meisten Menschen in den gleichen nackt anmutenden Wohnblöcken wie in den zu Sowjetzeiten errichteten Schlafstädten, welche auch die Hauptstadt Estlands umgeben. Die Häuser wurden nie verputzt, man kann sogar die Fensterstürze sehen. Doch auch der ältere Teil der Stadt ist unestnisch, so weit das Auge reicht gibt es keines der charakteristischen Holzhäuser.
Die Sowjets haben hier nach dem Krieg an Stelle des kleinen Kurortes, den auch Tschaikowsky gerne besuchte, eine Industriestadt ganz im stalinistischen Zuckerbäckerstil errichtet, die im Unterschied zu den großen Protzbauten anderswo großenteils lauter schnuckelige zweistöckige Wohnhäuser sind. Die Einwohner aus der ganzen Sowjetunion zuzogen. Ebenso wie in den benachbarten Städten Narva, Jõhvi und Kohtla-Järve leben in Sillamäe auch heute noch vorwiegend Russen.
Zu Sowjetzeiten war die Stadt geschlossen. Fremde hatten keinen Zutritt und nicht etwa nur Ausländer. Sogar die Landstraße von Tallinn nach St. Petersburg machte an dieser Stelle einen mehrere Kilometer betragenden Umweg. Grund dafür war das große Werk am Rande der Stadt, in dem unter höchster Geheimhaltung radioaktives Material für die Militärs produziert wurde. Was hier geschah, wurde nicht einmal in den offiziellen Statistiken der estnischen Teilrepublik geführt. Man erzählt sich noch heute, damals sei die Versorgungslage hier besser gewesen als in Moskau. „Sillamäe war ein Staat im Staate mit herausragenden Privilegien“, erklärt der stellvertretende Bürgermeister Valdek Murd.
Das ist aber nur die praktische Ursache, warum die meisten Esten noch nie in dieser Stadt gewesen sind. Heute ist der Zutritt schließlich nicht mehr verboten.
Hypothek für die Umwelt
Unweit der Ostseeküste, an der sich Sillamäe über rund vier Kilometer erstreckt, befindet sich unter freiem Himmel eine Deponie. Das dort gelagerte radioaktive Material droht aufgrund der geringen Entfernung von nur rund zehn Metern die Finnische Bucht zu verseuchen. Als „hinreichend gefährlich“ bezeichnet auch Neeme Jõgi aus der Chefetage das Problem. Die Deponie muß ständig feucht gehalten werden, damit der Wind den Staub nicht ins Meer weht. Aus diesen Gründen wird seit Jahren über Möglichkeiten der Entsorgung und Sanierung diskutiert. Auch deutsche Firmen haben Sillamäe oft besucht.
Silmet heißt das seit etwa einem Jahr privatisierte Sorgenkind heute, welches die Sillamäer nach wie vor nur liebevoll „das Werk“ nennen. Der einzige Stadtbus fährt jeweils zu den Schichtwechseln einmal durch die gesamte Stadt – bis zum Werk.
Der Betrieb verarbeitet heute Buntmetalle. Er ist zwar aus dem Gröbsten noch nicht raus, Entlassungen wurden gerade jüngst wieder angekündigt. Aber das, was da aus alten Zeiten da noch lagert, ist nach Berichten estnischer Zeitungen etwas wert, könnte man es nur ins Ausland verkaufen. So sorgt Silmet nach wie vor regelmäßig für Schlagzeilen in der Presse und wird den Schatten der Geheimniskrämerei nicht recht los, obwohl die neue Führung offenherzig Auskunft gibt.
Wirtschaftlicher Niedergang
Die Aktiengesellschaft muß gleichzeitig natürlich auch die Rolle des größten Hoffnungsträgers übernehmen, mangelt es doch sonst in Sillamäe an Arbeitgebern. Silmet ist dabei in Estland ein Unikum, wie Neeme Jõgi meint, weil die gesamte Produktion in den Export geht. Buntmetall wird nach Rußland, Japan, in die USA und in geringeren Mengen nach Europa geliefert. Österreich ist ein Kunde. Verwendung findet das Silmet-Angebot in der Automobilindustrie, der Medizin und bei der Herstellung von Golfschlägern.
Aber das ist noch nicht alles. Typisch für die Sowjetwirtschaft war die fehlende Arbeitsteilung. Große Betriebe haben schließlich auch ihre eigenen Dienstleister unterhalten. Die neuen Eigentümer vom Silmet haben die Firma jetzt in fünf Einzelteile aufgespalten. Die Metallproduktion als eigentlicher Zweig steht so neben dem Betrieb des Heizwerk und einer extra Verwaltung für die Liegenschaften. Die Fernheizung ist einstweilen die einzige in der Stadt. Hauseigene Gas- oder Ölbrenner waren in der Sowjetunion bei Mehrfamilienhäusern unüblich.
Sillamäe ist faktisch stark vom Schicksal des Werkes abhängig. „Wenn Silmet pleite geht, ist das für die Stadt eine Katastrophe“, sagt Murd und spielt auf das Schicksal der benachbarten Ortschaft Oru an, wo unlängst ein Torfwerk geschlossen wurde und seither buchstäblich nichts mehr läuft. Er könne die Sorgen der Bevölkerung verstehen, die während der letzten Jahre einen extremen Fall erleben mußte. Silmet hofft nach Jõgis Worten auf die Einrichtungen eines Freihafens für die Verladung von Öl, der nahe genug an Rußland ist und bessere Navigationsmöglichkeiten bietet als russische Häfen. (Anmerkung: Dieser existiert inzwischen).
Als Unterstützung für die Entwicklung in Sillamäe gründete der russische Jude Hanon Barabaner 1993 das College für Ökologie und Technologie. Er selbst weilt jedoch meist in Tallinn, wo bald darauf eine zweite Filiale dieser privaten Bildungseinrichtung etabliert wurde. Die ständige Fluktuation der Lehrkräfte und eine technische Ausrüstung, die sich weitgehend auf die elektrische Beleuchtung beschränkt, sorgten für einen negativen Ruf. Barabaner habe das College nur zum Geld verdienen eingerichtet, heißt es. Daß ohne Veränderungen des Lehrplans, wie versichert wird, der Name kürzlich in Sillamäer Institut für Wirtschaft und Führung geändert wurde, wird das Vertrauen nicht erhöhen. Dennoch, die Zahl der Anmeldungen steigt jährlich. Es gibt eben in Sillamäe nichts anderes.
Streitbare Staatsbürgerschaft
„Ich bin nur ein einfacher Mann“, pflegte Aleksander Kuklov, ein vor mehr als zehn Jahren aus dem damaligen Sverdlowsk, heute Jekaterinburg, zugewanderter Trainer und Deutschlehrer zu sagen, wenn es um seinen Status in Estland geht. „Ich habe überhaupt keine Papiere“, beschwerte er sich unisono mit vielen seiner Landsleute. Daraus sprach die Erfahrung des russischen Volkes, daß die Regierung sowieso über ihre Köpfe hinweg entscheidet. Kuklov glaubte nicht, daß sich seine Lage eines Tages bessern würde und spekulierte sogar mit der Auswanderung nach Polen.
In der Tat mußten die Einwohner Estlands ohne Anspruch auf einen estnischen Paß nach der Unabhängigkeit 1991 lange Zeit für jede Auslandsreise immer wieder ein neues Dokument beantragen, daß für die Rückreise beinahe wichtiger war als beim Verlassen des Landes. „Das ist unsere neue Demokratie“, war ein beliebter Kommentar.
Kuklov hat Erfahrung. Über Jahre war er in Sillamäe die anerkannte Kapazität für das Deutsche, führt die zahlreicher werdenden Ausländer in der Stadt herum, hilft den zur Emigration bereiten Rußlanddeutschen bei Übersetzungen und macht sich als Übersetzer bei Reisen ins deutschsprachige Ausland nützlich. Seit die estnischen Behörden es aber nun geschafft haben, die lange angekündigten Ausländerpässe auszustellen, macht auch Kuklov ein zufriedenes Gesicht.
Auch wenn diese Probleme nur selten für Schlagzeilen sorgen, überraschten jüngst Untersuchungen der Universität Tartu mit einer mehrheitliche Zustimmung zur Unabhängigkeit Estlands ebenso wie zum Übergang zur Marktwirtschaft unter den Russen in Sillamäe und Umgebung. Gegenwärtig sind rund 3.500 Sillamäer estnische Staatsbürger. Das sind 20 Prozent der Bevölkerung, keine geringe Zahl bei Berücksichtigung eines Anteils von rund vier Prozent ethnischen Esten. Andererseits haben sich immerhin 31 Prozent für einen russischen Paß entschieden. Rund die Hälfte der Einwohner sind weiterhin staatenlos.
Für den Erwerb eines estnischen Passes muß unter anderem eine Prüfung in der estnischen Sprache abgelegt werden. Diese beherrschen nach eigenen Angaben in Sillamäe fließend gerade einmal drei Prozent, 60 dagegen sprechen kein Wort. In diesem faktischen Ghetto russischer Migranten bleibt ein Fortschritt natürlich schwierig. Zufrieden berichtet der stellvertretende Bürgermeister Murd trotzdem, daß jetzt viele junge Leute fleißig Estnisch lernen, weil sie an estnischen Hochschulen studieren wollen. Im vergangenen Sommer gab es sogar mehrere Sprach-Lager für Kinder.
Politischer Poker
Die Probleme mit der Wirtschaft und der Staatsangehörigkeit finden ihre Entsprechung in der Konstellation der örtlichen politischen Kräfte. Im Stadtrat gibt es zwei Fraktionen von elf und zehn Abgeordneten - „Es lebe Sillamäe“ und „Vereinigung“. Letztere steht den Esten nahe. Der frühere Silmet-Chef, Priit Saksing, war ebenfalls Vorsitzender des Stadtparlamentes.
Der 1996 ins Amt gekommene Bürgermeister, Sergej Sobolew sprach zwar fließend estnisch, konnte aber leider inhaltlich nicht mehr anbieten als zu predigen, daß man Estnisch lernen müsse. So urteilte nach einem Besuch der in Estland bekannte russische Fernsehjournalist Aleksander Zukerman.
Nach den Lokalwahlen Anfang 1997 wurde er zwar zunächst in seinem Amt bestätigt. Doch dann ereilte ihn das Schicksal seines Vorgängers, er wurde im Spätsommer über Nacht einfach abgewählt. Anschließend kam es zu einem monatelangen Interregnum, denn auch Saksing mußte wegen eines Skandals um die Entlassung einer Dezernentin zurücktreten. Die Stadt blieb vollständig führungslos.
Ab dem 24. September vertrat Valdek Murd, eigentlich für Sozialfragen zuständig, das vakante Bürgermeisteramt, in das er jedoch nicht gewählt werden wollte: „Jeder muß wissen, was sein Gebiet ist“, sagte der erst neun Monaten zuvor aus dem benachbarten Kohtla-Järve zugezogene Mann, der dort dasselbe Amt schon fünf Jahre inne hatte. Der unter Sobolew als Sekretär tätige Sergej Sonow widerspricht. „Natürlich wollte Murd Bürgermeister werden, doch er hatte nicht einmal die Macht, sich als Kandidat aufstellen zu lassen.“
Sonow macht Kräfte in der Hauptstadt für die politischen Spiele in Sillamäe verantwortlich. Er folgt damit einer weit verbreiteten Ansicht, daß es immer irgendwo höhere Mächte gibt. Murd charakterisiert seinerseits die Beziehungen zu Tallinn als schwierig. Mag der Versuch einer Einflußnahme auf die Postenverteilung auch plausibel sein, herrscht in der Hauptstadt sonst wohl eher Desinteresse, was die ganze Region betrifft. Immerhin konnte Ministerpräsident Mart Siimann sich am 9. Juni 1997 zu einem eintägigen Besuch in Sillamäe mit einer hochkarätigen Delegation in seiner Gefolgschaft durchringen, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Daß er etwas bewegt hätte, war jedoch nicht zu erfahren.
Da die Sillamäer Abgeordneten offensichtlich zu einer stringenten Politik nicht zu bewegen sind, stellt sich damit natürlich die Frage, wie mächtig diese Kreise in Tallinn wirklich sind. Vor wenigen Tagen wurde nun ein ehemaliger Bürgermeister der estnischen Hauptstadt auf den Sessel des Landrat gehievt. Das politische Spiel dürfte damit noch nicht beendet sein, da stimmt auch Sonow lebhaft zu.
Was ist schon normal?
Ergänzen möchte ich diesen Text mit einigen Absätzen, die in einem anderen Zusammenhang verfaßt wurden. Hier werden die Erfahrungen eines Westdeutschen in den ersten Wochen des Aufenthalts in Sillamäe wiedergegeben, was damals doch alles eher exotisch als normal wirkte.
Als während der kalten Wintermonate das russischsprachige Wochenblatt День за Днем den in Estland bekannten russischen Journalisten Aleksander Zukerman nach Sillamäe schickte, war dieser am Busbahnhof äußerst verwundert. Er fragte einen von zwei in Sillamäe lebenden Ausländern nach dem Weg und traf also in der vormals gesperrten Stadt als aller erstes jemanden, der kein Russisch versteht. Dies wurde später auch der Aufmacher des Artikels.
Zukerman mußte sich im einzigen Hotel der Stadt zu dem völlig überhöhten Preis von immerhin 30 Dollar pro Nacht ein Zimmer mieten. Damit aber nicht genug. Der aus dem Kaukasus stammende Eigentümer dieses Etablissements hatte das Café des Hauses zwar bereits adrett herrichten lassen, nicht jedoch die Zimmer – was nicht verwundert, hält sich doch die Zahl der Übernachtungen in Grenzen. Überraschend hingegen war für die Gäste aus Tallinn und Deutschland die anschließende Verweigerung des Personals, den Journalisten in ihrem renovierten Restaurant speisen zu lassen. Ein fein den estnischen Gesetzen entsprechendes Schildchen wies in estnischer Sprache auf den Grund hin: „reserveeritud“.
Der Hotelgast mußte erst deutliche Worte finden, um sich Einlaß zu verschaffen. Auf die Frage, wo er sonst in Sillamäe essen sollte, wußten die freundlichen Mitarbeiter nämlich auch keine rechte Antwort (es sei erwähnt, daß es damals nur noch zwei weitere Cafés in der Stadt gab). Nach diesem Erlebnis staunten die Besucher auch nicht mehr, als sie die Hälfte der Tische im angeblich voll besetzten Café verwaist vorfanden. Ähnlich reagierte man, als die Kellnerin den „willkommenen“ Gästen Pommes Frites servierte, obwohl sie den Hinzugestoßenen erst zwei Minuten vorher erklärt hatte, es gäbe an diesem Abend leider keine Pommes Frites mehr. In Deutschland würde der Gast ein solches Verhalten schlicht als unverschämt einstufen, doch in Sillamäe muß das keineswegs heißen, daß die Kellnerin eine persönliche Rechnung mit dem Gast zu begleichen hat. Sie reagiert deshalb auf bissige Kommentare nicht verärgert, sondern nur mit einem Achselzucken.
Genau die gleiche Reaktion zeigte ein „Handwerker“, der bei dem Versuch, ein Antennenkabel zu installieren, feststellte, daß er zwar den Lötkolben dabei hat, um den Stecker am Kabelende zu befestigen, nicht jedoch einen Schraubendreher, um das Gehäuse zu öffnen. Ähnlich hilflos stand der arme Mann Stunden später vor dem Verteilerkasten im Treppenhaus, welchem man schon von weitem ansah, daß andere vorher ihr Problem mit Gewalt zu lösen versucht hatten. Da es offensichtlich keinen die Schlüssel verwaltenden Hausmeister gab oder der Handwerker lieber eine halbe Stunde geräuschvoll diverse Öffnungsmethoden ausprobierte, hieß es Warten bis die rettende Idee kam: einfach die Scharniere aufzubiegen. Bleibt noch zu erwähnen, daß der hilfsbereite Mann immerhin sofort erschienen war und auch so lange blieb, bis er das Problem gelöst hatte.
Die Einheimischen selbst sind es, die unter diesen Umständen tagtäglich lebend die nōtige Geduld in irrationalem Wechsel einmal aufbringen und dann wieder nicht. Als Aufmerksamkeit des Hauses steht auf der Theke der nicht zur Selbstbedienung konzipierten Mensa des Sillamäe‘er Colleges, die übrigens von einem Subunternehmer bewirtschaftet wird, ein Glöckchen, um die freundliche Mitarbeiterin herbeizurufen, wenn sie sich gerade in der Küche aufhält. Man möchte glauben, ein einmaliges deutliches Zeichen dürfte genügen, um sich bemerkbar zu machen. Doch den meisten Gästen reicht das nicht, obwohl oder trotzdem die Dame sich selbst von penetrantem Klingeln zu keinem bösen Wort hinreißen läßt und statt dessen in geübter Ruhe die Wünsche der Kunden erfüllt. Die könnte man freilich böswillig auch als Zeitlupe bezeichnen.
Vielleicht ist diese Ungeduld auch nur ein Resultat des langen Wartens vor der Tür. Denn selbst wenn das gigantisch große Vorhängeschloß außen verschwunden ist, also schon jemand in der Mensa anwesend ist, bedeutet das noch lange nicht, daß die Hungrigen, Öffnungszeiten hin oder her, bereits Zutritt haben. Der Einfachheit halber enthält der Chef des Hauses die sich natürlich ständig ändernden Öffnungszeiten der Öffentlichkeit meist vor. Ist die Tür einmal offen, steht der Ausschank unmittelbar bevor, doch wie sollte es anders sein, auch das ist eine relative Größe, weil die Dame hinter der Theke mit einnehmendem Lächeln um eine Minute bittet, und das wird nun wieder ohne Klingeln und Meckern akzeptiert.
Manche Menschen in dieser Stadt werden übrigens nicht müde zu erwähnen, daß zu Sowjetzeiten alles besser gewesen sei, damals habe noch Ordnung geherrscht. Die anderen sagen einfach: „Das ist normal“. Und das ist es hier in der Tat.
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