Donnerstag, 28. Februar 2008

Mehrheiten und Verhältnisse

Die neuen Mehrheiten in Deutschland generell und die erneuten hessischen Verhältnisse wurden bereits an dieser Stelle kommentiert. Mit Interesse habe ich nun die Kommentare von Politikern, Journalisten und Politologenkollegen verfolgt.
Eines steht ganz außer Frage, schon oft mußten Parteien nach Wahlen „wortbrüchig” werden, weil es die Umstände in irgendeiner Form verlangt haben. Diesen Umstand sollte der Beobachter weniger als Verrat oder Lüge werten, denn es ist leider so, daß viele Wähler im Wahlkampf Dinge hören wollen, die irreal sind oder sich als unmöglich ganz einfach am Wahlabend herausstellen. Insofern ist der Wähler an seiner eventuellen Enttäuschungen zu einem guten Teil selbst Schuld. Dies bezieht sich zwar vorwiegend auf politische Inhalte, aber mitunter auch auf Koalitionsaussagen, denn es geht andererseits natürlich auch um politische Verantwortung und das Wohl des Staates.
Würden sich etwa nach der Wahl in Hessen im Januar alle Parteien exakt an ihr Wort vor dem Urnengang halten, dann wäre die Bildung einer Regierung unmöglich, denn jede Kombinationen einer Mehrheit wurde wenigstens von einer Partei im Vorfeld ausgeschlossen. Es kann aber nicht sein, daß in einer Demokratie die Politik die Wahlergebnisse nicht mehr akzeptiert. Die Kabarettistin Lore Lorentz hat in einem Programm in den 80er Jahren mal gewitzelt, daß sich die Politiker dann eben ein neues Volk wählen.
Aber selbstverständlich muß man die Folgen für die Parteien im Falle des „Wortbruches“, der ihr gegebenenfalls vorwiegend von anderen politischen Kräften vorgeworfen würde, wie aber auch im Falle der Treue zu den eigenen Versprechen diskutieren. Im Falle der FDP, die seit der „geistig-moralischen Wende“ sowieso schon vom politischen Gegner gerne als „Umfallerpartei“ gegeißelt wird, und der Grünen ist eine Beteiligung an einer Dreierkoalition sehr schwierig im Einklang mit der eigenen Politik zu bringen. Grün würde in einer Jamaika-Koalition so wenig zu melden haben wie gelb in einer Ampel. Im Gegenteil zu Hamburg kommen in Hessen die persönlichen Animositäten der schwarzen und grünen Spitzenpersonen hinzu.
Die FDP muß sich die Frage stellen, ob ihre Konzentration auf die CDU in einem sich auf fünf Parteien erweiternden Parteinsystem nicht auf Dauer von der Macht ausschließt. Schwarz-gelb bekommt nur noch selten eine eigene Mehrheit und andere Kooperationen lehnt sie ab. Das ist auch gegenüber den eigenen Wählern ein Problem: wer stimmt schon für die ewige Opposition (abgesehen von einigen Fundamentalisten).
Angesichts der sozialen Umstände im Deutschland der Gegenwart ist eine fortgesetzte Minderheit der bürgerlichen Parteien aber sehr absehbar. Darum eröffnet sich andererseits auch für die CDU sowie für die Grünen eine neue Perspektive im politischen Spektrum, wenn sie sich auch in gemeinsamen Bündnissen befinden könnten, die Konzentration auf einen Partner, der wie in Hamburg nun erst gar nicht den Sprung ins Parlament schafft, würde damit für die CDU aufgehoben. Den Grünen wiederum bliebe die Konzentration auf die Duldung durch die Linke erspart, die sehr wahrscheinlich auch im Saarland und in Nordrhein-Westfalen in die Landtage einziehen wird.
Bleibt im Westen einstweilen offen, ob die derzeitigen Erfolge der Linken nur die Folge eines zeitweiligen Protestwahlverhalten ist, oder aber die Linke tatsächlich im Westen angekommen ist. Konflikte wie mit der Kommunistin in Niedersachsen hingegen wird die Partei vermutlich in Zukunft zu verhindern wissen. Im Osten ist die Linke aber zweifelsohne geradezu eine Volkspartei, weshalb unabhängig von der Entwicklung in einzelnen Ländern die politische Landschaft sich auf Bundesebene eher nicht ändern wird.
Dabei nimmt die Linke zunächst vor allem der SPD Wähler weg, die sich wider in einer vergleichbaren Situation wie vor der Vereinigung befindet, als im stärker katholisch geprägten Westen fast kaum je eine Chance hatte, bundesweit stärkste Kraft zu werden, ausgenommen für-Willy- oder anti-Kohl-Wahlen. Die SPD tut sich darum schwer damit, wie mit der Linken umzugehen ist. Da stehen die Bedenken wegen der Möglichkeiten von linken Mehrheiten einerseits gegen den weiteren Verlust von Wählern – zurecht, denn es gibt auch innerhalb der SPD beide Fraktionen, jene Traditionalisten, die mit der Linken nichts zu tun haben wollen und jene, die einem solchen Modell wohlwollend gegenüberstehen, weil sie selbst trotz Lafontaine keine Berührungsängste haben.
Die CDU hingegen steht, öffnet sie sich nicht, vor dem Problem, dauerhaft zwar stärkste Kraft zu sein, ihre Politik aber mit keinem Partner realisieren zu können. Dies droht ihr aber auch wegen der Politik ihres einzigen potentiellen Partners, dem es an Bereitschaft fehlt, gesellschaftliche Realitäten zu akzeptieren. Als der damalige Generalsekretär Werner Hoyer im Bundestagswahlkampf von der „Partei der Besserverdienenden” sprach, wurde anschließend behauptet, diese Äußerung sei falsch verstanden worden: „Wir sind die Partei der Besserverdiener, weil wir wollen, daß alle besser verdienen“. Aber erst jüngst sprach der heutige Generalsekretär Dirk Niebel im Deutschlandfunk von der Partei, die sich für jene einsetzt, die morgens ihre Kinder zu Schule bringen und anschließend zur Arbeit gehen. Das Motto bleibt eben, „Leistung muß sich wieder lohnen“, doch bleibt die Frage unbeantwortet, warum so viele Menschen von der Möglichkeit zu leisten ausgeschlossen sind oder auch für ihre Leistung nicht entsprechend entlohnt werden.
Die Schwierigkeiten, die eine jede Partei mit einer jeden der Kombinationen hat, beruhen vor allem auf der Angst vor der Reaktion der Wähler und damit der Sorge über die Auswirkungen bei der bevorstehenden Bundestagswahl 2009. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse muß die Politik nun aber trotzdem Antworten jenseits der bisher gewohnten Koalitionsarithmethik finden:
Eine Antwort sind Minderheitsregierungen, wie sie in anderen Ländern durchaus üblich sind. Insbesondere in Hessen, wo ein Zusammengehen mit der Linken für die SPD so problematisch ist wie für die FDP eine Ampelkoalition, daß sich Andrea Ypsilanti einfach erst einmal egal von wem wählen läßt, die Wahl ist bekanntlich geheim. Danach könnte sie mit wechselnden Mehrheiten regieren. Sozialdemokratische Ideen lassen sich mit der Linken durchsetzen, aber gleichzeitig stünde die SPD nicht unter dem Druck dieser Partei, weil solche Fragen, die mit den Linken nicht zu verabschieden sind, dann mit der FDP realisiert werden könnten. Diese kann dadurch eine zu weit nach links abgleitende Politik verhindern. Dieses Plus freilich muß dann den Wählern erklärt werden. Hingegen in eine Ampelkoalition eingebunden stünde die FDP immer vor der Schwierigkeit, bei Ablehnung konkreter Vorhaben von rot und grün mit der Linkspartei ausgespielt zu werden.
Halten sich aber wirklich alle Parteien an ihre Ausschlußkriterien und öffnen sich neuen Farbkombinationen nicht, bleibt als zweite Antwort eine ewige große Koalition, die als Schreckgespenst von Politikern wie Journalisten bezeichnet wird. Freilich ist auch diese Sorge partiell nicht nachvollziehbar, weil es nämlich auch Länder gibt, in denen eine große Koalition quasi institutionalisiert ist, wie in der Schweiz oder aber die politische Kultur wenigstens über Jahrzehnte bestimmt hat wie in Österreich. Diese Art von Konkordanzdemokratie sorgte zwar in Österreich für den Triumph des Populismus eines Jörg Haider, aber es kann nicht behauptet werden, daß eine solche Struktur generell undemokratisch wäre.
Und wie ist es um Apsruch und Wirklichkeit des politischen Systems in Deutschland bestellt? Die Verfassungsväter haben in der Bundesrepublik mit dem Bundesratsmodell einem sich von anderen Föderationen unterscheidendes Modell den Vorzug gegeben. Während in den USA und der Schweiz alle föderalen Territorien die gleichen Rechte in der zweiten, kleinen Kammer haben, nämlich – abgesehen von den Halbkantonen in der Schweiz – zwei Abgeordnete, sind die Bundesländer in Deutschland ihrer Bevölkerungsstärke nach mit zwischen drei und sechs Vertretern repräsentiert. Darüber hinaus wird in den genannten Staaten die zweite Kammer direkt gewählt, in Deutschland jedoch durch die Landesregierungen in persona beschickt.
Diese verfassungstechnische Tatsache führt dazu, daß die Landtagswahlen nicht nur ein bundespolitisches Stimmungsbarometer sind, sondern die Bundespolitik auch wirklich beeinflussen. In der Bundesrepublik Deutschland sind alle Gesetze zustimmungspflichtig, müssen also vom Bundesrat auch verabschiedet werden, welche die Länder beeinflussen. Das gilt deshalb für die weitaus meisten Gesetze, weil die Verwaltung in großen Umfang den Ländern obliegt. Auch dies war von den Verfassungsvätern gewollt, die so recht keine Entscheidung zwischen einem Bund Deutscher Länder, also einer Konföderation, und einem starken Bundesstaat getroffen haben.
Trotz dieses Umstandes sehen die meisten Politiker wie auch die Medien das deutsche Regjerungssystem als Konkurrenzdemokratie. Dahingegen liebt es der deutsche Wähler, bei Landtagswahlen jenen Parteien den Vorzug zu geben, die sich im Bund in der Opposition befinden. Das Ergbenis ist, daß regelmäßig im Bundesrat eine andere Mehrheit herrscht als im Bundestag. Da sich die beiden Kammern nicht einigen können, fallen politische Entscheidungen nicht selten im Vermittlungsausschuß, was den politischen Prozeß intransparent macht und informellen Vereinbarungen zwischen den politischen Parteien Tür und Tor ö ffnet. De facto darum gibt es in Deutschland sowieso meist Allparteienregierung.
Aus heutiger Sicht stellt sich darum durchaus die Frage, ob der Beitritt nach Artikel 23 GG 1990 nicht doch ein Fehler war, wonach es einer neuen Verfassung nicht bedurfte. Ohne eine Verfassungsänderung lassen sich die Probleme nur aufbrechen, wenn sich die Parteien in alle Richtungen koalitionsfähig zeigen. In diesem Fall könnte zukünftige Politik wieder stärker eine inhaltliche Diskussion werden als die Äpfel- und Birnenzählerei, die sie in den veragangenen Jahrzehnten war.

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