Samstag, 16. Februar 2008

Völker, Denkmäler, Symbole – Diskussionen und Überraschungen

Ausgehend von der Translozierung des Bronzesoldaten in der etnischen Hauptstadt Tallinn gibt es zahlreiche Kommentare und Diskussionen, an denen auch ich mich im Laufe der letzten Monate beteiligt habe. Neben meinem eigenen Blogbeitrag kam es zu einem Mailwechsel mit dem in Estland lebenden Deutschen Klaus Dornemann, den ich 2002 einmal persönlich kennenlernte und der in der Nacht während der Ausschreitungen in Tallinn von der Polizei verhaftet worden war. Darüber hinaus erhielt ich eine Reaktion auf meinen Beitrag von Blogger Kloty, der seinerseits auf seiner Seite Zitate von Herrn Dornemann, diese als „emotional” klassifizierend, veröffentlicht hat. Am Valetinstag publizierte er folgenden Kommentar zu meinem Beitrag:

Hallo,
Artikel ist gut, allerdings verstehe ich die Logik dahinter nicht. Was soll der Vergleich zwischen dem lettischen Denkmal und dem Bronzenen Soldaten? Was hat das Datum der Parlamentswahlen damit zu tun, ob die Verlegung vor dem 9. Mai oder danach stattfinden soll?
(...)
Deswegen nochmal: Wäre die Verlegung in Absprache mit den Vertretern russischen Gemeinde geschehen, mit militärischen Ehren, mit klarer Aussage wohin das Denkmal gebracht wird, mit vorherigen Benachrichtigung der Verwandschaft der dort Bestatteten (die gerade übrigens gegen den estnischen Staat klagen), wäre das alles nicht passiert. Wenn man aber ein Drittel seiner Bevölkerung nicht ernst nimmt und dem Rest der Welt zeigen möchte, wer der Herr in seinem Haus ist, dann provoziert man Demonstrationen, Proteste, Randale und peinliche Gerichtsverfahren.

Die erste Anmerkung verblüfft mich besonders. Der Vergleich mit dem Denkmal in Riga liegt auf der Hand angesichts eines völlig gleich gelagerten Konflikts in Lettland: Es handelt sich für die Russen um ein Symbol für den Sieg über den Faschismus im Großen Vaterländischen Krieg, für die Letten hingegen für 50 Jahre sowjetische Okkupation. Die Situation ist nur insofern etwas anders gelagert, als die Russen geographisch in Lettland gleichmäßiger verteilt leben und der sprachliche Unterschied zwischen den beiden indo-germanischen Völkern Russen und Letten nicht so gravierend ist wie zu den finno-ugrischen Esten.
Auch der zweite Aspekt überrascht mich. Wegen der Symbolkraft beider Denkmäler sind sie selbstverständlich ein Politikum, welches Parlamentswahlen beeinflußt wie auch Gegenstand einer Wahlkampagne werden kann.
Mal abgesehen davon, daß der Ort der Zwischenlagerung mir nicht so besonders wichtig erscheint, halte ich die Verlegung von Soldatengräbern inklusive der Translozierung des dazugehörigen Denkmals auf einen Soldatenfriedhof für normal. Daß es gegen konkrete Orte Einwände gibt, ist nicht ungewöhnlich. Jedwede Diskussion über jedwedes Denkmal beweist das.
Wesentlich scheint mir ein anderer Aspekt, den ich in meinem Beitrag zu unterstreichen versucht habe. Nachdem über Jahre hinweg das Denkmal an seinem Ort vor der Nationalbibliothek gestanden hatte, gab es nach den Vorkommnissen vom Mai 2006 Handlungsbedarf. Es darf davon ausgegangen werden, daß eben auch dann Ausschreitungen dieser oder anderer Art stattgefunden hätten, wenn das Denkmal nicht vor dem 9. Mai 2007 versetzt worden wäre. Die Diskussionen über den Zeitpunkt lassen außer Acht, daß es jedes Jahr einen 9. Mai gibt.
Und darum erscheint es mir wichtig, die Symbolkraft des Denkmals für beide Seiten noch einmal zu diskutieren, weil in vielen Kommentaren zwar richtige Fakten angegeben werden, oftmals aber eben nur ein Teil derselben. Das bezieht sich ganz deutlich auf die Meinungsäußerung von Kloty, die Esten haben zeigen wollen, wer Herr im Haus ist.
Für viele Russen besteht das Problem, daß sie nur der russischen Sprache mächtig sind und nur in ihrem russischen Informationsraum leben. Die Umstände der russischen Medienwelt sind hinlänglich bekannt. Folglich glauben nach wie vor viele der alten sowjetischen Propaganda, sie hätten die Welt allein vom Faschismus befreit. Das ist gleich aus zwei Gründen unhistorisch: Erstens stammt der Begriff des Faschismus von Mussolini, wohingegen Hitler seine Bewegung als Nationalsozialismus bezeichnete. Nur die Sowjetunion hat zur Abgrenzung des „anderen Sozialismus“ auch die Deutschen als Faschisten bezeichnet. Die Behauptung, die Rote Armee habe die Deutschen besiegt, läßt außer Acht, das die Sowjetunion nicht alleine gegen die Nazis gekämpft hat. Gerne wird hier die Bedeutung des Kriegseintrittes der USA und die Landung in der Normandie für die deutsche Kapitulation heruntergespielt.
Selbstverständlich ist Klotys Anregung einer Kommunikation über die Zukunft des Denkmals begrüßenswert und richtig. Doch er selbst zeigt in einem Vortrag die dabei auftretenden Schwierigkeiten auf: die Russen haben bisher die Aufarbeitung der eigenen Geschichte nicht begonnen so wie dies in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg geschah. Dabei hätte es Rußland damit deutlich einfacher, weil die Sowjetunion nicht im russischen Namen gehandelt hat, der Nationalsozialismus aber sehr wohl im deutschen.
Zur 60 Jahrfeier des Weltkriegendes hatte 2005 der russische Präsident Putin auch die Präsidenten der baltischen Staaten eingeladen, wogegen nichts einzuwenden ist. Das Junktim, den Esten und Letten zu dieser Gelegenheit den Abschluß der seit zehn Jahren paraphierten Grenzverträge anzubieten, war eine klare Provokation, über welche die internationale Presse aber wieder entschieden weniger berichtet hat.
Gleichzeitig sollte betont werden, daß es in den baltischen Staaten Estland und Lettland unter der einfachen Bevölkerung keine "offenen Rchnungen" gibt. Natürlich gibt es in jedem Land Nationalisten und Radikale, die Frage von Parallelgesellschaften kann genauso wie im Falle der Türken in Deutschland oder Latinos und Schwarzen im Meltingpott der USA diskutiert werden. Aber es gibt keine manifesten Konflikte zwischen den Volksgruppen in Estland und Lettland.
Dies steht ganz im Gegensatz zu den regelmäßig in Publizistik und Wissenschaft auftauchenden Behauptungen über die Diskriminierung der Russen in den baltischen Ländern. Dazu muß unterstrichen werden, daß die Russen in Estland und Lettland sowieso auch mit der Staatsbürgerschaft Rußlands leben können, aber ebenso die örtliche beantragen können, was jedoch vielfach nicht angestrebt wird. Staatenloser zu sein schränkt inzwischen weniger ein als mit konkreten Staatsbürgerschaften auf der anderen Seite auch Pflichten verbunden sind. Auch die Reisemöglichkeiten etwa mit einem russischen respektive einem EU-Paß sind für viele Betroffene von Bedeutung. Daß die Tests für die Einbürgerung in Sprache und Geschichte eine unüberwindlich schwierige Hürde darstellen würden, ist eine oft wiederholte Mär, auf die Fragen zur Geschichte kann sich der Prüfling vorbereiten udn sie sind mit durchschnittlicher Schuldidung problemlos zu beantworten. Die Sprachtests fragen keinerlei Grammatik ab, sondern überprüfen lediglich die Kommunikationsfähigkeit, der Bewerber muß also keinesfalls fehlerfrei sprechen.
Faktum ist, daß die Vorwürfe der Diskriminierung weniger von den in den baltischen Ländern lebenden Russen erhoben werden, als von Rußland selbst. Dabei müßte insbesondere in dieser Frage Rußland zunächst im eigenen Land beginnen. Während etwa die Schweiz viele Mühen unternimmt, damit das Rätoromanische nicht ausstirbt, geschieht dies in Rußland nicht. Zwar werden etwa die Einwohner der finno-ugrischen Republik Mari El nicht bedrängt, aber eben auch nicht unterstützt. Eine Hochschulausbildung in der Sprache dieser Republik ist nicht möglich. Die Macht des Faktischen, auch daß die Russen in vielen Republiken anderer Titularnationen innerhalb der russischen Föderation eine Bevölkerungsmehrheit stellen, wirkt.
Aber zurück zu Klaus Dornemanns, den ich, da mir persönlich mehr oder weniger bekannt, per Mail nach dem Hergang gefragt habe. Aber statt mir zu berichten, wann er wo verhaftet wurde, überließ er mir nur Texte, die er nach eigenen Angaben an verschiedene Amtspersonen in Deutschland und Estland geschickt habe. Die Richtigkeit dieser Behauptung kann ich nicht überprüfen. Aus diesen Dokumenten geht hervor, daß die Polizei Dornemann mißhandelt habe – in einem finnischen Artikel wird dies mit Photos belegt – und sich ihm gegenüber geweigert habe, den Grund seiner Verhaftung zu nennen. Alle Anschreiben sind mehr als nur „emotional“ formuliert, es handelt sich vorwiegend um Beschimpfungen. Auf meine Rückfrage und Bitte hin, mir doch außerdem auch eine Beschreibung de Vorkommnisse zu geben, erhielt ich meinerseits zwei elektronische Briefe, die sich inhaltlich nicht von den Schreiben an die Amtspersonen unterscheiden. Es fällt mir schwer, in Dornemanns Handlung einen Sinn zu erkennen, zumal ein Anschreiben an einen Bundestagsabgeordneten ging, ohne daß aus irgendeiner Formulierung hervorginge, in welchem Zusammenhang dieser Politiker mit den Ereignissen in Tallinn steht. Positiv reagiert haben jedoch die Europaabgeordneten Sarah Wagenknecht und Tatjana Ždanok, die Dornemann und den Prozeß in Estland besuchten. Daß die deutsche Vertreterin von der Linken ist, veranlaßte Dornemann jedoch zu dem Kommentar, er sei eigentlich kein Anhänger dieser Partei. Ich habe mich ihm gegenüber mit keinerlei Bewertung seiner Involvierung in die Geschehnisse geäußert.

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