Mittwoch, 20. Februar 2008

Bronzesoldat, die Dritte

Blogger Kloty hat mir im Estland Blog geantwortet. Dabei stoßen erneut einige Aspekte auf. Hier liefere ich erneut eine Antwort, die keine Privatdiskussion im öffentlichen Forum werden soll. Ich nehme an, daß hiermit alles gesagt sein wird, denn es ist bereits absehbar, daß ich mich wiederholen werden muß. Gleichzeitig fordere ich Kloty auf, mir ganz einfach zu mailen.

Ich muss zugeben, ich kenne nicht die gesamte Geschichte des lettischen Denkmals und die Diskussionen um ihn. Eins möchte ich hervorheben, die Diskussion um die Versetzung wurde nicht auf dem Staatslevel geführt, sondern ist der fromme Wunsch einiger lettischen Nationalisten. Der lettische Staat scheint etwas mehr Rücksicht auf die Gefühle seiner groessten Minderheit zu nehmen. Momentan scheint sich Lettland besser mit dem grossen Nachbarn arrangiert zu haben, als Estland und die russische Minderheit hat mehr Mitspracherecht im politischen Geschehen. Ich hoffe nicht, dass irgendeine Partei in Lettland derart auf nationalistischen Schiene Wahlwerbung macht, wie die Reformpartei und dabei auch noch Wahlen gewinnt. Können Sie sich vorstellen in welchen Farbspektrum die Partei angesiedelt wäre, die in Deutschland derartige Diskussionen angefangen hätte?
Wie ich angemerkt habe, wäre die Verlegung gut mit den Vertretern der Minderheit abgesprochen gewesen, wäre es nicht zum Politikum geworden. Der Ort der Zwischenlagerung war insofern interessant, weil man überhaupt nicht wusste, was mit dem Denkmal geschehen war. Deswegen konnte das russländische Fernsehen auch die Gerüchte verbreiten, dass er in mehrere Teile zersägt wurde und nie wieder aufgestellt wird.
Kloty scheint nach wie vor nicht verstanden zu haben, daß der Bronzesoldat nicht wegen der Versetzung zum Politikum wurde, sondern versetzt wurde, weil er ein Politikum ist. Von beiden Denkmälern geht dieselbe Symbolkraft aus, für die einen Befreiung, für die anderen Okkupation. Ein Dialog über diese Denkmäler kann erst zustande kommen, wenn die in Estland lebenden Russen zu reflektieren beginnen, warum sie eigentlich eine so große Minderheit in einem fremden Land stellen.
Daß die Letten mit ihren Nachbarn besser umgehen, sehen viele Kommentatoren anders. Unmittelbar vor den Dumawahlen in Rußland vergangenen Dezember hat das lettische öffentliche Fernsehen beispielsweise einen französischen Dokumentarfilm über das System Putin aus dem Programm genommen. Der Direktor mußte anschließend aufgrund der Proteste seinen Hut nehmen.

(Zu den Sprachkenntnissen) Richtig. Tut Estland was dagegen? Wo bleibt ein russischsprachiger Fernsehsender? Wieviele russisch-sprachige Radiostationen mit Informationssendungen gibt es?

Ich möchte doch Kloty dringlichst bitten, bei der Wahrheit zu bleiben. Selbstverständlich gibt es russische Sendungen im estnischen öffentlichen Rundfunk. Die Esten können die Russen aber weder mit Gewalt zum Konsum dieser Sendungen zwingen – über deren genaue Nutzung ich einstweilen keine Informationen habe – noch Störsender gegen das russische Fernsehen aus Rußland aufstellen.

Nur nebenbei, in Westeuropa und in USA war es auch recht nebensächlich, ob Sowjetunion sozialistisch oder kommunistisch war.Sowjetunion hat definitiv die größten Verluste an Zivilbevölkerung und Soldaten im 2. Weltkrieg davongetragen. Es gibt kaum eine Familie, die keine Toten zu beklagen hätte. Der 9. Mai ist Tag der Erinnerung an diese Opfer.

Ja gut, aber wo ist da das Argument, man müsse deshalb die Esten okkupieren und in ihrem eigenen Land zur Minderheit zu machen versuchen?
Dabei sollte auch nicht vergessen werden, daß die Sowjets und viele nationalistische Russen auch heute noch die Esten wie auch die Letten nicht nur von den deutschen Faschisten befreit haben, sondern diese selbst als Faschisten betrachten. Ich lebe selbst im Baltikum und weiß, daß ich wie auch Vertreter der beiden anderen erwähnten Nationen schon einmal gerne als Faschisten bezeichnet werden, und zwar keineswegs nur im Spaß. Auch während der Krawalle wurden die Esten insbesondere von jugendlichen Russen, also keineswegs den Veteranen, als Faschisten beschimpft.

Für die Jungen schon, aber auch für die 60-jährige Oma, die ihr ganzes Leben in Narva verbracht hat, wo sie mit 90% russisch-sprachigen auf Russisch kommuniziert hat?
Das ist auch nur ein Teil der Fakten. Der andere Teil ist die Sprachkommission, die Vorschriften erlässt, wie gut bestimmte Berufsgruppen die estnische Sprache beherrschen müssen, um diesen Beruf ausüben zu können. Und da geht es nicht um Kommunikationsfähigkeit.

Kloty ist also der Meinung, da die arme Oma aus Narva kein Estnisch lernen kann, muß die estnische Oma aus Viljandi Russisch können? So war es ja 50 Jahre. Niemand in Estlandhat die Sowjets zu kommen gebeten. Außerdem verlangt von der Oma in Narva auch niemand, daß sie Estnisch lernt. Kloty verbreitet auch im Zusammenhang mit dem geforderten Sprachniveau unrichtige Thesen. Ich habe im Landkreis Ida-Virumaa im von Narva 25km entfernten Sillamäe selbst ein Jahr gelebt und bin dort nach wie vor regelmäßig. Während es in Ida-Virumaa schwierig ist, auf estnisch einkaufen zu gehen, habe ich noch keine randalierenden Esten vor den entsprechenden Geschäften gesehen.

Eine staatliche Hochschulausbildung auf Russisch ist in Estland auch nicht möglich. Die Eröffnung des Ekaterinen-Kolleges mit russisch-sprachigen Bachelor-Lehrgängen wurde vom estnischen Bildungsminister kategorisch blockiert.

Der Vergleich zwischen marischer Bildung in einer Republik der russischen Föderation und russischer Bildung in Estland ist mir unverständlich. Warum entlassen die Russen Tatarstan oder besonders Tschetschenien nicht in die Unabhängigkeit?
Übrigens sei abschließend hinzugefügt, daß es auch unter den Russen viele Chauvinisten gibt. Ein aus Rußland stammender, in Kohtla-Järve lebender Russe sagte einmal mir gegenüber, Estland sei keine Kultur, das müsse man von der Landkarte wischen. Eine in Riga geborene Russin erklärte mir, daß sie die Deutschen verstehen könne, die seinen wie die Russen ein großes Volk, da müßten sich eben die anderen unterordnen.

4 Kommentare:

kloty hat gesagt…

Hallo Herr Reetz,

auf Ihren Wunsch kommunizieren wir auf Ihrem Blog weiter, obwohl ich der Meinung bin, dass so eine Diskussion durchaus fuer die Leser des Estland-Blogs interessant waere, denn wir haben zwei Meinungen, die durchaus die Verhaeltnisse in Estland reflektieren, so dass ein oeffentlicher Meinungsaustausch durchaus interessant waere. Wie dem auch sei.

Sie schreiben, dass das Denkmal schon vorher ein Politikum war. Das ist richtig. Nur wurde er mit der Versetzung von einem kleinen estnischen Politikum, den man mit genuegend Umsicht haette loesen koennen, zu einem grossen europaeischen Politikum, in den auch andere Laender involviert wurden. Oder war das vielleicht das Ziel?

Ein Dialog über diese Denkmäler kann erst zustande kommen, wenn die in Estland lebenden Russen zu reflektieren beginnen, warum sie eigentlich eine so große Minderheit in einem fremden Land stellen.

Wer sagt denn eigentlich, dass Estland ein "fremdes" Land fuer die Russen ist? Wieviele Generationen muss man in einem Land leben, dass es nicht mehr "fremd" ist? Ihnen muss ich nicht erzaehlen, seit wann Russen in Estland leben. Ueberhaupt erinnern mich diese Diskussionen ueber mein Land dein Land an dunkle vergange Zeiten oder an aktuelle Konflikte im Nahen Osten. Sie als Dozent fuer Politikwissenschaften muessten doch wissen, wieviele monoethnische Staaten es auf der Erde gibt. Das Land Estland steht dem estnischen Volk nicht der exklusiven Nutzung zur Verfuegung. Wie lange muss man in einem Land leben, um sich nicht mehr als Gast fuehlen zu muessen? In einem multikulturellen Europa sollte das doch Allgemeingut sein.

(Zu Fernsehsendern) Ja, es gibt die "Aktuelle Kamera". 15 min Nachrichten gegen geballte Informationsmacht der russischen Seite.

Dabei sollte auch nicht vergessen werden, daß die Sowjets und viele nationalistische Russen auch heute noch die Esten wie auch die Letten nicht nur von den deutschen Faschisten befreit haben, sondern diese selbst als Faschisten betrachten.

Solange alle Russen unterschiedlos als Okkupanten betrachtet werden...

... muß die estnische Oma aus Viljandi Russisch können

Herr Reetz, eins kann ich Ihnen versichern, die estnische Oma aus Viljandi war sowjetische Staatsbuergerin ohne, dass sie auch nur ein Wort auf Russisch haette sagen muessen. Estnisch war zu Zeiten der Sowjetunion viel besser aufgestellt, als Russisch jetzt in Estland. Ja, ich weiss in diesem Punkt werden wir einander nicht ueberzeugen koennen.

Übrigens sei abschließend hinzugefügt, daß es auch unter den Russen viele Chauvinisten gibt.

Ich weiss und mit diesen Leuten moechte ich nichts zu tun haben. Ich bin gegen jede Form von Nationalismus, Chauvinusmus, Rassismus, Ueberlegenheitstheorien, Unterdrueckung, Rassenhass, sondern fuer friedliches Miteinander.

Anonym hat gesagt…

"(Zu Fernsehsendern) Ja, es gibt die "Aktuelle Kamera". 15 min Nachrichten gegen geballte Informationsmacht der russischen Seite."

Noh, es gibt auch noch ein paar andere Sendungen auf Russisch oder mit russischen Untertiteln. Nun gibt es in Estland auch nur einen einzigen öffentlichen rechtlichen Fernsehsender (ETV). Ich wüsste nicht warum jetzt dort auch noch hälftig nur noch auf Russisch gesendet werden sollte.

Für Russen gibt es in Estland noch wesentlich mehr Alternativen der russischsprachigen Informationsbeschaffung als für Esten in ihrer eigenen Sprache.

Es sind alle russischsprachigen Hauptfernsehsnder im Kabel, als auch über IPTV und das neue digitale terrestrische Fernsehen verfügbar.

Die Anzahl der rusisschprachigen und estnischsprachigen Radionsender , Magazine und Zeitungen halte ich für sehr augeglichen in Estland.

Auf Energy und einigen anderen Radiosendern wird sogar teilweise mehrsprachig gefahren (nicht nur Russisch/Estisch, sondern auch English und manchmal sogar Deutsch und auf Schwedisch). Hinzu kommen noch die finnischen Programme.

Ich halte die angebliche Mediendiskriminierung Rusisschprachiger in Estland für "absolut" falsch und irreführend.

Es gibt in Estland eine Medienvielfalt, wie sie in kaum einem anderen europäischen Land vorzufinden ist.

Este aus Tallinn

kloty hat gesagt…

Hallo Sonikrave,

Du schreibst: Es sind alle russischsprachigen Hauptfernsehsnder im Kabel, als auch über IPTV und das neue digitale terrestrische Fernsehen verfügbar.

Aber genau die will man ja nicht haben, weil sie ja russländische Propaganda verbreiten, die fuer die estnische Souverinität gefährlich werden könnte.

Anonym hat gesagt…

"Aber genau die will man ja nicht haben, weil sie ja russländische Propaganda verbreiten, die fuer die estnische Souverinität gefährlich werden könnte."

Im letztem Jahr gab es nach den Ausschreitungen in Estalnd eine ziemlich hitzige darum, ob es für die estnische Gesellschaft gut sein kann, wenn sich der rusischsprachige Teil vor allem über die putinkontrollierten Medien aus Russland informieren.

Die Bedenken die man hatte waren, ob dies zu einem ethnisch abgegrenzten Bild der medialen Wirklichkeit führt.

Das ging sogar kurzfristig so weit, dass man überlegt hatte, den russischen Fernsehsender RTR Planeta abzustellen. Mir selbst liegt ein Schreiben von Elion vom November 2007 vor, in der auch tatsächlich die Abschaltung bzw. Änderung des Channels angekündigt wurde.

Gekommen ist es dazu jedoch schlussendlich nicht und mittlerweile dürfte diese Position auch wieder vom Tisch sein.

Es betraf also tatsächlich nur diesen einen "missliebigen" TV-Sender, bei dem man tatsächlich der Meinung sein kann, völkerspaltende Hetze in Estland betreiben zu wollen. Man muss es aber auch nicht.

Ich denke dass in einer gut funktionierenden Demokratie in der auch weitreichende Aufklärung stattfindet, solche Propaganda nicht gefährdend für einen Rechtstaat sein kann.

Wenn Ilves Ankündigungen aus der Pressemitteilung vom 23.02.2008 auch entsprechende Taten folgen, in der er die Gleichen Rechte für alle Bürger Estlands und auch den Minderheiten gegenüber angekündigt hat, dann hat aller völkerspaltenden Provokationen Russlands zum Trotz letztendlich die Vernunft gesiegt. 1)



1) http://www.president.ee/en/duties/press_releases.php?gid=109368