Grundlage dieses Beitrages ist ein Gespräch, das ich mit Jaan Kross Ende der 90 Jahre in seiner Wohnung in der Altstadt von Tallinn führte. Kross sprach zwar fließend deutsch, trotzdem führten wir das Gespräch vorwiegend auf Estnisch. Den Text habe ich erst jetzt überarbeitet, da Kross mir damals wohl angesichts häufiger Journalistenanfragen eher gelangweilt antwortete.
Nun ist der estnische Schriftsteller Jaan Kross nach den Weihnachtsfeiertagen gestorben. Sein Name stand seit Jahren auf der „Liste“ des Nobelkomitees. Den Preis hat der lebendige Erzähler historischer Werke jedoch nie erhalten. Dafür ist er der meistübersetzte Schriftsteller Estlands von dem auch zahlreiche Werke in deutscher Sprache erschienen sind.
Der Weg zum meistgelesenen Erzähler der estnischen Historie war verschlungen. Jaan Kross hatte noch vor dem Kriege begonnen, Jura zu studieren. Das Völkerrecht war sein Schwerpunkt, worüber er sich zu promovieren anschickte, als zunächst die Sowjets 1940, dann die Deutschen 1941 und schließlich wieder die Sowjets 1944 sein Vaterland besetzten. Die Deutschen schon warfen den Esten ins Gefängnis, nur weil er Freunde hatte, die so etwas wie eine „Estnische Résistance“ waren. „Ich war für eine estnische Zukunft ohne Deutsche und ohne Russen“.
Doch die Inhaftierung dauerte nicht lange. „Die Gefängnisoffiziellen hatten das Gefühl, für sich selbst etwas gutes zu tun. So wurden wir ohne Papiere entlassen“. Doch das Glück der wiedergewonnenen Freiheit währte nicht lange. Die Sowjets waren weniger zimperlich. So wurde Kross 1946 nach Sibirien deportiert, wo er mehr als acht Jahre blieb.
Schon vorher hatte Kross mit Übersetzungen begonnen. Marie-Antoinette von Stefan Zweig, erinnert er sich, sei das erste gewesen, das in den Kriegswirren jedoch verloren ging. Kross hat schon von Kindesbeinen an Deutsch gelernt an einem vielsprachigen Ort wie Estland. Französisch und Englisch kamen in der Schule hinzu, Schwedisch dank Privatstunden und Russisch im Lager.
Als Kross aus dem Lager zurückkehrte, war ihm klar: „Ich mußte etwas anderes machen, es war eindeutig, daß zumindest in Osteuropa das Völkerrecht eine Kunst für den Mülleimer war.“ Dann kam ein alter Freund auf ihn zu und bot ihm die Mitwirkung an einer Übersetzung Heinrich Heines an, die kurz darauf erscheinen sollte.
Anschließend verstarb 1956 Bertold Brecht und auch da half er einem Bekannten aus, der einen Artikel zu schreiben hatte und zeitlich überfordert war, auch die Gedichte zu übersetzen. Später kamen noch weitere Auftragsarbeiten hinzu, aber Kross nahm sich auch anderen Texten an, die er sich selbst aussuchte, „was mir gefällt, was ich gerade gelesen habe“. In den letzten Jahren hat Kross allerdings nicht mehr übersetzt
In den 50er Jahren hatte Jaan Kross mit Gedichten begonnen, die vor allem wegen ihres innovativen Charakters für Aufmerksamkeit und einen gewissen Erfolg sorgten. „Viele fangen mit Versen an und wechseln dann zur Prosa“, sagt Kross als Erklärung, warum er die Sparte gewechselt habe. Man müsse den Menschen etwas sagen, doch er habe den Kern, um den sich alles dreht, nicht gefunden. Auch die Menschen veränderten sich. Schließlich habe es in den 50er Jahren unter Chrutschschows „Tauwetter“ etwas mehr Freiheit gegeben. Anschließend herrschte jedoch wieder „Eiszeit“. Zeit, das Feld zu wechseln.
Nach der Abwendung von Übersetzungen und Lyrik arbeitete Kross vorwiegend an historischen Romanen. Für ein kleines Volk wie die Esten hat die Geschichte große Bedeutung, zumal in der Sowjetzeit nur bedingt an die Wahrheit zu gelangen war. Kross setzte sich ins Archiv, redete mit vielen Menschen und schrieb schließlich über Dinge, die 200 oder noch mehr Jahre zurücklagen. „Das hat die Zensur nicht so interessiert.“ Andererseits ist man sich auch in Estland einig, daß vielfach auf diesem Wege Dinge auszusprechen waren, die ansonsten in einem in der Gegenwart spielenden Roman nicht hätten gesagt werden könne. Kross: „Sicher habe ich auch Glück mit Zensoren gehabt, die ein Auge zugedrückt haben.“ Schließlich sind die Bücher auf Deutsch bereits in der DDR erschienen.
1992 folgte Kross dem Ruf in die Politik als Parteiloser Abgeordneter der Wahlunion „Moderate“ (der Vorgänger der heutigen Sozialdemokraten des Präsidenten Toomas Hendrik Ilves, die bei ihren Beteiligungen an konservativ-liberalen Regierungen ihrem Namen nur bedingt entsprechen). Als aktiver Bürger an der Politik teilzunehmen hatte damals eine große Bedeutung. Viele Künstler und Intellektuelle wechselten in den postsozialistischen Staaten wenigstens zeitweilig das Geschäft. Kross zitiert die Worte eines Musikerkollegen, der sich der Presse gegenüber zu rechtfertigen hatte, daß es „das erste Mal sei, daß man in die Politik gehen könne, ohne sich dabei schmutzig zumachen.“ Einen Umstand, den die Mehrheit der Bevölkerung ganz gewiß anders sieht. Doch Kross war neugierig darauf, wie das funktioniert.
Nach einem Jahr hatte er genug und trat zurück. Das wiederum stellte sich als schwierig heraus, denn die Vorschriften des Parlamentes Riigikogu sahen einen solchen Fall nicht vor. Nur Krankheit zählte als Grund für einen vorzeitigen Rückzug. Kross als ältester Abgeordneter meinte: „Alter ist auch ein Krankheit“. In Wahrheit war der Drang zur Arbeit am Schreibtisch die treibende Feder. Schreiben war Kross doch wichtiger. Die Moderaten hätten gern gesehen, wenn Kross als Präsident kandidiert hätte, so wie es sein Schriftstellerkollege Lennart Meri tat. Doch Kross lehnte das Angebot dankend ab. Kross’ Urteil über die Politik: Ziemlich normal und nicht unmoralischer als die durchschnittliche Menschheit. Gewiß habe er diese Meinung an die Bevölkerung weitergeleitet, doch das hat offensichtlich keinen Einfluß auf die allgemeine Meinung gehabt.
Was die ständige Erwähnung seines Namens im Zusammenhang mit dem Nobelpreis betrifft, gibt sich der Schriftsteller gelassen. Er habe sich daran gewöhnt, betrachte die Frage nicht als das Wesentliche. Dennoch, für Estland meint er, sei das doch sehr wichtig. In jedem Fall hat er sich schon über die ganze Prozedur in einem Roman amüsiert. Darin geht es um einen gewissen Mertens, der zu Beginn des Jahrhunderts ebenfalls angeblich den Nobelpreis erhalten sollte, eine Falschmeldung die Runde machte, und sogar sehr viel später in einem amerikanischen Lexikon sein Name in der Liste der Preisträger auftauchte, obwohl sich das Komitee letztlich anders entschieden hatte.
Nun ist der estnische Schriftsteller Jaan Kross nach den Weihnachtsfeiertagen gestorben. Sein Name stand seit Jahren auf der „Liste“ des Nobelkomitees. Den Preis hat der lebendige Erzähler historischer Werke jedoch nie erhalten. Dafür ist er der meistübersetzte Schriftsteller Estlands von dem auch zahlreiche Werke in deutscher Sprache erschienen sind.
Der Weg zum meistgelesenen Erzähler der estnischen Historie war verschlungen. Jaan Kross hatte noch vor dem Kriege begonnen, Jura zu studieren. Das Völkerrecht war sein Schwerpunkt, worüber er sich zu promovieren anschickte, als zunächst die Sowjets 1940, dann die Deutschen 1941 und schließlich wieder die Sowjets 1944 sein Vaterland besetzten. Die Deutschen schon warfen den Esten ins Gefängnis, nur weil er Freunde hatte, die so etwas wie eine „Estnische Résistance“ waren. „Ich war für eine estnische Zukunft ohne Deutsche und ohne Russen“.
Doch die Inhaftierung dauerte nicht lange. „Die Gefängnisoffiziellen hatten das Gefühl, für sich selbst etwas gutes zu tun. So wurden wir ohne Papiere entlassen“. Doch das Glück der wiedergewonnenen Freiheit währte nicht lange. Die Sowjets waren weniger zimperlich. So wurde Kross 1946 nach Sibirien deportiert, wo er mehr als acht Jahre blieb.
Schon vorher hatte Kross mit Übersetzungen begonnen. Marie-Antoinette von Stefan Zweig, erinnert er sich, sei das erste gewesen, das in den Kriegswirren jedoch verloren ging. Kross hat schon von Kindesbeinen an Deutsch gelernt an einem vielsprachigen Ort wie Estland. Französisch und Englisch kamen in der Schule hinzu, Schwedisch dank Privatstunden und Russisch im Lager.
Als Kross aus dem Lager zurückkehrte, war ihm klar: „Ich mußte etwas anderes machen, es war eindeutig, daß zumindest in Osteuropa das Völkerrecht eine Kunst für den Mülleimer war.“ Dann kam ein alter Freund auf ihn zu und bot ihm die Mitwirkung an einer Übersetzung Heinrich Heines an, die kurz darauf erscheinen sollte.
Anschließend verstarb 1956 Bertold Brecht und auch da half er einem Bekannten aus, der einen Artikel zu schreiben hatte und zeitlich überfordert war, auch die Gedichte zu übersetzen. Später kamen noch weitere Auftragsarbeiten hinzu, aber Kross nahm sich auch anderen Texten an, die er sich selbst aussuchte, „was mir gefällt, was ich gerade gelesen habe“. In den letzten Jahren hat Kross allerdings nicht mehr übersetzt
In den 50er Jahren hatte Jaan Kross mit Gedichten begonnen, die vor allem wegen ihres innovativen Charakters für Aufmerksamkeit und einen gewissen Erfolg sorgten. „Viele fangen mit Versen an und wechseln dann zur Prosa“, sagt Kross als Erklärung, warum er die Sparte gewechselt habe. Man müsse den Menschen etwas sagen, doch er habe den Kern, um den sich alles dreht, nicht gefunden. Auch die Menschen veränderten sich. Schließlich habe es in den 50er Jahren unter Chrutschschows „Tauwetter“ etwas mehr Freiheit gegeben. Anschließend herrschte jedoch wieder „Eiszeit“. Zeit, das Feld zu wechseln.
Nach der Abwendung von Übersetzungen und Lyrik arbeitete Kross vorwiegend an historischen Romanen. Für ein kleines Volk wie die Esten hat die Geschichte große Bedeutung, zumal in der Sowjetzeit nur bedingt an die Wahrheit zu gelangen war. Kross setzte sich ins Archiv, redete mit vielen Menschen und schrieb schließlich über Dinge, die 200 oder noch mehr Jahre zurücklagen. „Das hat die Zensur nicht so interessiert.“ Andererseits ist man sich auch in Estland einig, daß vielfach auf diesem Wege Dinge auszusprechen waren, die ansonsten in einem in der Gegenwart spielenden Roman nicht hätten gesagt werden könne. Kross: „Sicher habe ich auch Glück mit Zensoren gehabt, die ein Auge zugedrückt haben.“ Schließlich sind die Bücher auf Deutsch bereits in der DDR erschienen.
1992 folgte Kross dem Ruf in die Politik als Parteiloser Abgeordneter der Wahlunion „Moderate“ (der Vorgänger der heutigen Sozialdemokraten des Präsidenten Toomas Hendrik Ilves, die bei ihren Beteiligungen an konservativ-liberalen Regierungen ihrem Namen nur bedingt entsprechen). Als aktiver Bürger an der Politik teilzunehmen hatte damals eine große Bedeutung. Viele Künstler und Intellektuelle wechselten in den postsozialistischen Staaten wenigstens zeitweilig das Geschäft. Kross zitiert die Worte eines Musikerkollegen, der sich der Presse gegenüber zu rechtfertigen hatte, daß es „das erste Mal sei, daß man in die Politik gehen könne, ohne sich dabei schmutzig zumachen.“ Einen Umstand, den die Mehrheit der Bevölkerung ganz gewiß anders sieht. Doch Kross war neugierig darauf, wie das funktioniert.
Nach einem Jahr hatte er genug und trat zurück. Das wiederum stellte sich als schwierig heraus, denn die Vorschriften des Parlamentes Riigikogu sahen einen solchen Fall nicht vor. Nur Krankheit zählte als Grund für einen vorzeitigen Rückzug. Kross als ältester Abgeordneter meinte: „Alter ist auch ein Krankheit“. In Wahrheit war der Drang zur Arbeit am Schreibtisch die treibende Feder. Schreiben war Kross doch wichtiger. Die Moderaten hätten gern gesehen, wenn Kross als Präsident kandidiert hätte, so wie es sein Schriftstellerkollege Lennart Meri tat. Doch Kross lehnte das Angebot dankend ab. Kross’ Urteil über die Politik: Ziemlich normal und nicht unmoralischer als die durchschnittliche Menschheit. Gewiß habe er diese Meinung an die Bevölkerung weitergeleitet, doch das hat offensichtlich keinen Einfluß auf die allgemeine Meinung gehabt.
Was die ständige Erwähnung seines Namens im Zusammenhang mit dem Nobelpreis betrifft, gibt sich der Schriftsteller gelassen. Er habe sich daran gewöhnt, betrachte die Frage nicht als das Wesentliche. Dennoch, für Estland meint er, sei das doch sehr wichtig. In jedem Fall hat er sich schon über die ganze Prozedur in einem Roman amüsiert. Darin geht es um einen gewissen Mertens, der zu Beginn des Jahrhunderts ebenfalls angeblich den Nobelpreis erhalten sollte, eine Falschmeldung die Runde machte, und sogar sehr viel später in einem amerikanischen Lexikon sein Name in der Liste der Preisträger auftauchte, obwohl sich das Komitee letztlich anders entschieden hatte.
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