Dienstag, 18. November 2008

Lokal und global, Risiken und Chancen des Kaukasuskonfliktes

Ergänzung im Rahmen der Finanzkrise.
Alle Rundfunkbeiträge liegen dem Autor als MP3 vor.
Das Interessante am Konflikt im Kaukasus ist nicht nur er selbst, sondern die internationale Reaktion. Der Chor der Kommentare, Argumente und Erfahrungen, beeindruckt auch durch die Bedeutung für die Zukunft, erinnert an die klassische Frage mit der Henne und dem Ei.

Polen und die USA einigten sich auf die Stationierung von Raketen plötzlich schneller als geplant, weil Rußland nach allgemeiner Ansicht im Kaukasus überreagiert hat. Rußland ist in die abtrünnigen georgischen Regionen einmarschiert, weil Georgien Süossetien überfallen hat. Dies wiederum geschah, weil der georgische Präsident die territoriale Integrität seines Landes – mit Gewalt – wiederherstellen wollte. Eine Fußnote der Geschichte, daß Rußland seine Sicherheitszone mit einem Übersetzungsfehler aus dem Französischen ins Russische rechtfertigen konnte.

So weit ist alles wohl unumstritten. Einzig bleibt die Frage, warum gerade jetzt diese Eskalation? Die Existenz des Konfliktpotential ist schließlich nichts Neues.

Grund für den Zeitpunkt ist sicher ein Zusammenspiel der erst kürzlich erfolgten Zurückweisung Georgiens durch die NATO in Bukarest eben aufgrund der fehlenden territorialen Integrität und das bevorstehende Ende der Ära Bush. Nicht nur, daß Bush im Gegenteil zu Verbündeten wie Deutschland und Frankreich Georgien in den Membership Action Plan aufnehmen wollte, es ist auch fraglich, wie eine neue Administration in Washington mit Georgien umgehen wird.

Die öffentliche Diskussion[1] im Westen verdeutlichte schnell sehr unterschiedliche Ansichten von amerikanischen geostrategischen Interessen über baltische und polnische geostrategische Sorgen auf der einen Seite bis zu den Position der alten Strategen der Entspannungspolitik und Friedensbewegten wie auch schwelendem Antiamerikanismus auf der anderen.

Da es außer Frage steht, daß der bewaffnete Angriff auf Südossetien der Weisheit letzter Schluß nicht gewesen sein kann (und dies ist eine harmlose Formulierung!), geben einige Reaktion Anlaß zur Besorgnis.

In Deutschland wiederum gibt es zwar analytische Stimmen, viele Kommentare beschränken sich jedoch entsprechend der erwähnten unterschiedlichen Positionen darauf, entweder Saakaschwili oder aber der russischen Regierung Vorwürfe zu machen.

Erste Reaktionen
Unmittelbar nach dem Angriff auf Südossetien stellte der ARD-Korrespondent des Moskauer Studio, Stephan Laack, in seinem Kommentar im Echo des Tages am 10. August die Frage: Wer hat diesen Krieg vom Zaun gebrochen? Saakaschwili habe mit der „irrsinnigen Offensive” alles verspielt und das Land gespalten. Eine verblüffende Aussage, denn in Südossetien und Abchasien hat sich an der Einstellung zu Georgien nichts geändert, die russische Reaktion das georgische Volk jedoch wenigstens einstweilen zum Schulterschluß angeregt, wie auch Ulrich Heyden im Eurasischen Magazin berichtet. Die ehemalige georgische Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse, die sich aus der Politik bereits schon zurückgezogen hatte, steht als potentielle Nachfolgerin Saakaschwilis bei einer allfälligen Wahl bereit. Laack warnt außerdem Europa vor Übernahme von schwarz-weiß-Denken im US-Stil, um den Einfluß in Moskau nicht zu verlieren. Aber die Existenz dieses Einflusses muß sich nun erst einmal erweisen. Der jüngste Besuch des russischen Außenministers Lawrow in Warschau und der plötzlich geänderte Ton könnten ein Hinweis darauf sein, daß die Reaktion der EU etwas bewirkt hat.

Insofern wird gerade jetzt deutlich, daß Europa im Gegenteil zu den USA die einzige Institution ist, die in diesem Konflikt vermitteln kann. Dies könnte die europäischen Einigung und den gescheiterten Lissaboner Vertrag bald in den europäischen Ländern in einem anderen Licht erscheinen lassen.

Generell ist gegen den oft geäußerten Appell, den Dialog mit Rußland nicht abbrechen zu lassen, nichts einzuwenden. Während des Kalten Krieges hat, ja mußte man auch mit der Sowjetunion sprechen, deren Existenz durch Konfrontation, wie in den 50er Jahren versucht, nicht untergraben werden konnte.

Widersprüchlich sind Positionen wie die Egon Bahrs, der kritisiert, daß im Gegenteil zu den letzten 18 Jahren nun statt Kooperation Konfrontation betrieben werde. Die Zeitenwende von der Rolle eines Partners zum Kontrahenten wurde schließlich in Moskau vollzogen. Auch General a.D. Klaus Naumann des ist der Ansicht, daß Moskau sich durch seine Überreaktion als Partner diskreditiert habe.[2] Daß es Sicherheit und Stabilität nur mit Rußland gebe, so Bahr, ist auf der einen Seite selbstverständlich. Die zwischen den Zeilen geforderte Rücksichtnahme auf Moskau mit dem Hinweis, die von Bush dem Älteren und Gorbatschow ausgehandelten Vereinbarungen hätten bisher – eingeschlossen der Osterweiterung von NATO und EU – alles ausgehalten, hingegen setzt die Russische Föderation der Sowjetunion ebenso überraschend gleich wie Erhard Epplers Titulierung Saakaschwilis als „Verrückten”, der einer Großmacht auf der Nase herumtrampele, wenn er auch einräumt, die Russen hätten überzogen.

Es sei ein Witz, so Bahr weiter, daß die Russen glauben sollten, die Raketen in Polen seien nicht gegen sie gerichtet. Die Amerikaner realisierten ihre Machtinteressen beispielsweise im Kosovo, während sich Rußland habe „demütigend anhören müssen” gleiches Recht abgesprochen zu bekommen. Insofern hat Eppler Recht, daß es ein Gesichtsverlust für die Russen wäre, nach der Bombardierung Südossetien an Georgien zu übergeben. Aber es wäre eben auch ein Gesichtsverlust, jetzt schnell allen Forderungen des Westens zu entsprechen. Stephan Laack spricht am 15. August im Echo des Tages von einer Brüskierung Moskaus und der Einkreisung Rußlands. Der Kreml bemängele zurecht, nicht gehört worden zu sein und es sei an der Zeit, russische Positionen Ernst zu nehmen. Doch welche sind diese Positionen?

Exkurs: Der Kosovo-Vergleich[3]
Von Stephan Laacks Hinweis, die russischen Positionen seien nicht berücksichtigt worden, wie auch von Egon Bahrs Hinweis auf Rußlands Demütigung läßt sich zu einer oft geäußerten Ansicht überleiten, die Reaktion Moskaus im Kaukasus sei die Rache für die westliche Politik im Kosovo. Das mag sogar ganz konkret zutreffen, läßt aber außer Acht, daß aber welche Rußland nunmehr gegen seine eigenen Prinzipien verstößt. Und so ist dies auch nicht der einzige Vergleich. Ulrich Heyden kommentiert im Eurasischen Magazin lakonisch, daß die russische Elite das russische Vorgehen in Georgien für nicht schlimmer halte, als die Angriffe der USA und ihrer Verbündeter in Belgrad, Bagdad oder Kandahar. Also eine Argumentation, die nahe an Auge um Auge und Zahn um Zahn liegt. Wieso soll, was im Kosovo noch vor Monaten nach Moskaus Meinung falsch war, in Abchasien und Südossetien plötzlich richtig sein? Warum hat Rußland damals anders lautende UNO-Resolutionen hat mitgetragen? Überdies müßte Rußland ja nun nach Ansicht des DGAP-Experten Alexander Rahr die Blockade der Unabhängigkeit des Kosovo beenden.

Richtig ist, so wie die Anerkennung von Abchasien und Südossetien gegen Völkerrecht verstößt, tat es auch die Politik des Westens im Kosovo. Wobei der Hinweis Epplers, Völkerrecht sei eigentlich Staatenrecht bereits tiefer liegende Schwierigkeiten aufzeigt. Dennoch hinkt der Vergleich generell. Im Kosovo gab es den Ahtisaari-Plan. Der Westen wartete acht Jahre nach dem militärischen Eingriff von 1999, führte in dieser Zeit Verhandlungen mit allen Parteien mit dem Ziel, eine Unabhängigkeit des Kosovo zu verhindern, ehe die Provinz gegen die Position Rußlands als unabhängiger Staat anerkannt wurde, weil in Europa niemand mehr einen anderen Ausweg sah. Rußland hingegen anerkennt die Territorien Georgiens wenige Tage nach der Militäraktion.

Auch der Vorwurf des Völkermords greift nicht. Aus Abchasien wurde eine georgische Mehrheitsbevölkerung vor mehr als einem Jahrzehnt vertrieben. Rußland hat als vorgeblicher Friedenswahrer in den vergangenen Jahren keine Versuche einer Lösung unternommen, sondern sich durch die Verteilung von Pässen zur Konfliktpartei entwickelt. Georgien hatte de facto keinen Zugriff auf die abtrünnigen Republiken. Das war im Falle Serbiens ganz anders.

Hintergrund des Konfliktes
Leider wird von vielen der erwähnten Journalisten und Politiker der Konflikt im Kaukasus auf den Waffengang im August reduziert. Was hingegen vielfach unterschlagen wird ist, daß die Sowjetunion das letzte große Kolonialreich auf der Welt war, welches sich vom britischem Empire beispielsweise zunächst einmal nur dadurch unterschied, daß es ein kompaktes Territorium hatte. Rußland ist das Erbe dieses untergegangenen Staates angetreten,[4] in dem aber immer noch eine Vielzahl von Völkern leben, die keine Russen sind. Darunter sind solche mit einer eigenen Republik in der Russischen Föderation und solche ohne. Einige von ihnen haben sich in diesem staatlichen Gebilde eingerichtet und keine Ambitionen auf Unabhängigkeit, andere haben dafür auch den Krieg nicht gescheut wie Tschetschenien. Sicher ist, daß eine Behandlung der nicht russischen Bevölkerung wie es die Schweiz mit der rätoromanisch sprechenden Minderheit praktiziert, nicht einmal durch die eigene Republik mit Präsidenten gewährleistet ist. Ganz im Gegenteil kann behauptet werden, daß Rußland wie zur Zaren- und Sowjetzeit auf eine schleichende Russifizierung setzt. Rußland hatte bisher kein Interesse an der Unabhängigkeit der abtrünnigen georgischen Provinzen, um keine Konflikte daheim anzufachen. Ganz im Gegenteil hatte Rußland ein Interesse am Erhalt des Status Quo, denn ein schwelender Konflikt an der Grenze zu Georgien konnte eines Tages ein willkommener Anlaß sein, eigene geostrategische Interessen durchzusetzen.. So gab es eben dort „Friedenstruppen”, aber keinen Ansatz einer Lösung unter Einbeziehung internationaler Organisationen.

Was kann sich der Westen von Moskau zumuten lassen? Und welches Recht hat Rußland, den Balten, Georgiern oder Ukrainern vorzuschreiben, welchen internationalen Organisationen sie angehören wollen? Der frühere Botschafter der USA in Deutschland, John Kornblum, kommentierte bei Anne Will, Rußland müsse sich die Frage stellen, warum so viele Nationen aus eigenem Willen der NATO beitreten wollten. Rußlands Rhetorik des „nahen Auslandes” der vergangenen Jahre ist jedenfalls auch im Baltikum keine vertrauensbildende Maßnahme gewesen- Ein russischer Diplomat hatte beispielsweise Estland als einen der größten Feinde Rußlands bezeichnet. In der Reaktion hatte ein estnischer Kollege dies anschließend als eine große Ehre für ein so kleines Land wie das seine bezeichnet. Und während Eppler die Reaktion Moskaus als die einer Großmacht bezeichnet, jedoch nicht typisch russisch, widerspricht der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff, das Rußland der 90er unter Boris Jelzin sei eine Anomalie der Geschichte gewesen, nun kehre das Land zu alten Mustern zurück. Darum sprechen andere Stimmen auch vom Phantomschmerz, der Tatsache, daß Rußland den Verlust der sowjetischen Territorien noch nicht verwunden hat.

Spätere Reaktionen
Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, sieht denn im jetzigen russischen Handeln neben der Fehler des Verlustes an Glaubwürdigkeit auch die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens als solchen, weil sich dieser Schritt nicht mehr so einfach rückgängig machen läßt und er ungewollte Folgen im Pulverfaß Kaukasus weiterer ähnlich gelagerter Konflikte wie dem um Berg Karabach zeitigen kann. Es ist auch interessant, daß der russische Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow noch am 15. August im Spiegel online erklärte, daß eine Anerkennung „jetzt keinen Sinn macht und kein einziges Problem lösen würde (...) Wenn es [Rußland, Anm. d. Autors] Abchasien und Südossetien als unabhängige Staaten anerkennt, steht es ganz alleine da“.[5]

Natürlich hat Gesine Dornblüth wohl Recht, daß Georgien Abchasien und Südossetien wohl verloren hat. Eine neue Generation sei herangewachsen, die einen anderen Zustand gar nicht mehr kenne und eine tiefe Abneigung gegenüber Georgien fühle, weil, wie auch Eppler betont, diese Territorien de facto schon lange nicht mehr zu Georgien gehörten. Aber eben das hat ja der Westen über lange Zeit verschlafen. Dabei läßt Dornblüth unberücksichtigt, daß unfreie russische Medien die Abchasier genauso beeinflussen, wie die Bevölkerung Rußlands selbst. Darum isz ihr andererseits wieder zuzustimmen, daß es den Abchasen und Osseten in Rußland nicht unbedingt besser gehen wird. Auch der ehemalige Intendant des WDR, Fritz Pleitgen, berichtet ohne kritische Distanz von den russischen Medien bei Anne Will davon, daß die einfachen Russen vor den Raketen in Polen Angst hätten. Damit schließt er sich Lukjanow an, der im Interview mit Spiegel online ebenfalls von der Angst der Russen vor einer amerikanischen Invasion spricht, welche Folge der US-Politik sei.[6] Ischinger setzt dem aber entgegen, daß von der Stationierung der Raketen in Polen zumindest niemand behaupten könne, sie sei völkerrechtswidrig.

Rußland fühlt sich zu Unrecht bedroht. Darum bekam Georgien in Bukarest eben keinen Fuß in die Tür der NATO. Die Reaktion des Westens im Kaukasus-Konflikt hat fehlende Bereitschaft zu einer direkte Konfrontation mit Rußland gerade gezeigt. Die Furcht vor einer Einkreisung also eben Folge des Phantomschmerzes. Die Sorgen Polens und der baltischen Staaten sind hingegen angesichts der Tonlage Moskaus inklusive anfänglich ganz offener Drohungen gegen Polen eine reelle Erfahrung im Jetzt und Heute, wie auch Alexander Graf Lambsdorff sagt. Rußland seinerseits scheut eine direkte Konfrontation ebenfalls und wird sicher seine „Staatsbürger” in Lettland oder Estland nicht militärisch „schützen”. Eine solche Entwicklung könnte schlimmstenfalls den Beginn des 3. Weltkrieges markieren.

Öffentliche Meinung
Vor solchen Szenarien fürchtet sich auch die öffentliche Meinung (in Deutschland), wie es im WDR5-Tagesgespräch vom 28. August zum Ausdruck kam. Sie ist geprägt von Unkenntnis der historischen Hintergründe einerseits und gegen die USA gerichteten Emotionen andererseits. Da kommen Erinnerungen an Stellvertreterkriege während des Kalten Krieges wie in Vietnam zusammen mit der seit Jahren geführten Diskussion über den Feldzug gegen den Irak. Spätestens mit Guantanamo haben die USA ihre moralischen Ansprüche nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung verraten. Verwunderlich ist aber, daß die öffentliche Meinung bereits wieder die Aufregung um die Wahlen zur Duma 2007 und des neuen Präsidenten in diesem Jahr vergessen zu haben scheint. Es kann keine Frage sein, daß die Reaktion der USA mit geostrategischen Interessen verbunden ist. Aber das gilt für Rußland gleichermaßen. Also will man nun lieber einem demokratischen Staat die Macht über Ölpipelines anvertrauen, die sich anschickt, einen Schwarzen zum Präsidenten zu wählen oder einer Autokratie.

Fazit
Rußland hat sich isoliert, auch wenn der Botschafter, Vladimir Kotenev, im Presseclub am 31. August das Gegenteil behauptete, Ghaddafi und Berlusconi nannte. Aber will Rußland nun offiziell in einen Club von Diktatoren und zweifelhaften Regimes? Mehrfach wurde der Begriff des Kalten Krieges genannt? Dr. Hans-Henning Schröder von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin lehnt diesen Begriff im Audio Magazin der Süddeutschen Zeitung im Hinblick auf den aktuellen Konflikt ab, er werde nur verwendet, weil er bekannt sei. Einen Kalten Krieg könne es aber nur zwischen gleichen Gegnern geben und auf Systemkonkurrenz beruhen. Dem pflichtet auch der Historiker Jörg Baberowski von Humboldt-Universität zu Berlin bei. Er bezeichnet die Destabilisierung Georgiens ebenso wie bisherigen Versuche, die russische Minderheit im Baltikum zu instrumentalisieren, als Salamitaktik.

Das Meyer Lexikon jedoch bezeichnet als Kalten Krieg eine Auseinandersetzung nicht militärischer Art zwischen zwei Staaten oder Blöcken mit ideologischer und propagandistischer Begleitung. Angesichts des sehr unterschiedlichen Verständnisses von Demokratie und Selbstbestimmung im Westen und in Rußland, wo ein staatsoligarchischer Kapitalismus herrscht, kann von einer Systemkonkurrenz m. E. die Rede sein. Propagandistisch begleitet wird sie ohne jeden Zweifel. Die russische Föderation wiederholt die Geschichte insofern, als sie wie das Zarenreich – etwa mit der späten Abschaffung der Leibeigenschaft erst 1861 – ebenso wie die Sowjetunion Machtpolitik betreibt, anstatt auf inländische nachhaltige Entwicklung zu setzen. Die beiden erwähnten Staaten sind anschließend vor allem auch an ökonomischen Problemen gescheitert.

Sicher ist wohl so viel, daß wie der Generalsekretär der NATO, Jaap de Hoop Scheffer, bereits unmittelbar nach Ausbruch des Konfliktes sagte, man nicht zu Business as usual zurückkehren könne. Nach dem Ende des Kalten Krieges und 9/11 ist der Kaukasus-Konflikt erneut ein Ereignis von langfristiger Bedeutung. Sanktionen gegen Rußland sind zwar wenig erfolgversprechend, dann drohte eher die Gefahr, daß die Welt so wie beim Ersten Weltkrieg langsam in eine militärische Auseinandersetzung schlittert. Rußland aus WTO und G8 auszuschließen ist auch für den Westen nicht sinnvoll. Es könnte höchstens überlegt werden, Rußland aus dem Bund der Demokratien, dem Europarat, auszuschließen. Egon Bahr hat allerdings Recht, daß die Welt des 21. Jahrhunderts ohne Dialog und Kooperation ungemütlich wird. Lawrows Besuch in Warschau gibt also Anlaß zur Hoffnung. Viele im Westen haben Rußland nicht verstanden.[7] Aber vielleicht muß der Westen weniger Rußland verstehen als Rußland den Westen. So schrieb auch die NZZ, daß leider der Anachronismus gelte, „daß Rußland, statt geliebt, gefürchtet werden will.“[8]

Rußland, der Westen und der Kaukasus vor dem Hintergrund der Finanzkrise
Unter dem Titel „Das Schmollen ist gebrochen“ kommentierte
Klaus Kuntze am 16. November im Deutschlandradio, es habe der Finanzkrise und Putins Drohungen mit der Raketenstationierung in Kaliningrad sowie des Verzichts auf die Ostseepipeline bedurft, um den Westen zur Erkenntnis gelangen zu lassen, daß sein kleinkindliches Verhalten nichts bringe. Kunzte räumt wohl Medwedews Irrtum über die Einnahmen aus dem Rohstoffverkauf ein, die sich überdies vorwiegend die Oligarchen in die Taschen gesteckt hätten. Der Finanzminister sei nach der ürsprünglichen Hoffnung auf einen Rohölpreis von 200 Dollar pro Barrel in der Not, die Kredite des Westens mit dem Abbau der Währungsreserven bedienen zu müssen. Die Erkenntnis des Autors, wie abhängig westliche Investoren und russische Rohstofflieferanten voneinander sind, macht seine Schlußfolgerung unverständlich. Rußland hat die Forderungen des Westens weitgehend erfüllt. Hat also nicht der Westen seine Ziele im Kaukasus erreicht und Rußland klein beigegeben? Der Westen habe sich „zu unkritisch auf die Seite des georgischen Abenteurers Saakaschwili drängen lassen“, meint Kuntze abschließend. Wirklich? Von wem?
-----------------------------------
[1] Die entsprechenden Interview in Schriftform sind verlinkt. Audiodateien liegen ebenfalls vor.
[2] Die Entzauberung Russlands, 16. August 2008, Neue Zürcher Zeitung
[3] Auch die NZZ erklärte dies im Beitrag „Südossetien ist nicht Kosovo“ von Cyrill Stieger am 28. August 2008.
[4] In einem Interview mit Ulrich Heyden erinnert auch der georgische Oppositionelle Georgi Chaindrawa, daß Rußland seit dem 9. Jahrhundert ein „imperialistischen, aggressives Land“ ist.
[5] „Saakaschwili ließ Russland keine Wahl“, Interview Speigel online, 15.8.2008
[6] „Saakaschwili ließ Russland keine Wahl“, Interview Speigel online, 15.8.2008
[7] Warschaupakt plante nuklearen Überfall auf Westeuropa. Pläne eines präemptiven Kriegs im Spiegel freigegebener Ostblock-Dokumente, 13. September 2008, Neue Zürcher Zeitung
[8] Wie weit reicht der Arm der NATO?, NZZ 30.8.2008

Keine Kommentare: