Samstag, 22. Dezember 2007

Mindestlohn, Abfindungen, Neid und Gerechtigkeit

Stammtischgerede gibt es immer. Aber es ist interessant, daß in jüngster Zeit gleichzeitig über Mindestlöhne wie auch die Bezahlung der Spitzenmanager nicht nur im Volke, sondern auch im Parlament diskutiert wird. Nach einer Unterschichtdebatte, die nun schon länger geführt wird, liegt mittlerweile in Anbetracht der Einkommen der Ackermanns und Piëchs, nach den Skandalen bei Siemens und den Schwierigkeiten des DaimlerCrysler Konzerns eine Stimmung in der Luft, die natürlich immer im Verdacht steht, eine Neiddebatte zu sein.
Aber zunächst ein paar triviale Feststellungen: Im Kapitalismus, um dieses gerne negativ verstandene Schlagwort für die Marktwirtschaft zu verwenden, gab und gibt es immer Einkommensunterschiede. Die sind im über Jahrzehnte von Sozialdemokraten regierten Volksheim Schweden geringer als beispielsweise in den südamerikanischen Schwellenländern Mexiko oder Brasilien. Sie sind geringer in den kontinentaleuropäischen Demokratien als in den Vereinigten Staaten von Amerika. Es hängt sehr stark von der politischen Kultur, von der Geschichte eines Landes ab, wieviel Unterschiede konsensfähig sind. Während Deutschland mit seiner obrigkeitsstaatlichen Tradition viel Erwartung in den Staat kultiviert hat, will der US-Bürger in der Regel von seinem Staat eher in Ruhe gelassen werden.
So lange die unteren Einkommensschichten mit ihrem Leben zufrieden waren, und das galt in der Bundesrepublik beginnend mit dem sogenannten Wirtschaftswunder bis mindestens in die 80er Jahre, gab es keine nennenswerten Neidgefühle. Das der eigene Zahnarzt im benachbarten Villenviertel zu wohnen sich leisten konnte, war in einer Bevölkerung mit einem breiten Mittelstand akzeptiert, als es eben noch keine Ängste vor einem sozialen Abstieg gab.
Nichtsdestotrotz muß die Frage erlaubt sein, und da taucht das Unwort „Gerechtigkeitslücke“ wieder auf, ob es gerecht sein kann, wenn jemand von seinem Einkommen nicht leben kann, obwohl er nicht arbeitslos ist, sondern einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht. Und das ist dann auch die Ursache dafür, daß Forderungen nach einem Mindestlohn auftauchen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, daß die großen Chefs so viel Geld verdienen, daß mancher Manager in der Stunde mehr bekommt als seine Mitarbeiter im ganzen Monat.
Aber gemach, Vertreter aus Parteien und Verbänden weisen nicht zu Unrecht auf einen ganz wesentlichen Aspekt hin: in einem freien Staat kann der Staat nicht gesetzlich regeln, wieviel nach oben betrachtet auf der Einkommensskala ein Mitarbeiter einem Unternehmen wert ist. Und auch die Manager sind ja Beschäftigte ihrer Arbeitgeber, die großen Unternehmen in der Regel Aktiengesellschaften, bei denen die Gesetzgebung ja bereits vorsieht, daß die Mitarbeiter via Gewerkschaften in den Aufsichtsräten mitbestimmen.
Na schön, mag man geneigt sein zu sagen, aber trotzdem wird es als ungerecht empfunden, wenn die Einkommensschere so weit auseinander geht. Ist die Arbeit des Managers tatsächlich so viel mehr wert wie er am Monatsende mehr in der Tasche hat? Dem aber muß entgegen gehalten werden, daß das Leben nun einmal nicht gerecht ist. Die Menschen bringen unterschiedliche intellektuelle Voraussetzungen mit und wurden verschieden sozialisiert, sie haben unterschiedliche Ausbildungen und Ambitionen.
Die Frage Chancengleichheit bei der Bildung, Schlagwörter wie das Unwort „Migrationshintergrund“ und natürlich die Pisa-Studien, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß Mindestlohn und Managereinkommen nicht der Parameter sind, diese Probleme zu lösen.
Aber eine auf Eigenverantwortung sich konzentrierende Sichtweise orientiert sich am Individuum. Damit vernachlässigt diese Argumentation, daß der Staat wir alle sind. Darum muß sich der Staat auch an allen orientieren; man nennt das Gemeinwohl. Und an dieser Stelle müssen weder die Begriffe der „sozialen Marktwirtschaft“ oder des „Sozialstaates“ als politische Ideen konkreter Parteien bemüht werden, es genügt ein Blick ins Grundgesetzt, denn Artikel 20 Absatz 1 besagt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Und im Rahmen der Grundrechte definiert der Text auch die Bedeutung des Eigentums, welches Artikel 14 Absatz 1 schützt: „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet“. In Absatz 2 heißt es jedoch auch: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
Und in diesem Zusammenhang ist es nötig zu begreifen, daß die Individuen in einer Gesellschaft immer nur dann vorankommen können, wenn die Allgemeinheit dabei mitgenommen wird. Dies gilt entweder in Form einer weitgehend sozial durchlässigen Gesellschaft wie den USA mit dem sprichwörtlichen Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär – wobei s natürlich auch hier die bekannten Behinderungen durch Hautfarbe und ein weiteres Unwort wie „Bildungsferne“ nicht durch den Parameter von staatlichen Lohnvorschriften gelöst werden kann – oder aber ein soziales Netz.
Kompliziert, verworren und damit ungerecht ist sicher das Steuersystem. Es ist nicht nachvollziehbar, daß der Erwerb des Wohneigentums, das früher einmal aus nachvollziehbaren Gründen gefördert wurde, nun dazu führt, daß, wer sich Wohneigentum überhaupt leisten kann, durch Steuergelder auch aus der Tasche der Geringverdiener gefördert wird, welcher seinerseits gar keine Chance hat, eine entsprechende Begünstigung je in Anspruch zu nehmen.
Auch wenn das Leben wie bereits erwähnt nicht gerecht ist, muß sich das Eigentum Gedanken über die Mittellosen, teilweise auch Chancenlosen machen. Andernfalls sind Beschwerden über die diversen unerwünschten Auswüchse im Lande sinnlos. Es ist erforderlich, über deren Ursachen nachzudenken. Eine gefühlte „Gerechtigkeitslücke“ ist dabei ein warnender Hinweis.

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