Montag, 3. Dezember 2007

Brief an Joachim Siegerist

Im Januar 2007 erschien im lettischen Magazin „Republika“ ein Interview mit Joachim Siegerist.

Sehr geehrter Herr Siegerist,
ob Sie sich noch an mich erinnern, weiß ich nicht. Ich habe Sie 1993 einmal kurz im Plenarsaal der Saeima getroffen, damals war ich gerade Gaststudent. Inzwischen habe ich über die Entwicklung der baltischen Parteiensysteme promoviert und lehre an Hochschulen in Estland und Lettland Politikwissenschaft.
Aigars Dāboliņš kenne ich ebenfalls seit damals. Wegen des Interviews habe ich ihn bereits aus journalistischer Sicht kritisiert, denn ich denke, der Sinn eines Interviews ist, wenn auch nicht den Befragten in die Ecke zu drängen, so doch zumindest Rückfragen zu stellen und den Gesprächspartner nicht einfach reden zu lassen.
Kritisiert habe ich auch, daß in Republika.lv der Name des Interviewers in weißen schlanken Buchstaben über dem Photo steht. Das gehört m. E. in den Vorspann.
Aber zu Ihren Äußerungen:
  1. Ihre Beschwerde über die Reaktion der Presse wegen der Bananen kann ich nicht nachvollziehen. Erstens hätten Sie die Bananen nicht kaufen müssen, denn als früherer Journalist der Bild-Zeitung war die das Echo gerade für Sie zu prognostizieren. Zweitens sind Sie durch die Organisation der Busse alles andere als unbeteiligt. Auch diesen Schritt hätten Sie unterlassen können.
    Übrigens habe ich bei Herrn Dāboliņš auch beklagt, daß der Kasten auf Seite zwei den Leser im Unwissen darüber läßt, für welches „einflußreiche“ Blatt sie tätig waren. Über den Charakter der Bild-Zeitung brauchen wir an dieser Stelle nicht zu diskutieren.
    Im gleichen Kasten hatte erklärt werden müssen, wer „Die Deutschen Konservativen“ sind, den deren und damit Ihre politische und juristische Vergangenheit kann der Leser nur wissen, wenn er darüber informiert wird. Einstweilen halte ich Justiz und Behörden in Deutschland – freilich mit Ausnahmen – für grundlegend vertrauenswürdig. Nicht jeder Journalist sieht eine umfassende Informierung des Lesers als seine Aufgabe an, aber gerade Herr Dāboliņš setzt überall hohe Maßstabe. Auch in Ihrer publizierten Antwort sprechen Sie von Vereinfachung der Sachverhalte; das aber geht nie, ohne Informationen wegzulassen. Geradezu zynisch ist m. E., daß Sie vier Punkte haben unterschreiben müssen. Abgesehen davon, daß diese Praxis an sich fragwürdig ist, so haben Sie aufgrund der Tatsache, daß Ihre Partei vom Verfassungsschutz beaufsichtigt wird, wenigstens nach Ihrer Tätigkeit für die Bild-Zeitung gegen einen Punkt verstoßen. Auch fehlt mir der Hinweis darauf, daß Ihre Partei wohl kaum den Sprung ins Parlament schaffen wird ebenso wie der Umstand, daß Sie in Deutschland breiten Bevölkerungskreisen eine völlig unbekannte Person sind.
    Wären Sie der, für den Herr Dāboliņš Sie halt – und ich gehe davon aus, daß auch Ihr eigenes Bild von sich nicht negative ist – müßten Sie schon erklären, warum die Wähler Ihnen nicht in Scharen hinterherlaufen, es sei denn, Sie halten die Wähler für dumm. Zumindest hatten Sie in Lettland das Gespür für die Einstellungskomplexe einer postsozialistischen Gesellschaft nicht. Herr Dāboliņš hat mir anvertraut, daß er Sie schon damals darauf hingewiesen habe. Ich erinnere mich, daß Sie die lettische Politik in unserem Gespräch eher als Kindergarten betrachtet haben.
    Obwohl Sie betonen, keine Angst zu haben, verschweigen Sie an zwei Stellen die Namen von erwähnten Personen und geben nur an, daß es sich um bekannte Personen handelt. Sie lassen allerdings offen, warum dann Sie diese Namen nicht nennen wollen.
    Die Koalitionsmöglichkeiten in der 6. Saeima betreffend lassen Sie offen, warum Sie schließlich mit den alten Kommunisten koalieren wollten. Der Hinweis auf die Kunst der Politik in Ihrer publizierten Antwort ist mir zu banal. Sie waren damals während der Verhandlungen plötzlich in Italien verhindert wegen eines Autounfalls, so wenigstens berichtete seinerzeit die Presse.
    In der wirtschaftlichen Frage gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Allerdings habe ich auch schon damals kritisiert, daß Sie mit Ihrem Geschäft „labi un lēti“ von damals durch den Verkauf von Importwaren das Außenhandelsdefizit mit angeheizt haben. Ihre Spendengelder stammten also aus den Portemonnaies der Letten selbst. Hätten Sie etwas für die lettische Wirtschaft tun wollen, warum haben Sie dann nicht eine Trikotagefabrik oder eine Molkerei gekauft und investiert?
    Plausibel ist die Abgrenzung zur NPD.


Unterm Strich ist mir nicht klar, warum Sie neben gesellschaftlichem und geschäftlichem Engagement auch unbedingt ein politisches angestrebt haben. Sie hätten sich den Löwenanteil der Vorwürfe und Anfeindungen ganz einfach gespart. Parteien kann man auch beraten und finanzieren, ohne selbst Ämter anzustreben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Axel Reetz

Keine Kommentare: