Warum ist das Thema der Krawalle in Tallinn mehr als ein halbes Jahr später plötzlich wieder aktuell?
Am 1. Dezember, also am Vorabend der Duma-Wahlen in Rußland, hatte das lettische Fernsehen in seinem Programm die Ausstrahlung eines französischen Dokumentarfilmes unter dem Titel „Das System Putin“ angekündigt – um dann kurzfristig das Programm zu ändern. Die Sendung fiel ohne große Vorankündigung aus, allein eine Textband erklärte, der Film werde aus technischen Gründen um eine Woche verschoben. Damit tauchte der Verdacht auf, man wolle die Russen am Tag vor dem Urnengang nicht verärgern, um wiederum den Ratifizierungsprozeß des Grenzvertrages (separater Text) nicht zu gefährden. Kuschen die Letten, wo die Esten dem mächtigen Nachbarn die Stirn zeigen?
In den ersten Tagen danach behauptete der Direktor des lettischen Staatsfernsehens (das öffentliche Fernsehen in Lettland ist steuerfinanziert, es hat zwar ähnliche Kontrollmechanismen wie das deutsche öffentlich-rechtliche, doch Einflußnahme der Politik wird von Journalisten immer wieder beklagt), es habe keinerlei Druck von niemandem gegeben. Später wurde zugegeben, das die technischen Probleme vorgeschoben gewesen seien, man habe tatsächlich kein Unheil heraufbeschwören wollen und bedauere den Entscheid, weil er doch so heftige Reaktionen ausgelöst habe. Der Direktor des Fernsehens trat zurück.
Behauptet wird, die russische Botschaft habe via Außenministerium interveniert. Dabei behaupten wiederum Russen, die den Film gesehen haben, das er keinesfalls so negativ gegenüber Putin ausfalle.
Das von den Esten Pronkssõdur (Bronzesoldat) genannte Denkmal wurde 1947 aufgestellt, wo 1945 12 Soldaten beerdigt worden waren. Die Stadt Tallinn hat sich in den folgenden Jahrzehnten ausgedehnt, so daß der Ort, früher neben dem Stadtzentrum gelegen, sich heute mitten im Zentrum zwischen der neoromanischen Karlkirche und der erst vor 20 Jahren errichteten Nationalbibliothek befindet. De facto befand sich die Trolleybushaltestelle „Tõnismägi“ direkt über den Gräbern. Das Denkmal ist wie das allerdings erst in den 80er Jahren errichtete Befreiungsdenkmal in Riga der Treffpunkt der – vorwiegend russischen – Kriegsveteranen jeweils am 9. Mai, das Datum, an dem die Sowjetunion das Kriegsende feierte. Im Mai 2006 versuchten estnische Nationalisten, das Denkmal zu schänden. Einer der der Rädelsführer, Tiit Madisson, ist für seine Aktivitäten in Estland hinlänglich bekannt und hat bereits im Gefängnis gesessen. Seither wurde es dauernd von der Polizei bewacht und die Politik entschied nach langen innenpolitischen Diskussionen, das Denkmal auf den ebenfalls unweit des Stadtzentrums gelegenen Soldatenfriedhof zu versetzen, wogegen die im Lande lebenden Russen wie auch Rußland protestierten.
In der Nacht bevor die Demontage beginnen sollte, versammelten sich abends vorwiegend jugendliche, vielfach alkoholisierte, Demonstranten (in Tallinn ist zwischen 23 und 8 Uhr der Verkauf von Alkohol verboten). Es folgten Straßenschlachten auch an den folgenden Tagen. Dabei waren viele Schaulustige mitten im Geschehen, filmten und photographierten, und wurden teilweise ebenfalls verhaftet.
Die Polizei drängte die Portestierenden in der Nacht vom Denkmal ab. Etwa 500m entfernt am Freiheitsplatz (Vabaduse väljak) wurde ein Imbiß-Kiosk geplündert, in dem zum Zeitpunkt des Überfalls eine Frau arbeitete, ein weiterer Kiosk etwa 500m entfernt vom Denkmal in anderer Richtung wurde in Brand gesetzt. Ebenfalls wurde das rund um die Uhr geöffnete Geschäft „Westmani Äri“ demoliert und geplündert. Gegenüber liegt das viersterne Scandic Palace Hotel, von dem aus die Touristen das Geschehen durchs Fenster mit Erschütterung verfolgten. In der Altstadt wurden außerdem die Schreiben der größten Buchhandlung „Apollo“ eingeschlagen, aber keine Bücher entwendet.
Die Demonstranten skandierten immer wieder „Rußland“ und „Faschisten“. Die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Duma erklärte im russischen Fernsehen, die Balten hätten bereits in der Zwischenkriegszeit faschistische Regime gehabt und seinen deshalb immer noch faschistisch eingestellt, während in Moskau die estnische Botschaft ebenfalls vorwiegend von Jugendlichen belagert wurde. Dabei wurde durchaus unter Kennern und Freunden Estlands im westlichen Ausland Kritik geübt. Man habe das Denkmal überhaupt nicht versetzen müssen oder auch der Zeitpunkt sei schlecht gewählt gewesen, hieß es. Aber hier sollten auch die Alternativen erörtert werden: Um das Denkmal nicht bis zum jüngsten Tage von der Polizei bewachen zu lassen, hätte höchstens ein hoher Zaun gezogen werden können. Aber was nutzt ein Denkmal, welches dann nur zu bestimmten Zeiten zugänglich ist, wenn die Behörden das Tor öffnen – oder hätte man ein Kassenhäuschen installieren sollen?
Der Termin kurz vor dem 9. Mai mag auf den ersten Blick verwundern. Andererseits hätte ein späterer Termin bedeutet, das Denkmal an diesem bedeutungsschweren Datum schützen zu müssen. Geplant war, bis zu diesem Tag das Denkmal bereits am neuen Standort zu sehen und dann feierlich einzuweihen. Genau das ist dann übrigens auch geschehen.
An dieser Stelle sollte auch noch einmal erwähnt werden, daß es weder in Estland noch in Lettland, die von Publizistik wie Wissenschaft der Diskriminierung ihrer Minderheiten regelmäßig bezichtigt werden, je zu Unruhen gekommen ist. Das entspricht weder der Mentalität der Esten, noch der Letten und ebenfalls nicht der Russen.
Am 1. Dezember, also am Vorabend der Duma-Wahlen in Rußland, hatte das lettische Fernsehen in seinem Programm die Ausstrahlung eines französischen Dokumentarfilmes unter dem Titel „Das System Putin“ angekündigt – um dann kurzfristig das Programm zu ändern. Die Sendung fiel ohne große Vorankündigung aus, allein eine Textband erklärte, der Film werde aus technischen Gründen um eine Woche verschoben. Damit tauchte der Verdacht auf, man wolle die Russen am Tag vor dem Urnengang nicht verärgern, um wiederum den Ratifizierungsprozeß des Grenzvertrages (separater Text) nicht zu gefährden. Kuschen die Letten, wo die Esten dem mächtigen Nachbarn die Stirn zeigen?
In den ersten Tagen danach behauptete der Direktor des lettischen Staatsfernsehens (das öffentliche Fernsehen in Lettland ist steuerfinanziert, es hat zwar ähnliche Kontrollmechanismen wie das deutsche öffentlich-rechtliche, doch Einflußnahme der Politik wird von Journalisten immer wieder beklagt), es habe keinerlei Druck von niemandem gegeben. Später wurde zugegeben, das die technischen Probleme vorgeschoben gewesen seien, man habe tatsächlich kein Unheil heraufbeschwören wollen und bedauere den Entscheid, weil er doch so heftige Reaktionen ausgelöst habe. Der Direktor des Fernsehens trat zurück.
Behauptet wird, die russische Botschaft habe via Außenministerium interveniert. Dabei behaupten wiederum Russen, die den Film gesehen haben, das er keinesfalls so negativ gegenüber Putin ausfalle.
Das von den Esten Pronkssõdur (Bronzesoldat) genannte Denkmal wurde 1947 aufgestellt, wo 1945 12 Soldaten beerdigt worden waren. Die Stadt Tallinn hat sich in den folgenden Jahrzehnten ausgedehnt, so daß der Ort, früher neben dem Stadtzentrum gelegen, sich heute mitten im Zentrum zwischen der neoromanischen Karlkirche und der erst vor 20 Jahren errichteten Nationalbibliothek befindet. De facto befand sich die Trolleybushaltestelle „Tõnismägi“ direkt über den Gräbern. Das Denkmal ist wie das allerdings erst in den 80er Jahren errichtete Befreiungsdenkmal in Riga der Treffpunkt der – vorwiegend russischen – Kriegsveteranen jeweils am 9. Mai, das Datum, an dem die Sowjetunion das Kriegsende feierte. Im Mai 2006 versuchten estnische Nationalisten, das Denkmal zu schänden. Einer der der Rädelsführer, Tiit Madisson, ist für seine Aktivitäten in Estland hinlänglich bekannt und hat bereits im Gefängnis gesessen. Seither wurde es dauernd von der Polizei bewacht und die Politik entschied nach langen innenpolitischen Diskussionen, das Denkmal auf den ebenfalls unweit des Stadtzentrums gelegenen Soldatenfriedhof zu versetzen, wogegen die im Lande lebenden Russen wie auch Rußland protestierten.
In der Nacht bevor die Demontage beginnen sollte, versammelten sich abends vorwiegend jugendliche, vielfach alkoholisierte, Demonstranten (in Tallinn ist zwischen 23 und 8 Uhr der Verkauf von Alkohol verboten). Es folgten Straßenschlachten auch an den folgenden Tagen. Dabei waren viele Schaulustige mitten im Geschehen, filmten und photographierten, und wurden teilweise ebenfalls verhaftet.
Die Polizei drängte die Portestierenden in der Nacht vom Denkmal ab. Etwa 500m entfernt am Freiheitsplatz (Vabaduse väljak) wurde ein Imbiß-Kiosk geplündert, in dem zum Zeitpunkt des Überfalls eine Frau arbeitete, ein weiterer Kiosk etwa 500m entfernt vom Denkmal in anderer Richtung wurde in Brand gesetzt. Ebenfalls wurde das rund um die Uhr geöffnete Geschäft „Westmani Äri“ demoliert und geplündert. Gegenüber liegt das viersterne Scandic Palace Hotel, von dem aus die Touristen das Geschehen durchs Fenster mit Erschütterung verfolgten. In der Altstadt wurden außerdem die Schreiben der größten Buchhandlung „Apollo“ eingeschlagen, aber keine Bücher entwendet.
Die Demonstranten skandierten immer wieder „Rußland“ und „Faschisten“. Die Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses der Duma erklärte im russischen Fernsehen, die Balten hätten bereits in der Zwischenkriegszeit faschistische Regime gehabt und seinen deshalb immer noch faschistisch eingestellt, während in Moskau die estnische Botschaft ebenfalls vorwiegend von Jugendlichen belagert wurde. Dabei wurde durchaus unter Kennern und Freunden Estlands im westlichen Ausland Kritik geübt. Man habe das Denkmal überhaupt nicht versetzen müssen oder auch der Zeitpunkt sei schlecht gewählt gewesen, hieß es. Aber hier sollten auch die Alternativen erörtert werden: Um das Denkmal nicht bis zum jüngsten Tage von der Polizei bewachen zu lassen, hätte höchstens ein hoher Zaun gezogen werden können. Aber was nutzt ein Denkmal, welches dann nur zu bestimmten Zeiten zugänglich ist, wenn die Behörden das Tor öffnen – oder hätte man ein Kassenhäuschen installieren sollen?
Der Termin kurz vor dem 9. Mai mag auf den ersten Blick verwundern. Andererseits hätte ein späterer Termin bedeutet, das Denkmal an diesem bedeutungsschweren Datum schützen zu müssen. Geplant war, bis zu diesem Tag das Denkmal bereits am neuen Standort zu sehen und dann feierlich einzuweihen. Genau das ist dann übrigens auch geschehen.
An dieser Stelle sollte auch noch einmal erwähnt werden, daß es weder in Estland noch in Lettland, die von Publizistik wie Wissenschaft der Diskriminierung ihrer Minderheiten regelmäßig bezichtigt werden, je zu Unruhen gekommen ist. Das entspricht weder der Mentalität der Esten, noch der Letten und ebenfalls nicht der Russen.
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