„Glauben kannst Du in der Kirche!“ Das ist so ein salopper Spruch, der schon einmal entgegnet wird, wenn sich jemand zwar seiner Aussage ziemlich sicher, aber von der Richtigkeit doch nicht vollständig überzeugt ist. Gerne wird alternativ mit der Formulierung „ich würde sagen“ gezweifelt. Doch dieser Satzanfang plaziert das Konditional völlig falsch, denn die ausgedrückte Vermutung wird ja tatsächlich ausgesprochen.
Aber von grammatikalischen Fehlern soll hier die Rede nicht sein. Es geht um das Glauben, um den Glauben, wenn sich Landesbischöfin Margot Käßmann in einem Radiointerview erschüttert zeigt, daß sie schon einmal gefragt wird, was das Plus auf den Kirchtürmen bedeutet – Hähne sind nicht immer zur Hand – oder ein Kind im Anblick von Jesus am Kreuze fragt, was dem denn passiert sei.
Bei dieser Besorgnis geht es nicht um einen sich ausbreitenden Atheismus. Zwar driften Kirchenmitgliedschaft und Glaube wie auch persönliche Definitionen zu diesen Fragen immer weiter auseinander, ja werden immer vielschichtiger. Die meisten Menschen sind aber eigentlich, wenn überhaupt, eher passiv religiös oder areligiös denn Atheisten im reinen Sinne des Begriffes. Atheismus ist schließlich auch ein Glaube, nämlich der geglaubte Zweifel an die Nichtexistenz eines Gottes. Und die kann man – wissenschaftlich – genau so wenig beweisen wie das Gegenteil, seine Existenz!
Andererseits geht es ganz vielen gar nicht um das Entsetzen darüber, daß immer weniger Menschen in die Kirchen gehen oder an Gott glauben. Es geht eigentlich um Fragen der Ethik, um Verhaltenskodexe, die nicht nur Bischöfe mit der Kirche verbinden. Da muß nur an die zehn Gebote oder Schlagworte wie Nächstenliebe erinnert werden. Dies drückt sich in Stellungnahmen über Reizthemen wie beispielsweise Abtreibung und Sterbehilfe aus. Die Gläubigen wollen oder wünschen, daß andere Menschen so handeln, wie es ihnen selbst der Glaube abverlangt. Damit sprechen die Gläubigen den Betroffenen das Recht zum eigenen Weltbild und eigener Entscheidung ab.
Die genannten Beispiele sind eine wichtige Grauzone, denn hier schreibt schon lange die Kirche bestenfalls vor, was ethisch ist oder nicht, und das ist nicht mehr verbindlich, sondern der Staat legt gesetzlich fest, was erlaubt und verboten ist, wobei fraglos der jahrhundertelange kulturelle Einfluß der Kirche auf die Gesellschaft sich in der Gesetzgebung zementiert hat. Andere Kulturen haben ein von anderen Religionen beeinflußtes rechtliches Korsett, daß von den Gläubigen der christlichen Kultur, aber keineswegs nur von ihnen mitunter scharf abgelehnt wird.
Dieser Ansatz ist interessant, denkt man an die umfassende Gewalt, die früher – zugegeben vor der Reformation – von der Kirche ausgeübt wurde. Und dabei geht es keineswegs nur um die Verfolgung von Hexen, deren Lächerlichkeit aus heutiger Sicht auch keinem Gläubigen mehr erklärt werden muß. Die Missionierung selbst war oftmals gewaltsam und für die Missionierten unfreiwillig. Sie war vielfach mit der Kolonialisierung durch die Europäer verbunden – andere Kulturen hatten andere Religionen. Ob zum Machterhalt nicht auch heute mancher noch gerne die Galileis lieber ausgebremst sähe, mag man angesichts der faktischen Unmöglichkeit dank des westlichen rechtlichen Korsetts diskutieren. Für das Glauben an sich ist Wissen sicher nach wie vor die größte Bedrohung. Was, wenn sich eines Tages doch die Nichtexistenz von Gott beweisen ließe?
So lange dies noch nicht eingetreten ist, belegt den spirituellen Bedarf, den der Mensch offenbar hat, daß es eigentlich keine Kultur ohne eine eigene Religion gibt, sei sie nun monotheistisch oder nicht. Als man noch nicht wissenschaftlich erklären konnte, woher Blitz und Donner kommen, hatten die Menschen vor vielen Naturereignissen Angst. Und diese Angst ließ sich von der Kirche instrumentalisieren, sie wurde damit unter anderem auch reich.
Dabei sollte nicht in Abrede gestellt werden, daß dies in früheren Jahrhunderten auch viele Vorteile mit sich gebracht hat. Dieser Gedanke läßt sich mit der Phrase, Gesetz ersetzt Moral umschreiben. Bevor es einen Staat im modernen Sinne gab, der Regeln durchzusetzen in der Lage war, und da geht es erst einmal noch gar nicht um deren Allgemeingültigkeit, geschweige denn eine wie auch immer geartete Rechtsstaatlichkeit, sondern allein um ein funktionierendes Gewaltmonopol des jeweiligen Machthabers, war die Angst der Menschen vor einer Bestrafung durch Gott nach ihrem Tode, mit einem Wort, die Hölle, ein probates Mittel, um die Massen zu dirigieren und das Chaos zu verhindern.
Zunächst mit der Reformation änderte sich viel. Sie war aus zwei Gründen erfolgreich, sie setzte sich erstens gegen die Moralverstöße des Katholizismus zur Wehr, was in der einfachen Bevölkerung eine Rolle spielte, aber sie wurde auch von vielen Herrschern begrüßt, die sich davon versprachen, das Joch der ja auch sehr mächtigen alten Kirche abzuschütteln. Die neue Kirche setzte sich entsprechend auch für diese Interessen ein. In den baltischen Ländern begannen die Priester die Sprache der „Ureinwohner“ zu akzeptieren und legten damit den Grundstein für die Entwicklung einer eigenen Kultur.
Später folgte mit der Aufklärung ein weiterer Schritt hin in Richtung zu mehr Freiheit und Individualität. Nun ist diese Diskussion keine neue. In den demokratischen Ländern, oft auch westliche Welt genannt, werden Werte wie Freiheit und Toleranz, die eher eine Folge der Aufklärung sind, hochgehalten. Zweifelsohne gab es in anderen Kulturen eine vergleichbare Emanzipation von den alten Vorstellungen des Glaubens nicht. Und das bedeutet, auch der heute von Gläubigen kritisierte Teil der Kultur ist auf selbigem Glauben in seiner Interpretation oder der Gegnerschaft zu ihm entstanden.
Historiker merken gerne an, daß noch alle Hochkulturen untergegangen sind. Oswald Spengler glaubte 1918 in der Ära der Napoleonischen Kriege den Anfang vom Ende der westlichen, also der christlichen Kultur zu sehen. Bereits vor dem 11. September schrieben Wissenschaftler wie Francis Fukuyama, Samuel Huntington und Ronald Inglehart Mutmaßungen über die weitere Entwicklung der Welt und sehen einen großen Konflikt der Kulturen, also der Religionen also der Glauben auf dieser Welt, der Motor für viel Unheil ist. Angesichts der aktuellen Weltlage kann diese Sicht der Dinge keinesfalls vom Tisch gewischt werden.
Aber kann unsere Kultur ohne die Errungenschaften von Freiheit und Toleranz existieren? Einschränkungen gibt es ja bereits genug, das bemerkt jeder, der in den vergangenen Monaten mal Fluggast gewesen ist. Themen wie Videoüberwachung und Bundestrojaner lassen ebenfalls grüßen.
Freiheit und Toleranz beschwörend: ob jemand glaubt oder nicht, ob jemand also gläubig ist oder nicht, das sollte jedem einzelnen überlassen werden. Wichtig ist, diesen nicht zum Maß aller Dinge zu machen und keine Allgemeingültigkeit zu beanspruchen. Für den Gläubigen mag es wie ein Frevel klingen, aber es gibt keine Veranlassung zu befürchten, wer sonntags in der Kirche seinen Glauben zelebriert, könne dieser Gewohnheit nicht nachgehen, wenn am darauffolgenden Montag in der Nachbarschaft ein Kind abgetrieben wird oder ein Mensch Selbstmord begeht.
Ob die Hochkultur des Westens untergeht, weil einige junge Menschen nicht wissen, daß auf der Kirchturmspitze kein Plus steht, sondern ein Kreuz, ist ebenfalls eine Glaubensfrage, bestenfalls kann vermutet oder spekuliert werden. Wissenschaftlich läßt sich diese Frage nicht beantworten – das zeigte schon Spenglers Untergang des Westens.
Aber von grammatikalischen Fehlern soll hier die Rede nicht sein. Es geht um das Glauben, um den Glauben, wenn sich Landesbischöfin Margot Käßmann in einem Radiointerview erschüttert zeigt, daß sie schon einmal gefragt wird, was das Plus auf den Kirchtürmen bedeutet – Hähne sind nicht immer zur Hand – oder ein Kind im Anblick von Jesus am Kreuze fragt, was dem denn passiert sei.
Bei dieser Besorgnis geht es nicht um einen sich ausbreitenden Atheismus. Zwar driften Kirchenmitgliedschaft und Glaube wie auch persönliche Definitionen zu diesen Fragen immer weiter auseinander, ja werden immer vielschichtiger. Die meisten Menschen sind aber eigentlich, wenn überhaupt, eher passiv religiös oder areligiös denn Atheisten im reinen Sinne des Begriffes. Atheismus ist schließlich auch ein Glaube, nämlich der geglaubte Zweifel an die Nichtexistenz eines Gottes. Und die kann man – wissenschaftlich – genau so wenig beweisen wie das Gegenteil, seine Existenz!
Andererseits geht es ganz vielen gar nicht um das Entsetzen darüber, daß immer weniger Menschen in die Kirchen gehen oder an Gott glauben. Es geht eigentlich um Fragen der Ethik, um Verhaltenskodexe, die nicht nur Bischöfe mit der Kirche verbinden. Da muß nur an die zehn Gebote oder Schlagworte wie Nächstenliebe erinnert werden. Dies drückt sich in Stellungnahmen über Reizthemen wie beispielsweise Abtreibung und Sterbehilfe aus. Die Gläubigen wollen oder wünschen, daß andere Menschen so handeln, wie es ihnen selbst der Glaube abverlangt. Damit sprechen die Gläubigen den Betroffenen das Recht zum eigenen Weltbild und eigener Entscheidung ab.
Die genannten Beispiele sind eine wichtige Grauzone, denn hier schreibt schon lange die Kirche bestenfalls vor, was ethisch ist oder nicht, und das ist nicht mehr verbindlich, sondern der Staat legt gesetzlich fest, was erlaubt und verboten ist, wobei fraglos der jahrhundertelange kulturelle Einfluß der Kirche auf die Gesellschaft sich in der Gesetzgebung zementiert hat. Andere Kulturen haben ein von anderen Religionen beeinflußtes rechtliches Korsett, daß von den Gläubigen der christlichen Kultur, aber keineswegs nur von ihnen mitunter scharf abgelehnt wird.
Dieser Ansatz ist interessant, denkt man an die umfassende Gewalt, die früher – zugegeben vor der Reformation – von der Kirche ausgeübt wurde. Und dabei geht es keineswegs nur um die Verfolgung von Hexen, deren Lächerlichkeit aus heutiger Sicht auch keinem Gläubigen mehr erklärt werden muß. Die Missionierung selbst war oftmals gewaltsam und für die Missionierten unfreiwillig. Sie war vielfach mit der Kolonialisierung durch die Europäer verbunden – andere Kulturen hatten andere Religionen. Ob zum Machterhalt nicht auch heute mancher noch gerne die Galileis lieber ausgebremst sähe, mag man angesichts der faktischen Unmöglichkeit dank des westlichen rechtlichen Korsetts diskutieren. Für das Glauben an sich ist Wissen sicher nach wie vor die größte Bedrohung. Was, wenn sich eines Tages doch die Nichtexistenz von Gott beweisen ließe?
So lange dies noch nicht eingetreten ist, belegt den spirituellen Bedarf, den der Mensch offenbar hat, daß es eigentlich keine Kultur ohne eine eigene Religion gibt, sei sie nun monotheistisch oder nicht. Als man noch nicht wissenschaftlich erklären konnte, woher Blitz und Donner kommen, hatten die Menschen vor vielen Naturereignissen Angst. Und diese Angst ließ sich von der Kirche instrumentalisieren, sie wurde damit unter anderem auch reich.
Dabei sollte nicht in Abrede gestellt werden, daß dies in früheren Jahrhunderten auch viele Vorteile mit sich gebracht hat. Dieser Gedanke läßt sich mit der Phrase, Gesetz ersetzt Moral umschreiben. Bevor es einen Staat im modernen Sinne gab, der Regeln durchzusetzen in der Lage war, und da geht es erst einmal noch gar nicht um deren Allgemeingültigkeit, geschweige denn eine wie auch immer geartete Rechtsstaatlichkeit, sondern allein um ein funktionierendes Gewaltmonopol des jeweiligen Machthabers, war die Angst der Menschen vor einer Bestrafung durch Gott nach ihrem Tode, mit einem Wort, die Hölle, ein probates Mittel, um die Massen zu dirigieren und das Chaos zu verhindern.
Zunächst mit der Reformation änderte sich viel. Sie war aus zwei Gründen erfolgreich, sie setzte sich erstens gegen die Moralverstöße des Katholizismus zur Wehr, was in der einfachen Bevölkerung eine Rolle spielte, aber sie wurde auch von vielen Herrschern begrüßt, die sich davon versprachen, das Joch der ja auch sehr mächtigen alten Kirche abzuschütteln. Die neue Kirche setzte sich entsprechend auch für diese Interessen ein. In den baltischen Ländern begannen die Priester die Sprache der „Ureinwohner“ zu akzeptieren und legten damit den Grundstein für die Entwicklung einer eigenen Kultur.
Später folgte mit der Aufklärung ein weiterer Schritt hin in Richtung zu mehr Freiheit und Individualität. Nun ist diese Diskussion keine neue. In den demokratischen Ländern, oft auch westliche Welt genannt, werden Werte wie Freiheit und Toleranz, die eher eine Folge der Aufklärung sind, hochgehalten. Zweifelsohne gab es in anderen Kulturen eine vergleichbare Emanzipation von den alten Vorstellungen des Glaubens nicht. Und das bedeutet, auch der heute von Gläubigen kritisierte Teil der Kultur ist auf selbigem Glauben in seiner Interpretation oder der Gegnerschaft zu ihm entstanden.
Historiker merken gerne an, daß noch alle Hochkulturen untergegangen sind. Oswald Spengler glaubte 1918 in der Ära der Napoleonischen Kriege den Anfang vom Ende der westlichen, also der christlichen Kultur zu sehen. Bereits vor dem 11. September schrieben Wissenschaftler wie Francis Fukuyama, Samuel Huntington und Ronald Inglehart Mutmaßungen über die weitere Entwicklung der Welt und sehen einen großen Konflikt der Kulturen, also der Religionen also der Glauben auf dieser Welt, der Motor für viel Unheil ist. Angesichts der aktuellen Weltlage kann diese Sicht der Dinge keinesfalls vom Tisch gewischt werden.
Aber kann unsere Kultur ohne die Errungenschaften von Freiheit und Toleranz existieren? Einschränkungen gibt es ja bereits genug, das bemerkt jeder, der in den vergangenen Monaten mal Fluggast gewesen ist. Themen wie Videoüberwachung und Bundestrojaner lassen ebenfalls grüßen.
Freiheit und Toleranz beschwörend: ob jemand glaubt oder nicht, ob jemand also gläubig ist oder nicht, das sollte jedem einzelnen überlassen werden. Wichtig ist, diesen nicht zum Maß aller Dinge zu machen und keine Allgemeingültigkeit zu beanspruchen. Für den Gläubigen mag es wie ein Frevel klingen, aber es gibt keine Veranlassung zu befürchten, wer sonntags in der Kirche seinen Glauben zelebriert, könne dieser Gewohnheit nicht nachgehen, wenn am darauffolgenden Montag in der Nachbarschaft ein Kind abgetrieben wird oder ein Mensch Selbstmord begeht.
Ob die Hochkultur des Westens untergeht, weil einige junge Menschen nicht wissen, daß auf der Kirchturmspitze kein Plus steht, sondern ein Kreuz, ist ebenfalls eine Glaubensfrage, bestenfalls kann vermutet oder spekuliert werden. Wissenschaftlich läßt sich diese Frage nicht beantworten – das zeigte schon Spenglers Untergang des Westens.
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